Noch ein Jahrestag, bei dem sich eine Verbindung von Pop und Klassik feiern lässt:
Estlands stiller Gigant wird heute 80.
Aus diesem Anlass ein kleines sympathisches Interview, das Björk 1997 anlässlich einer BBC-Dokumentation mit ihm geführt hat. Die Liaison zwischen der Islanderin und dem Esten hat inzwischen weitere Früchte getragen: Pärts Sohn Michael hat auf dem aktuellen Album Vulnicura den Supervisor für die Streicheraufnahmen gespielt.
Heute vor 35 Jahren erschien Kate Bush drittes Studioalbum Never For Ever. Nicht das humoreske „Babooshka“, nicht die apokalyptische Vision von „Breathing“, sondern die außergewöhnliche Widmung an den deutsch-englischen Komponisten Frederick Delius ist das, was das Album für mich immer so besonders gemacht hat.
Hier (ab 1:18) spricht sie über den Einfluss von Delius auf ihren Song. Im Studio anwesend damals noch Delius‘ Adlatus Eric Fenby, der in ihrem Song auch erwähnt wird und als junger Mann ab 1928 dem blinden, syphilitischen Meister die letzten Töne abhorchte, was in den 1960ern auch in einem Film verewigt wurde.
Auf ihrem letzten Werk „Fellowship“ war sie tief in den Gospel hinabgetaucht. Nun ist die 35-jährige aus Hahira, Georgia mehr der irdischen Liebe zugetan, der sie diesen neuen Songzyklus mit all ihren Facetten gewidmet hat. Produzent Larry Klein (Joni Mitchell, Tracy Chapman, Melody Gardot) lässt ihren fantastischen Alt in dem genauso sinnenfreudigen wie entspannten Album zur Geltung kommen. Funky der Einstieg mit „Freedom“, bluesrockend mit Twang-Gitarre und blubbernder Orgel „The New Game“. In „Lean In“ residiert eine erotische Spannung zu pumpendem Bass, die Wright mit belegt-schmachtender Stimme als „Katz- und Maus-Spiel“ auskostet. Nick Drakes „River Man“ gestaltet sie mit träumerischem Wandeln zwischen Dur und Moll, Till Brönner mogelt sich mit ein paar Trompetentrillern rein. Der Überflieger ist jedoch das sehr räumliche „Somewhere Down The Mystic“, in dem eine sphärische Folkpop-Dramaturgie hingezaubert wird. Im Finale wird mittels der glühenden Chorsätzen von „Blessed The Brave“ und „Surrender“ schon fast wieder sakrale Qualität erreicht: So schließt sich der Kreis vom Irdischen zum Himmlischen.
Sollte ich auf Kommando sagen, welcher mein liebster Soulsänger ist, würde ich ihn nennen – und nach längerem Überlegen wohl auch. Bis zu seinem Tod 2013 ist der Mann aus Rosemark, Tennessee in sechs Karriere-Jahrzehnten durch fantastische Metamorphosen gegangen. Vom falsettigen Rhythm’n’Blues-Sänger zum – dank einer Mandeloperation – eruptiven Soulshouter und schließlich zum mellow Crooner mit zurückgelehntem, fast kalifornischen Sonnensound. Dreamer ist eines seiner Siebziger-Highlights mit den Krachern „Ain’t No Love In The Heart Of The City“ und dem Überflieger „Yolanda“, der Bobby offensichtlich völlig hilflos ausgeliefert war.
Mani Matter: „Ir Ysebahn“ aus: Ir Ysebahn (Zytglogge 1971)
Gerade wird ein Schweizer „Krokodil“ von Olten ins schwedische Gävle überführt, es ist dort beim großen Fest zu „100 Jahre elektrische Züge“ Stargast. Heute hat das grüne Ungetüm auch unsere Region passiert.
Von allen Schweizer Eisenbahnliedern ist dieses immer noch eines der schönsten – es behandelt das Problem des Sitzens in und gegen die Fahrtrichtung fast schon in der Manier eines helvetischen Haikus:
Kraftwerk: „Trans Europa Express“ / „Metall auf Metall“ aus: Trans Europa Express
(rem. Parlophone 2009, orig.: Klingklang 1977)
Seine Geschichte währte von 1957 bis 1991, und musikalisch verewigt wurde er auf dem Zenit seiner ruhmreichen Karriere. Der Trans Europ Express (kurz TEE) ist der legendärste Zug der europäischen Neuzeit. Bei der größten Netzausdehnung 1974 fuhren TEEs bis nach Reggio di Calabria und Kopenhagen, bis nach Wien und Barcelona, ausschließlich erste Klasse, versteht sich. Die verschiedenen Länder entwarfen charakteristische Designs für die Dieseltriebwagen, der schönste aber kam zweifellos aus Deutschland, der VT 11.5 mit seiner riesigen roten Schnauze und der erhöhten Lokführerkanzel. Weiterlesen →
Nach dem dritten Hören bin ich mir sicher: Eine heiße Anwärterin auf die Scheibe des Jahres. Die Schnittstelle zwischen Retrosoul und Folk ist derzeit im UK schon durch Michael Kiwanuka besetzt, doch die Newcomerin mit simbabwischer Abstammung zeigt sich an ebenjener Naht weitaus ausgefuchster: Eska eint unter der Pultregie von Matthew Herbert verschiedene Welten, in denen sanfte Gitarren und Glockenspiel genau so Raum haben wie ein ausgewachsener symphonischer Apparat und eine poppige Rhythmussektion zu einer zeitlosen Soul-Pastorale, die auch ein paar psychedelische Anteile hat. Mit einem triumphal-ätherischen Timbre, das an die sehr frühe Joni Mitchell erinnert, führt sie durchs versponnene „To Be Remembered“, „Boundaries“ bäumt sich großorchestral auf, einen filigranen Roots Reggae zaubert sie in „Heroes & Villains“. Clevere Stimmenschichtungen bauen die fantastische Marschhymne „Gatekeeper“ auf, „She’s In The Flowers“ könnte mit luftigem Dulcimer und dräuendem Bass-Ostinato eine verlorene Nokturne des britischen Folkrevivals sein. Und im unangezweifelten Hit dieses grandiosen Debüts, „Shades Of Blue“ finden Sitarrock der Sechziger und R&B der Neuzeit zusammen. Release in Deutschland am 7.10.
