Auf diese Debüt-LP, die heute 50 Jahre alt wird, habe ich sehr verspätet reagiert. Inmitten der musikalisch düsteren Achtziger (1984, um genau zu sein), haben mein Cousin und ich sie in Endlosschleife gehört (und versucht, „You Shook Me“ nachzukrähen).
Ich war zu jung, um Robert Plant und die Seinen während ihrer Blütezeit in Aktion zu erleben. Die zwei Mal, die ich Plant auf der Bühne sah, waren trotzdem besonders: 1993 auf einem riesigen Feld in Oxfordshire, wo er für 10.000 Folkies spielte, eingeladen von der befreundeten Band Fairport Convention. Und dann, ein Vierteljahrhundert später, beim letztjährigen Stimmen-Festival mit seinen Sensational Spaceshifters, die noch deutlicher die latente Nähe zum Britfolk zelebrierten, die es bei Led Zepp immer gab.
Heute schreit sich ein großer Teil der Hardrocker Melodien aus der Kehle, die auch auf einem Kindergeburtstag laufen könnten, und Deutschlands führende Rockzeitschrift muss Werbung für die Bundeswehr schalten. Umso größer ist die Wehmut, die einen angehörs dieser ungestümen Anfänge des Genres erfasst.
Led Zeppelin: „Dazed And Confused“ (1969 live in London)
Quelle: youtube
Carlos live in Colmar – das steht eigentlich unter guten Vorzeichen: Genau hier hat der Altmeister 1976 Teile seiner Platte „Moonflower“ mitgeschnitten. Freilich ist keiner der damaligen Musiker heute noch dabei. Die Position der Drummerin hat jetzt Gattin Cindy Blackman inne, die mit den Timbales von Karl Perazzo und den Congas von Paoli Mejías eine sehr kompakte perkussive Dreierkette bildet, wie sich im rituellen Afrorock von „Jingo“ zeigt. Mit Andy Vargas und Ray Greene verfügt Santana über zwei Sänger, die sich die Aspekte des Latinlovers und des Soulmans teilen, Greene packt zudem auch wiederholt die Posaune aus. In schwindelndem Übergang leitet das schiebende Bass-Riff von Benny Rietveld zu „A Love Supreme“ über, schon wird „Black Magic Woman“ serviert und „Oye Como Va“ nahtlos angeknüpft, garniert mit Live-Fotos und LP-Covern aus der frühen Laufbahn. Nach 25 Minuten hat man einen beachtlichen Teil der Siebzigerhits abgearbeitet, und längt ist klar: Santana zieht die Karte der durchorganisierten Karriere-Revue.
Die im Mittelteil zum Glück auch Räume zum Durchatmen lässt: Statt „Europa“ entscheidet er sich für seine andere große Ohne Worte-Ballade, das live selten gespielte „Samba Pa’Ti“. Er lockt das Thema zunächst ohne Plektron aus den Saiten, hält bei der Kadenz ganz lange, selbstversunken unter seiner Hutkrempe inne. Und wenig später gibt es einen wohltuend spontanen Moment: Keyboarder David Matthews wird vom Chef nach zwei Anfangsakkorden zurückgepfiffen, denn der hat tatsächlich Lust auf ein Exzerpt aus dem überragenden Werk „Caravanserai“. Es gipfelt im lyrisch-zärtlichen „Song Of The Wind“ mit glimmender Orgel, bauchiger Posaune und dem schönsten Gitarrensolo des Abends: ein bluesig-melodischer Fluss hinauf bis zum 24. Bund, ohne übertriebene Akrobatik, gezuckert mit einem „Frère Jacques“-Bonbon fürs französische Publikum.
Doch für den letzten, großen Akt wird wieder einige Gänge hochgeschaltet: Das begeistert in der Swamp Dogg-Nummer „Total Destruction Of Your Mind“, in der Ray Greene seine seelenvollen Qualitäten ausreizen kann und die Gitarre sich auch mal in funky „Wah Wah“-Wonne suhlt, Slap-Solo von Rietveld nachgeschaltet. Das ermüdet aber auch, als es in die „Supernatural“- und „Shaman“-Sektion geht, Santanas Alben des zweiten Frühlings. „Mona Lisa“, „Foo Foo“, „Corazón Espinado“: Die Sänger übernehmen in dieser Hit-Party das Animateurs-Zepter. Für „Maria Maria“ greift Santana kurz nach der Akustischen, sie wurde ihm so hingebastelt, dass er die Stromgitarre gar nicht abschnallen muss. Doch er tauscht er sie dann doch noch gegen eine himbeerrote um, die hat einen spitzeren Sound als das Goldstück, und er nutzt sie ausgiebig für Geräuschhaftes à la Hendrix.
