Frieden, Liebe und eine Goldgitarre

Foto: Chris Hakkens

Santana
Foire Aux Vins, Colmar (F)
03.08.2018

Ein simples Händeklatschen im Viervierteltakt: So beginnt eines der feurigsten Instrumentals der Rockgeschichte. Das im „Woodstock“-Konzertfilm verewigte „Soul Sacrifice“ hat Carlos Santana die Türen zur Welt geöffnet, und er hält es auch 49 Jahre später in Ehren: Denn genau mit diesem Händeklatschen kommt die neunköpfige Band nach einer psychedelischen Diashow mit Liebe- und Friedensmotiven bei der Foire Aux Vins Colmar auf die Bühne, taucht die 11 000 in der Arena in Nostalgiestimmung – allerdings nicht für epische zehn Minuten, sondern für zusammengedampfte zwei. In denen der 71-Jährige auf der goldüberzogenen Paul Reed Smith-Gitarre gleich alle seine Markenzeichen unterbringt: Immer noch treffen seine vibratolosen Töne wie glühende Pfeile, Kolibris gleich flattern die typischen Triller, die verzerrten Zieher über mehrere Saiten sind gequälte Schreie.

Carlos live in Colmar – das steht eigentlich unter guten Vorzeichen: Genau hier hat der Altmeister 1976 Teile seiner Platte „Moonflower“ mitgeschnitten. Freilich ist keiner der damaligen Musiker heute noch dabei. Die Position der Drummerin hat jetzt Gattin Cindy Blackman inne, die mit den Timbales von Karl Perazzo und den Congas von Paoli Mejías eine sehr kompakte perkussive Dreierkette bildet, wie sich im rituellen Afrorock von „Jingo“ zeigt. Mit Andy Vargas und Ray Greene verfügt Santana über zwei Sänger, die sich die Aspekte des Latinlovers und des Soulmans teilen, Greene packt zudem auch wiederholt die Posaune aus. In schwindelndem Übergang leitet das schiebende Bass-Riff von Benny Rietveld zu „A Love Supreme“ über, schon wird „Black Magic Woman“ serviert und „Oye Como Va“ nahtlos angeknüpft, garniert mit Live-Fotos und LP-Covern aus der frühen Laufbahn. Nach 25 Minuten hat man einen beachtlichen Teil der Siebzigerhits abgearbeitet, und längt ist klar: Santana zieht die Karte der durchorganisierten Karriere-Revue.

Die im Mittelteil zum Glück auch Räume zum Durchatmen lässt: Statt „Europa“ entscheidet er sich für seine andere große Ohne Worte-Ballade, das live selten gespielte „Samba Pa’Ti“. Er lockt das Thema zunächst ohne Plektron aus den Saiten, hält bei der Kadenz ganz lange, selbstversunken unter seiner Hutkrempe inne. Und wenig später gibt es einen wohltuend spontanen Moment: Keyboarder David Matthews wird vom Chef nach zwei Anfangsakkorden zurückgepfiffen, denn der hat tatsächlich Lust auf ein Exzerpt aus dem überragenden Werk „Caravanserai“. Es gipfelt im lyrisch-zärtlichen „Song Of The Wind“ mit glimmender Orgel, bauchiger Posaune und dem schönsten Gitarrensolo des Abends: ein bluesig-melodischer Fluss hinauf bis zum 24. Bund, ohne übertriebene Akrobatik, gezuckert mit einem „Frère Jacques“-Bonbon fürs französische Publikum.

Doch für den letzten, großen Akt wird wieder einige Gänge hochgeschaltet: Das begeistert in der Swamp Dogg-Nummer „Total Destruction Of Your Mind“, in der Ray Greene seine seelenvollen Qualitäten ausreizen kann und die Gitarre sich auch mal in funky „Wah Wah“-Wonne suhlt, Slap-Solo von Rietveld nachgeschaltet. Das ermüdet aber auch, als es in die „Supernatural“- und „Shaman“-Sektion geht, Santanas Alben des zweiten Frühlings. „Mona Lisa“, „Foo Foo“, „Corazón Espinado“: Die Sänger übernehmen in dieser Hit-Party das Animateurs-Zepter. Für „Maria Maria“ greift Santana kurz nach der Akustischen, sie wurde ihm so hingebastelt, dass er die Stromgitarre gar nicht abschnallen muss. Doch er tauscht er sie dann doch noch gegen eine himbeerrote um, die hat einen spitzeren Sound als das Goldstück, und er nutzt sie ausgiebig für Geräuschhaftes à la Hendrix.

Auf Hochtouren läuft jetzt die Medley-Maschine, nicht nur mit Eigenem: „Proud Mary“, “Satisfaction“, „Fever“ und – mit Gesangssolo des Rhythmusgitarristen Tommy Anthony – „Roxanne“: Man liefert en passant einen Schnelldurchgang durch die Pophistorie. Ehefrau Blackman bekommt auch noch ihr Solo, tanzt besessen auf den sechs Toms und gönnt der Bass-Drum keinen halben Takt Ruhe. Zu hohe Reizdichte das alles, zu wenig Raum für Imagination, und dann grüßen auf der Leinwand auch noch ein goldener Buddha und die Aufforderung: „Heal All With Your Light“. Knallig bunt wie sein von Afro-Masken gespicktes Shirt war Carlos Santanas zweistündige, selbstreferenzielle Show, aber auch steckengeblieben in einem endlosen Sommer der Liebe. Sich per Rückblick nochmals neu erfinden, das geht hingegen durchaus: Der fast gleichaltrige Robert Plant hatte es ein paar Tage zuvor in Lörrach vorgemacht.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung vom 06.08.2018

Santana: „Song Of The Wind“
Quelle: youtube