Monat: Dezember 2023
Listenreich II: 23 Alben für 2023
Aron & The Jeri Jeri Band (Neuseeland/Senegal): Dama Bëgga Ñibi (Urban Trout Records/Indigo)
Balimaya Project (UK): When The Dust Settles (New Soil)
Bixiga 70 (Brasilien): Vapor (Glitterbeat/Indigo)
Adriana Calcanhotto (Brasilien): Errante (Modern/BMG)
Sarah Chaksad Large Ensemble (Schweiz): Together (Clap Your Hands)
Joy Denalane (Deutschland): Willpower (Four Music)
Carla Fuchs (Deutschland): Songbird (Talking Elephant)
Gurdjieff Ensemble (Armenien): Zartir (ECM)
Yumi Ito (Schweiz): Ysla (enja records Yellow Bird)
Petros Klampanis (Griechenland/USA): Tora Collective (enja)
Baaba Maal (Senegal): Being (Atelier Live)
Maro (Portugal): Hortelã (Secca Records)
Masaa (Deutschland/Libanon): Beit (Traumton/Indigo)
Marco Mezquida (Menorca): Tornado (Galileo)
Bänz Oester & The Rainmakers (Schweiz/Südafrika): Gratitude (enja)
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien) Toda La Vida, Un Dia (Sony)
Golnar Shahyar (Iran/Österreich): Tear Drop (Klaeng Records)
Slowfox 5 (Deutschland): Atlas (rent a dog/AL!VE)
Salvador Sobral (Portugal): Timbre (Warner)
Faraj Suleiman (Palästina): As Far As It Takes (Two Gentlemen)
Dudu Tassa & Jonny Greenwood (Israel/UK): Jarak Qaribak (World Circuit/BMG)
West Trainz (Kanada): Rail Nomads (L-Abe)
Adrian Younge & Tony Allen: (USA/Nigeria): Jazz Is Dead 18 (International Anthem)
Listenreich III: 23 Konzerte für 2023
Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks, Gewandhaus Leipzig (22.5.)
WINTER
– Witch’n’Monk (Freiburg.Phil.Club), Jazzhaus Freiburg 17.1.
– Philharmonisches Orchester Freiburg, Peter Carp, André de Ridder, Inga Schäfer u.a.: Nico Muhly „Marnie“, Theater Freiburg 19.1.
– Holst Sinfonietta, Steve Reich „Desert Music“, E-Werk Freiburg 28.1.
– Philharmonisches Orchester Freiburg, André de Ridder, Richard Strauss: „Eine Alpensinfonie“, Konzerthaus Freiburg 14.2.
– Lady Blackbird, Mascotte Zürich 21.2.
Lady Blackbird, Mascotte Zürich (21.2.)
– Masaa, Reithalle Offenburg 11.3.
– Golnar Shahyar, Theater Basel 20.3.
FRÜHLING
– Sílvia Pérez Cruz, Teatro Municipal Girona 21.4.
Sílvia Pérez Cruz, Teatro Municipal Girona (21.4.)
– Niels Frevert, Waldsee Freiburg 11.5.
– City of Birmingham Symphony Orchestra, Roberto Treviño: Gustav Mahler – Sinfonie Nr.10, Gewandhaus Leipzig 21.5.
– BR-Symphonieorchester, Daniel Harding: Gustav Mahler – Sinfonie Nr.7, Gewandhaus Leipzig 22.5.
– Budapest Festival Orchestra, Iván Fisher: Gustav Mahler – Sinfonie Nr.9, Gewandhaus Leipzig 23.5.
– Kayhan Kalhor, Konzerthaus Freiburg 3.6.
SOMMER
– Derya Yildirim, Kommunales Kino Freiburg 14.7.
– ADG7 & Sahra Halgan, Rosenfelspark Lörrach 26.7.
– Marcia Griffiths, African Music Festival Emmendingen 5.8.
– Fergus McCreadie Trio, Forum Merzhausen 21.9.
Caetano Veloso, Elbphilharmonie Hamburg (4.10.) © Daniel Dittus
HERBST
– Caetano Veloso, Elbphilharmonie Hamburg 4.10.
– Joyce Moreno & Louis Matute, Moods Zürich 15.10.
Joyce Moreno & Louis Matute Quintet, Moods Zürich (15.10.)
– Misagh Joolaee & Behnam Samani, Schloss Ebnet 3.11.
– Bill Frisell Trio, Jazzdor Strasbourg 10.11.
Bill Frisell Trio, Jazzdor Strasbourg (10.11.)
– Philharmonisches Orchester Freiburg, Anna Rakitina: Sergej Rachmaninoff – Sinfonie Nr.2 u.a. 12.12.
– SWR Symphonieorchester, Teodor Currentzis: Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 10 u.a. 15.12.
Haus am See
Nein, ich spiele hier nicht auf den Hit von Peter Fox an. Heute geht es um Sergej und Natalja und ihre Villa Senar am Vierwaldstättersee. Das Gewässer scheint eine besondere Anziehungskraft für ruhebedürftige Komponisten gehabt zu haben. Wenige Minuten außerhalb von Luzern residierte ab 1866 im Tribschener Landhaus Richard Wagner, wir aber wenden uns an diesem herbstlichen Ausflugstag mit dem Schiff dem Ort Hertenstein auf der anderen, der Rigi-Seite des Sees zu.
Nach 15 Minuten Fahrt taucht ein safrangelbes, kubisches Anwesen auf. Es bildet einen nüchternen Kontrast zur runden, sanften Umgebung eines Parks. Das ist das Grundstück, auf dem Sergej Rachmaninoff fast die ganzen dreißiger Jahre hindurch eine der glücklichsten Phasen seines Lebens verbrachte.
