Danny Thompson & Lady Victoria

Foto: David Laws (Creative Commons)

Wenn es um einen Kontrabass ging, der grenzüberschreitend und global unterwegs war, dann gab es im UK seit den 1960ern eine Persönlichkeit, die unangefochten an der Spitze stand: Danny Thompson. Sein 160 Jahre alter Bass trug auch einen Namen, liebevoll nannte Thompson die auf Hunderten von Aufnahmen zu hörende viersaitige Lady „Victoria“. Am 23. September ist der Musiker im Alter von 86 Jahren im südenglischen Rickmansworth gestorben.

Danny Thompson war in den 1960ern bereits Mitglied bei Alexis Korners Blues Incorporated, beim Tubby Hayes Quartet, spielte mit Ginger Baker und John McLaughlin. Ein einziges Mal griff er zum E-Bass, als Roy Orbison ihn 1963 für eine Tour verpflichtete, auf der die Beatles den Support Act gaben. 1968 steuerte er den Bass zu Cliff Richards Grand Prix-Beitrag „Congratulations“ bei. International bekannt wurde er als Gründer der Band Pentangle an der Seite der Gitarristen John Renbourn und Bert Jansch, ab 1967 verband die Gruppe britische Folkmusik mit Blues, Jazz und Barock-Anleihen. Ihr gehörte er bis 1973 an und war auf der stilbildenden LP-Quadrologie „The Pentangle“, „Sweet Child“, „Basket Of Light“ und „Cruel Sister“ mit von der Partie. In den Achtzigern und nochmals für eine Reunion 2008 kehrte er zurück zu Pentangle. Im Folk spielte er außerdem mit dem Sänger und Gitarristen John Martyn, mit dem Folkblues-Innovator Davey Graham, der Incredible String Band sowie mit den Songwritern Nick Drake, seinem – nicht verwandten – Namensvetter Richard Thompson (Fairport Convention) und der Grande Dame des englischen Folksongs, June Tabor.

Einige Ausflüge machte Thompson auch in den Pop: 1982 und 85 steuerte er Basslinien für Kate Bushs Alben „The Dreaming“ und „Hounds Of Love“ bei, stand in Diensten bei Talk Talk und David Sylvian. Erst 1987 erschien mit „Whatever“ sein erstes Soloalbum. Wenig später offenbarte er in mehreren Kollaborationen sein Faible für globale Klänge. Diese Facette seiner Karriere begann mit dem Projekt Songhai, in dem der malische Kora-Virtuose Toumani Diabaté und die spanische Flamencogruppe Ketama über seinen melodischen Basslinien zusammenfanden. Thompson spielte mit der chilenischen Formation Incantation und arbeitete in Dizrhythmia mit dem indischen Perkussionisten Pandit Dinesh. Seine weltumspannende Perspektive hatte auch Einfluss auf seine Tongebung im Britfolk, wie etwa die Tracks „Hopdance“ oder „Basket Of Eggs“ verraten.

Mit Danny Thompson geht ein Großer der scheuklappenlosen englischen Folkszene, der sein warmes und virtuoses Bass-Spiel stets in den Dienst des Songs gestellt hat. Kate Bush schrieb in ihrem Nachruf: „Man hat nie nur mit Danny gearbeitet, sondern auch mit seinem Kontrabass Victoria. Zusammen waren sie die faszinierendsten Geschichtenerzähler – erdig und wild. Danny war der süßeste, liebste Mann und ein echter Charakter. Ein seltener und besonderer Schatz. Danke, Danny, dass ihr, du und Victoria, Feuer und Flamme wart für die Arbeit. Ich werde dich so sehr vermissen.“

© Stefan Franzen

Hier meine Auswahl mit 7 feinen Stücken, die Danny Thompson mit Victoria geadelt hat:

1. mit Nick Drake: „Man In A Shed“ (1969)
Quelle: youtube
2. mit Pentangle: „Light Flight“ (1971)
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3. mit John Martyn: „Solid Air“ (live 1998, Original 1973)
Quelle: youtube
4. mit Kate Bush: „Watching You Without Me“ (1985)
Quelle: youtube
5. mit David Sylvian: „Mother And Child“ (1987):
Quelle: youtube
6. mit Ketama & Toumani Diabaté: „Jarabi“ (1988)
Quelle: youtube
7. mit Savourna Stevenson & June Tabor: „The Baker“ (1996)
Quelle: youtube

 

Hallräume aus São Paulo

Tim Bernardes
Mil Coisas Invisíveis
(Psychic Hotline/Cargo)

Brasilien war in den späten 1960ern Vorreiter einer psychedelisch gefärbten Popsprache. Gerade die junge Szene São Paulos führt diese Tradition heute fort. Schon beim Betrachten des Covers von Mil Coisas Invisíveis (1000 unsichtbare Dinge) wird klar, dass der Songwriter Tim Bernardes aus der Zeit gefallen ist. Optisch genau wie akustisch: Sein Retro-Sound funkelt in leuchtenden Hymnen, die geschwängert sind von sonnigem Streicherflirren (“Fases”). Weiche Knackbässe sind ein unverzichtbares Mittel und Schwebeharmonien, die dem Kopf von Beach Boy Brian Wilson entsprungen sein könnten.

