Saint Quarantine #18: Gegen Phantomschmerzen

Foto: Stefan Franzen

Es fühlt sich leer an. Denn normalerweise wären wir jetzt auf dem Weg nach Thüringen, wie jedes Jahr am ersten Donnerstag des Monats Juli. Doch die Jubiläumsausgabe des größten deutschen Roots-Festivals in Rudolstadt fällt der Pandemie wegen an diesem Wochenende aus. Um den „Phantomschmerz“ zu lindern, wie es die Macher nennen, gibt es an den eigentlichen Festivaltagen ein reichhaltiges Radioprogramm, das Highlights der letzten Dekade Revue passieren lässt, darunter auch vollständige Mitschnitte von Einzelkonzerten. Federführend ist hier vor allem der Sender MDR Kultur: Am heutigen Donnerstag startet er um 20 Uhr mit einem dreieinhalbstündigen Rudolstadt-Abend mit Erinnerungen, Reportagen, Talkrunden und Live-Musiken.

Am Freitag schließt sich eine zehnstündige Rudolstadt-Konzertnacht an, während der unter anderem Auftritte von Billy Bragg, Alejandra Ribera, Anoushka Shankar, Reinald Grebe, Wenzel, Sam Lee & Friends, Sophie Hunger, den Cowboy Junkies und Element of Crime zu hören sein werden. Am Samstag- und Sonntagabend blicken dann sowohl Deutschlandfunk Kultur wie auch BR Klassik auf die gesamte Festivalhistorie zurück. Die 30. Ausgabe des Rudolstadt Festivals findet dann turnusgemäß wieder vom 1. bis 4. Juli 2021 statt.

Hier ist das gesamte Radioprogramm gelistet. Und anbei außerdem ein Auftritt der kanadischen Bears Of Legend aus dem Jahr 2017, gefilmt von arte – die Band aus Québec fand sich unversehens auf der großen Heinepark-Bühne wieder, nachdem der dort vorgesehene Act kurzfristig ausfiel…

Bears Of Legend in Rudolstadt 2017 (arte in concert)
Quelle: arte / youtube

 

Saint Quarantine #16: Mut aus London

Artwork: Orlando Seale

Ein Zeichen des Muts und der Solidarität aus London: Dort lebt mittlerweile die kanadische Songwriterin Alejandra Ribera, die beim Ausbruch der Pandemie eigentlich geplant hatte, ins Studio zu gehen, um ihr neues Album aufzunehmen. Ihren Song „Courage“ hat sie im Lockdown schließlich in einer selbstproduzierten Version verwirklicht – unterstützt durch viele im Video zu sehenden Freunde. Die Erlöse spendet Alejandra den Doctors Without Borders. Schaut auf die letzten Sekunden des Clips – sie sind berührend und amüsant zugleich.

Alejandra Ribera: „Courage“
Quelle: youtube

Mond-Töne

„Moon over Madalena“ (Lune cendrée, Pico, Azoren, 17.5.2018), Foto: Stefan Franzen

Es hat eine kleine Tradition: Astronomische Ereignisse werden auf diesem Blog musikalisch begleitet.
So auch heute, da abends die längste Mondfinsternis des Jahrhunderts zu erleben ist. Nicht wie oben als Aschemond, den ich auf den Azoren gesichtet habe, sondern in voraussichtlich blutigem Teint wird das Gestirn sich zeigen, da es bei der Eklipse tief am Himmel steht und die Atmosphäre seine Oberfläche im Erdschatten rot färben wird. Sieben Blut-, Super- und sonstige -mondlieder zwischen Venezuela und Estland sollen das Spektakel flankieren.

1. Roseaux (Frankreich): „Walking On The Moon“
Quelle: youtube

Schon als Kind fand ich den Police-Song „Walking On The Moon“ toll, weil er den Reggae weit ins All katapultierte. Diese Coverversion übertrifft das Original: Das französische Projekt von 2012 hat sich für diesen Titel den Neo Soul-Star Aloe Blacc an Land gezogen.

