Schatzkiste #9: Funkenflug aus Lagos

peter king - miliki sound

Peter King: Miliki Sound 
(Tackle Records, 1975; reissue Mr. Bongo, 2013)

entdeckt bei: Soul Brother Records, Putney, London

Ein gesegneter Multiinstrumentalist! Tenor- und Sopransax, Flöte, Piano, Violine, Percussion und Gesang erledigt Mr. King im Alleingang. Unterstützung holt er sich nur noch von einer minimalen Horn Section. Der Nigerianer ist einer jener, die das Schicksal haben, bis heute im Schatten des großen Landsmanns Fela Kuti zu stehen. King pflegt einen fulminant funkigen Afrojazz-Sound, angereichert mit Roots aus Highlife und Juju. Allein schon für das grandiose Cover hat sich die Überquerung der Themse nach Putney gelohnt.

Peter King: „Jo Jolo“
Quelle: youtube

Journey into the Otherworld

heliocentrics

The Heliocentrics feat. Melvin van Peebles:
The Last Transmission

Ein Gespräch mit Bassist Jake Ferguson

Die Heliocentrics: ein großartiges Kollektiv aus London, das sich für seine Teamworks stets verschrobene Eminenzen aussucht. Den äthiopischen Altmeister Mulatu Astatke, den Ethno-Pionier Lloyd Miller oder die nigerianische Legende Orlando Julius. Ihre Musik pendelt sich ein zwischen Psychedelia, Spiritual Jazz, Afrofunk und musique concrète. Auf ihrem neuesten Werk „The Last Transmission“ (Now Again/Rough Trade) starten sie mit Blaxploitation-Hexer und Spoken Word-Artist Melvin van Peebles ins All. Ich habe den Bassisten Jake Ferguson an der Wirkstätte der Band getroffen.  Weiterlesen

Delikates von der Rive Gauche

marcio faraco - cajueiro

Márcio Faraco: Cajueiro (World Village/Harmonia Mundi)
Man sollte nie versuchen, die Cashewnuss, die ja eigentlich im Stiel der Cajú-Frucht eingeschlossen ist, im rohen Zustand zu knabbern. Am nächsten Tag könnte man mit Lollo Ferrari-Lippen rumlaufen – hier spricht jemand aus leidvoller Erfahrung. Márcio Faraco hat wohl keine schmerzhaften Erinnerungen an den Cashewbaum, denn er widmet ihm gleich seine ganze neue Platte, als Sinnbild für die reichen Verzweigungen in der brasilianischen Musik aus einem festen Stamm.  Er selbst ist als Exilant in Paris ein grandioser „Branch-Off“ dieses Baumes. Delikater denn je tönt hier seine Stimme, in einem ganz eigenen kleinen Universum aus Bossa, nordestinischer Musik und Chanson.

Márcio Faraco: „Paris“
Quelle: youtube

Romantiker in gekacheltem Neopren

kraftwerk brillen

Foto: Stefan Franzen

Kraftwerk
ZKM Karlsruhe 13/09/14

Als die vier Herren Anfang letzten Jahres in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf ihren „Katalog“ spielten, habe ich eine These entwickelt. Eigentlich sind die Techno-Urväter empfindsame Poeten und verkörpern die beiden Antipoden der deutschen Seele: Präzision und Romantik. Das ZKM in Karlsruhe feierte jetzt 25-jähriges Bestehen und lud Kraftwerk zum Jubiläum. Gelegenheit also, diese These nochmals zu überprüfen.  Weiterlesen

Schatzkiste #8: A Byrd on the Dancefloor

donald byrd 125th street - love byrd

Donald Byrd And 125th Sreet, N.Y.C.: Love Byrd 
(Elektra/Asylum Records, 1981)

Von den vielen Metamorphosen, die dieser Mann durchgemacht hat, ist das für mich die Schönste: Anfang der Achtztiger kam Donald Byrd schließlich auf dem Dancefloor an und schuf unter der Fuchtel von Isaac Hayes diesen herrlichen Klassiker zwischen Discofunk und Soulballaden. Seine Trompete ist dabei noch ordentlich prominent vertreten. Und am Schluss erhebt Mr. Hayes noch höchstpersönlich sein Bassorgan. Glück gehabt, dass diese Platte schon 1981 erschien, wenig später fing dann die E-Drums-Seuche an.

Donald Byrd And 125th Street, N.Y.C.: „Love Has Come Around“
Quelle: youtube

Ekstatische Mystik

susheela raman - queen between

Susheela Raman: Queen Between (World Village/Harmonia Mundi)
Als ich sie vor mehr als zehn Jahren getroffen habe, war sie gerade in einer Liebesfalle gefangen. Ihr damaliges Album „Love Trap“ widmete sich u.a. dem äthiopischen Crooner Mahmoud Ahmed. Doch Raman, Südinderin mit australischer und britischer Sozialisation, entwickelt für jedes ihrer Alben eine neue Vision, und fürs neue, sechste, hat sie sich auf die Pfade der pakistanischen Sufis begeben. Unterstützt wird sie dabei von den Qawwali-Musikern Rizwan Muazzam. Das Teamwork gipfelt in einem elfminütigen Sufi-Soul-Drama namens „Taboo“, das einen gewaltig durchpustet. Dazwischen gibt es original englisches Folkfeeling. Hippie-Anachronismus? Nein, zeitlose, akustische Popmusik mit spiritueller Erdung.

