Farbenpracht zwischen Hippietum und Protest-Pop


Sie war eine der größten Sängerinnen Brasiliens und begründete in den späten 1960ern neben Caetano Veloso, Gilberto Gil und Maria Bethânia die moderne brasilianische Popmusik: Im Alter von 77 Jahren ist Gal Costa am Mittwochmorgen in São Paulo gestorben.

Maria da Graça Costa Penna Burgos stammte aus Bahia, wie Gil und Caetano, mit deren Songs sie Mitte der Sechziger ihre Karriere begann, „Eu Vim Da Bahia“ und „Baby“ waren ihr ersten Hits. 1967 tat sie sich mit Caetano Veloso für das Album „Domingo“ zusammen. Kurz darauf wurde mit ihrer Beteiligung Tropicália, ein Meilenstein der Tropicalismo-Bewegung veröffentlicht, die brasilianische Wurzeln mit internationalem Rockflair und psychedelischen Tönen kollagierte und sich auch als freigeistiger Protest gegen die Militärdiktatur verstand. In den 1970ern trug Gal Costa mit ihrem Image zwischen Hippiemädchen und Sexsymbol auf vielen Soloalben maßgeblich zur Farbenpracht der Popmusik ihres Landes bei. Wichtige Werke aus dieser Zeit waren India und Cantar, bekannte Stücke „Que Pena“, „Meu Nome É Gal“, „Perola Negra“ und „Barato Total“.

Sie arbeitete mit etlichen Stars der brasilianischen Szene wie Jorge Ben, Luiz Melodia oder Erasmo Carlos. Ein Highlight ihrer Karriere wurde 1976 das Album Doces Bárbaros, auf dem sie zusammen mit ihren drei bahianischen Mitstreitern Caetano, Gil und Bethânia Funk und Soul mit afro-brasilianischen Rhythmen mischte. Ihre Stimme, geprägt von einem meistens sanften, flexiblen Timbre, war auch zu rauen Ausbrüchen fähig und stellte ein effektvolles Gegengewicht zur eher harten, maskulinen Stimme Maria Bethânias dar. Costas Bühnenpräsenz kulminierte 1979 in der Show „Gal Tropical“.

Gal Costa hat den musikalischen Wandel der folgenden Jahrzehnte immer mitgetragen, fühlte sich im Karnevals-Samba, Disco-Soul und im Synthie-Pop der 1980er zuhause. Noch im September war sie mit einer Best Of-Show auf großen Festivals in Brasilien unterwegs und wollte im November auch wieder auf europäischen Bühnen gastieren. Wegen eines Knotens in der Nase musste sie sich jedoch in ärztliche Behandlung begeben. Einmal durfte ich sie – zusammen mit meinem Kumpel HP, ein mindestens ebenso Brasil-Verrückter wie ich – live erleben: beim damals schon nach Stuttgart ausgelagerten Viva Afro Brasil-Festival am 15.7.2006.

© Stefan Franzen

Gal Costa: „Não Identificado“
Quelle: youtube

Erlöser aus Speckstein

Eine Statue wird heute 90: Der gigantische Erlöser aus Speckstein thront seit 1931 über dem Granitfelsen namens „der Bucklige“ (Corcovado). Rios Hausberg steht, obwohl mit über 700 Metern viel höher, oft im Schatten des Zuckerhuts („Pão de Açúcar“), mit dem er außerdem oft verwechselt wird, vor allem von deutschen Touristen. Auf den Pão führt eine spektakuläre Seilbahn, die auch schon bei James Bond zu Ehren kam, auf den Corcovado dagegen eine mit gediegener Schweizer Technik gefertigte Zahnradbahn.

Eines aber hat der Corcovado dem Pão – neben der gewaltigen Aussicht – voraus: Über ihn wurde eine unsterbliche Bossa Nova komponiert. Antônio Carlos Jobim hat seine Liebesballade unter dem nächtlichen Blick auf die Christusstatue angesiedelt: Que lindo! Das Stück ist nun allerdings in Hunderten von Versionen vor allem auf dem Saxophon (Stan Getz sei Undank!) so totgenudelt, dass es schwierig ist, unbelastete Klangexemplare zu finden.

Drei habe ich zum Jubiläum ausgesucht: die Urversion von 1960, eine meisterhaft orchestral chromatisierte mit Miles Davis und Gil Evans (1962), sowie eine wunderbar unkitschige von 1987 mit Gal Costa und dem Komponisten. Die Fotos stammen von Markus Kurz und mir, aufgenommen während unserer Rio-Reise 2005, mal von ganz nah, mal der Blick vom Hut hinüber.

1. Joāo Gilberto
Quelle: youtube
2. Miles Davis & Gil Evans
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3. Gal Costa & Antônio Carlos Jobim
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Side tracks #14: Letzter Samba-Zug

flagge-brasilienGal Costa / Demônios Da Garoa
Trem Das Onze
(1973/1964)

Heute wird eine der herausragenden Stimmen der Música Popular Brasileira 70 Jahre jung. Ich gratuliere der Senhora, die einst „Baby Gal“ genannt wurde, und neben Castano Veloso, Gilberto Gil und Maria Bethânia zum Quartett der großen vier Rebellen der Spätsechziger gehörte. Den Tusch singt sie sich selbst und steuert im gleichen Atem-Zug den vierzehnten der Side tracks bei. Es ist eines der schönsten Eisenbahnlieder Brasiliens: Der „Trem das Onze“ ist der letzte Zug, der – im Sambarhythmus versteht sich – vom Stadtzentrum zurück zu São Paulos Vorort Jaçanã fährt. Deshalb muss sich der Sänger von seiner Liebsten loseisen, denn die Mutter schläft nicht und wacht über seine Rückkehr…

demônios da garoa - trem das onze

Populär gemacht haben den launigen Samba aus der Feder von Adoniran Barbosa 1964 die Demônios da Garoa. Das Lied wurde damals beim Karneval von Rio vorgestellt, gilt aber als typischer Vertreter des São Paulo-Sambas. Gal Costa hat ihn sich 1973 in einer denkwürdigen Live-Version zu eigen gemacht. Danke an Renate für den Hinweis auf diese Version!

Gal Costa: „Trem Das Onze“
Quelle: youtube

Der Vorortzug, der Tramway de Cantareira, ging ironischerweise genau im Jahr der Liedveröffentlichung seinem Schicksal entgegen: Man begann mit seiner Dekonstruktion. So wohnt auch in diesem Canção wie in vielen brasilianischen Eisenbahnsongs eine große Portion Nostalgie.

Os Demônios Da Garoa: „Trem Das Onze“
Quelle: youtube