Revolution in dreikontinentalen Tönen

Aufgewachsen ist sie im Iran, studiert hat sie in Kanada und zu musikalischer Reife gelangte sie in Wien, wo sie seit 2008 lebt. Die Sängerin, Songschreiberin und Multiinstrumentalistin Golnar Shahyar hat mit ihren Prägungen aus drei Erdteilen eine außergewöhnliche Musik zwischen Jazz, Songwriting und persischen Roots mit starken Texten geschaffen. Ein Gespräch über ihr Album Tear Drop (Klaeng Records) und ihr Verhältnis zur Bewegung „Frau – Leben – Freiheit“.

Golnar Shahyar, wenn man Ihrer Stimme zuhört, hat man den Eindruck, dass Sie oft innerhalb ein- und desselben Stückes in verschiedene Persönlichkeiten schlüpfen, so unterschiedlich sind die Färbungen.

Ich sehe meine Stimme als Spiegel meines Charakters, ich habe eine große Neugier, unterschiedliche Menschen kennenzulernen. Außerdem bin ich in drei verschiedenen Kontinenten aufgewachsen, mit drei verschiedenen Kulturen, Sprachen, Verständnissen vom Leben. Meine Stimme ist daher eine Mischung von allen musikalischen Welten, die ich entdeckt habe, in denen ich mich finden konnte. Ich bin nicht nur beeinflusst von den vielen Musiktraditionen aus verschiedenen Folk-Regionen im Iran, auch von nordwestafrikanischer Musik, von Jazzvokalistinnen, von Vokalkünstlerinnen, die experimentelle Sachen mit der Stimme gemacht haben.

Ein wichtiger und langjähriger musikalischer Partner ist für Sie der Gitarrist Mahan Mirarab. In der neuen Band spielt aber auch Mario Rom an der Trompete eine herausragende Rolle.  Ist er ein besonderer Dialogpartner, ein Spiegel oder ein Gegengewicht zu Ihrer Stimme?

Man kann sagen: Eine Erweiterung der Stimme. Ich finde, die Freiheit, die Mario auf dem Instrument hat, ist  sehr befreiend. Das spiegelt meine Gefühle sehr stark, in der Art und Weise, wie er spielt, spiegelt, wie ich gerne klinge und gerne singen möchte. Mario war eine ganz wichtige Person in diesem Klangteppich, den ich gemacht habe. Mahan hat mir extrem viel beigebracht, mit ihm habe ich meine erste Banderfahrung. Und seine Haltung als Freidenker, der auch Autodidakt ist, hat mir so viele Türen geöffnet zur ganzen Welt der Klänge, die wir haben, ohne Separierungen, ohne Hierarchierungen, ohne Präferenzen. Einfach eine Neugier auf die Sprache von Musik und wie es klingen könnte, wenn wir das mit unserer eigenen Identität vermischen. Dass ich meine eigene musikalische Sprache finde und erfinde, das habe ich auch sehr stark in mir gehabt. Also war unser Treffen sehr passen, weil wir ähnliche Ziele und Zugänge zur Musik gefunden haben.

Mahan Mirarab feat. Golnar Shshyar:“ Say Your Most Beautiful Word“
Quelle: youtube

Ihre Musik klingt sehr international, hat aber immer wieder den Rückbezug zum Iran. Wie entstehen Ihre oft sehr langen Songs?

Mein Weg um Musikerin zu werden, ist kein typischer gewesen, ich habe wirklich sehr spät mit bewusstem Hören angefangen, habe vorher Biologie studiert. In Kanada und Österreich habe ich zum Beispiel die Arbeit von Joni Mitchell entdeckt, ihre Musik und ihre Poesie war eine große Inspiration. Die iranischen Skalen sind mir vom Hören her vertraut, ich verwende sie, schreibe aber nicht nach ihren strengen Regeln. Gleichzeitig lasse ich mich von der Musik anderer Regionen der Welt beeinflussen, in meinem Stück „Ode To Trust“ etwa hört man die Gesänge der mauretanischen Frauen heraus. Alle diese Einflüsse finden in meiner Musik zusammen eine eigene Sprache.

