Joan 80

Joan Baez beim Civil Rights March auf Washington D.C., 1963 (Rowland Scherman, Wikimedia Commons)

Eine große Frau mit großer Stimme feiert heute ihren 80. Geburtstag. Am 14. Juli 2015 war sie auf dem Zeltmusikfestival Freiburg zu Gast, damals schrieb ich darüber für den Folker. Genau wie ihre Musik ist auch dieser Artikel, den ich hier zu ihrem Fest teilen möchte, nach wie vor aktuell – angesichts einer zu Scherben zertrümmerten Demokratie in ihrer Heimat. Ihre Lieder waren und sind das, was sie damals in Freiburg einforderte: Inseln der Gewaltfreiheit.

Happy Birthday, Joan Baez. Wer wird bloß gegen die Unerträglichkeiten ansingen, wenn du mal nicht mehr bist.


Joan Baez

ZMF Freiburg
14.7.2015

Wo sie ihre aktuellen Kämpfe ausfechte, wurde sie 2012 vom französischen Fernsehen gefragt. Sie selbst stehe heute nicht mehr in der ersten Reihe, entgegnete sie, vielmehr reflektiere sie über ihr Leben und kümmere sich um ihre 100-jährige Mutter. Doch es ließe sich heute ja unter einer großen Anzahl von Vietnams auswählen. Die Welt ist nicht friedlicher geworden, seit Joan Baez vor einem halben Jahrhundert ganz vorne mitmarschierte, von Selma bis Hanoi. Deshalb sind ihre Konzerte auch weit entfernt von akustischer Nostalgietapete. Das zeigte sich auch beim Freiburger Zeltmusikfestival, wo sie einen ihrer wenigen Deutschlandauftritte für dieses Jahr absolvierte.

Burschikos, in Bermudas, Sandalen und ärmellosem Top beginnt die 74-jährige im heißen Zelt ihre zweistündige Show solo. Ihre Stimme hat an dunklen Facetten gewonnen, doch die Höhen erreicht sie immer noch nahezu kristallklar. Dazu liefert sie flüssiges, swingendes Picking. Gleich zu Anfang setzt sie zwischen Steve Earles „God Is God“, „There But For Fortune“ von Phil Ochs und „Silver Dagger“ vom ersten Album die große zeitliche Klammer, die auch den Abend bestimmen wird. Potpourri-Charakter kommt trotzdem nie auf, und das liegt an der fein ausdifferenzierten Variation. Baez hat drei Mitstreiter gebracht, die ihr dienend zuarbeiten: Sohn Gabriel Harris setzt dezente perkussive Akzente an Congas, Cajón und Becken, Dirk Powell wirkt als Multiinstrumentalist. Mit schönen Mandolinenlinien schmückt er Dylans „It’s All Over Now, Baby Blue“, im Woodstock-Song „Joe Hill“ würzt er mit Akkordeon, „Long Black Veil“ bekommt durch seine Fiddle ausgeprägtes Country-Flair. Hier taugt auch das ländliche Timbre der Backgroundsängerin Grace Stumberg, die Baez meist angenehm harmonisiert, aber die Rauheit von „Me & Bobby McGhee“ zu sehr dämmt.

Man hat manchmal vergessen, dass in der Aktivistin Joan Baez auch eine fesselnde Erzählerin wohnt, die immer aufrichtig ist, im Privaten wie in der Parabel. Und so gerät ihre Eigenkomposition „Diamonds & Rust“, die intime Abrechnung mit Dylan, in abgeklärter Bitterkeit genauso zu einem Höhepunkt wie das fast aktuelle Lied für den Afghanistansoldaten „Day After Tomorrow“ und die düstere Folkballade „Seven Curses“, in der sie ihre epischen Qualitäten ausspielen kann. Konstantin Weckers „Wenn unsere Brüder kommen“ nimmt sie das pazifistische Überpathos und flankiert es mit einer Anekdote: Als sie vor Wecker, den sie verehrt, niederkniete, meinte der Charmeur: „Bist aber gut in Form für dein Alter!“ Was sie dann stimmlich auch noch mal beweist, als sie einen souligen Spiritual-Sopran durch „Swing Low, Sweet Chariot“ schweifen lässt, frei, fast ohne Akkorde.

Im Zugabenblock schließlich steht Joan Baez in einem schmucklosen Lichtkegel, 2500 Kehlen singen „Donna, Donna“ mit. Man sieht Schwarz-Weiß-Szenen aus Newport vor sich. Doch ihre Mahnung vor Vergangenheitsromantik klingt noch lange nach: „Das sind nicht die Sechziger, ihr müsst hier und heute Inseln der Gewaltfreiheit und des Mitgefühls schaffen.“ Mag sie auch nicht mehr selbst an der Frontlinie stehen, ihr engagiertes Charisma strahlt noch.

© Stefan Franzen, erschienen im Folker 5/2015

Joan Baez: „Nasty Man“
Quelle: youtube