NZ unter Soul-Strom

electric wire hustleWenn von  neuseeländischer Musik geredet wird, sind Fat Freddy’s Drop in aller Munde.  Von Electric Wire Hustle allerdings spricht kaum jemand. Doch Mara TK und Taa Ninh pflegen eine so spannende Legierung aus Electronica und Soul, dass ich sie im Zweifelsfall über die Freddies stellen möchte.  Mara TK, ein rothaariger Maori, kann zudem mit dem Pfund einer Stimme wuchern, die stark an Marvin Gaye erinnert. Vor dreieinhalb Jahren waren sie bereits am Stadtmusikfestival Basel, jetzt kehren sie mit dem aktuellen Album Love Can Prevail ans Rheinknie zurück: Dringender Konzerttipp für die Kaserne am kommenden Samstag, 25.4.

Electric Wire Hustle: „Light Goes A Long Way“
Quelle: muzu.tv

 

Beckhams Fußkäse

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Heute ist der Green Belt Of Sound mal ausnahmsweise ein Green Belt of Smell.

Ich habe gelernt:
Es lässt sich Käse aus David Beckhams Fußschweißbakterien herstellen.
Der synthetisch reproduzierte Geruch von 20 Phobikern löst Panikgefühle aus.
Es herrscht ein Konsens darüber, dass ein Parfüm „grün“ riecht.
„Smellscapes“ sind Karten von Gerüchen.
Düfte machen Gebete sichtbar.

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Danke an Sissel Tolaas, Caro Verbeek, Madalina Diaconu, die beim Interdisziplinären Symposium des Museum Tinguely Basel neue Welten offenbart haben.
Die Ausstellung La Belle Haleine läuft dort noch bis zum 17.5.
Dringende Empfehlung.

belle haleine 3Fotos: Stefan Franzen

Amerikas neue Folk-Charismatikerin

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Mit den Carolina Chocolate Drops hat sie pionierhaft die Geschichte der schwarzen Stringbands Amerikas aufgearbeitet, nun setzt sie auf Soloarbeit. Die Sängerin, Geigerin und Banjospielerin Rhiannon Giddens ist das neue Gesicht der amerikanischen Folkbewegung, sie vereint Qualitäten von Joan Baez, Odetta, Dolly Parton und Nina Simone, denen sie auf ihrem Debüt „Tomorrow Is My Turn“ (Nonesuch/Warmer) allen ein sehr lebendiges Denkmal setzt. Bevor sie im Sommer einige wenige Deutschlandkonzerte spielen wird, habe ich mit ihr gesprochen. Weiterlesen

Schatzkiste #17: Soulkarussell aus Atlanta

john edwards - sameJohn Edwards
John Edwards
(Aware, 1973)

entdeckt auf der Plattenbörse Freiburg

Schöne Entdeckung heute auf dem feinen lokalen Vinylbasar. Edwards, den ich unter seinem Namen bisher nicht wahrgenommen hatte, wurde später Sänger bei den Spinners. Auf seinem Debütalbum steuert er mit kraftvollem Tenororgan durch raueren Southern Soul-Stoff, aber auch durch großartige Herzbrecherballaden mit Falsettorgien. Geschmackvolle, eruptive und frühlingshafte Mischung, fürs Repertoire hat er sich auch bei Sam Dees und den Womacks bedient.  „Hotlanta Sound“ steht auf dem Label. Passt!

John Edwards: „Exercise My Love“
Quelle: youtube

Schatzkiste #16: Kentucky Fried Funk


manzel - midnight themeManzel

„Midnight Theme“
(Dopebrother, 2004/ orig. 1973-78)

entdeckt bei Michael Chabon

Eine der großartigsten Szenen in Michael Chabons Telegraph Avenue ist der Flug des Zeppelin über die Bay Area, während dem der Medienmogul Gibson Goode unseren Held und Plattenladenbesitzer Archy Stallings für seinen Megastore abwerben möchte. (In der unausweichlich kommenden Verfilmung wird das mal kolossal aussehen.) Dazu läuft – Vinyl an Bord eines Luftschiffs, geht’s noch nerdiger? Und was hat das für Auswirkungen auf die Gleichlaufschwankungen? –  Manzels „Midnight Theme“. Die obskure Instrumentalband aus Kentucky um den Keyboarder Manzel Bush existierte von 1973 und 1978. Dopebrother Records haben vor 11 Jahren dankenswerterweise eine Kompi aus Manzels Schaffen veröffentlicht. Mein Favorit aus ihrem sehr begrenzten, aber umso funkigeren Repertoire kommt hier. Der Einsatz der Streicher bei 0:46 lässt einen – so würde es Tex Rubinowitz sagen – schreien vor Glück.

Manzel: „Space Funk“
Quelle: youtube

Side Tracks #9: Muddy in Manchester

flagge-vereinigte-staaten-von-amerika-usa-flagge-button-50x75Muddy Waters
„You Can’t Lose What You Ain’t Never Had“
(aus der Blues & Gospel Train-Tour, 1964)

Zu seinem heutigen 100. Geburtstag: Muddy Waters, am 7.5.1964 in der Wilbraham Road Station in Chorlton-cum-Hardy im Süden von Manchester, gefilmt von Granada TV im Rahmen der Blues & Gospel Train-Tour. Die Zuschauer wurden mit dem Zug zum Konzert gefahren, wo sie Muddy schon erwartete, zusammen mit Sister Rosetta Tharpe, Sonny Terry, Brownie McGhee, Reverend Gary Davis und Otis Spann.

