Vardan Hovanissian & Emre Gültekin
Karin
(Muziek Publique/Galileo)
Oft wirken musikalische Versöhnungsprojekte gewollt und gekünstelt. In diesem Falle aber steht die Zwiesprache zweier Ausnahmekönner im Mittelpunkt, die einen grandiosen Flow zwischen einem ganzen Mosaik von Regionen des Kaukasus und Anatoliens herstellen. Der armenische Duduk-Virtuose Vardan Hovanissian, Enkel eines Genozid-Überlebenden und der türkischstämmige Saz-Spieler Emre Gültekin beschreiten diese Brücke mit belgischen Mitmusikern an Kontrabass und Perkussion zum zweiten Mal auf einem Album. Es nennt sich Karin und feiert eine Ära des friedlichen Miteinanders in der gleichnamigen armenischen Metropole von einst, die heute türkisch ist und jetzt Erzurum heißt. Traditionelle Stücke aus der Zeit des armenischen Barden Sayat Nova wechseln sich mit Neukompositionen ab,Instrumentals mit gesungenen Stücken in vier Sprachen (Armenisch, Türkisch, Kurdisch, Georgisch).
Ein ergreifender und melancholischer Ton liegt über der gesamten CD, reich wird die Textur durch das Ausreizen aller Mitglieder der Saz-Familie sowie weiteren Saiteninstrumenten wie der Kopuz oder der Shvi-Flöte. Das kammermusikalische Musizieren wird immer dann besonders intensiv, wenn Vokalisten hinzutreten: So etwa in “Mawda”, einer Widmung der Sängerin Gülçiçek Bakur an ein erschossenes kurdisches Flüchtlingsmädchen, oder in der tiefen Spiritualität des alevitischen Gedichts “Medet Erelner”, in der sich Gültekin selbst als seelenvoller Bariton erweist. Lebhafte Einschübe wie “Hamchena Par”, ein 9/8-Tanz der armenischen Hemshin-Minderheit, ein Hochzeitstanz aus der Schwarzmeermetropole Trabzon oder ein georgisches Lied über enttäuschte Liebe mit kehligem Chorgesang bilden ein schönes Gleichgewicht zur Innerlichkeit.
© Stefan Franzen