Smockey – Burkina Fasos Held der „Pre’volution“

balai citoyen 2Foto: Outhere

Burkina Fasos Rapper und Bürgerrechtler Smockey hat mit seiner Bewegung Balai Citoyen vor einem Jahr den Diktator Blaise Compaoré gestürzt. Derzeit ist er in Europa auf der Bühne, erzählt von den überstandenen Turbulenzen in seiner Heimat und stellt sein Album „Pre’volution“ vor. Uns Europäern gibt er die Warnung mit: Weil ihr Waffen an unsere Diktatoren exportiert, bluten unsere Länder aus.

Im Büro seiner Münchner Plattenfirma Outhere hat Smockey ein langes Interview gegeben, das Georg Milz mir zur Verfügung gestellt hat und das ich transkribiert habe. Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich ein Volk mit zähem und vereintem Willen von einem Autokraten befreit hat – unter Führung von Musikern, und mit einem schlichten Besen als Widerstandssymbol. Danke an Outhere für die eindrücklichen Fotos.

Outhere: Smockey, es war nicht so einfach für dich, hierher zu kommen. Vielleicht kannst du erklären, was du in den letzten drei Wochen durchgemacht hast.

Smockey: Wir hatten einen Putsch der Präsidentengarde des gestürzten Diktators Blaise Compaoré und mussten uns organisieren, um dieser schlimmen Situation zu begegnen und schnell zu reagieren. Denn schnell musste es gehen, wir wären sonst Gefahr gelaufen, dass sie an der Macht bleiben und wir die Errungenschaften der Revolution von 2014 verlieren. Wir haben uns also am Platz der Revolution versammelt, haben Leute zusammengetrommelt, sich uns anzuschließen und sind zum Präsidentenpalast marschiert. Als wir noch ein paar Hundert Meter vom Palast entfernt waren, haben sie begonnen auf uns zu schießen. Es wurde sehr gefährlich, wir mussten uns in den Hausblöcken verstecken. Die RSP (Präsidentengarde) hat vor allem nach den Anführern unserer Bewegung Balai Citoyen gesucht. Nach Hause zurück konnte ich nicht, ich musste mich verstecken und habe meine Familie angerufen, damit sie sich verrammeln. Über Facebook und per SMS haben wir unsere Untergrundkämpfer mobilisiert. Denn unsere zweite Strategie war es, alle Zugänge zu und Ausgänge von Ouagadougou zu blockieren, den RSP zu lähmen. Die Bevölkerung von Ouagadougou, eigentlich von ganz Burkina Faso war sehr entschlossen, diesen Putsch zu stoppen.

Outhere: Hast du an irgendeinem Punkt gefürchtet, dass sie dich fangen würden? Weiterlesen

Auf Wolkenjagd mit Sutherland

kate bush - cloudbusting

 

Das letzte Kapitel in der 30 Jahre-Feier zu Kate Bushs Chef D’Oeuvre Hounds Of Love. Heute vor drei Dekaden, am 14. Oktober 1985 wurde die zweite Singleauskoppelung „Cloudbusting“ veröffentlicht. Wie bei „Running Up That Hill“ kommen hier fünf so vielleicht nicht erwartete und aus der Reihe gefallene Coverversionen des Titels, der die Geschichte von Wilhelm Reichs Wolkenkanone und seinem Sohn Peter erzählt – verkörpert durch Donald Sutherland und Bush selbst.

5. Anthem In

Kurzlebig war diese Indierock-Band aus Brooklyn, 2011 haben sie sich schon wieder aufgelöst. Ihre Version von „Cloudbusting“ gehört zu den wenigen Heldentaten ihrer vergänglichen Karriere.

4. Eklipse

Klar, bei der Vorlage aus der Originalversion mit dem Medici Sextet bietet es sich natürlich an, die Geschichte nur mit Kammerstreichern zu erzählen – ein bisschen kühl inszeniert von den vier maskierten deutschen Damen, aber nicht ohne Reiz.

3. Martin Newnham

Die Güte einer Komposition zeigt sich daran, dass sie auch als Folksong gespielt werden kann. Martin Newnham von Englands Riviera, der Isle of Wight, tritt den Beweis an.

2. Neil Cicierega

Im Hauptberuf ist er Komiker, und seine Mash-Ups auf musikalischem Terrain sind oftmals fraglich – etwa wenn er Marvin Gaye mit dem Lion King koppelt, oder Nirvana mit Michael Jackson. Die Legierung von Kate (Bush) und Katy (Perry) aber macht richtig Laune.

