Wieder muss der viel zu frühe Tod eines Großen vermeldet werden: Im Alter von 59 Jahren ist am Mittwoch der franko-algerische Sänger und Songwriter Rachid Taha an einem Herzanfall gestorben. Als die Weltmusik noch nicht mal am Horizont erschien, paarte er bereits algerisches Erbe mit Rock’n‘Roll. Rachid Taha, in der Nähe des algerischen Oran 1958 geboren, kommt als Kind bereits mit der Familie nach Frankreich und entwickelt sich als junger Mann zum Querkopf, der gegen die Ressentiments gegenüber den „Beurs“, den maghrebinischen Einwanderern, aufbegehrt. In Lyon arbeitet er in einer Fabrik und koppelt abends als DJ im eigenen Club die Lieder der ägyptischen Diva Oum Kalthoum mit Kraftwerk und Led Zeppelin. „Carte De Séjour“, Aufenthaltserlaubnis, heißt ironischerweise seine erste Band, die 1986 einen Hit mit „Douce France“ haben. Da ist schon der Produzent Steve Hillage auf den jungen Wilden Rachid Taha aufmerksam geworden, er wird über zwanzig Jahre mit ihm arbeiten.
Taha führt einen neuen Sound in die arabische Musik ein: Keine Herzschmerz-Klischees mehr, auch keine Farben des Rai, wie die beliebteste Popmusik in Algerien heißt – seine Kompassnadel ist auf englischen Rock und Punk ausgerichtet. Sein Solo-Durchbruch erfolgt mit dem sehr elektronischen, von House und Techno-Ästhetik geprägten Album „Olé Olé“ 1995. Schon das Titelbild ist eine Provokation: Taha lässt sich als blonder und blauäugiger Popper porträtieren. Doch freilich vergisst der Algerier nie seine Herkunft: Auf seinen beiden „Diwân“-Alben breitet er, mit viel traditionellem Instrumentarium, seine Liebe zu arabischen Schlagersängern vergangener Jahrzehnte aus, covert den Mega-Hit „Ya Rayah“ mit seiner ihm eigenen Schnoddrigkeit und viel Reibeisen in der Stimme. Parallel dazu geht er eine Kollaboration mit den beiden Rai-Granden Khaled und Faudel ein, was auf der Platte und im Film „1, 2, 3 Soleil“ dokumentiert ist.
Wie gesellschaftskritisch er während seiner gesamten Karriere geblieben ist, lässt sich beispielsweise auf dem Meisterwerk “Tékitoi“ ablauschen, auf dem er eine apokalyptische Vision einer Gesellschaft am selbstverschuldeten Abgrund entwirft. „Ich träumte davon, von meinen Albträumen zu singen“, lautet sein lakonischer Kommentar zu diesem Werk. Und inmitten der Songs siedelt seine Version von „Rock The Kasbah“, die, zumindest Taha zufolge ohnehin nicht von The Clash, sondern aus seiner eigenen Feder stammt – er habe Joe Strummer, dem Leader der Punkband, schon in frühen Jahren ein Demo des Songs zugesteckt. Der Maghreb und Frankreich haben einen ihrer scharfzüngigsten Songwriter verloren.
© Stefan Franzen