Brittany Howard & Michael Kiwanuka
Baloise Session, Basel
29.10.2019
Zwei, drei Mal die Ohren gerieben, doch dann steht fest: Ja, Brittany Howard hat sich John Lennons „Revolution“ unter den Nagel gerissen. Und wie! Mit ihrer neunköpfigen Band stampft sie durch einen heftig rollenden Südstaaten-Bluesrock, fast lässt sich die feuchte Erde riechen, die Beatles sind da kaum noch zu erkennen. Doch da sind wir schon bei den Zugaben, nachdem sie bei ihrem Auftritt auf der Baloise Session eine fantastische Stunde lang einen eigenwilligen Zickzack-Parcours – nicht nur – durch die Soulhistorie gefahren hat.
Howard, die mit der Formation Alabama Shakes den Soul der Sechziger mit Garagenrock paarte und dafür gleich vier Grammys bekam, ist seit diesem Jahr auch unter eigenem Namen unterwegs. Als Solokünstlerin stöbert sie ausgiebig in den Geschichtsbüchern von Soul, Funk und Blues, ist aber viel zu eigenwillig, um auch nur in die Nähe einer Epigonin zu geraten. Irgendwie spiegelt schon die Typologie ihrer Band eine gelungene Inklusion der musikalischen Epochen: Hinter der Leaderin mit Sekretärinnenbrille und Glitzerumhang versammelt sich eine Truppe, in der klassische Soul-Ladies, krautbärtiges Hipstertum und kahlgeschorene Moderne versammelt sind. Und diese Vielschichtigkeit setzt sich in der Musik fort: Aus Jackie Wilsons „Higher And Higher“ beschwört Howard mit ihrer Shouter-Stimme ein mittleres Erdbeben herauf, in „Stay High“ dagegen thront sie derart triumphierend im Falsett, dass man meint, Smokey Robinson hätte die Bühne betreten.
Ein wenig Disco-Soul wird in „You’re What I’m All About“ serviert, im katzenartigen Herumschweifen von „Goat Head“, ein hintergründiges Statement gegen Rassendiskriminierung, grüßt sie den Neo-Soul einer Erykah Badu. Etliches hat Brittany Howard Prince zu verdanken, den sie in „Breakdown“ covert: die grandiosen Leuchtspuren der Gesangsharmonien zwischen ihr und den beiden Backgroundvokalistinnen Karita Law und Shanay Johnson, oder die wie aus dem Nichts einsetzenden Gewitter der E-Gitarren (dreifach besetzt: Brad Williams, Alex Chakour und sie selbst).
Doch am überzeugendsten ist die Frau aus Alabama tatsächlich, wenn sie fernab aller Referenzen ganz sie selbst ist: in ihrer gewaltigen Zorneshymne auf die Liebhaberin, die sich von ihr trennt („Baby“), aber auch im sanften „Short & Sweet“, in dem sie sich nur mit Akustikgitarre zärtlichen Träumereien hingibt. “He Loves Me“, von Spoken Word-Attacken durchzogen, ist ihre Hymne an Gott, der sie auch liebt, wenn sie nicht in die Kirche geht, und in der anschließenden Ballade „Georgia“ köchelt Lloyd Buchanan eine ganze Gospelmesse auf seinen Orgeltasten gar. Schließlich fährt die Tochter aus einer gemischten Ehe auch noch ihre ganz eigene Predigt von Gewaltfreiheit und Rassengleichheit auf, die durch ein rhythmisch querständiges Schlagzeugsolo von Nate Smith gekrönt wird. Das Erbe von Martin Luther King, na klar, aber katapultiert in die Jetztzeit. Einigermaßen atemlos lässt das den Saal zurück.
Brittany Howard: Stay High“
Quelle: youtube
Entspannen kann man dagegen bei Michael Kiwanuka. Der Londoner ugandischer Herkunft war schon mal vor vier Jahren beim Open Air der Basler Kaserne zu Gast. Seine morgen erscheinende, dritte Platte ist ein spirituelles Meisterwerk, hallverliebt, mit Sonnenaufgangschören und vielen Streichertexturen. Auf der Bühne allerdings kommt diese Räumlichkeit nicht rüber. Da ist er mit seinen geradlinig gestrickten Songs eher dem Retro-Folkrock als dem -Soul verpflichtet: eine schrammelige und eine leicht psychedelische Gitarre, ein paar glitzernde Gimmicks aus den wimmernden Keyboards, fröhliche „Na-na-na“-Chöre der beiden Chordamen.
Es dauert etliche Songs, bis das Publikum sich auf Kiwanukas unprätentiöses Charisma einlassen kann. Mit geschlossenen Augen verbeißt sich dieser grundsympathische Kerl regelrecht in seine Phrasen, manche wiederholt er Mantra-gleich, zelebriert so eindrücklich sein Anderssein: „I‘m a black man in a white world“. Die Stimme, sie ist weniger „golden“ wie im Motto des Abends, man würde dieser Mischung aus Rost und Karamell eher einen Bronzeton attestieren. Es ist die Backgroundsängerin Emily Holligan, die mit einem grandiosen Solo das Eis bricht. Danach finden Kiwanuka und Band zu mehr Ausdifferenzierung: in einer wunderbaren Version des frühen Hits „Home Again“ mit funkelnder Fender Rhodes, mit einer seelenruhigen Fingerpicking-Miniatur. Und eine faustdicke Überraschung liefert der Folksoul-Barde mit einem schwofigen Stehblues, den er am Ende selbst mit einem Stromgitarren-Feuer in Brand setzt.
© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 31.10.2019