Auf Hochtouren läuft jetzt die Medley-Maschine, nicht nur mit Eigenem: „Proud Mary“, “Satisfaction“, „Fever“ und – mit Gesangssolo des Rhythmusgitarristen Tommy Anthony – „Roxanne“: Man liefert en passant einen Schnelldurchgang durch die Pophistorie. Ehefrau Blackman bekommt auch noch ihr Solo, tanzt besessen auf den sechs Toms und gönnt der Bass-Drum keinen halben Takt Ruhe. Zu hohe Reizdichte das alles, zu wenig Raum für Imagination, und dann grüßen auf der Leinwand auch noch ein goldener Buddha und die Aufforderung: „Heal All With Your Light“. Knallig bunt wie sein von Afro-Masken gespicktes Shirt war Carlos Santanas zweistündige, selbstreferenzielle Show, aber auch steckengeblieben in einem endlosen Sommer der Liebe. Sich per Rückblick nochmals neu erfinden, das geht hingegen durchaus: Der fast gleichaltrige Robert Plant hatte es ein paar Tage zuvor in Lörrach vorgemacht.
Robert Plant hat nie einen Hehl aus seiner Achtung vor dem britischen Folk gemacht. Auf dem vierten Led Zeppelin-Album sang sogar die größte englische Folklady aller Zeiten, Sandy Denny die Ballade „The Battle Of Evermore“. Immer wieder tauchte der Bandleader im Folkkontext auf, so auch etwa beim Fairport Convention-Festival auf einer Wiese bei Cropredy im Jahre 1993, als sich Tausende von Folkies plötzlich mit einem kompletten Überraschungsauftritt des Led Zepp-Frontmann konfrontiert sahen. Und gerade in jüngeren Jahren rekurrierte Plant immer wieder auf das Roots-Terrain: Sei es mit der Bluegrass-Queen Alison Krauss, sei es mit seiner aktuellen Band The Sensational Space Shifters mit dem Violinisten Seth Lakeman, die gestern auf dem Marktplatz Lörrach eine Show zwischen neuinterpretierten Led Zeppelin-Klassikern, orientalisch gefärbten Tönen, Bluegrass, Blues und britischer Folkverpflichtung gaben. Am stärksten: die als „Black Forest“-Song angekündigte Version von „Little Maggie“ mit Banjo und dessen Vorläufer, der westafrikanischen Ngoni.
Plants Dauerflirt mit dem Folk wurde auch bei der Auswahl des Supportduos Rechnung getragen. Auf seine Empfehlung kamen die im UK preisgekrönte Sängerin Josienne Clarke und Gitarrist Ben Walker, geliebt vom Guardian und der BBC gleichermaßen. Ihr Magnum Opus Overnight haben sie in den Rocklands Studios in Wales eingespielt, wo auch Plant Anfang der 1980er seine ersten Solo-Gehversuche unternahm. Als Clarke das Traditional „Reynardine“ anstimmte, bekam sie Szenenapplaus: So berührend und kraftvoll leuchtend ist ihre Stimme, eine würdige Nachfolgerin von Plants einstiger Duopartnerin Denny. Josienne und Ben entgrenzen den Folk von seinen Wald- und Wiesenklischees: In seinem Begleitspiel auf der E-Gitarre ging Walker in Indie-Gefilde hinein, einen Dolly Parton-Song löste Clarke feinsinnig aus dem Country heraus. Ab und zu meinte man sogar höfische Renaissance-Klänge zu entdecken. Wie viel stärker noch hätte dieser Auftritt etwa in einem Setting des Lörracher Rosenfelsparks gewirkt. Ich hoffe, auf eine Rückkehr der beiden in intimerem Rahmen, und diese gibt es als nächstes in unserer Region am 28.11. in der Züricher Lokalität Bogen F.
Josienne Clarke & Ben Walker: „Overnight“
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