2. Simón Díaz (Venezuela): „Tonada De Luna Llena“
Quelle: youtube

Tonadas, ursprünglich aus dem barocken Asturien und Kantabrien stammend, sind in Venezuela ländliche Lieder, die zum Arbeiten gesungen werden, aber auch zum Ausruhen, wie wohl diese magische Vollmond-Anrufung von 1973. Simon Díaz, der vor vier Jahren steinalt starb, war einer der großen Volkssänger des Landes, inspirierte Pina Bausch, Pedro Almodóvar und Caetano Veloso.

3. Sophie Hunger (Schweiz): „Supermoon“
Quelle: youtube

Das Titelstück aus dem vorletzten Album der helvetischen Songwriterin ist ein Selbstporträt: Die Künstlerin sieht sich als Supermond, der in kalter Isolation vom Rest der Welt um sich selbst kreist. Es fröstelt einen umgehend, sobald die Anfangsakkorde erklingen – und man möchte instinktiv nach einem Thermoanzug greifen.

4. Sílvia Perez Cruz & Ravid Goldschmidt (Katalonien): „Luna“
Quelle: youtube

Ein frühes Duo aus der Karriere der katalanischen Ausnahmestimme. Nur mit Hang-Begleitung hat sie 2011 ihre vielseitigen Qualitäten mit einem Liedrepertoire zwischen Brasilien und mediterranem Raum bewiesen – dieses Mondlied ist von einer Soleá des Copla- und Flamenco-Sängers Juanito Valderrama inspiriert.

5. Fainschmitz (Österreich): „Mond“
Quelle: youtube

Die Band mit dem tollen Namen ist in Wien ganz neu am Start und setzt sich aus österreichischen, italienischen und deutschen Jazzern zusammen, die ihren Stil „Jungle Swing“ nennen. Die nonchalanten Megaphon-Vocals sind ihr Markenzeichen – und man sollte auch unbedingt das Stück „Delphine zählen“ abchecken!

6. Alejandra Ribera (Kanada): „Blood Moon Rising“
Quelle: youtube

Gestirne spielen in den Songs der Kanadierin eine prominente Rolle: Neben diesem Highlight aus ihrem aktuellen Werk This Island hat sie auf dem Vorgänger La Boca auch gleich hundert Monde („Cien Lunas“) und den „Mars“ besungen – der neben dem Blutmond heute Abend übrigens auch erdnah wie selten strahlen wird.

7. Curly Strings (Estland): „Kuu“
Quelle: youtube

Die vier Esten verbinden die baltische Tradition mit den Klängen amerikanischer String Bands – und sind die Speerspitze der sehr jungen estnischen Folkszene. Ihre Ballade an den Mond aus dem Debütalbum Hoolima gefällt mir am besten.

Am Montag setzt greenbeltofsound das Himmelsspektakel fort: Dann werden wir anlässlich des 60. Geburtstages eines Popstars die Erde aus der Ferne betrachten.

Listenreich I: 20 Songs für 2017

Blue Rose Code (Schottland) : „Over The Fields“
Quelle: youtube
Cristina Branco (Portugal): „E Às Vezes Dou Por Mim“
Quelle: vevo
Cristobal & The Sea (UK): „Goat Flokk“
Quelle: youtube
Joy Denalane (Deutschland): „Zuhause“
Quelle: vevo

Alemayehu Eshete & The Polyversal Souls (Äthiopien/Deutschland): „Alteleyeshegnem“
Quelle: youtube
Grèn Sémé (La Réunion): „Hors Sol“
Quelle: YouTube
Matt Holubowski (Kanada): „The Warden & The Hangman“
Quelle: youtube
Iris Electrum (Österreich): „Of Tigers And Owls (No Future, No Past)“
Quelle: youtube
Awa Ly (Senegal): „Wide Open“
Quelle: youtube
MC Solaar (Frankreich): „Géopoétique“
Quelle: youtube
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): „Vestida De Nit“
Quelle: youtube
Sílvia Pérez Cruz & Pájaro (Katalonien/Spanien): „Pequeño Vals Vienés“
Quelle: youtube
Cemil Qoçgiri (Deutschland/Kurdistan): „Ero Bezar“
Quelle: youtube
Alejandra Ribera (Kanada): „I Am Orlando“
Quelle: youtube
Saltland (Kanada): „Light Of Mercy“
Quelle: vimeo

