Ins Weite-Festival: Matthieu Saglio

Foto: Ana Guimaras

Das Freiburger Festival Ins Weite zieht am 6.8. in den Innenhof des Museums für Neue Kunst, Adelhauser Str. 33A. Dort wird die Musikstrecke intime, akustische Züge annehmen. Den Auftakt macht der grandiose französisch-spanische Cellist Matthieu Saglio, der sein Album El Camino De Los Vientos auf ACT Records hier in ganz konzentrierter Form re-interpretieren wird, zusammen mit anderen Stücken aus seinem Repertoire. Tickets gibt es hier: Matthieu Saglio – Kommunales Kino Freiburg (koki-freiburg.de) und an der Abendkasse. Bei schlechtem Wetter ziehen wir ins Jazzhaus, Schnewlinstr. 1 um.

Und hier nochmals meine Rezension zum Album aus dem letzten Jahr:
Das Wesen des Windes ist es, dass man manchmal nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht, sagt Matthieu Saglio. Daher taugt er gut als Pate für sein Album: El Camino de los Vientos, der Weg der Winde, ist ein poetisches Bild für die unvorhersagbare Kreativität, die der französische Cellist durch die vielen Begegnungen für dieses Werk erfuhr. Ein Etikett möchte Saglio nicht auf seine Musik kleben, betont er. Nach einer klassischen Ausbildung hatte er immer wieder Lust, andere Gefilde zu erkunden, Einflüsse aus dem Jazz aufzunehmen, auch der Flamenco war wichtig, gerade in seiner Wahlheimat, dem spanischen Valencia. Dazu kommen auf seinem neuen Werk Elemente des arabischen Kulturraumes, aus Schwarzafrika, aus Indien, ein Mosaik, das der Geschichte Valencias mit ihren griechischen, römischen, westgotischen und maurischen Prägungen gleicht. Um dieses Mosaik aufregend zu gestalten, hat Saglio neben lokalen Musikern und Familienmitgliedern etliche berühmte Künstler eingeladen. Da ist der vietnamesische Gitarrist Nguyên Lê, der im zentralen Stück „Caravelle“ ein Schiff über den Ozean geleitet, auch mal Erinnerungen an Maurice Ravel liefert.

Der derzeit angesagte Akkordeonist Vincent Peirani tanzt mit Saglio einen „Boléro triste“, in „Amanecer“ lässt der Norweger Nils Petter Molvær mit seiner Trompete die Sonne aufgehen. Ein bewegender Moment auch, wenn Saglios Bruder Camille mit seiner Vokalkunst in „Atman“ in die Stimmung Indiens versetzt. Und immer wieder: Saglios wunderbar melodiöses, sangliches Cellospiel. Es erinnert mal an Barockmusik, mal an eine Flamencogitarre, wenn die Saiten gezupft werden, wirkt auch in virtuosen Läufen noch schwerelos. Umrahmt wird die Dramaturgie des Albums von zwei Stücken, die auf verschiedene spirituelle Sphären verweisen. Zu Beginn des Beitrags der allmorgendliche Ruf des Muezzins, ein fiktives, erfundenes Gebet auf den Saiten. Und am Ende kehrt man in die christliche Umgebung zurück, mit einem Solostück namens „Les Cathédrales“: Einen Cellisten, der ganz allein in einer Kathedrale sitzt, und dessen Klang hoch ins Gewölbe fliegt, habe er sich da vorgestellt, sagt Saglio. Die Spiritualität vereine die Menschen, das ist seine Überzeugung, und jeder soll eine Religion praktizieren oder auch gar keine, ganz wie er und sie es möchte. Für Matthieu Saglio gibt es da – ähnlich wie in seiner Musik – keine Barrieren.
© Stefan Franzen

Matthieu Saglio: Concert from Home
Quelle: youtube

Brasilianischer Sommer-Hattrick


Den fürchterlichen Nachrichten aus Brasilien steht eine rege Kreativität von unbeugsamen Künstlern entgegen. Und die Geschichte wiederholt sich: Vor 50 Jahren war die damalige Musikergeneration in einer ganz ähnlichen Situation. Meine drei Kurzempfehlungen für einen nicht nur unbeschwerten Sommer-Soundtrack.

