„Hortelã“ ist das portugiesische Wort für Minze – und der passt für dieses Album richtig gut. Mariana Brito da Cruz Forjaz Secca, kurz MARO, hat eine Stimme, die kühlend wie Minzeduft wirkt, ein Timbre, das manchmal mehr Hauch als Ton ist. Man kennt die 28-jährige Songwriterin und Sängerin, seit sie letztes Jahr Portugal mit dem Lied „Saudade“ beim ESC vertreten hat. Ihre Karriere wird durch Quincy Jones‘ Management betreut, sie war mit Jacob Collier auf Tour und wurde während der Pandemie durch ihre Home-Sessions „Itsa me, MARO“ bekannt, bei der sie mit Prominenz wie Eric Clapton digital musizierte.
Nach ein paar englischsprachigen und eher poppigen Alben hat MARO jetzt zur äußersten Reduktion gefunden. Ihre fast ausschließlich portugiesischen Miniaturen, kaum mal mehr als drei Minuten, lässt sie nur von den beiden Stahlsaiten-Gitarristen Darío Barroso und Pau Figueres begleiten. Viele der Stücke haben kontemplativen Charakter (etwa das ruhig atmende „Fui Passo Calculado“), ab und an kommt ein wenig Rumba- oder Flamenco-Charakter rein („Há-de Sarar“, „Oxalá“). Und ein fast schmerzlich intimes Duo mit der katalanischen Kollegin Sílvia Pérez Cruz („Juro Que Vi Flores“) ist das Highlight.
Egal, welche Platte aus dem Katalog von Stax Records bis 1971 man aus dem Schrank zieht: Die Wahrscheinlichkeit, dass Steve Cropper als Gitarrist, Produzent und Songschreiber daran beteiligt war, ist sehr hoch. Ob bei den Instrumental-Combos Mar-Keys oder Booker T. & the MGs, ob bei Otis Redding, Wilson Pickett, Eddie Floyd oder Mavis Staples – Croppers markante Licks und sein Pult-Knowhow zieren Unmengen von Hits des Soul-Labels aus Memphis. Mit 79 hat der Veteran mit Fire It Up (Provogue/Mascot Label Group) wieder ein R&B-Soloalbum produziert. Der Vorgänger – zumindest der, den Cropper selbst gelten lässt – datiert von 1969.
„Vergnügt“ ist das Wort, das einem sofort in den Sinn kommt, als Steve Croppers Gesicht im Zoom-Fenster erscheint. Mit seiner akkurat getrimmten Variante eines Bardo-Barts sitzt er in bester Laune vor dem Bildschirm, eingerahmt durch eine goldene Schallplatte und die Wintersonne von Nashville, die durch die Jalousien dringt. Dass der R&B-Gitarrenheld aus der Soulville Memphis seinen Alterssitz ausgerechnet im Country-Mekka genommen hat, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Für seine neue Scheibe aber ein Glücksfall, schließlich ist dort auch sein langjähriger Kumpel Jon Tiven zuhause, alter Producer-Hase im Soulgeschäft und treibender Netzwerker hinter Fire It Up!
„Schon bei unserem ersten Treffen in den Neunzigern stimmte die Chemie einfach“, sagt Cropper, der sich eisern jeden Dienstag mit Tiven zum Songschreiben trifft. „Jon brachte mich 2011 für ein Album mit Felix Cavaliere (Anm.: u.a. Sänger der Ringo Starr & His All Starrs Band) zusammen. Davon sind eine Menge Songs übriggeblieben. Aber wäre nicht der Lockdown gewesen, hätten wir die vielleicht nie fertigproduziert.“ Tiven ließ seine Verbindungen bis an die Ostküste spielen, wo er den ehemaligen Punk-Popper Roger C. Reale für die Vocals einbestellte. „Der Typ war mir komplett unbekannt“, gibt Cropper zu. „Aber als er mir ein paar Aufnahmen schickte, musste ich zugeben: Mannomann, wenn der singt, meint er es ernst! Da sind Jahrzehnte von Schmerz in seiner Stimme.“ Die Lyrics der Songs sind voll von den Dramen des Herzens, von Verlassen und Verlassenwerden, von aufregenden Achterbahnfahrten mit der Liebsten, aber auch, wie in der Single „Far Away“, vom Reflektieren über die absurde Welt von 2021.
