Mont-sur-réal, ma terre-de-sel (#7 – Canada 150)

Saltland (Québec)
A Common Truth
(Constellation Records/Cargo)

Mit der Musikszene Montréals ist es ähnlich wie mit der ville souterraine der Metropole. Man kann sich darin verlie/r/ben. Je tiefer man in die unermesslichen Räume vordringt, umso hoffnungsloser wird der Fall. Und vielleicht stößt man dort unten irgendwo auf ein „Licht der Gnade“.

Deshalb ist es jetzt Zeit, das Label Constellation Records vorzustellen, das sich am Sankt Lorenz-Strom um experimentelle Klänge kümmert. Den besten Einstieg bietet eine Neuveröffentlichung der Cellistin und Komponistin Rebecca Foon, die unter dem Namen Saltland firmiert – ansonsten kennt man sie aus den Formationen Esmerine und Thee Silver Mt. Zion. A Common Truth ist ihr zweites Solo-Album.

Foto: Hraïr Hratchian

Foon baut aus ihren meditativen Cello-Linien ganze Kammerorchester, einzelne Linien heben sich melancholisch heraus wie die archaische Gesänge aus dem kaukasischen Kulturraum oder auch mal wie eine Pferdegeige aus den Weiten der mongolischen Steppe. Verfremdete Liegetöne erinnern an die Laute von nächtlichen Waldtieren oder altersschwache Teile einer Industrieanlage. Ihre Stimme bettet sich in rund der Hälfte der neuen Stücke hintergründig ein in die Arrangements, in denen außerdem eine Orgel, ein Piano und eine Geige Textur schaffen. Der soghafte Sound wurde von Jace Lasek geschaffen, ein Musiker aus Saskatchewan, der mit seiner Breitwand-Rockband The Besnard Lakes nun auch in Montréal angesiedelt ist (ein Interview mit ihm folgt in meiner Canada 150-Serie).

Eher bitterer, und nicht salziger Beigeschmack: Während Teile von Montréal in den letzten Tagen in den Frühlingsfluten versunken sind, lerne ich, dass Foon den Klimawandel als übergreifendes Thema für dieses Werk gewählt hat. Sie ist Teil des Künstlerkollektivs Pathway To Paris, das sich dem Kampf gegen die globale Erhitzung widmet und dem sich auch Patti Smith und Thom Yorke angeschlossen haben. Dieses Werk wählt nicht den apokalyptisch-zornigen und auch nicht den defätistischen Weg: Vielmehr fliegt Foon mit ihrer Imagination über eine versehrte Erde, kleidet ihre Besorgnis in feine Klangseismik.

Saltland: „Light Of Mercy“
Quelle: vimeo

 

Auslotung der Freiheit

Foto: Pierre Pallez

Unter den Vokalistinnen der jungen Schweizer Jazzszene ist sie eine der vielversprechendsten. Wobei: Das mit dem „Jazz“ sollte man gleich mal mit Vorbehalt aussprechen. Denn für Yumi Ito wird die stilistische Freiheit ganz groß geschrieben: „Schon als Kind habe ich improvisiert, da wusste ich noch gar nicht, dass es Klassik und Jazz und Pop gibt“, erzählt die 26-jährige. „Als Studiengang war der Jazz für mich schließlich der attraktivste, weil er dieses Improvisatorische am meisten fördert.“

Aufgewachsen als Tochter einer polnischen Mutter und eines japanischen Vaters habe sie das Universum Japans habe eher indirekt geprägt, reflektiert sie: „Vielleicht eher in der Art, wie ich denke, die Zielstrebigkeit, mit der ich meine Projekte verfolge. Aber auch die Japonismen im Impressionismus von Debussy finde ich toll, diese Farben.“ Polnische Volksmusik wurde via Chopin eine Wegbegleiterin, und natürlich war die Mutter, selbst klassische Sängerin, ihr erstes großes Vorbild, zu dem sich aber bald Ella Fitzgerald, Bobby McFerrin und Al Jarreau gesellten. „Während meiner Teenagerjahre habe ich viel Punkrock gehört, wollte laut sein mit der Stimme, ein Volumen haben wie eine Soulsängerin.“ Doch durch die Bossa Nova und Vertreterinnen der leisen Töne wurde Yumi Ito klar: Die Stimme lässt sich auch quasi sprechend nutzen, ohne die ganze Zeit Verzierungen machen zu müssen. Es ist diese Souveränität des Verzichts, die in ihrer Arbeit immer wieder durchscheint, neben der anderen Souveränität: der, über die verschiedensten Genres zu verfügen und daraus eine Freiheit zu schöpfen.

