Farewell, Chef der Afrokelten


Er war das Mastermind des Afro Celt Sound Systems: Der Produzent, Gitarrist, DJ und Sänger Simon Emmerson hat uns am 13. März im Alter von 67 Jahren verlassen. Begonnen hatte Emmerson als Postpunk-Musiker, bevor er in den 1980ern in Cardiff mit der Band Weekend erstmals Weltmusik-Elemente aufnahm. Die nächste Karrierestation brachte ihn in den Reihen der Formation Working Week mit dem Acid Jazz in Berührung, danach spielte er bei der Popband Everything But The Girl. 1994 übernahm er die Produktion für das Album „Firin‘ In Fouta“ des senegalesischen Stars Baaba Maal, das für einen Grammy nominiert wurde.

Im Folgejahr gründete er das Afro Celt Sound System: Über neun Alben hinweg leistete das Kollektiv Pionierarbeit in der Zusammenführung von alten keltischen Melodien und afrikanischen Rhythmen. Irischer Dudelsack und westafrikanische Kora, Fiddle und Talking Drum bündelte Emmerson zu einem hochgradig tanzbaren Mix. In späteren Jahren traten Einflüsse aus der indischen Punjab-Musik hinzu.

Sein zweites großes Kollektiv war die 2004 gegründete Formation The Imagined Village, mit der er die traditionelle Seite der englischen Folkmusik mit Ska, Dub, Reggae und Bhangra verknüpfte, und in dem Größen wie Billy Bragg und Eliza Carthy zum Line-Up zählten. Neben den beiden Bandprojekten war Simon Emmerson weiterhin als Produzent tätig, etwa für Robert Plants „Life Begin Again“ (2003) oder Sinéad O’Connors „Collaborations“ (2005). Für die Royal Society for the Protection of Birds steuerte der Naturliebhaber Feldaufnahmen von Vogelstimmen bei. Emmerson stand für mehr als 80 Produktionen am Pult.

Simon Emmerson und den Afrokelten verdanke ich eine grandiose Tanzparty zu meinem 31. Geburtstag in Mainz. Cheers, Simon!

Afro Celt Sound System: „Whirl-y-reel 2“
Quelle: youtube

Frucht & Furcht des Frühlings


Brasilianische Musik scheint 2023 in ein neues Zeitalter der Entspannung zu gehen: Drei dringende Hörtipps für den Start in den Frühling!

„Meine einzige Angst ist der Frühling“, Meu Único Medo É Primavera (Ajabu! Records/Broken Silence) betitelt denn auch der brasilianische Songwriter Ian Lasserre sein aktuelles Werk. Dabei tönt der Liederzyklus des Bahianers mal relaxt wie ein Sonntagmorgenspaziergang mit knackiger Rhythmusgitarre („Abraxas“), träumerisch-melancholisch wie ein alter Milton Nascimento-Song mit Piano-Sentenzen („Estrela“) oder reibt sich auch mal an querständigen Jazzharmonien. Für alle Fans von Vinicius Cantuária!

Ian Lasserre: „Abraxas“
Quelle: youtube

Sehr zurückgelehnt gibt sich auch der in Kalifornien ansässige Gabriel da Rosa auf É O Que A Casa Oferece (Stones Throw). Sein Vokabular bleibt weitestgehend Samba- und Bossa-zentriert, aber alles anderes als altbacken. Spaß macht diese Scheibe, weil sie über der Akustikgitarre fantastisch mit Flöte, Bassklarinette, Posaune, butterweicher Elektrischer, lichtvollen Streichern, der genau richtigen Dosis Perkussion und Gabriels geschmeidig-knabenhafter Stimme textiert. Eine Musik, die duftet wie ein Frühlingstag im Jahre 1960, unser Anspieltipp heißt denn auch „Jasmim Parte 1“.

Gabriel da Rosa: „Jasmim Parte 1“
Quelle: youtube

Die verblüffendste Brasil-Platte des Frühlings kommt für mich aber aus Düsseldorf.  Ja, richtig gelesen. Die lusophile Stimmenkünstlerin und Songwriterin Elsa Johanna Mohr hat sich mit dem Gitarristen Flávio Nunes zu einem intimen Tête-à-tête zusammengefunden, das nicht nur alle deutsch-brasilianischen Fettnäpfchen, die da stehen könnten, ordentlich umschifft, sondern mit dem „Great Brazilian Songbook“ verschiedenster Genres und Geographien erfrischend und geradezu innovativ umgeht.