Erst einmal betätigte er sich als Landschaftsarchitekt und griff kräftig in die Natur ein: Er sprengte das Ufer ab, baute Stützmauern, füllte das Gelände auf und ebnete es ein, ließ Bäume angeblich gar aus Russland kommen, und er beauftragte die Schweizer Architekten Alfred Möri und Karl Friedrich Krebs, die 1931 bis 1933 eine Villa im Bauhaus-Stil errichteten.
Er nannte sie Villa Senar, eine Verschränkung seines Vornamens mit dem von Ehefrau Natalja. Man kann sich am See kaum einen idyllischeren Platz vorstellen. Von der riesigen Terrasse und den Zimmern eröffnet sich eine spektakuläre Aussicht auf den Pilatus und den Bürgenstock.
Lange Jahre der kreativen Blockade waren den Schweizer Jahren vorausgegangen: Rachmaninoff feierte zwar riesige Erfolge als Klaviervirtuose in den USA, neue Werke schuf er kaum, ihm fehlte in der Neuen Welt die Inspiration des alten Russlands. Die Sehnsucht nach dem Eingebundensein in die Natur wie auf seinem Landgut Iwanowka, das er 1917 für immer verlassen hatte, fand in Hertenstein schließlich eine Erfüllung.
Der Virtuose und Geschäftsmann wurde wieder Komponist, schuf seine berühmten Paganini- und die weniger bekannten Corelli-Variationen und eine dritte Sinfonie. Die fand verhaltenen Anklang. Rachmaninoff erinnert sich: „Ihre Aufnahme bei Publikum und Kritikern war säuerlich. Eine Rezension liegt mir besonders schwer im Magen: dass ich keine 3. Symphonie mehr in mir habe. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass dies ein gutes Werk ist. 1939, bei Ausbruch des Kriegs, verließ Rachmaninoff die Schweiz und kehrte zurück nach Amerika.
Sergej Rachmaninoff dirigiert die 3. Sinfonie (Philadelphia Orchestra, 11.12.1939)
Quelle: youtube
Neuerdings kann man sein Anwesen wieder besichtigen. Bis 2012 hatte es noch sein Enkel Alexander bewohnt, danach bemühte sich der russische Gewaltherrscher um den Kauf. Glücklicherweise erwarb nach etlichem Hin und Her der Kanton Luzern die Liegenschaft und wandelte sie zusammen mit der Rachmaninoff-Stiftung zu einem Kultur- und Bildungszentrum um.
Schlendert man durch die Räume, sieht man eine nahezu unveränderte Einrichtung: Bis auf die Betten ist das Mobiliar noch vorhanden, man staunt über plüschige Sitzgruppen, exotische Lampen und originelle Standuhren, sogar der Geruch der 1930er scheint sich konserviert zu haben. Herzstück ist der angegliederte Kubus zur Seeseite hin: das Musikzimmer mit dem Original Steinway-Flügel von 1934, zur Wand hinzeigend, denn der Meister wollte beim Spielen das Licht auf Händen und Partituren.
Die sind noch in einem Wandregal gesammelt, und der Schreibtisch erweckt den Eindruck, Rachmaninoff könne jederzeit zurückkehren.
Am extra langen Flügel finden heute regelmäßig Konzerte statt und neuerdings auch CD-Aufnahmen. Der litauische Pianist Lukas Geniuşas hat hier kürzlich die erste Piano-Sonate in der schweren Originalfassung eingespielt.
Lukas Geniuşas spielt die Piano-Sonate No 1 in der Villa Senar
Quelle: youtube
Eine schöne Abrundung zum Thema Rachmaninoff wurde mir letzte Woche beim Besuch des Konzerts des Philharmonischen Orchesters Freiburg geschenkt. Die junge, ukrainisch-russische Dirigentin Anna Rakitina war zu Gast und bündelte souverän und mit sagenhafter Übersicht besonders den Schluss-Satz seiner Zweiten in eine mitreißende Dramaturgie.
alle Fotos + © Stefan Franzen (außer Philharmonisches Orchester FR: Susanne Göhner)
Sagenhafter Gestaltungswille
Basel ist exquisiter, international geprägter Nährboden für spannende Ensembles mit großer Besetzung. Das ließ sich schon mit dem Yumi Ito Orchestra vor einigen Jahren beobachten, und es gilt ebenso für die Arbeit der Saxophonistin Sarah Chaksad. Nach zwei Bigband-Platten hat sie nun auf „Together“ für eine etwas schlankere Dreizehner-Besetzung besonders klangfarbenreich komponiert. Das ist auch der ungewöhnlichen Bläsertextierung mit Flöten, Klarinetten, Bassetthorn, Ventilposaune und Euphonium zu verdanken. Schaukasten für Chaksads grandiose Instrumentationskniffe ist etwa das Thema von „Love Letters“, wo sich über dem Holz und Blech eine jubilierende E-Gitarre erhebt, oder die schwatzenden Dialoge der Bläser in „Imagine Peace“.
Das organische Herauslösen aus festgelegter Komposition hin zu Impro-Passagen und zurück lässt sich schön in der Melancholie der beiden „Green“-Stücke ablauschen. Yumi Itos helle Vocals sind als textloses Instrument oft fast unmerklich färbend eingebettet, sie hat aber in „Lost“ eine freie Spielwiese. Und im Titelstück gelingt es verblüffend, der persischen Spießgeige von Misagh Joolaee die Rolle der berührenden Erzählerin zu verleihen, sehnsüchtig und auch perkussiv treibend. Von A bis Z lebt diese Platte von Chaksads sagenhaftem Gestaltungsvermögen.
© Stefan Franzen