Intertwined hieß ihre erste Visitenkarte, ein Debütalbum, voller Standards von Cole Porter bis Pat Metheny. Standards, die sie aber freilich schon auf acht oder neun Minuten dehnte, mit erfindungsreichen Ausflügen ins Latinfach oder Experimentelle bereicherte, inmitten eines gleichberechtigten Quartetts. Aus dieser Band ist ein wichtiges Element geblieben: Pianist Yves Theiler. „Es war für mich sofort klar, dass wir als Duo weitermachen. Denn Yves hat eine sehr eigene Stimme auf dem Klavier, ist zugleich auch Perkussionist in seinem Spiel. Unsere Kompositionen passen gut zueinander, und wenn wir zusammen musizieren, überraschen wir uns immer wieder gegenseitig von Neuem. Mit ihm kann ich aus einer kleinen Idee etwas ganz Großes entwickeln.“

Foto: Sandro Foschi

Ergebnis des Teamworks ist die Duo-CD Ypsilon. Das aufregende Repertoire aus Eigenkompositionen reicht von einer Indiepop-artigen Melodie zu komplett freier Improvisation, von lautmalerischen Experimenten bis zu einem minimalistischen Wiegenlied mit japanischem Titel. Für Yumi Ito verkörpert sich in diesem Projekt ganz konsequent ihr Wunsch nach größtmöglicher musikalischer Freiheit, eine Freiheit, die sie am Jazzcampus bei Lehrern wie Fred Frith, Mark Turner oder Lisette Spinnler auslotet. Hier wird sie in wenigen Monaten auch ihren Masterabschluss machen, und sie ist voll des Lobes über die Basler Institution. „Ich habe vorher im Toni Areal an der Zürcher Hochschule der Künste studiert, dagegen ist es hier heimeliger und ruhiger. Aber alles ist sehr auf internationale Studenten und Dozenten ausgerichtet, es gehen immer mehr Türen Richtung Frankreich und Deutschland auf. Hier kann ich mich auf Komposition und Arranging konzentrieren.“

Was von Yumi Ito zu erwarten sein wird, das hält sie sich offen. Eines ist klar: Die Betitelung „Jazzsängerin“ ist zu eng gefasst, sie sieht sich als „Künstlerin“ – und zieht einen unerwarteten Vergleich aus der Tasche: „Egal aus welcher Ecke man kommt, es ist wichtig, dass man eine Tradition lernt, und dann sein Eigenes entwickelt. In diesem Sinne ist Picasso für mich ein großer Leitfaden.“

© Stefan Franzen

Yumi Ito & Yves Theiler: „Komori Uta“, Live @Mehrspur Zürich“
Quelle: YouTube


nächste Livetermine:
18.05.2017 – Yumi Ito & Yves Theiler, CD-Release Ypsilon @ Offbeat Jazz Festival, Dorfkirche Riehen
23.-25.05.2017 – Arismar do Espirito Santo @ Birdseye Jazzclub, Basel 

26.05.2017 – Alex Ventling Quartet @ Carambolage, Basel
27.05.2017 – Yumi Ito Project @ Kleine Leckerbissen Festival, Luzern

weitere Termine auf: yumiito.ch

 

Höhenflug der Unvernunft

                                                                            Foto: Reto Andreoli

Hildegard Lernt Fliegen & Orchester der Lucerne Festival Alumni
The Big Wig
Musical Theater Basel, 06.05.2017

