Medeiros Lucas
47soul (Palästina/Jordanien/Israel/USA/UK): „Gamar“
Ayça Miraç (Deutschland/Türkei/Lasistan): „E Aisye“
Yad-e Doust Ensemble (Iran): „رابط صفحة القناة على الفايسبوك „
Listenreich II: 25 Alben für 2018
3MA (Marokko/Mali/Madagaskar): Anarouz (Mad Minute)
Idris Ackamoor & The Pyramids (USA): An Angel Fell (Strut)
Baul Meets Saz (Türkei/Indien): Namaz (Galileo)
Stefano Bollani (Italien): Que Bom (Alobar)
Manu Delago (A/UK): Parasol Peak (One Little Indian)
Fatoumata Diawara (Mali): Fenfo (Wagram)
Dreamers‘ Circus (Dänemark/Schweden): Rooftop Sessions (Vertical)
Issa Ghaffari & Haleh Seyfizadeh (Iran): Sorrow, Like The Scent Of A Dress (Eigenverlag)
Bahur Ghazi’s Palmyra (Syrien/Schweiz): Bidaya (Jazzhaus Records)
Great Lake Swimmers (Kanada): The Waves, The Wake (Nettwerk)
Guy One (Ghana): #1 (Philophon)
Glen Hansard (Irland): Between Two Shores (Anti)
Vardan Hovanissian & Emre Gültekin (Armenien/Türkei): Karin (Muziek Publique)
Sophie Hunger (Schweiz): Molecules (Caroline)
López/Petrakis/Chemirani (Spanien/Griechenland/Iran): Taos (Buda Musique)
Medeiros / Lucas (Azoren): Sol Do Março (Lovers & Lollipops)
Ayça Miraç (Deutschland/Türkei/Lasistan): Lazjazz (Jazzhaus Records)
Ed Motta (Brasilien): Criterion Of The Senses (Must Have)
Punch Brothers (USA): Ashore (Nonesuch)
Indra Rios-Moore (USA/Puerto Rico/Dänemark): Carry My Heart (Verve)
John Smith (England): Hummingbird (Commoner Records)
Talisk (Schottland): Beyond (Talisk Records)
TotoBonaLokua (Martinique/Kamerun/DR Kongo/Frankreich): Bondeko (NoFormat)
Various Artists (Deutschland/Ghana/Verschiedene): Bitteschön, Philophon Vol.1 (Philophon)
Dina El Wedidi (Ägypten): Manam / Slumber (Kirkelig Kulturverksted)
Schatzkiste #34: Rocklyrik aus Atlantis
Medeiros / Lucas
Sol De Março
(Lovers & Lollypops)
Man wir schnell fündig, wenn man auf den Azoren nach typischer Musik sucht: Da gibt es die 12-saitige viola da terra mit zwei tränen- oder herzförmigen Schalllöchern, die ein wenig klingt wie die brasilianische viola sertaneja. Sie dient als Begleitinstrument für traditionelle Gesänge, oder steht bei Tänzen wie der Chamarrita im Mittelpunkt. Dann gibt es die Filarmónias, Bläserbands der kleinen und größeren Orte, die ich sowohl auf Dorffesten als auch bei der Prozession zum Heilggeistfest erlebt habe. Doch die Azoren haben auch eine Popularmusik-Szene, die einen Spagat von Pop bis Metal vollführt – und immerhin können sich mit Nelly Furtado und Katy Perry zwei Superstars eine Herkunft von den Inseln auf die Fahnen schreiben. Nun, die vorliegende Platte ist alles andere als vordergründig azoreanisch, sie steht eher für eine Nischenproduktion im Songwriting. Entdeckt habe ich sie im Plattenladen La Bamba der Hauptstadt Ponta Delgada auf der Insel São Miguel.
Mein Portugiesisch hat schon bessere Jahre erlebt, doch bei der Lektüre der Lyrics kann ich über den Farben- und Klangreichtum der Verse staunen, über die vielen metaphorischen Kniffe und elementaren Bilder. Das Meer spielt dabei naturgemäß eine große Rolle, sieht man es auf den Azoren doch meistens. Die gesamte Platte lebt von einem personellen Gegensatz: hier der reife, etwas grummelige, Suggestivkraft entfaltende Sänger Carlos Medeiros, der Texte des Schriftstellers und Dichters João Pedro Porto singt. Und dort die zwischen Indie- und Folkrock angesiedelten Saiten- und Tasten-Künste des eine Generation jüngeren Pedro Lucas, der von den Azoren nach Kopenhagen ausgewandert ist.
Der Opener „Lampejo“ heißt übersetzt nur „Lichtschimmer“, doch er entfaltet mit einer chromatischen Gitarrenmelodie und den drängenden Vocals eine fesselnde Dramaturgie, die eher strahlt als schimmert. „Podre Poder“ hat ein kreisendes Riff auf Gitarre und Keyboard als Unterbau, die fast höfische Melodie erinnert mich an manche Canções der portugiesischen Liedermacher-Ikone José Afonso. „Obscurantismo“ dagegen wummert mit Synth-Bässen, „Os Pássaros“ verströmt Surfrock-Atmosphäre. Und es bleibt unberechenbar: Mit Kirmesorgel und einer folkloristischen Melodie überrascht „Elena Poena“, eine espritvolle Miniatur kommt in Gestalt von „Em Condicional“ mit Vocoder, Vibraphon und kecker Trompete auf uns zu.
