Moi, j’me promène sur Ste-Catherine, j’profite de la chaleur du métro…
(Anna McGarrigle/Philippe Tatartcheff)
alle Fotos © Stefan Franzen
Joy, das Berliner Gleisdreieck hat nicht nur eine wechselvolle Geschichte seit über einem Jahrhundert, es ist auch in die „Die drei Detektive“ oder Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ verewigt. Du bist in diesem Areal aufgewachsen – warum gerade jetzt die Widmung an diesen Ort?
Joy Denalane: Das Album war schon fertig, hatte aber noch keinen Titel. Eines Morgens bin ich mit der U-Bahn am Gleisdreieck vorbei gekommen und hatte die Eingabe, dass dieser Titel gleich auf mehreren Ebenen passt: Zum einen bin da ich mit meiner DNA begründet, zum anderen ist es auch eine Metapher: Diese Gabelung, an der man um- und aussteigt, sich begegnet und verabschiedet, immer mit der Möglichkeit des Zurückkehrens. Das fand ich poetisch und treffend. Weiterlesen
Omar Sosa / Seckou Keita
Transparent Water
(World Village/Harmonia Mundi)
Lizz Wright
Jazzhaus Freiburg
15.02.2017
Die Pfarrerstochter aus Hahira, Georgia ist mit ihrer seelenvollen, erdigen Altstimme ein allegorischer Gegenentwurf zu all den spaltenden Absurditäten aus Übersee, die uns die Tagespolitik derzeit um die Ohren haut. Sie eint Gospel und Jazz, Folk und Country, schöpft aus der Poesie des Civil Rights Movements, besucht aber auch Neil Young oder die Bee Gees. Kurzum: Sie formt die Vielfalt Amerikas zu ihrer Marke. Welche Bühnensouveränität die 36-Jährige in den letzten Jahren dabei gewonnen hat, zeigt sich schon, als sie nur mit ihrem Pianisten Kenny Banks beginnt: Das zärtliche „The Nearness Of You“ aus dem Repertoire von Ella Fitzgerald lebt von großen Gesten mit ausgebreiteten Armen und Dialogen von fröhlicher Sinnlichkeit, geht fast nahtlos in „Walk With Me, Lord“ mit seinen dunklen Spiritual-Farben über: Das Miteinander von Gospel und irdischer Liebe ist bei Lizz Wright selbstverständlich geworden.
Vor dem Auftritt sei sie automatisch Richtung Theater gelaufen, verrät sie augenzwinkernd, denn da sang sie vor ein paar Jahren zum Jubiläum des Jazzhauses. Als ihr dann klar wurde, dass sie im „Keller“ spielen soll, habe sie sich schon gefragt: „Bin ich runtergestuft worden?“ In Wahrheit empfindet jeder diesen Abend, inklusive Lizz Wright selbst, als „Upgrade“: Im engen Gewölbe kommt es zu einer Schwingung mit dem Publikum, wie man sie nur ganz selten erlebt. Neil Youngs „Old Man“ geht donnernd aufs Auditorium herab, mit kochender Orgel und einer großartigen Bluesrock-Einlage des Gitarristen Martin Kolarides, der an anderer Stelle fließende Jazzlyrik im Stil von Pat Metheny zaubert. In „Somewhere Down The Mystic“ malt Wright spirituelle Naturbilder, ihre Stimme schwingt sich majestätisch auf wie ein Adler über der Schlucht, und Bassist Nicholas D‘Amato flicht in sein singendes Bass-Solo organisch ein paar funkige Slaps ein. Von samtener Traurigkeit ist „Stop“, ein Flehen darum, dass eine Liebe nicht zu Ende gehen möge, eingeleitet nur mit Tropfen aus dem Piano. Und mit leisem Pinselstrich begleitet Drummer Che Marshall, der oft mit feinmechanischem Wirbeln und Strichen auf den Zimbeln auffällt, die Ballade „Stars Fell On Alabama“: Als sie über den Meteorschauer singt, wird Wrights Stimme zum ehrfürchtigen Hauch.
„Freiheit, rufe mich, und ich antworte“, singt sie zu den aufgekratzten, funkigen Rhythmen des Finalstücks. „Wir haben unser Wasser verloren, durch Verletzung und Gier, aber ich kann dir einen ganzen Fluss weinen aus meinem Kampf, aus Mühe und Not. Freiheit, du hast es schwer in einer Welt wie dieser.“ Als sie sich ein letztes Mal verbeugt, mit ihrer Hand auf dem Herz, ist Lizz Wright anzumerken, wie ergriffen sie vom Minuten dauernden Applaus ist. Der Triumph des wahren, freien Amerikas, er ließ sich für zwei Stunden mit Ohren hören und Händen greifen.