Auf dem Papier, vor dem Konzert stellte man sich das als richtigen Overkill vor. Da hat man dieses Berner Sextett, das im europäischen Jazz derzeit sicherlich eine der wildesten Unternehmungen darstellt: Die „Hildegard“ mit dem unvergleichlichen Stimmen-Abenteurer Andreas Schaerer, umgeben von fünf Instrumentalisten, die von Free Jazz bis Afrika nahezu auf Zuruf umschalten. Und deren Klangwelt soll sich dann auch noch in ein komplettes Symphonieorchester einbetten?

Nicht ohne Grund nennt Schaerer diesen Clash der beiden Klangkörper „The Big Wig“, übersetzbar als „große Nummer“. Und erinnert sich, welchen Bammel er hatte, als er völlig unvorhergesehen den Auftrag zur Zusammenarbeit mit diesem sechzigköpfigen Monster aus Luzern erhielt. Eine Gratwanderung, pure Unvernunft, so der Berner, schließlich sei die Geschichte des Symphonieorchesters schon geschrieben, was solle man da noch hinzufügen? Bedenkenlose Anarchie hieß die Lösung, der Verfahrensweise eines Frank Zappa verwandt. Vergleiche mit dessen orchestralen Schaffen drängen sich während der unfassbar spannenden Show immer wieder auf, mit dem einen Unterschied: Zappa war nicht solch ein begnadeter Vokalist.

Gleich zu Beginn leiten ein paar schräge Fanfaren in hektische melodische Hakenschläge, die der Sänger mit dem Bläsersatz und den tiefen Streichern im Unisono vollführt. Er kippt hoch ins Falsett, gibt an die Posaune ab (Andreas Tschopp) unter deren New Orleans-haftem Solo sich Holzbläser, Xylophon und Streicherpizzicati tummeln. Mit „Seven Oaks“ ist der Kurs gesteckt, und das „Preludium“ führt tiefer in die instrumentale Detailarbeit hinein: Röhrenglocken und ein weihevoller Choral hauchen Harfengirlanden Leben ein, und die eskortieren eine sehnsüchtig-suchende Gesangesmelodie voll chromatischer Abgründe, koloriert von flirrenden Streichern. Ein jähes Innehalten: Glasige Violinen in höchsten Lagen begegnen Schaerers kristallinen Kastratentönen. Spätestens hier wird klar: Das ist großes Ohrenkino, bis ins Glockenspiel fein ausgeziert.

Im tänzelnden Dreierrhythmus bricht die Band sodann in ein aufgeregtes Schnattern und Quaken aus, das ist der „Zeusler“, ideale Projektionsfläche für Schaerers Akrobatik: Er dialogisiert mit sich selbst, mimt den Rapper, Dandy, Chorknaben in Personalunion, steuert jede noch so feine Halbtonnuance im Affenzahn zielsicher an. Und dann schweigt der große Apparat bis auf die sechs Perkussionisten: Sie verzahnen sich mit Zungenschnalzen, Beatboxing und Nachtvogelpfeifen zu einem fantastischen Szenario zwischen Afrika und Minimal Music. Und nochmals ist eine Steigerung drin, sie heißt treffend „If Two Colosssuses“, eine „lustvolle Zermalmung“ der beiden Parteien. Dirigent Mariano Chiacchiarini vermittelt stets hellwach zwischen Orchester und Band, schließt man die Augen, meint man, vom Konzertsaal tue sich immer wieder in Sekundenschnelle eine Tür zum Jazzkeller auf.

Alles kulminiert schließlich darin, dass Schaerer selbst das Pult erklimmt, grollend die Bläser, fauchend die Streicher anheizt und mit Knabenstimme seine Schützlinge in romantische Verzückung versetzt – die jungen Musiker üben kollektive Improvisation. Dass sich die Hildegard und ihre 60 klassischen Freunde zum Finale noch aufs Opernparkett wagen, mit einer unverkennbaren Reminiszenz an Bizets „Carmen“, gespickt von einem herzblutenden Baritonsax (Benedikt Reising), verwundert dann kaum noch. Pure Unvernunft, ja. Aber den Unvernünftigen, den Gratwanderern, ihnen gehört in der Musik die ganze Welt.