Dazu leben viele der Songs von einer Tiefendynamik, die man im Zeitalter des permanenten Lautstärke-Limits kaum mehr gewohnt ist. Ein fein ausdifferenzierter Atem strömt da, der auch lange Sologesangs-Passagen zu Gitarre oder Piano zulässt. Stücke wie “Meus 26” und “Olha” sind Meisterwerke, die an Scott Walker und Terry Callier zugleich erinnern. Eine fantastische Wide Screen-Soundarchitektur, die immer wieder in folkige Nischen zurückfällt (“Velha Amiga”). Und das alles krönt Bernardes durch seine oft mit der Grenze zum Falsett kokettierende Stimme. Ein Kandidat auf die Platte des Jahres?

© Stefan Franzen

Tim Bernardes:“Mistificar“
Quelle: youtube

Polyphone Offenbarung


Ein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte, gibt es das noch? Tatsächlich lässt sich mitten in Europa noch eine Klangkultur finden, die den akustischen Schatzsuchern weitestgehend entschlüpft war. Wer könnte von sich schon sagen, er wäre mit der Musik des albanischen Südens vertraut? Selbst der Amerikaner Joe Boyd, der seit den 1980ern durch sein Label Hannibal maßgeblich am Aufschwung der Weltmusik beteiligt war, hatte das kleine Land lange Zeit nicht auf dem Zettel.

Der schillernde Produzent war schon in den 1960ern beim Newport-Festival Produktionsleiter, als Bob Dylan zum Entsetzen der Folkies seine E-Gitarre einstöpselte. Er war 1967 für die erste Pink Floyd-Single verantwortlich, wurde Mentor des schwermütigen Songwriters Nick Drake und entdeckte die Folkrocklegenden von Fairport Convention. Seine wilden Sechziger beschreibt er in dem spannenden Buch „White Bicycles“. Im besten Alter, mit 75, hat Boyd jetzt aber noch mal ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen. „Albanische Musik hatte mich schon seit einiger Zeit fasziniert“, erzählt er mir im Interview. „Das lag natürlich auch daran, dass man fast keinen Zugang zu ihr hatte, es gab kaum Platten. Es muss 1986 gewesen sein, dass ich Videos vom großen Festival in Gjirokastra sah. Es schien mir fast surreal: Diese Musiker mit den konischen Hüten, die wehenden Fahnen und die Bergkulisse im Hintergrund. Und dann diese polyphonen Gesänge namens Saze! Für mich war klar, da muss ich hin.“

Doch es dauerte fünfundzwanzig Jahre, bis ihn die BBC-Kollegin Lucy Duran für eine Sendereihe in den Südosten Europas mitnahm. Eine Reise, die für Boyd mehrere Konsequenzen hatte: Er lernte dort seine zukünftige Frau Andrea Goertler kennen, in Albanien für die Gesellschaft für Zusammenarbeit tätig und mit der dortigen Musik bestens vertraut. Zusammen mit ihr und weiteren Experten initiierte er das Projekt Saz’iso, in dem nun die besten Musiker der südalbanischen Polyphonie versammelt und auf einer CD verewigt sind. Die Sessions hat der feinfühlige Jerry Boys geleitet, der auch schon in Havanna den Buena Vista Social Club aufnahm.

Saz’iso: Sessions zur CD „At Least Wave Your Handkerchief At Me“
Quelle: youtube

Was ist nun das Einzigartige an dieser Musik, dem Saze? Auch all die, deren Ohren mit allen Wassern der exotischen Klänge gewaschen sind, müssen beim Lauschen an Stimmen aus einer anderen Welt denken. „Die Kombination eines Borduns mit zwei Stimmen, die sich improvisierend umkreisen, das gibt es meines Wissens nach nirgendwo anders auf dem Balkan“, sagt Boyd. Musikethnologen sprechen von „iso-polyphonisch“. Unter den genauso schneidenden wie warmen Stimmen liegt die Llautë, eine Laute mit Metallsaiten, Klarinette und Geige treten mit verzierungsreichem, schluchzendem Spiel hinzu. Die Instrumentalformen heißen „Vale“ und „Kaba“ – und mit letzterem verbindet sich eine berühmte Entstehungsanekdote: Als ein Mann über den nahen Tod seiner Ehefrau klagte, rief die vom Totenbett: „Hol deine Klarinette und lass sie an deiner Stelle weinen.“ Für uns ist der Gesamteindruck von Saze und Kaba trotz der manchmal tänzerischen Rhythmen in der Tat ausgesprochen melancholisch. “Die Geschichten sind sehr traurig“, bestätigt Boyd.