Sie haben im Laufe der letzten Jahre in etlichen Bandprojekten mitgewirkt, Tear Drop ist jetzt das erste Album unter Ihrem eigenen Namen. Die Aufnahmen sind auch unter dem Eindruck der furchtbaren Ereignisse im Iran seit September 2021 entstanden. Ist die Musik für Sie ein Mittel, um diese Zeit zu bewältigen?

Shahyar: Das ist eine komplexe Thematik. Ich finde es sehr interessant, dass dieses Album genau zu dem Zeitpunkt rauskommt, zu dem die Revolution stattfindet. Denn was gerade im Iran passiert, ist eine Revolution, obwohl wir noch keine politische Veränderung sehen. Ein kultureller und gedanklicher Sprung ist schon passiert in unseren Köpfen. Deshalb nenne ich das eine gedankliche, kulturelle Revolution. Das war aber ein langjähriger Prozess, den wir alle durchgemacht haben. Die Entdeckung von mir selbst, um mich, meinen Charakter, meinen Klang zu finden durch meine Musik, ist ein Teil dieses Prozesses gewesen. Ich komme ja aus einer Generation, in der wir nach dem Krieg mit dem Irak keine Idole mehr hatten. Unsere Präsenz wurde aus der Öffentlichkeit gestrichen. Unsere Identität hat nicht existiert. Ich sehe dieses Album als „Blume“, meine persönliche Reise, die sich auch in den aktuellen Ereignissen der iranischen Kultur spiegelt. Es ist, als ob diese konstante Suche jetzt plötzlich ein Bild hat. Und in meinem Fall, im Fall von Tear Drop hat sie auch einen Klang.

Sie leben in Wien, sind also gewissermaßen „weit weg“ von den Ereignissen. Wie können Sie die Bewegung „Frau – Leben – Freiheit“ unterstützen?

Shahyar: Weil ich im Ausland bin, habe ich eine Plattform, auf der ich meine Musik präsentieren kann. Ich kann sehr viel Energie weitergeben, Musik hat diese Kraft, sie bringt Menschen zusammen. Durch meine Musik kann ich die Intentionen nach einer Änderung verstärken. Und das tue ich so viel ich kann. Natürlich würde ich sofort ins Gefängnis gehen, sobald ich in den Iran reise, aber außerhalb des Landes, egal wo, wenn ein Platz geschaffen wird für ein „Frau – Leben – Freiheit“-Event oder Proteste, nutze ich meine Stimme und meine Musik.

Wird Ihre Musik denn im Iran gehört?

Shahyar: Ja, aber dort habe ich keine große Plattform. Und in der iranischen Diaspora zählt meine Musik auch zu einer Nische, es ist ja keine populärer, sondern ein neuer Klang, der erst noch seinen Platz finden muss. Sehr häufig wird die Stimme von Frauen im Iran als traurig gedacht, aus einer Opferrolle heraus. Doch auf diesem Album habe ich nicht nur über Leid und Traurigkeit gesungen, sondern auch über die Macht der Stimme, über Freude, diese unendliche emotionale Quelle, die wir in uns haben. Ich erkenne also nicht nur diese Trauer an, sondern auch die Macht etwas zu ändern.

Ihr Lied „Tell My Mother She Has No Daughter Anymore“ wendet sich direkt an das Unrechtsregime, worum geht es da?