© Stefan Franzen

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Side tracks #22: Von Mile End in die Welt (#6 – Canada 150)

Erik West Millette (Québec)
aktuelle Alben: West Trainz / Train Songs (L-Abe)


Ganz am Ende des Künstlerviertels Mile End in Montréal stößt man auf die Avenue Van Horne. Hier ist ein kleiner Park im Gedenken an die 2010 verstorbene Lhasa de Sela eingerichtet, auf einer anderen Freifläche stehen grandiose Schrottskulpturen von Glen Lemesurier, und hinter einer schweren Eisentür verbergen sich die Werkstätten etlicher Künstler. Hier hat auch Erik West Milette sein Headquarter, Chef des West Trainz-Projekt, ich möchte behaupten, des fabelhaftesten musikalischen Eisenbahn-Unternehmens unserer Zeit. Erik empfängt mich am Tor, als Gastgeschenk habe ich eine Ausgabe des deutschen Eisenbahnkuriers zum 125. Geburtstag der Höllentalbahn dabei.  In wenigen Minuten sind wir tief in der Historie der Canadian Pacific Railway drin – und in seiner eigenen Geschichte, die sich von Louisiana bis Québec quer über den nordamerikanischen Kontinent zieht.

Erik, kannst du zu Anfang etwas über deinen musikalischen Werdegang erzählen?

Erik West Millette: Ich bin klassisch ausgebildet, auf dem Kontrabass, dem Cello und in Komposition. Ich habe auch elektroakustische Musik gespielt. Ich habe in Russland studiert, danach einige Meisterklassen in Lübeck besucht. Es war fantastisch, sechs Monate lang in Norddeutschland zu sein. Da ging es hauptsächlich um historische Musik, Bach und andere Organisten. Da war ich zwanzig, später war ich am Rimsky-Korsakoff-Konservatorium, um Prokojieff und Rimsky-Korsakoff zu studieren, auch Meisterklassen auf dem Kontrabass zu machen. Danach habe ich eine Weile in Südfrankreich studiert, bevor ich nach Québec zurückkam, nach Montréal. Ich habe auch Gitarre, Keys und die Hammond B3 gespielt, die liebe ich. Sehr bald finge ich an, selbst Instrumente zu entwerfen, denn ich bin ein Klangforscher und suche nach der Seele des Sounds.

Dein Großvater war Eisenbahner, hat das dein Interesse für das ganze Thema geweckt?

West Millette: Auf jeden Fall. Mein Großvater Leo West hat für die CNR gearbeitet, die Canadian National Railway. Als ich vier Jahre alt war, hat er mich mit allen Leuten in der Kaboose bekannt gemacht, dem letzten Waggon, in dem die Arbeiter mitfahren, auch mit dem Lokomotivführer, und ich war sehr beeindruckt. Das war eine Diesellok, den Geruch fand ich toll. Meine Familie kam über New Orleans, Kansas, Chicago und New York hierher nach Montréal, mein Opa war Afroamerikaner und verliebte sich in eine Upper Class-Lady aus Québec City. Ich habe also immer noch Familie in Louisiana und Florida. Mein Urgroßvater arbeitete außerdem für die Canadian Pacific Railway und parallel war er musical director – vielleicht kam von ihm die Inspiration, die Themen Musik und Eisenbahn zu mischen. Weiterlesen

Gefühlte Muttersprachen

Ein freigeistiges Instrumentalquartett und eine herausragende Männerstimme – das sind die Zutaten für die vielleicht glücklichste Verbindung von Jazz und arabischer Färbung, die sich derzeit in Deutschland finden lässt. Das Quartett Masaa ist auf seinem dritten Album Outspoken zur Meisterschaft gereift: Die Stücke haben nun die Stringenz von Popsongs, und wie Geistesblitze fliegen die Improvisationen zwischen der Stimme des gebürtigen Libanesen Rabih Lahoud und der Trompete von Markus Rust hin und her. Am Piano liefert Clemens Pötzsch vorwärtsdrängende Akkorde und lyrische Passagen, erfindungsreich gestaltet Perkussionist Demian Kappenstein die perkussive Arbeit, auch mit Schrotteilen und Glöckchen. Anlässlich des Release habe ich mit Rabih Lahoud gesprochen.