„Da singt etwa ein Schäfer, den Banditen töten werden, sein Abschiedslied. Emigrantenlieder sind dabei, denn viele Albaner mussten immer ins Ausland, um Arbeit zu finden, und ihre Familie erfuhr dann oft Jahrzehnte nichts über ihren Verbleib.“ Das ist auch ganz konkret der Fall bei den Musikern auf der CD: Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Apparats unter dem Autokraten Enver Hodscha gingen Saz’isos Sängerinnen Donika Pecallari und Adrianna Thanou beide nach Athen, ihre Musikausübung aufrecht zu erhalten, war schwierig. Die männliche Stimme dagegen, Robert Tralo, ist von Berufs wegen eigentlich orthodoxer Priester, tauscht abends das Messgewand für Auftritte bei Hochzeitspaaren, die er kurz zuvor in der Kirche gesegnet hat. „Hodschas Herrschaft war ein zweischneidiges Schwert“, urteilt Boyd. „Er liebte den Saze und förderte ihn, auf der anderen Seite hatte die Musik positiv zu sein, sollte den Sozialismus preisen. Heute gibt es die Zwangsjacke nicht mehr, aber eben auch keine Förderung.“

Der Saze ist von der UNESCO mittlerweile als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Doch wird das seiner Zukunft nützen? Boyd ist verhalten optimistisch: „Die stilbildenden Sänger und Instrumentalisten sind tot. Doch auf den Hochzeiten ist die Musik immer noch lebendig. Die Albaner lieben ihre Volkstradition und schauen nicht auf sie herab wie manche andere Länder, und es gibt auch ein paar junge Musiker, die neben Jazz und Rock den Saze spielen.“ Im Sommer lässt sich dank Saz’iso diese einzigartige Musik nun auf ausgesuchten Festivals auch in unseren Breiten erleben.

© Stefan Franzen
dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Folker, Ausgabe 3/2018

Saz’iso live: Domizil Dortmund, 19.5., Rudolstadt-Festival 6. +7.7.

Saz’iso: „Tana“
Quelle: youtube

(he)artstrings #16: Der Brexit als Allegorie

john smithJohn Smith
„England Rolls Away“ (John Smith)
(aus: Great Lakes, 2013)

Die Größe eines Songwriters ermisst sich unter anderem darin, dass sämtliche Vergleiche nicht mehr taugen. Und dass seine Songs vielerlei Deutungen zulassen. Beides ist beim bärtigen Herren aus dem UK zutreffend. Man hat John Smith mit Nick Drake, John Martyn und anderen verglichen, aber die Färbung seiner waidwunden Stimme ist durch und durch eigenständig- und -sinnig. Ebenso verhält es sich mit den Lyrics: Man könnte diesen Text heute als Allegorie auf den Brexit lesen, doch Smith hat ihn schon 2013 geschrieben. Und so ist es wohl eher die tieftraurige Geschichte über ein gebrochenes Herz, das an einer Dame namens England leidet, und an der er nach eigener Aussage über ein Jahr lang geschrieben hat.

John ist ab dem 19.4. in Deutschland und der Schweiz unterwegs, besonders empfehle ich den Termin im Basler Parterre am 29.4., den Andrea Samborski im Rahmen ihrer neuen Reihe Eclipse Concerts organisiert hat. Und Mitte Mai erscheint sein neues Werk Headlong.

John Smith: „England Rolls Away“
Quelle: youtube

(he)artstrings #5: Celesta unterm Nordhimmel

nick-drake

Nick Drake
„Northern Sky“ (Nick Drake)
(aus: Bryter Layter, 1971)

Zum zwanzigsten Todestag von Nick Drake habe ich damals bei einem kleinen Radiosender ein vierteiliges Special gemacht – es muss also im Herbst 1994 gewesen, dass ich diesen Song oft gehört habe. Die perfekte Folkhymne: federnde Rhythmen zu einem Riff, das aus den für Nick so typisch verschrobenen offenen Akkorden besteht, sein verletzlicher Gesang und eine zärtliche Bridge mit Orgel. Der Clou an diesem glückseligen Liebeslied ist aber die Celesta, die mich dann fast wieder an die Schlusstakte von Gustav Mahlers Das Lied von der Erde erinnert. Einer von Nicks ganz seltenen Momenten, in denen er sich völlig unbeschwert gab – drei Jahre später hatte ihn die Schwermut eingeholt.