1. The Little Unsaid

Der junge Schlafzimmerproduzent bekommt von mir den Siegertitel in Cloudbusting-Coverkunst. John Elliott aus West Yorkshire verbirgt sich hinter dem Moniker, und ich empfehle seine Soundcloud-Seite für weitere klasse Entdeckungen.

Schatzkiste #22: Beam me Up, Dexter!

dexter wansel - life on mars & voyagerDexter Wansel
Life On Mars
Voyager

(Philadelphia International Records, 1976 + 1978)

gefunden bei: Second Hand Records, Stuttgart

Im Zuge der neuerlichen SciFi-Flut im Kino (Interstellar, Der Marsianer…) kommen diese beiden LPs als hübscher Begleitsoundtrack. Der Synthesizer-Pionier, Produzent und Songlieferant für Leute wie Patty LaBelle, die O’Jays und Teddy Pendergrass aus Philadelphia hatte in den 1970ern  ein unverkennbares Faible für kosmische Themen, angefangen mit der LP Life On Mars (1976). Dabei kombinierte er Synth-Eskapaden mit glitzernd-orchestraler Philly-Disco. Zwei Jahre später hat er  „Voyager“ mit noch unvorhersehbareren Stilmäandern veröffentlicht. Beinharter Funk, smoothe Balladen, komplexe Fusion-Improvisationen – man wird wild zwischen den Gefühlslagen hin und her gebeamt. Mehr SciFi-Soul gibt’s hier.

Dexter Wansel: „Live On Mars“
Quelle: vimeo

 

Armenisches Doppel

hamaysan - eskenian

ECM liefern uns dieser Tage gleich zwei Produktionen mit neuen armenischen Klängen. Mit Hintergründen und Interviews zu diesen beiden außergewöhnlichen Projekten feiert greenbeltofsound.de seinen ersten 1. Geburtstag. An dieser Stelle auch ein dickes Danke an alle, die mir konstruktive Rückmeldung gegeben haben im Verlauf der letzten 12 Monate.

Vor kurzem war das kleine Land am Rande Europas in aller Munde – dem schrecklichen Umstand zuschulden, dass sich 2015 ein Völkermord zum hundertsten Male jährte. Die Klangkultur Armeniens erfährt dagegen kaum mediale Aufmerksamkeit, obwohl sie die älteste des Kontinents ist. Der Verlag ECM bildet seit Keith Jarretts Einspielung sakraler Hymnen von 1980 da eher die Ausnahme. In diesem Herbst widmet man sich zweifach der armenischen Vergangenheit, als Führer fungieren Jazzpianist Tigran Hamasyan und Musikforscher Levon Eskenian. Weiterlesen

Tropischer Fado-Flirt

carminhoFoto: Leo Aversa

Carminho ist Portugals größte Fadosängerin der heutigen Generation. Mit ihrem Quartett eröffnet die 30-jährige am 1.10. die Saison im Lörracher Burghof und bringt ihr drittes Album Canto mit. Hier folgen zur Einstimmung Auszüge aus zwei Interviews, die ich mit Carminho in den letzten Monaten geführt habe. Weiterlesen

Side tracks #14: Letzter Samba-Zug

flagge-brasilienGal Costa / Demônios Da Garoa
Trem Das Onze
(1973/1964)

Heute wird eine der herausragenden Stimmen der Música Popular Brasileira 70 Jahre jung. Ich gratuliere der Senhora, die einst „Baby Gal“ genannt wurde, und neben Castano Veloso, Gilberto Gil und Maria Bethânia zum Quartett der großen vier Rebellen der Spätsechziger gehörte. Den Tusch singt sie sich selbst und steuert im gleichen Atem-Zug den vierzehnten der Side tracks bei. Es ist eines der schönsten Eisenbahnlieder Brasiliens: Der „Trem das Onze“ ist der letzte Zug, der – im Sambarhythmus versteht sich – vom Stadtzentrum zurück zu São Paulos Vorort Jaçanã fährt. Deshalb muss sich der Sänger von seiner Liebsten loseisen, denn die Mutter schläft nicht und wacht über seine Rückkehr…

demônios da garoa - trem das onze

Populär gemacht haben den launigen Samba aus der Feder von Adoniran Barbosa 1964 die Demônios da Garoa. Das Lied wurde damals beim Karneval von Rio vorgestellt, gilt aber als typischer Vertreter des São Paulo-Sambas. Gal Costa hat ihn sich 1973 in einer denkwürdigen Live-Version zu eigen gemacht. Danke an Renate für den Hinweis auf diese Version!