Rabih, euer drittes Album heißt Outspoken. Dass ihr diesen Titel so formuliert habt, könnte ja implizieren, dass auf den Vorgängern noch eine Vorsicht da war, dass Manches nicht so direkt ausformuliert wurde…

Rabih Lahoud: Der Titel Outspoken signalisiert auf jeden Fall eine Weiterentwicklung von uns als Musikern, und auch von mir selbst als Sänger und Texter. Ich habe selbst das Gefühl, dass das jetzt gerader ist und stärker nach vorne ausgesprochen. Ich habe das im Rückblick wahrgenommen: nach der Einspielung habe ich die älteren Aufnahmen angeschaut, und auf meine Stimme, auf die Art des Zusammenspiels geachtet. Und da hatte ich sofort den Eindruck, dass jetzt alles klarer ist, wie ein Spiegel, der sauber gemacht wurde. Der Titel der CD hat aber auch damit zu tun, dass so viele verschiedene Botschaften durch die unterschiedlichen Sprachen drinstecken: Die Möglichkeit, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln das sagen zu können, was einen gerade bewegt. Weiterlesen

Die Weite Manitobas, der Puls von Montréal (#5 – Canada 150)

Geneviève Toupin (Manitoba)
aktuelles Album: Willows (Productions Sirène des Plaines)
aktuelles Projekt: Chances


Nachdem ich einen spannenden Songwriter-Abend im Verre Bouteille in Montréal verbracht hatte, entdeckte ich am Ausgang einen Flyer, auf dem ihr neues Projekt „Chances“ angekündigt wurde. Geneviève Toupins Musik kannte ich schon, seitdem Ulrich Schuwey, der wohl rührigste Experte franko-kanadischer Klänge unserer Breiten mich auf sie aufmerksam gemacht hatte. Grund genug, das Établissement im Norden der Stadt wieder aufzusuchen und Geneviève spontan für ein Interview zu treffen. Während des anregenden Gesprächs über Identitätsfindungen und -trennungen durch zwei Sprachen und drei kulturelle Wurzeln habe ich gelernt, dass die französische Diaspora über ganz Kanada verstreut ist – und ich habe auch zum ersten Mal richtig das Französisch von der anderen Seite des Atlantiks verstanden.


Geneviève, vor einigen Jahren hast du parallel ein Album auf Französisch und eines auf Englisch veröffentlicht. Sind da zwei Welten, zwei Identitäten in deinem Kopf? Weißt du bei den ersten Ideen für ein Lied schon, das wird auf Englisch oder das wird auf Französisch sein?

Geneviève Toupin: Das ist wirklich eine gute Frage. Ja, ich spüre, dass ich zwei Identitäten habe. Wenn ich auf Englisch schreibe, ist das ein ganz anderer Prozess. Die Melodien, selbst die Themen, über die ich schreibe, unterscheiden sich, es ist eine andere Intimität da. Auf meinem letzten Album Willows habe ich versucht, beide Welten ein bisschen zu vermischen. Es war ein interessantes schöpferisches Experiment, zu gucken, was dabei herauskommen wird. Ich habe gemerkt, dass ich trotzdem weiterhin getrennt in den beiden Sprachen kreiere. Und ja, sobald ich ein paar Akkorde für einen Song habe, weiß ich, ob ich ihn auf Französisch oder Englisch schreiben werde. Warum das so ist, kann ich dir nicht einmal sagen, das geht nach meinem Instinkt – und ich bin eine sehr instinktive Schreiberin. Es ist einfach so, dass ich merke, dass dieses oder jenes Gefühl in der einen bestimmten Sprache ausgedrückt werden möchte. Weiterlesen