Ein kompakter Saxophon-Satz und Keyboards, alles von Tiven eingespielt, sorgen für die Textur – und dann kommen wir zum Kern der Sache, der Rhythm Section: Steve Croppers auch nach 60 Jahren R&B-Business taufrisch klingende Gitarrenlicks und acht (!) verschiedene Drummer, darunter auch ein Omar Hakim. Insgesamt ein kompaktes Tanzalbum mit Songs in der Spieldauer von klassischen Stax-Singles. Nur in „One Good Turn“ wird auf Balladentempo gedrosselt – eine Nummer, die ein wenig an „The Dock Of The Bay“ erinnert. Cropper schrieb sie 1967 mit Otis Redding, die wunderbaren Licks in den hohen Lagen kennt jeder. „Mir war der Rhythmus und das Tanzen immer das Wichtigste in der Musik“, stellt Cropper klar. „Und gerade jetzt ist es an der Zeit, dass die Leute wieder tanzen und lachen. Wie damals: Als wir mit Booker T. und den MGs am Wochenende unterwegs waren, hat unser Drummer Al Jackson von der Bühne runter die Tänzer beobachtet – und ab Montagmorgen haben wir dann zurück in den Stax-Studios ihre neuen Schritte in neue Grooves übersetzt. Denn Plattenmachen ist wie Angeln: Du musst auch mal den Köder wechseln, damit die Fische anbeißen.“
Dass die Fische dank Croppers Talenten anbissen, merkt Stax-Chef Jim Stewart in den frühen Sechzigern schnell. Der auf einer Farm in Missouri geborene Autodidakt auf der Gitarre kommt über die Royal Spades (später Mar-Keys) zum 1958 gegründeten Label, wird mit dem Organist Booker T. Jones, Bassist Donald Dunn und Drummer Al Jackson zur Hausband für unzählige schwarze Sänger, übernimmt immer mehr Pult-Arbeiten und Songwriting-Aufgaben. Sogar Atlantic bucht für seine Stars Sessions bei Cropper in Memphis. Zwei Markenzeichen etabliert er in den Sechzigern: Zum einen die prägnanten „hammer tones‘, kurze Fills in den Vokalpausen der Songs, die sich nur auf einer Telecaster-Gitarre wegen des knochentrockenen, Feedback-freien Sounds spielen lassen. Den Cropper-Sound können Soul-Liebhaber deshalb gut von dem seiner Kollegen Cornell Dupree und Jimmy Johnson unterscheiden. Das Mojo Magazine listet ihn dieser Kunst wegen als zweitbesten Gitarristen der Welt hinter Jimi Hendrix.
Zweites Markenzeichen: die markanten Intros. „Mir fiel auf, dass die DJs im Radio immer quatschten, bis der Gesang einsetzte. Also schrieb ich Intros, die so laut und fett waren, dass sie das nicht mehr machen konnten. Das fing an mit Wilson Picketts ‚In The Midnight Hour‘, ab da war ich der ‚Intro Guy‘. Und als Isaac Hayes für Sam & Dave ‚Soul Man‘ schrieb, riss er mich mitten aus einer Session und sagte: ‚Hey Steve, ich komme nicht weiter, schreibst du mir ein Intro?‘ Heute scheint es mir, dass Musik nur noch zu Poetry gesetzter Sound ist. Bei uns war immer erst die Musik da, und das ist auch auf dem neuen Album noch so.“
An dieser Stelle des Gesprächs beginnt Cropper, in Anekdoten zu schwelgen. Nein, beim besten Willen könne er keinen Lieblingshit aus dem Stax-Katalog benennen, er sei auf alle stolz. „Aber wenn du mich fragst, bei welchem ich es bedauere, dass er kein Hit geworden ist, ist die Antwort klar: Otis Reddings ‚Nobody‘s Fault But Mine‘. Dabei hatte der einen so grandiosen Groove!“ Besonders gern erinnert er sich an die Sessions für Mavis Staples‘ erstes Solo-Album. „Ihr Vater Pops war sehr zurückhaltend mit Songmaterial außerhalb des Gospelbezirks. Ich musste Mavis feinfühlig Material auf den Leib schneidern. Wir starteten mit Jimmy Webbs ‚A House Is Not A Home‘, damit war er einverstanden. Und von da an gab er seinen Segen.“
Zu dieser Zeit, 1969, hatte Stax mit dem neuen schwarzen Vize-Chef Al Bell schon eine turbulente Phase überstanden. „Lass mich eines ganz klar sagen.“ Cropper zieht die Brauen hoch. „Es gab bei Stax keine Hautfarbe. Wir waren Menschen, die zusammenkamen, um Musik zu machen. Als Dr. King erschossen wurde, gab es vorübergehend auch Spannungen bei uns. Doch die Stax-Studios waren das einzige Gebäude im Viertel, das während der Unruhen nicht abgefackelt wurde. Denn es war bekannt: Hier ist ein gesegneter Ort, und zwar für alle.“ Trotzdem war die Blütezeit von Soulville vorbei, Cropper verließ das Label 1971 und eine neue Welt tat sich für ihn auf: Er spielte auf Alben von John Lennon und Ringo Starr, wurde schließlich einer der Blues Brothers. An die Deutschlandtourneen mit der Filmcombo erinnert er sich immer noch gerne: „Wir haben die Ballrooms bei euch gerockt!“ Später luden ihn Bob Dylan, Eric Clapton und Neil Young auf die Bühne, mit einer wiedererstandenen Version der MGs. Booker T. Jones sieht er immer noch regelmäßig, in der letzten Dekade musizierte er mit ihm im Weißen Haus und in der Royal Albert Hall bei einer Tom Jones-Gala.
Was er sich für die Zukunft wünscht? Er schließt mit einem gewaltigen Understatement. „Jemand hat mal gesagt: Alles was du auf deinem Instrument produzieren musst, ist eine Note! Und dann versuchst du dein Leben lang, diese eine Note auf verschiedene Positionen zu übertragen. Damit bin ich immer noch zugange. Aber ich werde wohl sterben, ohne zu wissen wie man richtig spielt.“ Und das als zweitbester Gitarrist der Welt.