Senegals Sternenreise

ibaaku

Ein weiteres starkes  Kapitel aus dem Afro-Futurism, den Künstler wie die Kenianer von Just A Band oder der Südafrikaner Okmalumkoolkat seit einigen Jahren generieren. Großartiger Soundtrack vom Senegalesen Ibaaku zur Modeshow der Designerin Selly Raby Kane. Ibaakus komplettes Album ist digital soeben bei Akwaaba Music erschienen.

Ibaaku: „Djula Dance“
Quelle: youtube

Jazz mit Japonismen

mieko myazaki - koto

Foto: Jean-Pierre Dalbéra

Gestern Abend bot sich im Freiburger Gasthaus Schützen die seltene Gelegenheit, eine japanische Koto im jazzigen Kontext zu hören, anlässlich des Release-Konzerts von „River Silver“ (ECM), der neuen CD des Quintetts Ethics um den französischen Basissten Michel Benita. Zusammen mit Michel Mathieu (flgh,tp), Philippe Garcia (dr), Eivind Aarset (g) und Mieko Miyazaki (koto) hat der 61-jährige eine ganz seltene, glückliche Verbindung von fernöstlichen Klängen und europäischem Jazz geschaffen, mit der 13-saitigen, ursprünglich höfischen Wölbbrettzither als heimlichem Star.
Danke an den Jazzkongress, der seit 10 Jahren spannende Künstler einlädt und am 1.2. sein Jubiläum feiert.

Ethics: „Haikool“ (live in Paris, 2010)
Quelle: youtube

Bon anniversaire, Kathrin!

Dass sie mit ihren Schlagern wie keine andere in den 1950ern das Fernweh der Deutschen befeuert hat, wollen wir hier mal weitestgehend außer Acht lassen. Zum 85. Geburtstag dieser großartigen Sängerin gibt es sieben Titel, die Caterina Valente als Jazzstimme, weltgewandte Entertainerin und nachdenkliche Interpretin zeigen.

1.  „Every Time We Say Goodbye“ (mit Chet Baker, 1956)
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Ihre Teamworks mit Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Dean Martin oder Perry Como haben bewiesen, dass Caterina Valente auch in den Staaten respektiert wurde – sowohl im Jazz als auch in der leichteren Unterhaltung. Ihre Aufnahmen mit dem Trompeter Chet Baker gehören für mich zu den schönsten aus der Jazzsparte, die sie gemacht hat.

2. „No Te Importa Saber“ (mit Silvio Francesco, 1957)
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Mit ihrem Bruder Silvio Francesco entstanden sowohl deutsche Schlager als auch internationale Evergreens. Zu meinen Favoriten zählen da die spanischen Lieder, die sie ohne Orchester in der reduzierten Besetzung mit Gitarre und Stimme eingespielt haben.

3. „Scandinavian Song“ (mit dem Stanley Black Orchestra, 1962)
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Auch als nordische Melancholikerin brillierte die Valente gelegentlich. Bei dieser Aufnahme frage ich mich, ob die Erben Edvard Griegs nicht Sturm gelaufen sind – denn der Titel ist ein unverblümtes Plagiat von Peer Gynts „Solveigs Lied“.

4. „Manha De Carnaval“ (mit Luis Bonfá, 1963)
Quelle : youtube

Wenige europäische Vokalisten beherrsch(t)en das brasilianische Portugiesisch akzentfrei. Caterina Valente tat nicht nur das, sie spielte mit einem der wichtigsten Bossa Nova-Komponisten auch gleich eine ganze LP ein – hier eine Live-Version der berühmten Ballade aus dem Film Orfeo Negro.

5. „Kismet“ (1965)
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Mitte der Sechziger wurden auch die deutschen Lieder der Valente mitunter etwas nachdenklicher. Dieses Kleinod ist in der Schlagerwelt so etwas wie ein frühes, zaghaftes Beispiel für weibliche Selbstbestimmung.

6. „Malagueña“ (TV, 1970)
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Anderthalb Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung tönt Valentes erster großer Welterfolg nicht mehr exotisch-mädchenhaft, sondern jazzig-reif. Die für mich schönste Version.

7.“Scarborough Fair“ (live in London, 1975)
Quelle: youtube

Das Londoner Konzert von 1975 ist vielleicht das Highlight schlechthin für die ungeheure Bühnenpräsenz von Caterina Valente. Ich habe hier ganz bewusst mal einen völlig untypischen Song aus ihrem Repertoire ausgewählt – um zu zeigen, was sie selbst aus einem Folksong machen kann.