In der Schlusskurve wird es mit „As Calendas“ fast noch etwas jazzig, glimmende Fender Rhodes und gestopftes Blaswerk begleiten den poetischen Gesang, bevor mit dem „Fado Do Salto“ das Nationalgenre des Mutterlandes Portugal mit grandioser Rockmelancholie legiert wird. Ein kleines Meisterwerk, das zufällig mitten im Atlantik in meine Hände gefallen ist – fernab aller Inselklischees wäre das dennoch eine Platte für das einsame Eiland.
© Stefan Franzen
Medeiros / Lucas: „EA Live Session“
Quelle: youtube
Der westlichste Plattenladen Europas
Wer auf den Azoren weilt, ist auf Schritt und Tritt umgeben von geographischen Rekorden. Hier gibt es – eine kleine Felsnadel im Ozean mit Namen Monchique – den westlichsten Punkt Europas, die westlichsten Dörfer der Alten Welt, die westlichsten Leuchttürme, die westlichsten Hunde, Katzen, Mäuse, Menschen. Und natürlich kann man auf dem Archipel 1.600 Kilometer vor Portugals Küste auch den westlichsten Plattenladen finden, zugleich den einzigen der Inselgruppe. Er ist in der Hauptstadt Ponta Delgada zu finden und nennt sich – komplett unportugiesisch – „La Bamba“.
Bedingt durch ungünstige Winde auf der Insel São Jorge und Einstellung des Flugbetriebs als Folge erreichten wir am Ende unserer Reise über das atlantische Reich die Hauptstadt Ponta Delgada mit einem Tag Verspätung. Was den Besuch im „La Bamba“ auf einen engen Zeitrahmen von 20 Minuten zusammenschnürte. Etablissements mit Vinyl waren ohnehin nicht auf dem Zettel für diese Reise, doch wie es das Schicksal so will… Einer der ersten Sätze, die ich nach der Landung sagte, war: „Platten werden wir hier wohl nicht kaufen!“, woraufhin mir Minuten später, noch am Flughafen, eine Kulturzeitschrift mit einer ganzseitigen Werbeanzeige für den „westernmost record shop of Europe“ in die Hände fiel.
Wer das „La Bamba“ betritt, guckt zuerst mal bedröppelt aus der Wäsche, denn LPs sieht man hier nicht auf Anhieb. Der vordere Ladenteil ist eine Art Gemischtwarenladen mit Nippes für Touristen, Kinder-T-Shirts und Gebrauchsgegenständen für Azoreaner, hat sowohl Hippie- wie auch Popcharakter, und an der Theke steht ein jovialer Bartträger, weder azoreanischer, noch portugiesischer Provenienz. Pedro ist Spanier und betont gleich, dass er mit der hinteren Abteilung des Shops nichts zu tun hat. Und da hängt leider auch schon eine Kordel davor, die er für uns Besucher aus der Ferne aber dann doch schnell öffnet.
Die Tonträger-Abteilung des „La Bamba“ hat ausgesprochenen Wohnzimmercharakter. Ein Perserteppich über den Fliesen, Stand- und Hängelampen in Fünfziger- bis Siebzigeroptik, jede Menge Kofferplattenspieler von Crosley, Memorabilia von KISS bis Kraftwerk, zwei Hände voller Singles mit Brasil- und Israel-Raritäten auf einem Lederbänkchen, bunte Wandbemalung im Stile der Jazzbilder von Matisse. Hier lässt es sich verweilen, was wir aber leider nicht allzu lange können.
Unser Interesse gilt daher recht schnell den Vinylkisten, eine Handvoll sind es, angenehm und gepflegt befüllt. Wir registrieren Rock- und Soul-Second Hand-Ware, plagen den armen Pedro, der sich hier doch gar nicht auskennt, schnell mit der entscheidenden Frage: „Was davon ist azoreanisch?“ Mit Verweis auf sein Iberertum zuckt er entschuldigend mit den Schultern, hilft aber dennoch unermüdlich bei der Suche, während das Smartphone parallel musikgeographische Zuordnungsdienste leistet.
Da fällt uns eine farbenprächtige Platte in die Hände, ein stolzer Pfau posiert da vor Terracotta-Wand auf dem Cover, das Duo nennt sich Medeiros / Lucas, ihr Werk Sol De Março, und ja: Die beiden Herren stammen tatsächlich von den Azoren. Da unsere Zeit schon abläuft, ein mutiger Zugriff und sehr freundliche Verabschiedung vom hilfsbereiten Pedro. Wir haben den Kauf nicht bereut, wie die demnächst hier erscheinende Folge aus der Reihe Schatzkiste zeigen wird.
Fotos: Markus Kurz (Stefan Franzen 2), Text: Stefan Franzen