Wie sehr sie fast 20 Jahre lang fehlte, wurde mir klar, als ich 2013 ein Konzert von Fleetwood Mac erlebte, kurz vor ihrer Rückkehr zur Band. Christine McVies ruhig fließende Songwriterkunst gab dem Repertoire Erdung und Imagination zugleich, mit vielen wunderbaren Balladen wie „Songbird“, „Brown Eyes“, „Over & Over“ oder „Beautiful Child“. Und ihre Stimme war ein melancholisch grundiertes Schweben, das sich vom görenhaften Timbre ihrer Kollegin Stevie Nicks wie eine Komplementärfarbe absetzte.
1980 kaufte ich mir als 12-Jähriger das Doppel-Album Tusk, und ich weiß noch, wie mich schon der Opener aus ihrer Feder in eine andere Welt katapultierte. R.I.P., Christine.
Ultravox „Vienna“ (Midge Ure, Billy Currie, Warren Cann, Chris Cross) (aus: Vienna, 1980/81)
In der Nachbetrachtung wurden diese fünf Minuten oft zur größten New Wave-Hymne aller Zeiten erklärt. So weit würde ich vielleicht nicht gehen, doch die Kombination aus den Ultravox-typisch wimmernden Synthesizern, den harten Zisch- und Wummer-Beats vom Roland CR-78, der Piano-Grandezza, verfremdeten Bratschensounds und dem leicht selbstgefälligen Vokalpathos von Midge Ure hat mich als Zwölfjährigen sehr begeistert. Es gab damals wenige Electro-Stücke, die es soweit in den Mainstream geschafft haben, Ghosts von Japan fällt mir aus diesem Zeitraum noch ein.
Das Video erinnert eher an ein Schauermärchen à la Der Golem, wurde in großen Teilen in London und nur auszugsweise in Wien gedreht. Und auch die Geschichte hat eher wenig mit der Donaumetropole zu tun: Ure und Co hatten zwar die Irrfährte gelegt, dass die Lyrics mit der Secession zu tun hätten, stellten aber später richtig, dass es einfach um eine vergangene Liebesaffäre ging. Noch aberwitziger ist, wie die Band überhaupt auf das Wort „Vienna“ kam: Ure wurde angeblich von einer Bekannten angeregt, ein Lied im Stil des Fleetwood Mac-Hits „Rhiannon“ zu schreiben, doch diese hatte den Namen nie richtig verstanden und als „Vienna“ abgespeichert.
Als ich vor Jahren den Roman Die Arbeit der Nacht von Thomas Glavinic las, hörte ich den Ultravox-Song als latenten Begleitsoundtrack in meinem Kopf – die Geschichte von einem, der morgens in einem menschenleeren Wien aufwacht und feststellt, dass er der einzige verbliebene Mensch auf Erden ist, hat eine ebenso düster-morbide Atmosphäre, die die Nerven aber deutlich mehr belastet als diese tolle Electro-Hymne der aufkeimenden Achtziger. Und auch jetzt, bei einem mehrtägigen Aufenthalt in Wien, in Sturm und Regen, ging mir Ultravox nicht mehr aus dem Kopf.
Rumours war eine der ersten Rock-LPs, die ich – mit etwas Verzögerung – wahrgenommen habe. Meine erste Begegnung mit der Stimme von Stevie Nicks war in Frank Laufenbergs Top Ten auf SWF 3 irgendwann im späten 1977. Dort war über Wochen ihre Komposition „Dreams“ platziert, und ich weiß noch, dass mich neben den Vocals schon damals Lindsey Buckinghams eigenwillig gespielte Slidegitarre fasziniert hat. Gekauft habe ich mir Rumours erst beträchtliche Zeit später. Als Plattensammler bin ich dann erst mit dem Nachfolgealbum Tusk in den Fleetwood Mac-Katalog eingestiegen, das mich zwar musikalisch über die ganzen 4 Seiten ein bisschen anödete, aber die Bildercollagen der Platteninnentaschen haben mich komplett in den Bann gezogen.
Was auf der LP-Ausgabe von Rumours ohnehin fehlte, war das beste Stück der Aufnahmesessions im kalifornischen Sausalito. Unerklärlicherweise hat die Band es zu einem Outtake herabgewürdigt. Vielleicht wäre sonst ein Ungleichgewicht zwischen den Stücken von Stevie Nicks und Christine McVie entstanden. „Silver Springs“ also kam mir erst viele, viele Jahre später zu Gehör, hat mich aber sofort begeistert. Es ist vielleicht die schönste Racheengel-Nummer überhaupt der Rockgeschichte. Unscheinbar und fast zart beginnend, mit einem wunderbar gänsehäutigen Cmaj7-Akkord mit Quart im Bass die Spannung aufbauend, und dann die Wut im Schlussteil entladend: „Mein Fluch wird dich treffen, und bis ans Ende deiner Tage wird dich meine Stimme verfolgen.“
Es ist unschwer zu erkennen, dass der Song zumindest autobiographische Züge trägt und auf die liaison terrible von Nicks und Buckingham anspielt. Heute singt Stevie Nicks den Song bei Fleetwood Mac-Konzerten noch, aber sie exerziert ihn als Schauspiel von längst Vergangenem durch, liegt Buckingham am Schluss in den Armen – so habe ich das zumindest bei einem Auftritt im Oktober 2013 in Stuttgart erlebt. „Silver Springs“ existiert in verschiedensten Versionen, auch als schöne Demo-Fassung, unten gibt es aber die von der B-Seite der ersten Rumours-Singleauskopplung, „Go Your Own Way“ – als Hommage an Stevie Nicks, die fast den ganzen Mai hindurch noch 69 Jahre alt ist.