Die Geige aus dem Feuer

helge leiberg - serenadeHelge Leiberg: Serenade 2013, Acryl auf Leinwand 150x180cm

Im kleinen, feinen Kunstmuseum Villa Haiss in Zell am Harmersbach sind noch bis Ende März Bilder des Malers Helge Leiberg zu sehen. Leiberg beschäftigt sich in farbgewaltigen, großformatigen Gemälden mit Musik und Tanz, ihm gelingt es,  Töne und Bewegungen zu einem sinnlichen Rausch zu verknüpfen, in dem ich auch Parallelen zu afrikanischer Malerei oder den afro-brasilianisch geprägten Zeichnungen von Carybé entdecke. Meine Empfehlung: Unbedingt ansehen.

 

Side tracks #16: Der blaue Zug

flagge-brasilienLô Borges: „Trem Azul“
(Orig.: Clube Da Esquina, 1972)

Unter den vielen brasilianischen Eisenbahnliedern ist dieses hier mein Allerliebstes. Der Canção über den blauen Zug stammt aus der Feder des Songwriters Lô Borges, einer der Gründer der Clube da Esquina-Bewegung. Diese Bewegung aus Belo Horizonte, der auch Milton Nascimento angehörte, verband bildgewaltige, teils psychedelische Poesie mit Art Rock à la Genesis und der lyrischen Grundstimmung, die der Musik des Bundesstaates Minas Gerais so oft zu eigen ist. Ob Borges einen bestimmten blauen Zug gemeint hat? Das Nachrichtennetzwerk O Globo meint, dass es dieser hier war:

trem azul 2Foto: Márcia Foletto

Dieser Trem Azul verkehrte bis in die Neunziger hinein im Staat Rio de Janeiro  als Touristenbahn zwischen Miguel Pereira und Conrado. Seit Oktober 2015 soll er laut O Globo seinen Betrieb wieder aufgenommen haben. Ein doppelter Anlass, dieses Lied zu würdigen, denn nicht nur ist der Zug wieder in der Spur, Lô Borges wird heute auch 64 Jahre jung.

Der „Trem Azul“ erschien im Original auf dem ersten Clube da Esquina-Album im Jahr 1972 und wurde in der Folge von vielen weiteren Künstlern der Música Popular aufgegriffen, bis hin zu Tom Jobim und Elis Regina, die ihre große Liveshow 1981 sogar unter diesem Titel laufen ließ.  Der Refrain von Borges‘ Kollegen Ronaldo Bastos („du nimmst den blauen Zug, die Sonne im Kopf, die Sonne nimmt den blauen Zug, dich im Kopf“) gehört zu den schönsten der brasilianischen Popmusik.

Flavio Venturini, Lô Borges und Beto Guedes: „Trem Azul“ (live 1999)
Quelle: youtube

Das Waldhorn entert den Strand

It was fifty years ago today, als der Pop denken lernte, könnte man ein wenig zugespitzt formulieren. 2016 lassen sich 50 Jahre Autorenpop feiern, und  neben dem Rubber Soul-Album der Beatles, das bereits im Dezember 1965 erschien, war es vor allem Brian Wilson, der die Popmusik in ungeahnte Dimensionen hineinstieß. Die Sessions in den kalifornischen Western Recorders-Studios zu „God Only Knows“  (Teil 1 und 2) dokumentieren, aus welcher visionären Vorstellungskraft der 23-jährige schöpfen konnte, die er den erfahrenen Studiomusikern Schritt für Schritt beibringen musste.  Komplexe Vokallinien wie in einem romantischen Kunstlied, Arrangements mit Waldhorn, Fagott, Flöte, Cembalo, Akkordeon, Orgel und Streichern – ab da war Pop nicht mehr einfach Pop, und die Beach Boys keine Strandjungen mehr.

The Beach Boys: „God Only Knows“
Quelle: youtube

Listenreich: 2015

Die Jahresabrechnung.

Wie immer: Viel Spaß beim affirmativen Nicken und verständnislosen Kopfschütteln.

Und einen guten Rutsch!