Susheela Raman: „Sharabi“
Quelle: youtube

Schatzkiste #7: Bad And Sad

odonel levy - simba

O’Donel Levy: Simba 
(Groove Merchant, 1973)

Wer auf der Suche nach funky Gitarristen ist und sich von den üblichen Verdächtigen wie George Benson wegbewegt, stößt schnell auf O’Donel Levy. Der Mann hat ein paar durchwachsene Platten gemacht, aber das hier dürfte sein Meisterwerk sein. Gleich der Opener „Bad, Bad, Simba“ hört sich an wie ein grandioses Blaxploitation-Interludium, das er mit jazzy Girlanden krönt. Das melancholische Gegengift zum bösen Simba gibt es dann auf der B-Seite mit dem traurigen Simba. Die Band steckt voll mit Könnern: Lew Soloff (tp), Cecil Bridgewater (flgh), Eddie Daniels (fl, bs), Steve Gadd (dr) und tatsächlich auch Tony Levin (b).

O’Donel Levy: Bad Bad Simba
Quelle: youtube

 

Schatzkiste #6: Die Perfektion des Hauchens

astrud gilberto - i haven't got anything better to do

Astrud Gilberto: I Haven’t Got Anything Better To Do 
(Verve, 1969)

entdeckt bei ebay

Ich mag Frau Weinert eigentlich gar nicht so, und sie ist ja nur zufällig zum Singen gekommen, als sie dann Senhora Gilberto wurde und sich bei den Sessions mit ihrem Mann João, Tom Jobim und Stan Getz in New York ein wenig aufdrängte. Der Rest ist Geschichte. Doch diese Platte ist einfach die brutalstmögliche Vertonung eines Schlafzimmerblickes und sollte nie beim kleinsten Schimmer Tageslicht gehört werden. Die hohe Kunst des Dahinhauchens, sowohl in Stimme als auch in den tiefenräumlichen Arrangements von Brooks Arthur. Gekauft habe ich mir sie eigentlich wegen der Burt Bacharach/Hal David-Komposition „Trains And Boats And Planes“. Da kann schon mal eine Träne auf Reisen gehen.

Astrud Gilberto: Wailing Of The Willow
Quelle: youtube

 

Schatzkiste #5: Golden Highlife

african brothers dance band - led by paa steel ampadu

African Brothers Dance Band: Led By Paa Steel Ampadu 
(Ambassador, 1969)

entdeckt bei: Maikaefer Hifiladen Freiburg

Ab und zu wird man doch fast neben der Haustür fündig. Fast konnte ich es nicht glauben, als ich in der Afro-Grabbelkiste eines Second Hand Shops unweit des Domizils auf diese Perle ghanaischer Popmusik  gestoßen bin. In Nigeria avancierte ab Ende der 1960er durch Tony Allen, Fela Kuti und Geistesverwandte der Afrobeat zum Gebot der Stunde. Doch Ghana setzte weiterhin auf die Wurzel des Afrobeats, den Highlife.  Eine der wunderbarsten Guitar Bands des Genres waren die African Brothers, hier in synkopischer Hochform mit dem typischen „Wailing“ (auf gut Deutsch: ein wenig unsauberer Gesang) in der Vokalabteilung. Man muss eigentlich Palmwine zu dieser irrsinnig schönen, schmelzenden Tanzmusik trinken.

African Brothers Dance Band: Abusua Nnye Asafo
Quelle: youtube

Die Reise zum Kern

simin tander  - where water travels home
Simin Tander: Where Water Travels Home (Jazzhaus Records/in-akustik)
„Wo das Wasser nach Hause fließt“ – das bedeutet für die Sängerin aus Köln eine Erkundung ihrer afghanischen Gene.  Dieses Album ist ein Horchen auf ihre Wurzeln – nicht, um irgendein schickes Kolorit zu erzeugen,  sondern aus einem tiefen Bedürfnis heraus. Die Klangsprache berührt: Jazz-Improvisationen begegnet sehr persönlichem Songwriting, Gedichte auf Paschtu einer Miniatur in Fantasiesprache, gekrönt von Tanders ergreifender Adaption eines Brel-Chansons. Eine der außergewöhnlichsten Stimmen aus Deutschland derzeit und eine heiße Kandidatin für die Platte des Jahres. Simin Tander ist bis Dezember auf Tournee – nicht verpassen.

Simin Tander: De Kor Arman (live at Bimhuis Amsterdam)
Quelle: youtube