Shahyar: Darum, dass es so verdammt schwierig ist, dein Kind loszulassen und nicht zu wissen, ob es zurückkommt! Und natürlich um noch etwas: Dass die Frau jetzt ihr eigenes Schicksal in die Hand nimmt. Sie geht auf die Straße und riskiert ihr Leben. Früher haben immer Männer gekämpft und es wurden über Männer Slogans geschrieben, die ihr Leben für das Land oder die Freiheit geben, aber jetzt ist es die Frau. Das ist extrem stark. Extrem stark! In dieser kulturellen Revolution hat sich die Frau emanzipiert. Sie hatte immer schon gekämpft und extrem hart gearbeitet, aber ihr Image war nicht so. Jetzt stimmen Realität und Image überein. Das verstärkt diese Bewegung. Es ist extrem schön zu sehen, aber natürlich auch sehr traurig.

Ein ganz starkes Stück auf Ihrer Platte, „Maman Djan“, ist Ihrer Großmutter gewidmet, das dazugehörige Intro dem Vogel Simorq aus der iranischen Mythologie. Wie passt das zusammen?

Shahyar: Meine Großmutter hat mich sehr geprägt. Diese Frau war so voller Leben, voller Liebe, voller Schönheit und Wärme. Aber sie hat auch ein sehr schwieriges Leben gehabt, das hatte sowohl kulturelle als auch familiäre Gründe. Ich beschreibe meine Großmutter im Lied auch symbolisch, stellvertretend für das Schicksal von vielen Frauen ihrer Generation. Ich beschreibe sie als Simorq, dieses mythische Symbol für Schönheit und Kraft und Führungsstärke, das all diese Jahre marginalisiert und unterdrückt wurde. Der Simorq mag im Käfig sein, doch seine Träume gehen weiter. Die Natur des Menschen ist so: Er wird immer wieder nach Freiheit streben.

© Stefan Franzen, erschienen auf qantara.de am 12.4.2023

Golnar Shahyar: „Ode To Trust“
Quelle: youtube

 

Radiotipp: Alles erlaubt


Liebe Freund*innen,

am Donnerstag, den 3.9. strahlt Deutschlandfunk Kultur von 21h05-22h mein Porträt des österreichischen Bassisten Lukas Kranzelbinder aus.

Er ist das Enfant terrible der österreichischen Jazzszene: Lukas Kranzelbinder trägt seinen Bass in Gefilde von Surfmusik über Gnawa-Grooves bis in den Free Jazz, geht mit dem Tieftöner auf Opernbühne und Alpengipfel, lässt sich von einem kongolesischen Poeten genauso inspirieren wie von Grillengezirpe. Sein Motto: „Alles ist erlaubt“.

Gerade mal 32, aber schon ein gestandener „Hans Dampf in allen Gassen“: Für Kranzelbinder ist keine stilistische Grenze existent. Mit Trompeter Mario Roms „Interzone“ öffnete er den – gerne auch freien – Jazz in Richtung Balkan, Bossa, Disco und Schlager. Surf- und Latin-Sound erkundet er mit Expressway Sketches auf originelles „Knackbass“-Potenzial und beim SWR New Jazz Meeting stellte er für das Projekt „On Boit Lumumba“, eine Band um den kongolesischen Poeten Fiston Mwanza Mujila zusammen.

Im Fokus seines aktuellen Werks steht jedoch das österreichisch-deutsche Septett Shake Stew, in dem sich mit hochsolistischem Bläsersatz sowie doppelt besetztem Schlagzeug und Bass eine neue Jazzdimension öffnet. Diese bezieht arabische Farben und afrikanisches Flair mit ein, verknüpft Filigranes mit Funk und Free. Regelmäßig rastet das Publikum bei Shake Stew-Shows aus, bekundet seine Sympathie mit „Schreien von ganz innen“, oder mit Komplimenten wie „eure Musik kann die Toten wecken“.

Shake Stew: Grilling Cricket In a Straw Hut, pt.1″
Quelle: youtube

Die Sendung ist auf der Deutschlandfunk-Seite im Live-Stream zu verfolgen und kann nach der Ausstrahlung 7 Tage online nachgehört werden.

Live-Tipp für Hörer aus der Region Freiburg:
Shake Stew werden am 25.9. beim Jazzfestival Freiburg zwei Sets (19h und 21h) spielen: