Lianne La Havas
Blood
(Warner)
Das britische Fräuleinwunder mit dem burschikosen Charme ist zurück. Nein, die exotischen Strelitzien auf dem Cover trügen nicht – ihr zweites Album hat eine tropische Entstehungsgeschichte. Nach extensiven Tourneen nahm sie sich eine Auszeit auf Jamaika, um zu den Wurzeln ihrer Mutter Tuchfühlung aufzunehmen. Das blieb nicht ohne musikalische Folgen: Reggae- und Dancehall-Produzent Stephen McGregor bekam Wind von La Havas‘ Aufenthalt und avancierte schließlich zum Pultmeister vieler Tracks, neben ihrem alten Studiokumpan Aqualung und der Britsoul-Größe Jamie Lidell.
Was beileibe nicht heißt, dass „Blood“ ein Reggae-Album geworden ist. Von den ruhigen Balladen und teils folkverpflichteten Songs des Erstlings hat sich die Sängerin so gut wie verabschiedet. „Blood“ atmet in einer geerdeten Neosoul-Atmosphäre, die an eine Lauryn Hill oder an die frühe Alicia Keys denken lässt. La Havas‘ Stimme zeigt sich oft vom mädchenhaftem Timbre befreit, klingt reifer, abgeklärter. Etwa in der schreitenden urbanen Nummer „Green & Gold“, eine Selbstfindungshymne, in der sie sich in Metaphern sowohl vor der Karibik als auch vor Griechenland verbeugt. Die beiden Singles rufen gemischte Gefühle hervor: Wirkt „Unstoppable“ wie ein überfrachtetes Schwergewicht ohne Zielrichtung, findet man in „What You Don’t Do“ mit dem Vierviertel-Piano und den jubilierenden Chören tolle Motown-Anklänge. Wie ein gemächlicher Street Funk der Achtziger kommt „Tokyo“ daher, fließende E-Gitarren umspielen den Slap-Bass – nur hier und sonst nirgends hallt ein wenig das Tête-à-tête mit Prince nach.
Erinnerungen an frühere Songs beschwört das verträumte „Wonderful“ herauf, das über eine vergangene Liaison nachsinnt. Ebenso „Ghosts“: Zu jazzigen Gitarrenharmonien beklagt sie die hartnäckigen Geister der Vergangenheit. Von ihrem ausladenden Vibrato und ihrer explosiven Stimmkraft macht Lianne La Havas trotz muskulösen Arrangements selten Gebrauch, dann aber umso effektvoller – etwa in „Grow“, das nach ruhigen Gitarrenstrophen in einen mächtig polternden Refrain einschwenkt und das spirituelle Wachstum durch Liebe beschwört. „Blood“ ist angenehm frei von Zwängen, auf modische Sounds reagieren zu müssen, und scheut sich auch nicht, mit einem ruhigen, bewegenden Abschiedslied an einen „alten Mann“ zu enden. Es könnte ein Gruß an ihren jamaikanischen oder griechischen Opa sein. Trotz der Erdung in familiären Blutsbanden: An die bezaubernde, träumerische Spontaneität ihres Debüts kann Lianne La Havas mit „Blood“ nicht anknüpfen. Wohin sie dieses Coming Of Age-Album führen wird, wird auch sie selbst wohl erst auf dem Nachfolgewerk entscheiden.