Eska: „She‘ s In The FLowers“ (Barn Sessions)
Quelle: youtube
Banda Black Rio: „Maria Fumaça“ aus: Maria Fumaça (Atlantic, 1977)
Brasilien hat heutzutage kaum noch ein nennenswertes Schienennetz für Personenverkehr. Dem gegenüber stehen aber eine auffallend hohe Anzahl an Liedern und Stücken, die die Eisenbahn ehren. In loser Folge gibt es bei den Sidetracks jetzt ein paar der schönsten musikalischen Eisenbahntribute made in Brazil. Den Anfang macht die wichtigste Band der Funk- und Soulbewegung, die zwischen Rio und São Paulo ab Mitte der 1970er etwas verspätet einschlug. Die Banda Black Rio wurde oft mit Kool & The Gang und Earth, Wind & Fire verglichen – wäre da nicht der starke Sambaeinschlag, mit dem sie auch hier – entnommen von ihrem Debütalbum – ihre musikalische Widmung an die Stahlrösser vergangener Zeiten präsentieren. Und die heißen in Brasilien „Maria Fumaça“, rauchende Maria.
Das britische Fräuleinwunder mit dem burschikosen Charme ist zurück. Nein, die exotischen Strelitzien auf dem Cover trügen nicht – ihr zweites Album hat eine tropische Entstehungsgeschichte. Nach extensiven Tourneen nahm sie sich eine Auszeit auf Jamaika, um zu den Wurzeln ihrer Mutter Tuchfühlung aufzunehmen. Das blieb nicht ohne musikalische Folgen: Reggae- und Dancehall-Produzent Stephen McGregor bekam Wind von La Havas‘ Aufenthalt und avancierte schließlich zum Pultmeister vieler Tracks, neben ihrem alten Studiokumpan Aqualung und der Britsoul-Größe Jamie Lidell.
Was beileibe nicht heißt, dass „Blood“ ein Reggae-Album geworden ist. Von den ruhigen Balladen und teils folkverpflichteten Songs des Erstlings hat sich die Sängerin so gut wie verabschiedet. „Blood“ atmet in einer geerdeten Neosoul-Atmosphäre, die an eine Lauryn Hill oder an die frühe Alicia Keys denken lässt. La Havas‘ Stimme zeigt sich oft vom mädchenhaftem Timbre befreit, klingt reifer, abgeklärter. Etwa in der schreitenden urbanen Nummer „Green & Gold“, eine Selbstfindungshymne, in der sie sich in Metaphern sowohl vor der Karibik als auch vor Griechenland verbeugt. Die beiden Singles rufen gemischte Gefühle hervor: Wirkt „Unstoppable“ wie ein überfrachtetes Schwergewicht ohne Zielrichtung, findet man in „What You Don’t Do“ mit dem Vierviertel-Piano und den jubilierenden Chören tolle Motown-Anklänge. Wie ein gemächlicher Street Funk der Achtziger kommt „Tokyo“ daher, fließende E-Gitarren umspielen den Slap-Bass – nur hier und sonst nirgends hallt ein wenig das Tête-à-tête mit Prince nach.
Erinnerungen an frühere Songs beschwört das verträumte „Wonderful“ herauf, das über eine vergangene Liaison nachsinnt. Ebenso „Ghosts“: Zu jazzigen Gitarrenharmonien beklagt sie die hartnäckigen Geister der Vergangenheit. Von ihrem ausladenden Vibrato und ihrer explosiven Stimmkraft macht Lianne La Havas trotz muskulösen Arrangements selten Gebrauch, dann aber umso effektvoller – etwa in „Grow“, das nach ruhigen Gitarrenstrophen in einen mächtig polternden Refrain einschwenkt und das spirituelle Wachstum durch Liebe beschwört. „Blood“ ist angenehm frei von Zwängen, auf modische Sounds reagieren zu müssen, und scheut sich auch nicht, mit einem ruhigen, bewegenden Abschiedslied an einen „alten Mann“ zu enden. Es könnte ein Gruß an ihren jamaikanischen oder griechischen Opa sein. Trotz der Erdung in familiären Blutsbanden: An die bezaubernde, träumerische Spontaneität ihres Debüts kann Lianne La Havas mit „Blood“ nicht anknüpfen. Wohin sie dieses Coming Of Age-Album führen wird, wird auch sie selbst wohl erst auf dem Nachfolgewerk entscheiden.
Lianne La Havas: „What You Don’t Do“
Quelle: youtube
„I thought I could organize freedom – how Scandinavian of me!“
Was läge näher, als nach dem Besuch eines Björk-Konzerts noch einen Abstecher ins Felleshus zu machen, das Gebäude der gemeinsamen Botschaften der nordischen Länder in Berlin.
Zumal dort gerade (und noch bis zum 27.9.) die ungewöhnliche Ausstellung Sámi Contemporary läuft, mit zeitgenössischen Bildern, Skulpturen, Installationen und Clips von 23 KünstlerInnen des einzigen indigenen Volkes Europas.