Oumou Sangare (Mali): „Fadjamou“
Quelle: youtube
Saz’iso (Albanien): „Tana“
Quelle: youtube

Sun-El Musician feat. Samthing Soweto (Republik Südafrika): „Akanamali“
Quelle: youtube
Tribalistas (Brasilien): „Baião Do Mundo“
Quelle: youtube

Trio Da Kali & Kronos Quartet (Mali/USA): „Eh Ya Ye“
Quelle: youtube

Listenreich II: 20 Alben für 2017

Foto by Nancy
Alma (Österreich): Oeo (col legno)
Blue Rose Code (Schottland): The Water Of Leith (Navigator Records)
Cristina Branco (Portugal): Menina (O-tone)
Canzoniere Grecanico Salentino (Italien): Canzoniere (Ponderosa Records)
Fleet Foxes (USA): Crack-Up (Nonesuch)
Jesús Guerrero (Spanien):  Calma (Flamenco de la Isla)
The Heliocentrics (UK/Slowakei): A World Of Masks (Soundways)
Matt Holubowski (Kanada):  Solitudes (Audiogram)
Sharon Jones & The Dap-Kings (USA):  Soul Of A Woman (Daptone)
Masaa (Deutschland/Libanon): Outspoken (Traumton)
Nishtiman Project (Kurdistan): Kobane (Accords Croisés)
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): Vestida De Nit (Universal)
Alejandra Ribera (Kanada): This Island (Pheromone)
Oumou Sangare (Mali): Mogoya (NoFormat)
Saz’iso (Albanien): At Least Wave Your Handkerchief At Me (Glitterbeat)
Barbara Schirmer (Schweiz): Falter (hackbrett.com)
Omar Sosa & Seckou Keita (Kuba/Senegal): Transparent Water (World Village)
Tribalistas (Marisa Monte, Carlinhos Brown & Arnaldo Antunes) (Brasilien): Tribalistas 2 (Phonomotor)
Mônica Vasconcelos (Brasilien/UK):  The São Paulo Tapes (Galileo)
Vein (Schweiz): Vein Plays Ravel (Double Moon)

Listenreich III: 20 Konzerte für 2017


West Trainz beim Soundcheck im Club Soda Montréal, 2.3. (Foto: Stefan Franzen)
WINTER
Cristina Branco (Portugal) – Martinskirche Basel, 31.1.
Lizz Wright (USA) – Jazzhaus Freiburg, 15.2.
Matt Holubowski (Kanada) – Club Soda Montréal, 26.2.
Erik West Millette & West Trainz (Kanada) – Club Soda Montréal, 2.3.
Bears Of Legend – Club Soda Montréal, 7.3.
Kronos Quartet & Toronto Symphony Orchestra (USA/Kanada) – Roy Thomson Hall Toronto, 11.3.
Alejandra Ribera (Kanada) – Aeolian Hall London/Ontario, 16.3.
Sílvia Pérez Cruz, Theaterspektakel am Zürichsee, 29.8.,
Rosalia & Raül Refree, Kunstmuseum Basel, 19.8. (Fotos: Stefan Franzen)
FRÜHLING / SOMMER
John Smith (UK) – Parterre Basel, 29.4.
Andreas Schaerer, Hildegard Lernt Fliegen & Orchestra of Lucerne Festival Alumni (Schweiz) – Musicaltheater Basel, 6.5.
López – Petrakis – Chemirani (Spanien/Griechenland/Iran) – Neumarkt Rudolstadt, 7.7.
Faada Freddy & Awa Ly (Senegal) – Rosenfelspark Lörrach, 28.7.
Rosalia & Raül Refree (Katalonien) – Kunstmuseum Basel, 19.8.
Sílvia Pérez Cruz & Jaume Llombart (Katalonien) – Theaterspektakel Zürich, 29.8.