ALBEN

jahresalben 2015
1. Alejandra Ribera (CDN/ARG/SCO): La Boca (Jazz Village/Harmonia Mundi)
2. Africa Express (Mali/UK/Various): In C Mali (Transgressive Records/Membran)
3. The Polyversal Souls (Ghana/D/Various): Invisible Joy (Philophon/Groove Attack)
4. Steen Rasmussen Quinteto (DK/BRA): Presença (Stunt Records/in-akustik)
5. Sophie Hunger (CH):  Supermoon (Caroline/Universal)
6. Rhiannon Giddens (USA): Tomorrow Is My Turn (Nonesuch/Warner)
7. Pat Thomas & The Kwashibu Area Band (Ghana/D): Pat Thomas & The Kwashibu Area Band (Strut/Indigo)
8. Blick Bassy (Kamerun): Akö (No Format/Indigo)
9. Irit Dekel & Eldad Zitrin (ISR): Last Of Songs (Pinorekk/Edel)
10. Eska (Simbabwe/UK): Eska (Naim/Indigo)
11. Melody Gardot (USA): Currency Of Man (Decca/Universal)
12. Benjamin Clementine (GB): At Least For Now (Caroline/Universal)
13. Dani & Deborah Gurgel Quarteto (BRA): Garra (Berthold Records/Harmonia Mundi)
14. Smockey (Burkina Faso): Pre’volution (Outhere/Indigo)
15. Matthias Loibner (A): Lichtungen (Traumton/Indigo)
16. Criolo (BRA): Convoque Seu Buda (Sterns/Alive)
17. Björk (IS): Vulnicura (Embassy Of Music/Warner)
18. Lisa Simone (USA): All Is Well (Laborie/Edel)
19. Bachar Mar-Khalifé (LBN/F): Ya Balad (Infine/Rough Trade)
20. Renaud Garcia-Fons & Derya Türkan (F/TK): Silk Moon (E-Motive/Galileo)
21. Jeff Lynne’s ELO (GB): Alone In The Universe (Sony)
22. Vieux Farka Touré & Julia Easterlin (Mali/USA): Touristes (Six Degrees/Exil)
23. Tigran Hamasyan & Yerevan State Chamber Choir (ARM): Luys I Liso (ECM)
24. Cassandra Wilson (USA): Coming Forth By Day (Columbia/Sony)
25. Biolay – Fiszman – Benarrosh (F): Trenet (Barclay/Universal)
26. Sacri Cuori (I): Delone (Glitterbeat/Indigo)
27. The Gurdjieff Ensemble (ARM): Komitas  (ECM)
28. Oum (MAR): Soul Of Morocco (Galileo)
29. Carminho (P): Canto (Parlophone/Warner)
30. Cristobal & The Sea (E/P/F/GB): Sugar Pack (City Slang/Universal)

SONGS DES JAHRES

jahressongs 2015
1. „I Want“ (Alejandra Ribera)
2. „Spaghetti mit Spinat“ (Sophie Hunger)
3. „Black Lake“ (Björk)
4. „The People And I“ (Benjamin Clementine)
5. „St. Augustine“ (Alejandra Ribera)
6.  „Courage“ (Villagers)
7. „Angel City“ (Rhiannon Giddens)
8. „Presença“ (Steen Rasmussen Quinteto)
9. „Taragalte“ (Oum)
10. „Child In Me“ (Lisa Simone)

KONZERTE

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1. Tony Allen & Mâalem Mohamed Koyou, Place Moulay Hassan, Essaouira, 15.5.
2. Sophie Hunger, Marktplatz Lörrach, 13.7.
3. Orlando Julius & The Heliocentrics, Kaserne Basel, 5.2.
4. Steve Gadd, Volkshaus Basel, 20.10.
5. Harald Haugaard & Helene Blum, Klausenbauernhof Wolfach, 21.3.
6. Oloid, Volkshaus Basel, 25.4.
7. Ballaké Sissoko & L’Art Royal de la Kora, Dar Adiyel, Fès, 25.5.
8. D’Angelo, Kaufleuten Zürich, 11.2.
9. Ivan Lins & SWR Big Band, Burghof Lörrach, 2.7.
10. Björk, Zitadelle Berlin-Spandau, 2.8.