Rodrigo Amarante
Drama
(Polyvinyl)

Wer in den letzten Jahren aufmerksam die Brasil-Szene verfolgt hat, dem ist der Name Rodrigo Amarante nicht entgangen. Der ehemalige Kopf der Band Los Hermanos und der Sambagruppe Orquestra Imperial, Songschreiber für Norah Jones und Gilberto Gil veröffentlicht mit Drama jetzt sein zweites Soloalbum. Die elf Songs des weltläufigen Carioca mit jetzigem Wohnsitz L.A. haben eine immense Spannbreite. Akustische Dreampop-Momente becircen in „Tango“. Vernuschelte Bossa und Erinnerungen an Filmhits der Sechziger und die Melancholie eines Scott Walker zieren das Stimmungsbild, im herausragenden Track „Tao“ gleitet man in mild köchelnden Funk hinein – und stets ist alles schön räumlich mit Streichern und Blech aufgefächert. Ein nostalgisches Meisterwerk, das genauso unaufdringlich wie detailbesessen ist.

Rodrigo Amarante: „Maré“
Quelle: youtube


Lucas Santtana

3 Sessions In A Greenhouse
(Mais Um Discos/Indigo)

Fünfzehn Jahre nach dem ursprünglichen Release veröffentlicht Mais Um Discos ein frühes Meisterwerk des Songwriters Lucas Santtana für den hiesigen Markt. 3 Sessions In A Greenhouse enthüllt eine schwer experimentelle Phase des Mannes aus Salvador. Die acht Tracks, davon zwei Covers von Tom Zé und der Nação Zumbi, haben eine satte Dubphilosophie aufgesogen, sind unterfüttert von grandiosen Perkussionsgeflechten und schwelgen in bekifften Blechfanfaren. Durch das Remastering sind diese rauschhaften Klangschätze von 2006 nochmals räumlicher geworden.

Lucas Santtana:  „Ogodô Ano 2000 (feat.Tom Zé)
Quelle: youtube


José Mauro

A Viagem Das Horas
(Far Out)

Die Wiederveröffentlichung von José Mauros Werk beamt uns ins Rio des Jahres 1970 zurück. Es ist nach Obnoxious der zweite Re-Issue des Londoner Labels, der sich mit dem heute nahezu vergessenen Musiker befasst, der gerade mal zwei Alben auf dem kleinen Label Quartin veröffentlichte. Schwüle Chansonmelancholie paart sich mit Samba-Unterbau, einem verhallten Streichorchester und der barocken Psychedelia eines frühen Milton Nascimento, die Mauro in die Nähe des Clube da Esquina-Sound rückt. Man hört in der omnipräsenten Schwermut dieser Songs förmlich, welche Bürde es für einen Freigeist gewesen muss, unter der Militärdiktatur zu existieren.

José Mauro: „A Viagem Das Horas“
Quelle: youtube

Freiburger Festival „Ins Weite“: Beyond The Roots & San Salvador

Beyond The Roots & San Salvador (Fotos: Bassem Hawar & Antoine Parouty)

Auf ein Neues! Nach der erfolgreichen Erstausgabe des Film-, Literatur und Musikfestivals „Ins Weite“ starten wir auch dieses Jahr wieder durch. Als Musikkurator darf ich an dieser Stelle die ersten beiden Konzerte innerhalb des vom Kommunalen Kino Freiburg e.V. veranstalteten Festivals ankündigen.

Die Strecke mit Klängen aus aller Welt präsentiert im Mensagarten und im Innenhof des Museums für Neue Kunst Musiker*innen, die sich mit dem Thema Reise auseinandersetzen oder allein durch ihre Biographien Reisende zwischen den Klangwelten sind. Im Zentrum stehen Konzerte innerhalb der zwei Festivalschwerpunkte: „Die Welt als Mosaik“ stellt Musiker vor, die Eindrücke aus allen Erdteilen zu Kompositionen und Songs verarbeitet haben, und bei „Nach Osten“ entfaltet sich eine Reiseroute von Anatolien über Kurdistan und den Iran bis nach Indien. Mediterrane Farben komplettieren diese Musikstrecke. Wir freuen uns, dass etliche Acts gewonnen werden konnten, die noch nie in Freiburg zu Gast waren, für das hiesige Publikum also echte Neuentdeckungen sind.