Achref Chargui & Mohamed Amine Kalaï, Oriental Summer Academy Sulzburg, 2.9.
Rafael Habichuela & Juan Angel Tirado, Casa del Arte Flamenco Granada, 21.10.
(Fotos: Stefan Franzen)
HERBST
Yumi Ito Orchestra (Various) – Jazzcampus Basel, 1.9.
Achref Chargui & Mohamed Amine Kalaï (Tunesien) – St. Cyriak Sulzburg, 2.9.
Vein (Schweiz) – Volkshaus Basel, 9.9.
Paddy Bush (UK) – Forum Schlossplatz Aarau, 21.9.
Rafael Habichuela, Juan Angel Tirado, Alba Hereida & Luis de Luis (Spanien) – Casa del Arte Flamenco Granada, 21.10.
Sílvia Pérez Cruz & Quinteto de Cordas (Katalonien) – Teatro Municipal Girona, 25.10.
Fleet Foxes (USA) – Palladium Köln, 1.12.

Canada 150: Die Radioserie

Die Canada 150-Serie geht auf Sendung.


1.
Es startet mit der Passage im Schweizer Radio SRF 2 Kultur am 16.6. von 20h-21h:

Vielfalt als Stärke
Das rote Ahornblatt aus der kanadischen Flagge, auf den Jubiläumsplakaten wird es derzeit in allen Farben des Regenbogens dargestellt: So schillernd entrollt sich im Jahr 2017 auch die Musikszene. Wer durch Kanada reist, erlebt ein Land, das sich zum 150. Geburtstag am 1.Juli Geburtstag viele Fragen nach seiner Identität und dem Umgang mit seiner Vergangenheit stellt. Musiker sind dabei die sensibelsten Seismographen der aktuellen Stimmung. Ein Rail- und Roadmovie für die Ohren zum runden Geburtstag, beginnend in einem „Train-Laboratorium“ an den Gleisen der Canadian Pacific in Montréal, über die kreativen Brüchen zwischen Franko- und Anglophonem und die bittere Geschichte der First Nations und Inuit bis hin zur experimentellen Klassik und dem Pop der Immigranten.


2.
Am 21.6. wird SWR 2 Kultur um 20h03 mit dem Thema Musik folgen:

Weltgewandt und grenzenlos
„The World needs more Canada“ heißt ein beliebter Werbespruch einer Buchladenkette, den auch schon Barack Obama aufgegriffen hat. Was können wir lernen von diesem zweitgrößten Land der Erde, das am 1. Juli seinen 150. Geburtstag feiert? Einige Antworten gibt die die Vielfalt der Musikkulturen: Die Traditionen der First Nations und Inuit treffen auf urbane Klangexperimente, die Erben von Leonard Cohen und Joni Mitchell sorgen von der Prärie bis zur Ostküste für eine lebendige Songwriter-Szene. Weltgewandter Immigranten-Pop und grenzenlose Worldmusic blüht in Toronto, Québec und die atlantischen Provinzen offenbaren sich als kreative Brutstätten.


3.
Vom 26.6. bis 30.6. gestalte ich in SWR 2 Kultur jeweils von 9h05-10h morgens in der Musikstunde eine ganze Woche zur Musikgeschichte Kanadas:
Montag: I – Terra Incognita: Die klassische Musik Kanadas zwischen europäischem Einfluss und eigenständiger Sprache
Dienstag:  II – Leonard, Joni und ihre Erben: Kanada als Folk- und Songwriter-Land par excellence
Mittwoch: III – Katajaq und Powwow, Protest und Experiment: Die Musik der First Nations und Inuit im Wandel
Donnerstag: IV – Von Akadien in die Diaspora: Franko-kanadische Glanzlichter
Freitag: V – Legenden und Migranten: Von den einstigen Rock-Ikonen zu globalen Popfarben


4.
Am 2.7. ab 23h wird Radio Globo auf NDR Info die Widmungen an Kanada mit einer weiteren Reisereportage beschließen.

So wie ich es überblicke, werden sämtliche Sendungen auch online auf den Seiten der jeweiligen Sender noch 7 Tage lang nach der Erstausstrahlung zu hören sein.

Die folgenden lieben Menschen haben mit ihrem Herz, ihrer Hilfe, ihrer Kunst und ihrem Wissen diese Reise und diese Serie in Wort und Klang möglich gemacht.