Muddy Waters: You Can’t Lose What You Ain’t Never Had“
Quelle: youtube

Side Tracks #8: Ein Schweinchen namens Lok

chancha via circuito - rodante

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Chancha Via Circuito
Rodante / Rio Arriba / Amansara
(ZZK, 2011-2014)

Pedro Canale alias Chancha Via Circuito ist einer der originellsten Kreativköpfe der argentinischen Digital Cumbia-Szene, die dort Cumbia Villera heißt und auf die sich das Label ZZK Records spezialisiert hat. Eine der frühen Inspirationsquellen von Canale waren die lärmenden, schepprigen, holpernden Zugfahrten vom Zentrum Buenos Aires‘ in den Vorort Bernal, wo er elektroakustische Musik studierte – Chancha Via Circuito ist zusammengesetzt aus dem Kosenamen für die Lokomotive (Chancha = Schwein) und der Bezeichnung der suburbanen Bimmelbahn. Die futuristisch-folkigen Tracks auf seinen bisher drei Alben aus Keyboard- und Percussion-Textur sowie Vokalspuren von Gastsängerinnen beherbergen heute zwar auch noch Cumbia-Rhythmik. Man kann aber ebenso andinische Melodien und Instrumente darin finden, Afro-Elemente oder das uruguayische Karnevalsgenre Murga. Der Mann ist außerdem als Remixer begehrt, etwa für das Gotan Project oder das niederländisch-südafrikanische Electro-Duo Skip & Die.  Hätten Kraftwerks Latin-Zwillinge den Soundtrack zu Herzogs Fitzcarraldo geliefert – und hätte der nicht ein Schiff, sondern einen Zug gesteuert!) –  dann hätte sich das vielleicht so angehört.

Chancha Via Circuito: „Cumbion De Las Aves“
Quelle: youtube

Kondolenz an die Angst

Benjamin Clementine
Laiterie Strasbourg, 24/03/15

Die Molkerei ist fast zum Bersten voll – alle sind sie gekommen, um den neuen Orpheus zu sehen, diesen 27 Jahre jungen Nordlondoner ghanaischer Herkunft, der aus seiner Heimat aufbrach, um in Paris sein Glück zu machen.  Zu absonderlich war es in Edmonton gewesen, dass ein schwarzer Junge sich für die Klänge von Erik Satie, Giacomo Puccini und Claude Debussy begeisterte, im Klavierspiel seine Zuflucht suchte. Von der Métro hat sich Benjamin Clementine nun bis auf die Weltbühne gespielt – nicht nur mit dem Piano, auch mit einer Stimme, die in ihrem Timbre an Scott Walker und Antony Hegarty erinnert, in ihrer melancholischen Verzweiflung an Nick Drake.

Nur sein Flügel nimmt die Bühne ein. Der hochgewachsene Mann mit kantigem Afro und gehrockartigem Anzug über der nackten Brust sitzt auf seinem hochgeschraubten Hocker in der Vogelflugperspektive über den Tasten. Die Klassik hat er für sein Universum adaptiert, rollende Arpeggien hier, zarte Triller da, doch die Struktur der Songs, sie ist reiner Pop. Wären da nicht die Geschichten, die er erzählt, von London, das ihn obsessiv verfolgt, von der Steinbox, in der er an Einsamkeit fast verendet, vom triumphalen Sieg über die Angst, der er ein Kondolenzschreiben schickt. Denn diese Geschichten sprengen jedes Versmaß, ihnen muss sich der Verlauf des Stückes beugen, und manchmal berichtet der Dichter gleich mit Sprechstimme weiter, lässt den Song innehalten.

Diese Stimme, sie glimmt verletzlich im engelsgleichen Falsett, sie donnert soulig, manchmal trotzig in den tieferen Lagen. Sie ist einzigartig, und die Straßburger lauschen gebannt, brechen in frenetische Sympathie aus, wenn der letzte Akkord verklingt.  Macht Clementine Ansagen, flüstert er allerdings so krankhaft schüchtern, dass man ihn nicht versteht. Oder kokettiert er mit seiner Unnahbarkeit? Frei von Prätention ist das, was sich da auf der Bühne abspielt nicht: Sein Schweigen vor den Stücken, um den Genius herabzurufen, das Kreisen der Finger über der Taste, das Zelebrieren von schlichten Halbtonrückungen. Dass ihn bei manchen Stücken dann die Cellistin Barbara Le Liepvre begleitet, meist mit warmen Liegetönen, manchmal auch mit gerupften Staccati, macht das Klangbild zwar angenehmer, führt aber auch in die Nähe eines klischierten Schönklangs, der seinen Songs die Intensität nimmt. Als er Nick Drakes „River Man“ covert, seine einzige Adaption, funktioniert das nicht. Man fühlt, seine eigene Musik ist schon einen Schritt weiter, jeder Rückverweis auf seelenverwandte Weltverzweifler überflüssig.

Wenn Pop und Klassik sich treffen, kann das genauso abgründig wie gekünstelt enden. Benjamin Clementine könnte einen Brückenschlag etablieren, der mehr als ein flüchtiger Flirt bleibt. Meine größte Befürchtung: Dieser Mann ist von seiner geheimnisvollen Anmut geradezu prädestiniert dazu, dass er nicht nur von der Musik-  sondern auch der Modeindustrie in Beschlag genommen wird. Hoffentlich strahlt er uns demnächst nicht von einem Yves Saint Laurent-Werbeplakat entgegen.

©Stefan Franzen

Benjamin Clementine: „Cornerstone“ (live at Later…with Jools Holland)
Quelle: youtube