Vinício Capossela: „Il Treno“
(aus: Canzoni Della Cupa, Warner 2017)
Eine gewaltige, irrlichternde Fahrt durch die süditalienische Volksmythologie aus fast 30 Canzoni – das ist Canzoni Della Cupa, Vinício Caposselas letztes Album. Er hat es in zwei Akte gefasst, in Polvere (Staub) und Ombra (Schatten). Mit dem Staub ist das grelle Dasein porträtiert, das dörfliche Leben mit seinen deftigen, derben Seiten. Die Lieder der Landarbeiter, mit schnarrender, erdschwerer Stimme vorgetragen, die Klage über die karge Existenz, das Hungern und Schuften, genauso aber die prallen Freuden der dörflichen Feste, der Tanz zum Akkordeon und zur Schlaggitarre, das lüsterne Schielen auf den Körper der Patrona, die unerlaubten Schäferstündchen am Brunnen.
Und dann die dunkle Seite, die der Schattenwesen, Ombra: Da wird eine Bestie durchs Weizenfeld gejagt, die die Ernte zu vernichten droht, es geht im bluesigen Galopp auf dem Maultierrücken durch die unheimliche Nacht, und noch sinisterer wird es im mondbeschienenen Wald auf den Spuren des „Pumminale“, einem Mischwesen aus Schwein und Werwolf. Und bevor sich der Vorhang senkt über dieses mit vielen Gästen von Howie Gelb bis Calexico bereicherten Doppelalbums, ein grandioses Finale: In „Il Treno“ erzählt Vinicío Capossela die Geschichte vom Eintreffen der Eisenbahn im ländlichen Kampanien, von der Entvölkerung eines Ortes, der fortan eine Geisterstadt ist. Jedem Western der Extraklasse würde diese Canzone als Titelstück alle Ehre machen.