Die Nächte reden mit mir

Der persische Santurspieler Kioomars Musayyebi baut auf seinem neuen Album  A Voice Keeps Calling Me Brücken vom Iran über den arabischen Raum bis zur Alten Musik Europas.

„Schon im Iran wollte ich so viele Kulturen wie möglich kennenlernen“, sagt Kioomars Musayyebi. „Denn ich bin überzeugt, dass Musik eine gemeinsame Sprache ist, in der wir ohne Worte miteinander reden können, auch wenn die Gesellschaften durch die jeweilige Kultur und verschiedenen Rituale ein wenig auseinandergegangen sind. Nur der Dialekte, die Akzente sind anders.“ Aufgewachsen ist Musayyebi im Teheran. Dass er zur Musik kam, ist seinem Vater zu verdanken, der selbst kurdische Lieder sang und aus seinem Sohn einen Künstler machen wollte. Er gab ihn in die Obhut des größten persischen Meister auf dem Hackbrett Santur, Faramarz Payvar, der den Jungen nicht nur für das Instrument begeisterte: „Bei Payvar Schüler zu sein, das hieß, auch eine Philosophie fürs Leben mitzubekommen. Er war ein ganz besonderer Pädagoge.“ Bis heute verdankt Musayyebi seinem Meister viel, hat aber natürlich den Spielstil weiterentwickelt, ihn auch mit Techniken des Payvar-Schülers Parviz Meshkatian bereichert.

Sein Bedürfnis, über die klassische persische Musik hinauszuschauen, konnte Musayyebi im Iran nur begrenzt umsetzen. Daher kam er 2011 nach Hildesheim, wo er an der Musikhochschule rege Aktivitäten entfaltete: „Dort gab es viele Möglichkeiten für mich, etwas auszuprobieren: Wie klingen meine persischen Wurzeln zusammen mit arabischer Musik, mit Jazz, Weltmusik und anderen Instrumenten?“ Seitdem spielt der heute in Essen lebende Komponist in einer Vielzahl von Ensembles, um diese Begegnungen auszuloten, etwa im Transorient Orchestra, im Nouruz Ensemble oder in der Band Beyond The Roots, die sich letztes Jahr als multinationales Kollektiv um die Kölner Klarinettistin Annette Maye gegründet hat. Um eine ganze Bandbreite von Facetten auf einem einzigen Album unterzubringen, hat Kioomars Musayyebi auf A Voice Keeps Calling Me (Pilgrims Of Sound) acht Stücke für verschiedene Besetzungen mit Streichern, Blas- und Zupfinstrumenten versammelt.

„Es sind die unterschiedlichen Melodien in meinem Kopf, die mich rufen“, erklärt Musayyebi seinen Kompositionsprozess. „Ich denke beim Schreiben überhaupt nicht unbedingt an die Santur. Manchmal komponiere ich am Klavier oder auf der Sitar, manchmal zieht es mich zur Alten Musik, nach Persien oder in den arabischen Raum. Es kann sein, dass die Klarinette in meinem Kopf sagt: Ich muss diese Melodie spielen, oder einmal die Geige, oder sie tun sich in meiner Vorstellung zusammen. Und langsam reift die Idee: OK, dieses Stück gehört diesem oder jenem Ensemble.“ Die Melodien seien wie Stimmen, die ihn rufen, daher auch der Albumtitel, den er zugleich einem Gedicht von Sohrab Sepehri entlehnt hat. Vom großen Poeten der iranischen Moderne empfängt er in allen Lebens- und Gemütslagen Einflüsse.

Auf A Voice Keeps Calling Me wird es gerade wegen des ständigen Wechsels der Besetzungen, der unterschiedlichen „Stimmen, die rufen“, nie langweilig: Im Eröffnungsstück „Entezar“ bringt Musayyebi seine Sehnsucht nach Indien zum Ausdruck, indem er seinem indischen, ebenfalls in Deutschland lebenden Kollegen Hindol Deb eine prominente Solorolle zugesteht. „Djozz“ ist eine Widmung an den Mitmusiker Bassem Hawar und seine irakische Stachelgeige „Djoze“, gleichzeitig ein Paradestück für eine Suite, die zwischen Europa, dem arabischen Raum und Persien vermittelt. „Als ich im Iran lebte, hatten wir diesen achtjährigen Krieg mit dem Irak“, erinnert sich Musayyebi. „Und hier in Deutschland war der Iraker Bassem Hawar einer der ersten Musiker, die ich kennengelernt habe. Wir haben viele Stunden geredet und gemerkt, dass wir beide die gleichen Gefühle haben, dass unsere gemeinsame Musik Frieden bringt.“

Im Titelstück hat Musayyebi eine Melodie reaktiviert, die aus einer Fernsehserie stammt, die er als Kind im Iran gesehen hat. Nach 30 Jahren in seinem Kopf kommt sie nun zu neuen Ehren. Mit Annette Maye und dem Beyond The Roots-Ensemble wurde die lange Improvisation „Igra“ als spannender Hybrid zwischen Jazz und eurasischer Musik kreiert. Schließlich zwei Nachtstückchen, die zum einen ganz in die persische Klassik zurückführen („Nächtliches Geflüster“), zum anderen mit dunkler Flöte und schnurrender Djoze wunderbar dunkle Klangfarben erzeugen („Letzte Nacht“): „Die Nächte reden mit mir, in den Nächten kann ich gut denken und mich wohlfühlen“, sagt Musayyebi. „Jede Nacht könnte auch die letzte sein: Vielleicht sehen wir uns morgen nicht mehr. Aber wir haben die Hoffnung, dass der Morgen kommt und alles wieder von Neuem beginnen kann.“ Bei all den Inspirationen, die Kioomars Musayyebi derzeit außerhalb seiner Heimat empfängt, zieht es ihn – auch wegen der problematischen politischen Situation – vorerst nicht zurück. „Ich möchte noch mehr von der Welt sehen. Da gibt es noch viele Stimmen in anderen Ecken, die mich rufen.“

© Stefan Franzen, erschienen auf qantara.de

Kioomars Musayyebi Quartet live
Quelle: youtube

Synthese statt Exotik I


Der Klang der Langhalslaute Sitar ist für westliche Hörer geradezu ein Synonym für indische Musik. Das hat auch dazu geführt, dass die Sitar eine Art musikalisches Klischee geworden ist. Der in Köln lebende Inder Hindol Deb sucht nach neuen Wegen, das Instrument in den europäischen Jazz einzugliedern. Auf seinem Album Essence Of Duality hat er das ziemlich überzeugend geschafft – mit einem Jazzquartett, das sich zwischen europäischer Musiktradition und hindustanischem Raga-System ganz neue Wege bahnt.

SRF 2 Kultur sendet meinen Beitrag über Hindol Deb am Dienstag, den 05.10. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h (Wiederholung am 08.10. ab 21h). Zu hören im Stream, oder in der Schweiz auch nach Ausstrahlung im Podcast:
Mentoring und Förderung – Jazz und World aktuell – SRF

Hindol Deb: „Journey To Kedarnath“
Quelle: youtube