© Stefan Franzen
Nishtiman Project
Kobane
(Accords Croisés/Harmonia Mundi)
Es könnte das wichtigste Projekt der kurdischen Musikhistorie werden, denn hier werden die erzwungenen Grenzziehungen der Türkei, des Irak und Iran überwunden, indem gemeinsames Klangerbe neu auskundschaftet wird. Doch was musikalisch auf Kobane passiert, ist völlig unabhängig von dieser Relevanz noch weitaus bewegender. Ohne Zweifel wurde die Musik Kurdistans mit all ihren Facetten noch nie in einer so fantastischen, zeitgenössischen Dramaturgie präsentiert. Die Stücke, die teils in die Ära des Mitras- und Zoroaster-Kults zurückweisen, gestaltet das Sextett um den künstlerischen Leiter und Perkussionisten Hussein Zahawy in Suiten mit Schalmei, Spießgeige, Langhalslaute, Santur und mächtigen Unisono-Chören, mitreißend und galoppierend oder von tiefer Wehmut gezeichnet. Im Fokus die nie artifizielle, immer sehr volksnahe Stimme von Donya Kamali, die von der zerstörten Stadt Kobane berichtet, von metaphernreichem Liebespreis und der lebensspendenden Kraft der Sonne.
Juliette Gréco
„Les Enfants Qui S’Aiment“ (Jacques Prévert/Joseph Kosma)
(aus: St. Germain Des Prés, 1956)
Verlässlich zu sagen, welches das allererste Lied war, dass einen als Kind bewusst gefangen genommen hat, ist nahezu unmöglich. Doch ich bin mir sicher, dass „Les Enfant Qui S’Aiment“ auf mich als Vier- oder Fünfjährigen bereits einen nachhaltigen Eindruck gemacht hat.
Joseph Kosma hat die Verse von Jacques Prévert für den Film Les Portes De La Nuit (1946) vertont, auch das weitaus bekanntere „Les Feuilles Mortes“ (ebenfalls mit Versen von Prévert) kommt in diesem Streifen vor. Während „Les Enfants…“ in diesem Film von Fabien Loris zu einer Akkordeon-dominierten Begleitung gesungen wird, gibt es auch eine Version von Yves Montand, der sich nur zur Gitarre begleitet. Ein Jahrzehnt nach dem Film veröffentlichte Juliette Gréco ihre Interpretation mit dem schillernden Orchester von André Grassi, in ihrem Konzertrepertoire hatte sie es aber schon einige Jahre zuvor, und mit Pianobegleitung gibt es eine Aufahme für die italienische RAI von 1953.
Ich denke, was mich als Kind so beeindruckt hat, war das Zusammenspiel dieser dunklen Stimme mit den reichen Orchesterfarben aus der 1956er-Version. Die abgrundtief traurigen Streicher im Intro, die Harfe und die Celesta, auf die die fernen Bläser folgen. Und dann der Einsatz von Gréco, die mit einer Mischung aus herrischer Strenge und warmherzigen Pathos singt. Ich kann mich erinnern, wie mich die zweifach wiederholte Passage „Et C’est Seulement Leur Ombre..“ und „Ils Ont Ailleurs…“ in den Bann gezogen hat: Dieses Innehalten des ganzen Orchesters, während die Geigen zittern wie Espenlaub und dann am Ende gleißende Farben malen zu den glühenden Hochtönen der Sängerin, und wie dann alles auf dem Wort „éblouissante“ mit Harfengirlanden kulminiert. Auch die Dur-Lösung am Ende mit der verlorenen Flöte fand ich sehr geheimnisvoll.
Dass es in dem Chanson um die Sphäre der kindlichen Unschuld geht, wusste ich damals natürlich nicht, ist aber eine schon fast unheimliche Koinzidenz. Juliette Gréco, die im letzten Jahr ihre Auftritte absagen musste und der es offensichtlich gar nicht gut ging, will nun 2017 wieder zurück auf die Bühne. Die Frau, der ich zwei Mal im Leben begegnet bin – einmal geplant, einmal ungeplant – wird heute 90 Jahre alt. Bon anniversaire, Madame!