Große Dankeschöns an:

in Kanada:
Alejandra Ribera und ihre Band in Montréal und Paris – Alysha Brilla – Ana-Maria Lipoczi – Andrew Morrison – Annie Aningmiuq – Claudine Roy – Cynthia Pitsiulak – David Lavergne – Éliane Lévesque – Erik West Millette & seine West Trainz-Crew – Estelle Roy – Geneviève Toupin – Gina Brault – Jace Lasek – Jaron Freeman-Fox – Jean Massicotte – Jen Eisler – Joel Henderson – Joelle Saint-Pierre – Julie Aubé – Katrine Noël – Kevin Howes – Laurent Saulnier – Marie-Eve Bourdage – Maritza Bossé-Pelchat – Matthew Fava – Matt Holubowski – Maude Laberge Boudreau – Maxime Jarry – Nicole Lizée – Renaud Lussier – Richard Flohil – Stephen Wingfield – Trent Freeman – Trevor Mann – Vivienne Roy

in Deutschland und der Schweiz:
Andrea Samborski – Angela Gobelin – Bernard Senn – Bettina Winkler – Kerstin Unseld – Minusch Afonso – Peter Bürli – Peter Disch – Sabine Trieloff – Sebastian Bargon – Ulrich Schuwey

Besonderer Dank gilt meinem Tonmeister Manuel Braun, der mit seinen feinen Ohren aus meinen Skripts kleine Kunstwerke gemacht hat.

Viel Spaß beim Hören!

Ein Inselvogel in Paris (#8 – Canada 150)


Alejandra Ribera (Ontario)
This Island
(Pheromone Recordings/Rough Trade)

Schauplatz London, Ontario. Die Aeolian Hall ist eines der wenigen historischen Gebäude in der südkanadischen Stadt. Es ist Alejandra Riberas Lieblingssaal, denn er kommt ihr mit seiner theaterhaften Atmosphäre entgegen. Die Konzerte der Kanadierin mit argentinisch-schottischen Genen sind Drahtseilakte ohne Netz und doppelten Boden. Still zieht sie in ihre Gefühlswelt hinein, und hat sie die Zuhörer dann gepackt, überwältigt sie mit überraschenden Ausbrüchen von Intensität. So wie an diesem bitterkalten Märzabend in ihrer Heimat: „Blood Moon Rising“ beginnt als gemächlicher Roadmovie-Walzer, steigert sich am Ende aber mit ungebremster Wucht zur Klage über die Gewehrkugeln, die ein Verflossener in ihrer Brust hinterlassen hat. Riberas Landsleute sind tatsächlich erst einmal erschüttert, wie sich da wisperndes Grollen urplötzlich zum vokalen Vulkanausbruch entwickelt hat. Dann bricht sich der Applaus Bahn. Musik sei für sie Religion, sagt die Sängerin. Und in diesem Sinne auch Heilung.

Die Songs, die Alejandra Ribera ab dem 19.5. bei neuen Liveterminen in Deutschland mit Jean-Sebastien Williams (g) und Cédric Dind-Lavoie (b, p) vorstellt, stammen von This Island. Um diese Lieder zu schreiben siedelte die Kosmopolitin aus Toronto nach einem künstlerischen Intermezzo in Montréal nach Paris über. Nach der Île de Montréal wurde die Île de France zu ihrer Insel. Eine Millionenstadt, in der sie niemand kannte und deren Sprache sie nicht fließend beherrschte, fungierte als Einsiedlerzelle. Durch diese selbstgewählte Klausur nahm ein intimer Zyklus von Liedern Form an, die eher ungewöhnliche Themen haben: Eine Rede Tilda Swintons über das Licht der Rothko-Gemälde als Trost nach dem unerwarteten Tod eines Freundes. Motive aus einem Film von Lasse Hallström als Spiegel einer unmöglichen Liaison. Subtil reflektiert sie in „Undeclared War“ über einen eingewanderten Vater, der Altschulden der Identitätsfindung mit sich herum-trägt, auf die Tochter über-trägt. Und auch die Verzweiflung über das Charlie Hebdo-Attentat, das passierte, als sie gerade frisch in Paris angekommen war, ist dem Album eingebrannt: Das Geheul der Polizeisirenen um sie herum formte Ribera, zusammen mit Bildern aus Virginia Woolfs zu „I Am Orlando“, zu einer fragilen Beschwörung von Wiedergeburt. Hier wird „This Island“ zu „this silent“, so still.