Zum Auftakt begrüßen wir ein weltläufiges Ensemble, das gleichzeitig eine lokale Anbindung hat. Beyond The Roots (24.7, 19h) ist ein neu gegründetes Kollektiv aus Köln um die Klarinettistin Annette Maye (Fis Füz). Das Ensemble spielt eine „Welt-Kammermusik“, die von der Kraft der Improvisation lebt, und umspannt Mitteleuropa, den türkischen, persischen und indischen Kulturraum. Am 25.7. um 20h präsentieren wir Shooting Stars der Roots Music-Szene aus Frankreich: Von ihrer Heimat im Massif Central aus bricht die A Cappella- und Trommel-Band San Salvador zu einer atemberaubenden, mitreißenden Reise auf – von den okzitanischen Troubadouren in die moderne Welt. Die pure Kraft der menschlichen Stimme aus sechs Kehlen hat man selten so atemberaubend und druckvoll erlebt. Unser besondere Empfehlung!

Tickets sind auf der Seite des Kommunalen Kinos erhältlich:
Ins Weite 2021 – Kommunales Kino Freiburg (koki-freiburg.de)

San Salvador: La Liseta (live)
Quelle: youtube
Beyond The Roots feat. Murat Coskun (live)
Quelle: youtube

Radiotipp: Der Choro – Brasiliens unbekannte Seele

Pixinguinha, das Choro-Genie

SWR 2 Musikstunde
Der Choro – Brasiliens unbekannte Seele
19. – 23.07.2021, 9h05 – 10h

von Stefan Franzen

Als „musikalische Seele Brasiliens“ bezeichnete ihn Heitor Villa-Lobos: Der Choro entstand vor rund 150 Jahren aus der Begegnung von europäischen Tanzformen mit afrikanischen Rhythmen. Unverkennbar ist er durch seine originelle Instrumentation und seinen melodisch-harmonischen Reichtum. Illustre Persönlichkeiten wie Pixinguinha, Jacob do Bandolim, Waldir Azevedo oder Garoto haben ihn geprägt.

Johann Sebastian Bachs und Antonio Vivaldis Musik wurden in sein Kleid gesteckt. Jazzer wie Wynton Marsalis oder Popgrößen wie Marisa Monte ließen sich durch ihn verführen. Und er hat regelrechte Hits hervorgebracht: „Tico-Tico No Fubá“, „Carinhoso“ (Brasiliens heimliche Nationalhymne) und „Brasileirinho“. Die Musikstunde geleitet durch die wechselvolle Entstehung und Geschichte des Choro mit Seitenpfaden in den Samba und den Jazz, den Barock und die Moderne.

Teil 1: Vom Königshof auf Rios Straßen (19.07.)
Teil 2: Pixinguinha, das Choro-Genie (20.07.)
Teil 3: Ein zweifacher Wettstreit (21.07.)
Teil 4: Flirt mit Barock, Inspiration der Moderne (22.07.)
Teil 5: Wandelbar und zeitlos (23.07.)

Nach der Ausstrahlung ist die Sendereihe ein Jahr im Podcast nachzuhören: Der Choro – Brasiliens unbekannte Seele (1-5) – SWR2
Außerdem wird sie in der ARD Audiothek zum Abruf bereitstehen.

Hamilton de Holanda & Wynton Marsalis: „Um A Zéro“
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Deutsch-brasilianischer Nährboden

Foto: Dumitrita Gore

Juliana Blumenschein ist in Deutschland mit brasilianischen Eltern aufgewachsen und mit Jazz, Soul und Gospel sozialisiert – das ergibt einen schönen Nährboden für die eigene Musik. Diese hat sie an der Musikhochschule in Mannheim und bei einem Aufenthalt in Salvador da Bahia reifen lassen. Ihre Debütscheibe A Vida (Recordjet) stellt sie jetzt der Öffentlichkeit vor, unter anderem in meinem Interviewbeitrag für SRF 2 Kultur, der am Dienstag, den 13.7. ab 20h in der Sendung „Jazz & World aktuell“ läuft.