Multi-Tasking mit Mallets (#4 – Canada 150)

Foto: William Mazzoleni

Joëlle Saint-Pierre (Québec)
aktuelles Album: Et Toi, Que Fais-Tu? (Eigenverlag)

Sie habe ich in einer Kneipe namens Le Verre Bouteille im Norden Montréals entdeckt, in Sichtweise des schiefen Olympiaturms. Dort treten immer wieder Musiker aus dem Songwriterfach auf, die man als ausländischer Kanada-Gast nicht unbedingt auf der Rechnung hat – am fraglichen Abend meines Besuches dort während des Montréal en Lumière-Festivals Mathieu Berubé, Chassepareil und eben sie. Joëlle schreibt ihre eigenen Lieder, zu denen sie sich aber nicht auf der Gitarre oder am Piano begleitet, sondern: auf dem Vibraphon. Das dürfte sie ziemlich einzigartig machen – nicht nur in Kanada.

Das Vibraphon ist ein Instrument, das man ja nicht oft im Chanson oder in der Popmusik findet. Wie hat deine Beziehung, deine Liebe zum Vibraphon angefangen? Kannst du beschreiben, was es für dich bedeutet?

Joelle Saint-Pierre: Als ich ein Kind war, habe ich Piano gelernt und dann Drums. Mit 12 bin ich aufs Konservatorium in Saguenay gegangen und habe dort das Fach Perkussion und klassische Perkussion belegt, ohne zu wissen, was mich erwartet. Ich musste mich da auch mit den Perkussionsinstrumenten mit Klaviatur befassen, also Marimba, Vibraphon und Xylophon. Die haben mir am meisten Spaß gemacht, denn die sind sehr spielerisch. Das Vibraphon spiele ich sehr zart, denn ich mag den Klang, wenn der Anschlag leise ist, die Obertöne sind reicher und das finde ich beruhigend. Der Klang des Vibraphons führt mich zu einer gewissen Einfachheit zurück, und das ist mein Ziel: in meinen Chansons die einfachen Sachen zum Ausdruck zu bringen. Weiterlesen

Amour avec le grand A

Heute beginnt die senegalesisch-französische Sängerin Awa Ly ihre Deutschlandtournee. Ihre Wurzeln gründen im Senegal, aufgewachsen ist sie jedoch in Paris und gelebt hat sie in Italien. Kein Zweifel, Awa Ly ist eine Kosmopolitin, und das hört man ihrer Musik auch an. Die 40-Jährige mit dem dunklen Timbre entwirft Songs, die Soul und Pop vereinen, mit jazzigem Flair spielen und hin und wieder auch die Zart- und Einfachheit des Folk zulassen. Für ihr viertes Album, mit dem sie erstmals in Deutschland in Erscheinung tritt, hat sie eine Band um sich geschart, die mit Bassist Greg Cohen sowie Produzent Jean Lamoot (Nneka, Salif Keita) internationale Größen ins Boot holt. Inspiriert zu diesem Zyklus wurde sie durch einen Traum, in dem ihr eine Schamanin erschien und die Ideen für Liedtexte einhauchte. Vom erdig-gospeligen „Storyteller“ über den leichtfüßigen Afro-Pop „Here“ mit dem senegalesischen Gast Faada Freddy bis zur fragilen Akustik von „Sunflowers“: Awa Lys Lieder entfalten sich mit Bedacht, offenbaren mal eine ruhige Pianolinie, hier eine chinesische Kniegeige, dort eine flirrende Linie auf der Stegharfe. Am besten gefallen hat mir die genauso schlichte wie sanfte Hit-Hymne „Wide Open“, die sie selbst als „Amour avec un grand A“ bezeichnet. Die Tourdaten gibt es hier.

Awa Ly: „Wide Open“
Quelle: youtube