Riberas neue Songs fressen sich bei aller Leidensthematik aber nicht im einem Jammertal fest: Ihre unerschütterliche Hoffnung auf die Liebe und ihr umwerfender Humor, ganz schottisches Erbe, schwingen oft mit, in diesen Songs zwischen Kammerpop und Alternativ-Folk. Aus den augenzwinkernden Betrachtungen des Comediens Billy Connolly über den Schöpfer aller Dinge hat sie eine Art spirituellen Skiffle gestrickt. „Carry Me“ ,die aktuelle Single, hat sie als leuchtende Folk-Hymne auf Geborgenheit in der Fremde geschrieben, und „Led Me To You“ ist ihre Lesart des Gospel, ein Preisgesang auf alle kostbaren Momente von Hoffnung und Wahrhaftigkeit. In „Soft Place To Land“ schließlich wird ihre hauchende, rauchige Stimme ganz zur Brise, die den kleinen Inselvogel trägt, damit er einen Landeplatz finden kann.

© Stefan Franzen

Hier lässt sich noch einmal das Interview nachlesen, das ich im November 2015 mit der Sängerin geführt habe.

Alejandra Ribera: „Undeclared War“
Quelle: CBC Music


Tourdaten:
19.5. Flensburg, folkBaltica – 20.5. Klanxbüll, folkBaltica – 21.5. Bernau, Siebenklang-Festival – 22.5. Hamburg, Nochtspecher23.5. Oldenburg, Theater Laboratorium – 26.5. Erlangen E-Werk – 27.5. Offenbach, Hafen 2

Aeolisches Finale

795_Dundas_Aeolean_Hall

Wenn eine Halle nach dem Windgott Aiolos benannt wird, sollte darin auch ein besonderer musikalischer Geist wehen. In London, Ontario ist das der Fall: Schöne Architektur, das netteste Veranstalter-Team, das man sich denken kann (Sunfest), der beste Sound und eine hervorragende Band.

Von links nach rechts nach dem Konzert: Cedric Dind-Lavoie (b, p), der Blogbetreiber mit frisch erworbenem Vinyl, Pietro Amato (french horn), Alejandra Ribera (voc, g) und Jean-Sebastién Williams (g). Dieses wunderbare Ensemble (ohne Amato) ist ab 21.3. in Deutschland zu erleben.
Dorthin geht es jetzt zurück, sofern der Koffer über die 25cm Neuschnee gewuchtet werden kann. Adieu au Canada!

aeolian hall 160317

Papierboote im Schnee

alejandra ribera - carry me
„Carry Me“ ist die erste Single aus dem neuen Album This Island von Alejandra Ribera – heute erscheint sie in Deutschland. Die kleine Geschichte um das Verlassen der Heimat und das erneute Finden von Geborgenheit hat die Kanadierin mit der Videokünstlerin Kristina Wagenbauer im Winter von Montréal in einen bewegenden Videoclip verpackt.

Alejandra Ribera: „Carry Me“
Quelle: vimeo

Alejandra Ribera ist in Kürze auf Tour in Deutschland:

21.03.2017 Berlin, Grüner Salon – 22.03. Münster, Schnabulenz – 23.03. Lauenau, Clubhaus – 24.03. Wawern, Synagoge – 25.03. Freiburg, Jazzhaus – 26.03. Landsberg, Stadttheater – 28.03. Wien, Sargfabrik – 19. + 20.05. Flensburg, folkbaltica – 21.05. Bernau, Siebenklang-Festival – 22.05. Hamburg, Nochtspecher Club – 23.05. Oldenburg, Theater – 24.05. Köln, Studio –
25.05. Hannover, Pavillon – 26.05. Erlangen, E-Werk – 27.05. Offenbach, Hafen 2