Gal Costa: „Trem Das Onze“
Quelle: youtube

Der Vorortzug, der Tramway de Cantareira, ging ironischerweise genau im Jahr der Liedveröffentlichung seinem Schicksal entgegen: Man begann mit seiner Dekonstruktion. So wohnt auch in diesem Canção wie in vielen brasilianischen Eisenbahnsongs eine große Portion Nostalgie.

Os Demônios Da Garoa: „Trem Das Onze“
Quelle: youtube

Burkina Faso: Putsch bedroht Musiker

smockey 2Foto: Outhere

Martin Bambara alias Smockey ist der populärste Rapper Burkina Fasos. Als im letzten Oktober nach 27 Jahren der Autokrat Blaise Compaoré aus dem Amt gefegt wurde, war eine Bürgerbewegung namens „Balai Citoyen“ (Bürgerbesen) maßgeblich am Umsturz beteiligt. Smockey ist zusammen mit dem Reggaemusiker Sams’K Le Jah ihr wichtigstes Sprachrohr. Legendär bereits sein Video „Le président, ma moto et moi“, in dem er den Präsidenten durch die Straßen fährt und ihm zeigt, wie er sein Land heruntergewirtschaftet hat. Doch Compaoré, Nachfolger des charismatischen Thomas Sankara, den er 1987 sehr wahrscheinlich ermorden ließ, hat noch nicht aufgegeben. Letzten Mittwoch putschte seine noch immer einflussreiche Garde, um ihrem Chef wieder zur Macht zu verhelfen, das Volk wehrte sich mit Demonstrationen. Seitdem ist die Lage fragil, das geplante Datum für Neuwahlen am 11.10. steht in Frage.

Auch für Smockey ist die Lage jetzt brenzlig. Im Zuge des Putsches wurde gezielt seine Abazon-Studio, in dem auch Kollegen wie Ade Bantu und Didier Awadi aufnehmen, mit einem Raketenwerfer zerstört. Smockey hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht dort auf und befindet sich seitdem auf der Flucht. Am 10. Oktober wird er sein neues Album „Prevolution“ auf Outhere Records veröffentlichen. Zusammen mit Sams’K Le Jah will Smockey, so es die politischen Umstände zulassen, im kommenden Monat auch auf Reisen gehen und in Deutschland Konzerte geben.  Hier gibt es seine aktuelle Single „On Passe à L’Attaque“.

Smockey und Sams’K Le Jah über den „Bürgerbesen“:

 

Ein Jahrhundertwerk wird 30

kate bush - hounds of loveAm 16. September 1985, heute vor 30 Jahren,  erschien ein Popalbum, das bis heute für meine Begriffe in der gesamten Sparte unerreicht blieb: Kate Bushs Hounds Of Love.

Zum Jubiläum erlaube ich mir, die Analyse des majestätischen, furchteinflößenden, berührenden Songs „Hello Earth“ aus der Konzeptsuite der B-Seite The Ninth Wave vorzustellen, die ich vor einiger Zeit für die deutsche Kate Bush-Fanseite geschrieben habe.

Kleine Warnung vorab: Das ist wirklich nur für Hartgesottene.

Eine gespenstische Szenerie war das, als mir diese sechs Minuten und zwölf Sekunden zum ersten Mal begegneten, der Song, der mir von allen aus Kate Bushs Werk bis heute am meisten bedeutet. Ich war siebzehn, mit ein paar Kumpels hatte ich gerade eine Nachtwanderung unternommen, in tiefer Nacht stiegen wir ins Auto und fuhren Richtung Tal zurück. Jemand stellte das Cassettenradio an, und während draußen im schemenhaften Licht die Baumkronen vorbeizogen, ertönte dieser unfassbare Chor. „Was ist das?“, fragte ich sofort entgeistert. „Das ist die neue Kate Bush-Platte“, meinte der Freund. „Kann nicht sein“, entgegnete ich. Bis dahin kannte ich nur die Klangwelten entfernte Singleauskopplung „Running Up That Hill“. Doch da begann die zweite Strophe und ich hörte ihre Stimme. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mir seitdem vielleicht nie mehr bei einem Hörerlebnis so die Haare zu Berge standen.

Zum Mithören der folgenden Analyse – den  Song gibt es hier (das Begleitvideo ist nicht von Bush).
Weiterlesen

Video killed the world music star

DJ Invizable DJ Invizable (Foto: Promotion Norient)

Die multimediale Ausstellung „Seismographic Sounds“ des Berner Netzwerks Norient zeigt, wie sich Einbahnstraßen in der globalen Musik verflüchtigen – eine Reise in Clips um den Planeten, zu sehen noch bis zum 20.9. in Forum Schlossplatz im schweizerischen Aarau und ab 1.10. bis Ende des Jahres im ZKM Karlsruhe. Weiterlesen