Eine Schule des Lebens und des Todes

Fotoquelle: jbach, Flickr (Creative Commons)

Im Alter von nur 58 Jahren ist der malische Kora-Erneuerer und -Virtuose Toumani Diabaté nach kurzer Krankheit am 19. Juli in Bamako gestorben. Er war der international bekannteste Griot Westafrikas. Seine Reise führte durch Jazz, Flamenco, Blues und Pop, doch seine Stegharfe stand dabei stets in intensivem Kontakt zum Mutterboden. „Ich stehe in der 71. Generation einer Familie von Spielern der Kora, und ich habe sie immer als Identifikationsinstrument der Mande-Kultur respektiert“, sagte er mir 2006 in einem Interview. Toumanis Vater Sidiki nahm 1970 die erste Kora-Platte der Musikgeschichte auf, der Sohn trat dann schon in jungen Jahren als Innovator auf: „Ich hörte auch westliche Musik, Jimi Hendrix, James Brown, Otis Redding, Steve Wonder. Seit damals wollte ich alles unternehmen, um eine universelle Pforte für die Kora zu öffnen.“

Toumani Diabaté entwickelte in seinem Spiel eine stupende Unabhängigkeit von Bass, begleitenden Mittelstimmen und Improvisation auf den 21 Saiten wie kein anderer vor ihm, zu hören bereits auf dem ersten Solo-Album Kaira von 1988. Wenig später tat er sich mit dem englischen Folkjazz-Bassisten Danny Thompson und den spanischen Gitanos von Ketama zusammen, um die heute legendären Weltmusik-Frühwerke Songhai 1 & 2 aufzunehmen. Mit der US-Blueslegende Taj Mahal beschritt er 1999 die viel begangene Brücke zwischen Mali und Memphis, und im Team mit Jazzposaunist Roswell Rudd fand er 2002 swingende Dialoge zwischen zwei fast unvereinbaren Instrumenten. Sogar vom isländischen Popstar Björk erhielt er Heimbesuch, als sie neue Klangfarben für ihr 2007er-Album Volta suchte, mit Bluegrass-Star Béla Fleck ging er ebenfalls auf die Bühne. Diabaté suchte die intime Zwiesprache in Duos, wie etwa mit dem Kora-Kollegen Ballaké Sissoko, seinem Songhai-Kollegen Ali Farka Touré, schließlich auch mit dem eigenen Sohn Sidiki. Er machte aber auch Furore mit der Gründung der Bigband Symmetric Orchestra, in dem er alle Facetten und Talente aus dem Gebiet des Mande-Einflussgebietes wie in einem Brennspiegel sammelte, und er ließ die Kora in Dialog mit dem London Symphony Orchestra treten.

Nebenbei definierte er die Rolle des Griots ganz neu: „Heute ist seine Aufgabe, die Kultur der Mande-Völker über Afrikas Grenzen hinauszutragen, um andere Kulturen zu treffen. Der Griot ist nicht mehr dazu da, den Preis für einen speziellen Präsidenten zu singen, nein, er ist für die ganze Gesellschaft da. Denn die Schule des Griots ist eine Schule des Lebens und des Todes, eine Schule, in der gelehrt wird, wie sich ein Mensch zu den anderen verhalten soll, wie ein Mensch Frieden stiften kann.“ Für Toumani Diabaté galt stets: „Wenn das Mande-Reich eine Person wäre, dann wäre der Griot ihr Blut.“ Nicht nur Afrika, die ganze Welt hat einen großen musikalischen Vermittler und Denker verloren.

© Stefan Franzen

Toumani Diabaté & Sidiki Diabaté: „Jarabi“
Quelle: youtube

Neues von Malis Friedensbotschafterin

Fatoumata Diawara
Fenfo
(Wagram/Montuno/Indigo)

Sieben Jahre sind seit ihrem Debütalbum vergangen, und sieben Jahre sind eine lange Zeit, auch im vielleicht etwas langsamer mahlenden Weltmusik-Business. Doch man darf nicht vergessen, dass Fatoumata Diawara sich nicht ausschließlich als Sängerin sieht. Schon ihrem Debüt Fatou, für das sie als die neue Oumou Sangaré gefeiert wurde, ging eine Schauspielkarriere voraus, und die füllte auch einen Gutteil des Raums zwischen den beiden Alben: Im erschütternden Timbuktu des Mauretaniers Abderrahmane Sissako spielte sie eine Musikerin, die für ihren Beruf vom IS gesteinigt wurde, und in der Dokumentation Mali Blues erzählte sie ihre bittere Geschichte von Flucht vor Zwangsheirat und Beschneidung. Und ganz nebenbei war sie Studio- und Bühnenpartnerin von Herbie Hancock, dem kubanischen Pianisten Roberto Fonseca und Bobby Womack, setzte sich mit einem eigens komponierten Song für Einheit und Frieden im jüngst gebeutelten Mali ein.

Auch das Nachfolgewerk Fenfo kündet von ihrer entschlossenen Haltung. Übersetzt aus dem Bambara heißt der Titel: „etwas zu sagen“, die Themen drehen sich um Migration, Sehnsucht nach Liebe und die Erhaltung der Erde. Ein wenig tanzbarer („Nterini“, „Kanou Dan Yen“), auch  rockig-funkiger („Kokoro“, „Negue Negue“, „Bonya“) ist ihr Afro-Folk geworden, das liegt an einem afropäischen Team, das um klingenden Ausgleich zwischen den Kontinenten bemüht war und diese Balance auch ganz gut hingekriegt hat. Federführend ist der Franzose -M- (Mathieu Chedid) am Pult und an der Gitarre, für die afrikanischeren Farben ist Sidiki Diabaté an der Kora da, und die lyrischen Passagen werden durch den Mali-erprobten Cellisten Vincent Ségal („Don Do“) gezaubert. In der Mitte siedelt Diawaras Stimme, die für die stolzen, pentatonischen Melodien ein wunderbares Transportmittel ist – und die sich ihrer Gebrochenheit nicht schämt, keine vokale Brillanz erzeugen möchte, sondern vor allem einen kraftgeladenen, aufrichtigen Ausdruck. Und das geht ganz ohne Auto-Tune.

© Stefan Franzen
live:  26.5. Hannover, Masala Festival, 30.5. Würzburg, Africa Festival, 28.6. Fort Kléber, Wolfisheim/F, 8.7. Rudolstadt Festival

Fatoumata Diawara: Nterini“
Quelle: youtube