Der Afro-Samba „Tempo De Amor“ von Baden Powell wird funky rhythmisiert, „A Menina Dança“ klingt noch eine Spur swingender als bei Marisa Monte. Und „Fechada Pra Balanço“ hat genau die Gänsehaut-Blue Notes, nach denen das augenzwinkernde Stück verlangt. Mohr hat sich die portugiesische Sprache nicht nur wie eine Nativa angeeignet, sie versteht auch eine Menge vom effektvollen, sinnlichen Phrasieren im fremden Idiom. So rangieren unter den Highlights dann tatsächlich auch ihre fruchtigen Eigenkompositionen, wie die träumerische Bossapop-Ballade „Casuleira“ und das freche Titelstück „Passadinha“.

Elsa Johanna Mohr & Flávio Nunes: „Passadinha“
Quelle: youtube

Recherche in der Subsahara

DJ Steloo (Foto: Ensemble Recherche)

„Spotted: Subsahara“ heißt das aktuelle Programm des Ensemble Recherche mit zeitgenössischen afrikanischen Kompositionen. Zum Brückenschlag zählt auch eine Improvisation mit einem DJ aus Ghana. Das Ziel: Gleichberechtigte Begegnung statt eurozentrischem Blick.

Elektronische Klänge flackern durchs Ensemblehaus. Verfremdetes Flussplätschern, klackernde Rhythmen, dann ein grelles akustisches Signal. Eine Autohupe oder Tram-Bimmeln? DJ Steloo aus der ghanaischen Hauptstadt Accra hat diese Geräusche in Freiburg gesammelt. „Wenn die Leute mir neugierig zuschauen, wie ich mit meinem Aufnahmegerät unterwegs bin, ist das für mich schon eine Street Performance“, sagt er. Die Klänge will er mit Sounds aus Accra kombinieren und unter Beteiligung des Ensemble Recherche zu einem Stück bauen. Mit Pianist Klaus Steffes-Holländer und Perkussionist Christian Dierstein hat er schon gearbeitet. „Ich finde es von Vorteil, dass ich gar keinen Hintergrund mit klassischer Musik habe, so kann ich die Klänge des Ensembles ganz anders umarmen.“ Er ist begeistert, dass die Freiburger Musiker sich ihrerseits auf Improvisationen einlassen.

Steloo hat das Konzept des DJs zu einem Gesamtkunstwerk geweitet. Im Interview sitzt er mit verspiegelter Sonnenbrille und einer bunten Kopfbedeckung, die auch an eine alte Pilotenkappe erinnert. Mode und Musik gehören in seiner Performance untrennbar zusammen. „Oft haben Europäer immer noch eine Vorstellung von afrikanischer Musik, die von Trommeln ausgeht. Doch der Klang Afrikas wächst, verändert sich. Leute wie ich versuchen Stereotypen zu sprengen.“

Neben dem mit Steloo erarbeiteten Stück stellt das Ensemble Recherche vier südafrikanische und einen nigerianischen Tonschaffenden der zeitgenössischen Musik vor. Den Dialog zum anderen Erdteil auf Augenhöhe anzulegen, ist das Anliegen des Programms „Subsahara“. „Es gab eine lange Phase von musikalischem Exotismus. Aber heute ist es nicht mehr akzeptabel, dass man eine Plünderung außereuropäischer kultureller Ressourcen vornimmt“, sagt der australische Komponist Paul Clift, neuer künstlerischer Leiter des Ensemble Recherche. „Unsere Frage ist: Wie können wir einen behutsamen Kontakt schaffen, ohne koloniale Geisteshaltungen zu zementieren, ohne dass eine musikalische Syntax die andere ertränkt?“