Der Wunderknabe ist nach Hause zurückgekehrt: Nach Ausflügen in Dubstep, Rock und Electronica findet der armenische Pianist Tigran Hamasyan neue Inspiration in seinen Wurzeln: Voriges Jahr noch mit liturgischer Musik aus fünfzehn Jahrhunderten und einem Kammerchor aus Eriwan. Auf Ancient Observer, seinem im März erscheinenden Album (31.3., Warner) noch introspektiver, solo am Piano. „Fides Tua“ ist ein erster Eindruck. In diesen Tagen hilft der Glaube an die Kraft der Töne.
Dass nun ein Sexist und Rassist an der Spitze der USA steht, könnte einen verzweifelt und hilflos machen, nicht mehr an demokratische Institutionen glauben lassen. Dass gleichzeitig in den Staaten aber kritische Medien einen verstärkten Zuspruch erfahren, nährt einen Funken Hoffnung, dass türkische oder russische Verhältnisse dort noch abzuwenden sind. Wir Journalisten dürfen vor Größenwahn und Dummheit kein Haar breit zurückweichen – dazu gehört auch, dass wir immer wieder über Künstlerinnen und Künstler berichten, die mit Herz, Mut und Verstand für all das stehen, was das neue Individuum im Weißen Haus bekämpfen möchte.
Emel Mathlouthi ist eine solche Künstlerin.
Vor genau sechs Jahren stand sie auf der Avenue Bourguiba in Tunis und half mit ihrem Gesang, den Diktator Ben Ali zu stürzen. Ihr Song „Kelmti Horra“ wurde zur Hymne der jungen Generation. Im Film „No Land’s Song“ war sie Teil der Band, die unter Leitung der Iranerin Sarah Najafi dafür kämpfte, im Gottesstaat eine Konzerterlaubnis auf öffentlicher Bühne für Frauen durchzusetzen. Heute lebt die musikalische Heldin der Jasminrevolution in New York. Das Vokabular des neuen Präsidenten erinnere sie an das der ehemaligen tunesischen Führung, sagte sie in einem neuen Gespräch mit pitchfork.
Auf ihrem zweiten Album Ensen pflegt Mathlouthi einen Electro-Sound, der eher kosmopolitisch denn arabisch ist. Das Werk wurde unter anderem vom Sigur Rós-Produzenten Valgeir Sigurðsson betreut. Ihre Stimme faltet Mathlouthi von zerbrechlichem Sopran bis zu suggestivem Dräuen in hymnischen Chören auf. Rhythmische Impulse kommen zwar auch mal von traditionellen Lauten-Riffs oder rauchiger Flöte, vielmehr aber von scharfkantiger, martialischer Perkussion, und Keyboards von kühlem bis verzerrtem Zuschnitt füllen die Textur. In „Ensen Dhaif“ singt sie vom Kampf gegen die Hoffnungs- und Hilflosigkeit, die einen wie ein Tier anfallen kann, „Princess Melancholy“ könnte tatsächlich aus dem frühen Björk-Katalog stammen. Ensen wird in Deutschland am 24.2. veröffentlicht, unten ein Vorgeschmack daraus.
Hier ist nochmals mein Interview mit ihr aus dem Jahr 2015 nachzulesen.
Sophie Hunger
„Z’Lied Vor Freiheitsstatue“
(aus: The Danger Of Light, 2012)
Diesen Song wollte ich eigentlich erst viel später in die (he)artstrings aufnehmen.
Doch er passt leider auf diesen Tag, an dem sich ein Teil der Welt durch das Dekret eines Dummkopfes endgültig von seinem nationalen Symbol verabschiedet.
„Die Freiheitsstatue ist sich ihrer ambivalenten Existenz bewusst, sie kann sich nicht bewegen und kann nicht sprechen“, sagt Sophie Hunger – und schrieb ihr einen inneren Monolog auf den Leib. „I han es Riesse, aber riesse chani nüt“, sagt die alte Dame zu sich. Rheumageplagt hat sie keinerlei Einfluss auf die Welt. Sie sehnt sich danach, ins Wanken gebracht zu werden, bietet sogar einen Tanz an, wenn sie nur von ihrem steinernen Sockel steigen könnte. „Oder bini ächt scho gstorbe?“, fragt sie sich.
Ihre Konzerte hat die Schweizerin früher oft mit diesem Song in einer Acappella-Version beschlossen. Mir gefällt die Studioversion mit den Gitarrenlinien des „Chili Peppers“ Josh Klinghoffer am besten. Von allen wunderbaren Liedern, die Sophie Hunger geschrieben hat, ist das vielleicht das Wunderbarste. Und leider passt es heute wohl wie kein anderes.
Carminho
Canta Jobim
(Warner)