Von Vietnam über den Senegal ins Tessin

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                                                                    Foto: Johannes Rühl

Man stelle ein halbes Dutzend Musiker diverser Kulturen zusammen, lege einen Beat drunter und lasse jeden ein paar typische Versatzstücke aus seiner Heimat aus dem Ärmel schütteln. So funktionierte vielfach die Weltmusik der Achtziger und Neunziger. Doch diese Philosophie des kleinsten gemeinsamen Nenners ist längst überholt. Wenn sich heute Musiker zu einem globalen Projekt treffen, geht es oft darum, die Verschiedenheiten herauszumeißeln und während langer Prozesse zu einem Verstehen der Klangwelt des Anderen vorzudringen. Musik ist eben gerade eines nicht: eine Weltsprache.

Diese Überzeugung hat auch Johannes Rühl. Der ehemalige Vizeleiter des Freiburger Kulturamts, Forscher an der Hochschule in Luzern und Leiter des Festivals Alpentöne in Altdorf/Uri stellt für das Projekt „Building Bridges“ jedes Jahr sieben Künstler aus Hochkulturen des ganzen Erdballs zusammen. „Das Anliegen ist, ihnen eine Möglichkeit zu geben, in fast klösterlicher Ruhe zusammen zu arbeiten“, so der Produktionsleiter. „Dabei sollen sie nicht zwanghaft nach gemeinsamen Vokabeln suchen, sondern sich vielmehr über die verschiedenen Systeme zu unterhalten, über das, was der jeweils Andere gar nicht verstehen kann.“ Als Partner hat Rühl die Londoner Ethnologin Angela Hobart gewonnen, die in Ascona, unmittelbar unter dem Monte Veritá ein Begegnungszentrum betreibt, das bisher vor allem für völkerkundliche Symposien genutzt wurde. Rühl begeisterte sie für das musikalische Unterfangen, und so stellt Hobart nun neben den Räumlichkeiten – zusammen mit Zuschüssen von Behörden – auch die Geldmittel zur Verfügung.

Wer die Liste der diesjährigen Musiker studiert, kann sich klanglich kaum vorstellen, wie da derzeit im Tessin eine Verständigungsbasis gefunden wird: Da treffen der indische Sitarmeister Gaurav Mazumdar, ein Mitmusiker des Stargeigers Daniel Hope, auf das Bandoneón der Weltmusik-erfahrenen Schweizerin Helena Rüegg. Das Cello der Französin Sarah Lauet, eine Spezialistin für Alte Musik, wird sich mit dem Hackbrett des Persers Alireza Mortazavi arrangieren müssen – Rühl hat letzteren bereits vor zehn Jahren im Rahmen der Freiburger Städtepartnerschaft mit Isfahan kennengelernt. Klassische arabische Lautentradition bringt der Syrer Bahur Gazi mit ein, er arbeitete an renommierten Einrichtungen von Kairo bis Qatar, musste im Zuge des „arabischen Frühlings“ in die Schweiz fliehen.

Der exotischste Beitrag dürfte vom Vietnamesen Ngô Hông Quang kommen, der die Traditionen der Bergvölker studierte und eine Kniegeige sowie ein Monochord namens Dan Bao mitbringt. Schließlich ist auch der Senegalese und Wahlfreiburger Pape Dieye mit von der Partie – der Multiinstrumentalist hat durch die Asien-Reisen mit dem Freiburger Schlagzeugprofessor Bernhard Wulff bereits interkulturelle Erfahrungen. „Bei der Auswahl der Musiker spielen sowohl die Klangfarben als auch die Persönlichkeiten eine Rolle“, so Rühl, der auch zu berichten weiß, dass es bei der Probenarbeit übers Musikalische schon mal hinausgeht. „Letztes Jahr haben sich die Frauen untergebuttert gefühlt, und das musste dann erst mal ausdiskutiert werden.“ Und als ein nigerianischer Trommler mit seinem indischen Kollegen an der Tabla menschlich überhaupt nicht warm wurde, tauschten sie zwecks Annäherung kurzerhand die Instrumente.

Wie kann man das Ergebnis beschreiben, das bei Konzerten in der Schweiz und Deutschland präsentiert wird? „Es gibt improvisatorische Parts, von daher könnte man sagen, dass das Resultat teils dem Jazz verwandt ist“, meint Rühl. „Jeder Musiker bringt Stücke mit, die das Ensemble dann neu entwickelt. Wir kennen ja alle indische Klassik, und wir kennen alle Bandoneón, sind also im Grunde mehrfach zuhause in dieser Musik. Doch hier können wir miterleben, wie sich das Vertraute zu etwas Neuem, Spannendem zusammenfügt.“

© Stefan Franzen

Building Bridges live:
Friday, 28 October 2016, 8:30 pm, Teatro Dimitri, Verscio (CH)
Saturday, 29 October 2016, 8:45 pm, Teatro Sociale, Bellinzona (CH)
Sunday, 30 October 2016, 8:00 pm, E-werk, Freiburg (D)