Juliana Blumenschein Quintett: „A Vida“ (live)
Quelle: youtube

Weinendes Aprikosenholz

Foto: Sebmaouani (Creative Commons)

Im Alter von 92 Jahren ist der armenische Duduk-Spieler Djivan Gasparyan am 6. Juli gestorben. Sein Name war fast ein Synonym für die nahöstliche Folk-Oboe aus Aprikosenholz, deren dunklen, wehmütigen Klang Gasparyan weltweit bekannt gemacht hat. Der 1928 nahe Eriwan geborene Musiker fand seinen Weg zum armenischen Nationalinstrument früh. Als Jugendlicher spielte er Duduk auf den Straßen, um sich und seine Geschwister zu ernähren, während der Vater im Krieg kämpfte und die Mutter bereits gestorben war. 1948 wurde er ausgewählt, um in einem Folklore-Ensemble durch die Sowjetrepubliken zu touren und spielte auch für Stalin. Der Westen wurde durch Aufnahmen auf dem russischen Melodia-Label auf ihn aufmerksam, die Brian Eno Ende der 1980er lizensierte.

Gasparyans erstes internationales Album wurde 1989 als I Will Not Be Sad In This World veröffentlicht und war den Opfern des großen Erdbebens in Armenien im Jahr zuvor gewidmet. Nachdem Armenien 1991 Unabhängigkeitsstatus erlangt hatte, begann Gasparyans zweites künstlerisches Leben mit Tourneen weltweit und Teamworks mit einem breiten Spektrum von Musikern, Peter Gabriel, Andreas Vollenweider und das Kronos Quartet unter ihnen. Hierzulande ist er Weltmusikhörern vor allem durch seine Einspielungen auf Network Medien bekannt geworden. Dass der Duduk-Klang auch Eingang in die Filmmusik fand, ist ebenso ihm zu verdanken: Er spielte in den Soundtracks zu „The Crow“, „Gladiator“ und „Blood Diamond“ mit. 2010 hat Gasparyan die Oboe sogar auf die Bühne des Eurovision Song Contest gehievt, als er beim armenischen Beitrag „Apricot Stone“ mitspielte. Gasparyans Duduk-Erbe wird von seinem Enkel weitergeführt.

© Stefan Franzen

Djivan Gasparyan: „Sayat Nova“
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Entrückt mit Rückert

Komponierhäusl Maiernigg, Foto: Johann Jaritz (Creative Commons)

Heute ist Gustav Mahlers Geburtstag. Die Sommerzeit bot ihm regelmäßig das einzige Fenster für seine wahre Berufung, das Komponieren, dem er während der Ferien in verschiedenen Komponierhäusln nachging. Vor genau 120 Jahren beschäftigte er sich in seinem Refugium in Maiernigg am Wörthersee neben der 5. Sinfonie auch mit Vertonungen zu Gedichten von Friedrich Rückert. „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ ist für mich Mahlers schönstes Lied. Ein zeitloser, entrückter Gesang, der mit Orchester, kammermusikalisch, im großen Chorsatz und selbst mit Blechbläsern seine Wirkung entfaltet, wie die untenstehenden Versionen zeigen.

Unsterblich wurde das Lied in der Interpretation der englischen Altistin Kathleen Ferrier, die mit dem Dirigenten und Mahler-Schüler Bruno Walter hier Überirdisches geschaffen hat. Und das Eingangssolo dürfte zu den schönsten Englisch Horn-Passagen der ganzen klassischen Musikliteratur zählen.

Hier geht es nicht um Weltflucht oder gar einen Freitod. Es geht um ein Bekenntnis zur Musik, die sich abseits des ruhelosen, überdrehten und leeren Weltgetriebes eine eigene Sphäre bewahrt. Daher ist dieses Lied heute von größerer Aktualität denn je.

Kathleen Ferrier und die Wiener Philharmoniker, Leitung Bruno Walter (1952)
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SWR Vokalensemble Stuttgart: Arrangement von Clytus Gottwald für 16-stimmigen Chor
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Günther Groissböck & Gerold Huber: Fassung für Bariton und Klavier
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Mnozil Brass: Fassung für Blechbläser-Ensemble
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