R.I.P.: José Mauro

Selbst Brasil-Freaks hatten ihn lange kaum auf der Rechnung, denn er hat nur zwei – dafür aber umso grandiosere – Alben aufgenommen. Der Sänger, Gitarrist und Komponist José Mauro aus Rio de Janeiro ist nun im Alter von 75 Jahren gestorben. 1970 nahm er in den Odeon Studios seiner Heimatstadt den Klassiker „Obnoxious“ auf. Gefolgt wurde diese Rarität von „A Viagem Das Horas“ im Jahre 1976. Beide Platten erschienen auf dem kleinen Label Quantin Records und waren Kleinode der brasilianischen Songwriting-Kunst, deutlich psychedelisch bis spirituell geprägt, beeinflusst von Samba und Candomblé-Motiven, mit elaborierten, überwältigenden Orchesterfarben von Lindolfo Gaya geadelt. Mauros Gästeliste konnte sich sehen lassen: Der Sänger und Perkussionist Wilson Das Neves, Pianist Dom Salvador, Azymuth-Drummer Ivan Conti und Klarinettist Paulo Moura zählten zu den illustren Mitwirkenden.

Da Mauro nach 1976 in der Versenkung verschwand, bildeten sich Mythen um ihn, man munkelte, das in Brasilien herrschende Militär hätte ihn entführt oder er sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Doch Mauro hatte einfach beschlossen, sich mangels Erfolg aus dem Plattengeschäft zurückzuziehen, schrieb aber weiter Musik fürs Theater und erteilte Gitarrenunterricht bis er an Parkinson erkrankte. 2016 und 2021 wurden die Meisterwerke vom englischen Label Far Out wiederveröffentlicht und Mauro erhielt zumindest bei einer erlesenen internationalen Fangemeinde die Bekanntheit, die ihm gebührt.

José Mauro: „Ancoradouro“
Quelle: youtube

Brasilianischer Sommer-Hattrick


Den fürchterlichen Nachrichten aus Brasilien steht eine rege Kreativität von unbeugsamen Künstlern entgegen. Und die Geschichte wiederholt sich: Vor 50 Jahren war die damalige Musikergeneration in einer ganz ähnlichen Situation. Meine drei Kurzempfehlungen für einen nicht nur unbeschwerten Sommer-Soundtrack.

Rodrigo Amarante
Drama
(Polyvinyl)

Wer in den letzten Jahren aufmerksam die Brasil-Szene verfolgt hat, dem ist der Name Rodrigo Amarante nicht entgangen. Der ehemalige Kopf der Band Los Hermanos und der Sambagruppe Orquestra Imperial, Songschreiber für Norah Jones und Gilberto Gil veröffentlicht mit Drama jetzt sein zweites Soloalbum. Die elf Songs des weltläufigen Carioca mit jetzigem Wohnsitz L.A. haben eine immense Spannbreite. Akustische Dreampop-Momente becircen in „Tango“. Vernuschelte Bossa und Erinnerungen an Filmhits der Sechziger und die Melancholie eines Scott Walker zieren das Stimmungsbild, im herausragenden Track „Tao“ gleitet man in mild köchelnden Funk hinein – und stets ist alles schön räumlich mit Streichern und Blech aufgefächert. Ein nostalgisches Meisterwerk, das genauso unaufdringlich wie detailbesessen ist.

Rodrigo Amarante: „Maré“
Quelle: youtube


Lucas Santtana

3 Sessions In A Greenhouse
(Mais Um Discos/Indigo)

Fünfzehn Jahre nach dem ursprünglichen Release veröffentlicht Mais Um Discos ein frühes Meisterwerk des Songwriters Lucas Santtana für den hiesigen Markt. 3 Sessions In A Greenhouse enthüllt eine schwer experimentelle Phase des Mannes aus Salvador. Die acht Tracks, davon zwei Covers von Tom Zé und der Nação Zumbi, haben eine satte Dubphilosophie aufgesogen, sind unterfüttert von grandiosen Perkussionsgeflechten und schwelgen in bekifften Blechfanfaren. Durch das Remastering sind diese rauschhaften Klangschätze von 2006 nochmals räumlicher geworden.

Lucas Santtana:  „Ogodô Ano 2000 (feat.Tom Zé)
Quelle: youtube


José Mauro

A Viagem Das Horas
(Far Out)

Die Wiederveröffentlichung von José Mauros Werk beamt uns ins Rio des Jahres 1970 zurück. Es ist nach Obnoxious der zweite Re-Issue des Londoner Labels, der sich mit dem heute nahezu vergessenen Musiker befasst, der gerade mal zwei Alben auf dem kleinen Label Quartin veröffentlichte. Schwüle Chansonmelancholie paart sich mit Samba-Unterbau, einem verhallten Streichorchester und der barocken Psychedelia eines frühen Milton Nascimento, die Mauro in die Nähe des Clube da Esquina-Sound rückt. Man hört in der omnipräsenten Schwermut dieser Songs förmlich, welche Bürde es für einen Freigeist gewesen muss, unter der Militärdiktatur zu existieren.

José Mauro: „A Viagem Das Horas“
Quelle: youtube