Begonnen hatte das bereits mit der Reihe „Postcolonial Recherche“. Die Arbeit mit Komponistinnen und Komponisten rund um die Welt stellte die Musiker vor Herausforderungen. Partituren bestanden oft aus verbalen Anweisungen oder gar graphischen Darstellungen von Tieren und Pflanzen. Als Guide durch die Landkarte aktueller Kompositionen Afrikas fungiert für das Ensemble der Südafrikaner Bongani Ndodana-Breen, der Clift kuratierend zur Seite stand und steht. Er wird selbst mit dem Werk „Two Nguni Dances“ vertreten sein, das sich zwar in westlicher Notation fixieren lässt, aber trotzdem seine Arbeit mit der Tradition durchscheinen lässt. Sein Landsmann Njabulo Phungula hat mit “A Tap Releases The New Harmony” ein geschaffen, das seinen Impuls aus einer gestischen Gedichtzeile von Arthur Rimbaud bezieht. „Es mag sich für europäische Ohren fast ‚leer‘ anhören, es lässt viel Raum für Vorstellungskraft und Allegorien“, so Clift.

Mit Monthati Masebe und Tebogo Monnakgotla sind zwei Frauen mit ungewöhnlichen Perspektiven im Programm: Masebe antwortet als Gender Rights-Aktivistin mit ihrer Arbeit auf patriarchale Normen ihrer Heimat, stellt aber auch koloniale Hierarchien auf den Kopf: Im Stück „Meraro“ fordert sie von den westlichen Instrumenten, sich auf die Klangwelt indigener Mundbögen einzustellen. Monnakgotla dagegen bringt durch ihre Sozialisierung in Schweden eine Erneuerung der Ursprungskultur in Form von Streichtrios ein.

Während sich in Südafrika durch eine Infrastruktur mit Orchestern und Konzerthallen Traditionen oft mit westlichen Elementen vermischt haben, mag der Beitrag des Nigerianers Ayo Oluranti unsere Erwartungen an das „Afrikanische“ eher zu befriedigen, weil er auf der perkussiven Apala-Musik mit Polyrhythmen und Wiederholungen basiert. Aber ist das nicht schon wieder einer unserer Stereotypen? Es sind spannende Fragen, die das Ensemble Recherche mit „Subsahara“ anstößt. Clift stellt im Kontakt mit Afrika sogar den Begriff des „Komponisten“ zur Disposition: „Muss das immer ein Individuum sein, das seine Vision hierarchisch mit einem Ensemble teilt? Warum ‚Komponist‘ nicht verstehen als eine kollektive soziale Einheit?“

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 06.03.2023

Konzert: „Spotted: Subsahara“, Jazzhaus Freiburg, 8.3. 20h
Radio: Über die Arbeit des Ensemble Recherche wird das SRF 2 Musikmagazin am 11.3. ab 10h einen Beitrag bringen

Ayo Oluranti: „Ina Ran“
Quelle: youtube

Kubanisch-katalanischer Funkenflug


Ende April wird die katalanische Sängerin Sílvia Pérez Cruz ihre neue Platte Toda La Vida, Un Día veröffentlichen.

Ein Werk, das sich in fünf Sätze gliedert (jeder entspricht einer Etappe des Lebens) und das Sílvia mit vielen Gästen zwischen Barcelona, Havanna und Buenos Aires eingespielt hat.

Heute erscheint vorab die zweite Single „Nombrar Es Imposible“ aus dem 5. Satz namens „Renacimiento“ – eine vergnügliche Spazierfahrt durch Havanna, bei der ein Kontrabass eine besondere Rolle spielt.

Sílvia Pérez Cruz: „Nombrar Es Imposible“
Quelle: youtube

R.I.P. Wayne

Seinem lyrischen Ton konnte ich immer zuhören, auch wenn ich nie ein ausgesprochener Fan der Saxophonliteratur war.

Wayne Shorter, den ich vor allem bei seinen vielen Ausflügen abseits des Jazz schätzen lernte, von Milton Nascimento über Steely Dan bis Joni Mitchell, hat heute im Alter von 89 Jahren die Erde verlassen. Rest In Power.

Erinnern möchte ich an ihn mit einem seiner schönsten frühen Stücke, vom Post Bop-Album Speak No Evil auf Blue Note (1966).

Wayne Shorter: „Infant Eyes“
Quelle: youtube