Robin Pecknold, Palace Theater St. Paul, NY, September 2017, Foto: Andy Witchger
Fleet Foxes
Palladium Köln, 1.12.2017
Der kalte Kasten im Kölner Norden, der sich Palladium nennt, ist für diese Musik eigentlich denkbar ungeeignet, so die erste schockartige Erkenntnis bei der Ankunft an diesem Grau-in- Schwarz-Novemberabend. Denn verkörpern die Fleet Foxes aus Seattle nicht die romantischste Band der Bewegung zarter Americana-Folkies? Fördern ihre terzenseligen Melodien nicht Im-Frühtau-zu-Berge-Aufbruchstimmung für globalisierte Wandervögel?
Das war auf den ersten beiden Alben sicherlich so – doch mit dem Werk Crack-Up ist die Musik der Westküstler weitaus abstrakter geworden, eine konzeptartige Suite mit Verweisen auf aktuelle Politik genauso wie auf die Antike. Und wie sich beim Rundblick ins Publikum schnell zeigt, sind sie auch keine Hipsterband mehr, sondern ziehen ein heterogenes Völkchen an: aufgeregte amerikanische Studentinnen genauso wie Mittfünfziger, die darüber diskutieren, ob Alice Cooper die ersten beiden Zappa-Platten produziert hat (oder nicht eher umgekehrt), und eine bierselige Clique, die alle Lieder textsicher so falsch mitgrölen wird, als seien es Bon Jovi-Klopfer.
Crack-Up lebt von so komplex gebauten Stücken mit nahezu absurden Tempi- und Harmoniewechseln, dass eine Live-Präsentation wenig Raum für Improvisation lässt. Es am Stück zu spielen, würde in Langeweile enden. Sänger Robin Pecknold und seine Mitstreiter machen das einzig Richtige: Sie zerpflücken ihr drittes Werk auf der Bühne in drei Teile. Den grummelnden Beginn von der Platte ersetzen sie durch ein fanfarenartiges Klassikstück (Aaron Copland?) und steigen dann kraftvoll in „Arroyo Seco“ ein. Die tighten Gesangsharmonien, die auf Tonträger nach vielstimmigem Chor klingen, wuppt der Frontmann allein mit dem Bassisten Christian Wargo, sein enger Mitstreiter Skyler Skjelset konzentriert sich auf gitarristische Feinarbeit, streicht die Saiten auch mal wie es sein Kollege von Sigur Rós tut.
Die Trumpfkarten für die schöne Textur des Sounds hat Morgan Henderson in den Händen: Er umrahmt in den Tiefen mit wunderbarem Streichbass und Euphonium, in den Höhen mit einer nicht unnötig ätherischen Querflöte und ganz vereinzelt auch mit einem freien Sax-Ausbruch. Von der Auffächerung der Klangfarben her glaubt man sich in solchen Momenten in einer Genesis-Show Anfang der 1970er.
Sehr bald schon streuen die Flottenfüchse Hits aus ihrem Frühwerk ein: Zum jubilierenden „White Winter Hymnal“ laufen verschneite Felswände auf der Leinwand, andere landschaftstrunkene Klassiker wie „Blue Ridge Mountains“ oder „Battery Kinzie“ folgen. Gerade von diesem Wechsel zwischen den straighten folkigen Tönen und den philosophischeren Windungen der Jetztzeit lebt die Show. Und irgendwann steht Pecknold dann tatsächlich ganz allein unter einem gigantischen Sternenhimmel da. Seine Stimme kann das, was vielen Hipster-Sängern der ersten und vor allem zweiten Welle abgeht: völlig unblasierten, unprätentiösen Wohlklang liefern.
Kernstück des Abends ist die zweite Hälfte von Crack-Up in einem Rutsch ab „Mearcstapa“. Beim extrem räumlichen, großorchestralen Sound der CD-Vorlage muss die Band hier zwangsläufig Abstriche machen, doch die Brüche zwischen den Akkorden und fast polyrhythmischen Verwerfungen kommen flüssig, vor allem Ergebnis der großartigen Verständigung zwischen Skjelset und Pecknold und der souveränen Taktgebung von Mattthew Barrick.
Es gibt nur einen Moment kurz vor dem allerletzten Finalakkord, in dem die Vokalharmonien so dick aufgetragen werden, dass das Wort „Kitsch“ durch den Kopf schießt. Doch hätte man vor 50 Jahren auch nur im entferntesten daran gedacht, Simon & Garfunkel oder die Pet Sounds der Beach Boys als cheesy zu bezeichnen? Wer es schafft, den vorherrschenden, kalten Hauch des Zeitgeists von 2017 abzustreifen, der muss einfach zugeben, dass die Fleet Foxes auch live die perfekte Balance zwischen Hippie und Hirn gefunden haben.
© Stefan Franzen