Schatzkiste #4: Bebop im All

betty carter - out there

Betty Carter: Out There With Betty Carter 
(Peacock Records, 1958; reissue: Nippon Columbia, 1978)

entdeckt auf der Plattenbörse Freiburg

Die Sputnik-Ära lässt grüßen: Weltraumspielzeuge machten damals nicht mal vor dem Bebop Halt. Aber sollte ich mal als Astronaut losgeschickt werden, könnte ich mir kaum eine bessere Begleitmusik auf der lange Reise vorstellen als diese Scheibe. Betty Carters warmer Alt im großem Bigband-Kontext, unter dem Stab von Altsaxer Gigi Gryce. Am besten gefällt mir das kokette „By The Bend Of The River“. Als Japanpressung habe ich das gefunden, auf der zwei Mal pro Jahr stattfindenden feinen Plattenbörse meines Städtchens.

Betty Carter: „All I’ve Got“
Quelle: youtube

 

Übers Wasser gehen

the gloaming

The Gloaming: The Gloaming (RealWorld/Indigo)
Allein schon das Cover hätte einen Preis verdient.  Das Bild heißt „Passage“ und stammt von Robert und Shana ParkeHarrison. Die Passage, die hier musikalisch „geklopft“ wird, führt vom archaischen zum modernen Irland. Der gälische Sänger Iarla Ó Lionáird steht mit seiner herzblutenden Stimme im Mittelpunkt dieser entschleunigten Musik, Lichtjahre von wurzeligem Irish Folk entfernt. Stattdessen rückt das US-irische Kollektiv die alten Tunes in ein meditatives Licht, fast zen-artig entschlackt, mit irischer Fiddle, norwegischer Hardingfele, Gitarre und Piano. Das ist auf eine Art schon fast futuristisch.

The Gloaming: Samradh Samradh (live in Cork)
Quelle: youtube

Schatzkiste #3: Süßer Gitarren nie klingen

zanzibara7Sikinde vs. Ndekule: Zanzibara 7 – Une Bataille D’Orchestres À Dar Es Salaam 
(Jahazi Media/Buda Musique, 2014 – aufg. 1984-87)

entdeckt beim TFF Rudolstadt

Ausnahmsweise in der Schatzkiste mal eine CD.
Ich dachte, die schönsten Gitarrenklänge Afrikas kommen aus dem Kongo, habe ja deswegen tatsächlich wieder angefangen E-Gitarre zu spielen. Doch die Herren hier schlagen ihre Nachbarn aus dem „Rumbagürtel“ noch. Ostafrika-Spezialist Werner Graebner hat für sein Label Achtzigertracks von Tanzbands aus Tansania zusammengestellt, allen voran Outtakes vom Mlimani Park Orchestra. Muziki Wa Danzi heißt dieser Stil, der schon viel mit der Rumba Congolaise gemeinsam hat. Man konnte die nun betagteren Gründungsmitglieder zusammen mit neuen Kollegen im Juli in einer Reunion-Band namens Black Warriors beim TFF Rudolstadt hören. Genau der richtige Soundtrack zur schwülen Nachmittagsdunstglocke an der Saale.

Black Warriors live beim TFF Rudolstadt, Juli 2014
Quelle: youtube

Schatzkiste #2: Schwüle Streicherorgien

el coco  - dancing in paradise

El Coco: Dancing In Paradise 
(AVI, 1978)

entdeckt bei: Flashback Records Islington

Zugegeben, ihr Name ist komplett unsexy. Doch was das Produzentenpaar Laurin Rinder und W. Michael Lewis in den Siebzigern unter dem Moniker „El Coco“ fabrizierte, gehört zu den glitzerndsten Sternstunden der Disco-Ära.  Ich jedenfalls kenne wenige Streicherarrangements, die diese hier an Schwülität übersteigen, allein der achteinhalbminütige Track „Afrodesia“ bringt einen ganzen Wald voll Glitzerkugeln zum Glühen.  Ganz zu schweigen von den drübergelegten Bläserschichten. Ein weiteres Projekt der beiden Disco-Masterminds hieß übrigens „Le Pamplemousse“. Hmm, vielleicht mache ich doch noch meine auf die lange Bank geschobene CD-Kompilation mit „Soul Strings“.

El Coco: „Afrodesia“
Quelle: youtube

Schatzkiste #1: Nicht Finne, nicht Schwede

laulau koti-ikävästä

Various Artists: OST Laulu Koti-Ikävästä 
(Kaiho Records, 2013)

entdeckt beim finnischen Händler des Vertrauens

Da geht man zu einem Filmfestival – in diesem Falle die Nordischen Filmtage in Lübeck – und dann entdeckt man Musik, über die man sonst nie gestolpert wäre.  Gezeigt wurde dort der Streifen Laulu Koti-Ikävästä (Finnish Blood, Swedish Heart) von Mika Ronkainen – ein Vater-Sohn-Roadmovie und zugleich eine bewegende Geschichte über finnische Arbeitsimmigranten. Was den Film allerdings so besonders macht, ist der Soundtrack: Gespreizt zwischen Finnentango und Rockabilly wird hier die Sechziger- und Siebzigerjahre-Atmo des hohen Nordens genauso stilecht wie melancholisch heraufbeschworen.  Stars dieser ungewöhnlichen Vintage-Revue sind die Musiker des Månskensorkestern (Mondscheinorchester).

Markus Fagervall & Månskensorkestern: „Alla Slussenin Siltojen“
Quelle: youtube

 

Walisisches Wunderwerk

9bach - tincian9bach: Tincian (RealWorld/Indigo)
Von Peter Gabriels RealWorld Studios liegt Wales überhaupt nicht weit entfernt. Trotzdem haben sich seine Talentscouter selten (oder nie?) dahin gewagt. Bis jetzt. Lange habe ich nach einem Begriff für die Musik von Lisa Jen und Martin Hoyland alias 9bach gesucht, „Industrial-Kammerpop“ ist es dann geworden. Sangliche Piano- und Fender Rhodes-Riffs, metallene Harfenschnipsel, geheimnisvoll bluesige Akustik- und sperrige Stromgitarren, ein pathetisch summender Männerchor. Der Albumtitel bedeutet „Nachhall“ – und den werden diese Tracks bei mir noch lange haben.

9bach: „Pa Le?“ (live at Ochor Un)
Quelle: youtube

Archaik der Neuzeit

levon eskenian

Gurdjieff und Komitas – die beiden Säulen armenischer Musiktradition. Ein Gespräch mit Levon Eskenian


Levon Eskenian ist ein führender Kopf in der Bewahrung und Neuentdeckung armenischer Musik. Der Leiter des Gurdjieff Folk Instruments Ensembles hat die Pianomusik des spirituellen Lehrers Georges I. Gurdjieff auf alte Instrumente zurück übertragen. Sein nächstes Projekt befasst sich mit der Musik von Komitas, dem Begründer der modernen klassischen Musik Armeniens. Im Juli habe ich Eskenian beim TFF Rudolstadt getroffen.
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