Die Schlussszene des Films Serendipity ist mit einer Kombination von David Grays „January Rain“ und „Northern Sky“ unterlegt – während John Cusack auf einer Eislaufbahn ein völlig unverhofftes Happy End erfahren darf. Glückwunsch an denjenigen, der den Soundtrack ausgewählt hat.

Nick Drake: „Northern Sky“
Quelle: vimeo

Northern Sky – Nick Drake from Luca’s on Vimeo.

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Kondolenz an die Angst

Benjamin Clementine
Laiterie Strasbourg, 24/03/15

Die Molkerei ist fast zum Bersten voll – alle sind sie gekommen, um den neuen Orpheus zu sehen, diesen 27 Jahre jungen Nordlondoner ghanaischer Herkunft, der aus seiner Heimat aufbrach, um in Paris sein Glück zu machen.  Zu absonderlich war es in Edmonton gewesen, dass ein schwarzer Junge sich für die Klänge von Erik Satie, Giacomo Puccini und Claude Debussy begeisterte, im Klavierspiel seine Zuflucht suchte. Von der Métro hat sich Benjamin Clementine nun bis auf die Weltbühne gespielt – nicht nur mit dem Piano, auch mit einer Stimme, die in ihrem Timbre an Scott Walker und Antony Hegarty erinnert, in ihrer melancholischen Verzweiflung an Nick Drake.

Nur sein Flügel nimmt die Bühne ein. Der hochgewachsene Mann mit kantigem Afro und gehrockartigem Anzug über der nackten Brust sitzt auf seinem hochgeschraubten Hocker in der Vogelflugperspektive über den Tasten. Die Klassik hat er für sein Universum adaptiert, rollende Arpeggien hier, zarte Triller da, doch die Struktur der Songs, sie ist reiner Pop. Wären da nicht die Geschichten, die er erzählt, von London, das ihn obsessiv verfolgt, von der Steinbox, in der er an Einsamkeit fast verendet, vom triumphalen Sieg über die Angst, der er ein Kondolenzschreiben schickt. Denn diese Geschichten sprengen jedes Versmaß, ihnen muss sich der Verlauf des Stückes beugen, und manchmal berichtet der Dichter gleich mit Sprechstimme weiter, lässt den Song innehalten.

Diese Stimme, sie glimmt verletzlich im engelsgleichen Falsett, sie donnert soulig, manchmal trotzig in den tieferen Lagen. Sie ist einzigartig, und die Straßburger lauschen gebannt, brechen in frenetische Sympathie aus, wenn der letzte Akkord verklingt.  Macht Clementine Ansagen, flüstert er allerdings so krankhaft schüchtern, dass man ihn nicht versteht. Oder kokettiert er mit seiner Unnahbarkeit? Frei von Prätention ist das, was sich da auf der Bühne abspielt nicht: Sein Schweigen vor den Stücken, um den Genius herabzurufen, das Kreisen der Finger über der Taste, das Zelebrieren von schlichten Halbtonrückungen. Dass ihn bei manchen Stücken dann die Cellistin Barbara Le Liepvre begleitet, meist mit warmen Liegetönen, manchmal auch mit gerupften Staccati, macht das Klangbild zwar angenehmer, führt aber auch in die Nähe eines klischierten Schönklangs, der seinen Songs die Intensität nimmt. Als er Nick Drakes „River Man“ covert, seine einzige Adaption, funktioniert das nicht. Man fühlt, seine eigene Musik ist schon einen Schritt weiter, jeder Rückverweis auf seelenverwandte Weltverzweifler überflüssig.

Wenn Pop und Klassik sich treffen, kann das genauso abgründig wie gekünstelt enden. Benjamin Clementine könnte einen Brückenschlag etablieren, der mehr als ein flüchtiger Flirt bleibt. Meine größte Befürchtung: Dieser Mann ist von seiner geheimnisvollen Anmut geradezu prädestiniert dazu, dass er nicht nur von der Musik-  sondern auch der Modeindustrie in Beschlag genommen wird. Hoffentlich strahlt er uns demnächst nicht von einem Yves Saint Laurent-Werbeplakat entgegen.

©Stefan Franzen

Benjamin Clementine: „Cornerstone“ (live at Later…with Jools Holland)
Quelle: youtube