FILME

1. Das Ewige Leben (Wolfgang Murnberger, Österreich/Deutschland)
2. No Land’s Song (Ayat Najafi, Iran)
3. Loin Des Hommes (David Oelhoffen, Frankreich)
4. Meister Des Todes (Daniel Harrich, Deutschland)
5. Atlantic (Jan-Willem van Ewijk, Marokko/Niederlande)
6. Señor Kaplan (Àlvaro Brechner, Uruguay)
7. Taxi Teheran (Jafar Panahi, Iran)
8. Selma (Ava DuVernay, USA)
9. The Martian (Ridley Scott, Großbritannien)
10. Bach In Brasil (Ansgar Ahlers, Deutschland/Brasilien)

BÜCHER

(im Gegensatz zu Tonträgern genieße ich bei Geschriebenem den Komfort, dass ich mich nicht um Aktuelles kümmern muss. Deshalb rutschen Klassiker und Wiedergelesenes hier ebenbürtig rein. Das gilt m.E. auch für die Filme.)

FICTION

1. Saphia Azzedine (Marokko/Frankreich): Bilqiss (Éditions Stock)
2. Elias Canetti (Großbritannien): Die Stimmen von Marrakesch (SZ Bibliothek)
3. Jonathan Franzen (USA): Freiheit
4. Driss Chraibi (Marokko): Ermittlungen im Landesinnern (Lenos Collection)
5. Amin Maalouf (Libanon): Der Geograph des Papstes (Insel)

NON-FICTION

1. Various: Seismographic Sounds: Visions Of A New World (Hrsg. Theresa Beyer/Thomas Burkhalter, Norient Books)
2. Manuel Negwer: Villa-Lobos – Der Aufbruch in der brasilianischen Musik (Schott)
3. Wolfgang Korn: Schienen für den Sultan (Komet)
4. Dieter Ringli / Johannes Rühl: Die Neue Volksmusik (Chronos)
5. Aaron Cohen: Amazing Grace (continuum)
6. Klaus Biesenbach u.a.: Björk Archives (Schirmer-Mosel)
7. Anthony Heilbut: The Fan Who Knew Too Much (Knopf)
8. Peter Scholl-Latour: Der Fluch der bösen Tat (Ullstein)
9. Alma Mahler-Werfel: Gustav Mahler (Fischer)
10. Greg Kot: I’ll Take You There (Scribner)

Weihnachtsgruß aus Rio

cassiano 1

Er gilt als der Stevie Wonder Brasiliens und hat mit Cuban Soul 1976 eines der wichtigsten und schönsten Alben des Black Rio-Movements veröffentlicht. Dass ein Soul-Crooner sein Werk, das Stück um Stück immer mehr funky wird, mit einer Weihnachtsballade eröffnet, da gehört schon ziemlich viel Chuzpe dazu.

„Hoje É Natal“, mein saisonaler Gruß aus den Tropen an alle Blog-Leser, verbunden mit den besten Wünschen für 2016.

Cassiano: „Hoje É Natal“
Quelle: youtube

Side tracks #15: O Trêm do Tom

antonio carlos jobim - antonio brasileiro

flagge-brasilienAntônio Carlos Jobim / Manuel Bandeira:
„Trem De Ferro“ (aus Antônio Brasileiro, 1994)

 

Wie letztes Jahr zum 8.12. auch 2015 eine kleine Hommage zu Jobims Todestag, dieses Mal in der Eisenbahnabteilung, die ich ja gerade insbesondere brasilianisch aufarbeite.

Dass „Antônio Brasileiro“ so viel mehr war als der Bossa-Vater, zeigt sich in seinen Spätwerken. Das hier ist der allerletzte Track aus seinem allerletzten Album. Ed Motta, den ich vor kurzem zum Interview getroffen habe (2016 mehr dazu), hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Jobim nicht nur seine Debussy- und Ravel-Einflüsse immer wieder verarbeitet hat, sondern ab und an auch wohl sein früher Lehrer Hans-Joachim Koellreutter (ein  Zwölftonkomponist, der 1937 nach seinem Musikstudium in Freiburg nach Rio emigrierte) abgefärbt hat.

Hätte Jobim noch ein paar Jahre länger gelebt, wäre er dann auf den atonalen Pfad eingeschwenkt? „Trem De Ferro“ jedenfalls, sein spätester Meisterstreich scheint sich in den Schlusstakten tatsächlich aus der Funktionsharmonik zu lösen. Darüber hinaus ist es eines der grandiosesten, lautmalerischesten Eisenbahnlieder, die ich kenne, und knüpft damit natürlich auch an “ O Trenzinho De Caipira“ aus der Bachiana Brasileira No.2 von Heitor Villa-Lobos an. Die Verse stammen vom Poeten Manuel Bandeira.

Antônio Carlos Jobim & Banda Nova: „Trem De Ferro“
Quelle: youtube