Lenine
Em Trânsito
(Wrasse/Galileo)
Wer einmal ein Konzert des brasilianischen Songwriters Lenine besucht hat, weiß, dass der Mann auf der Bühne gelegentlich ein noch zupackender Rockeiro sein kann als in seinem Studiokatalog. Das spiegelt sich eindrucksvoll auf dem Live-Album Em Trânsito wider, das er im Februar 2018 mit seinem Quartett in Rio eingespielt hat. Nach kurzem, versonnenen Intro heulen in „Sublinhe E Revele“ die treibenden Stromgitarren wütend auf, Bass und Drums stemmen sich kraftmeiernd synkopisch dagegen, und auch der Rausschmeißer „Umbigo“ ist ein hartkantiger Schrammelrock mit selbstsicherer Mackerpose im Text.
Dazwischen jedoch entfaltet sich die ganze Palette dieses vielseitigen Barden aus Pernambuco: Die Traditionen des Nordostens hat er clever in die Call-and-response-Struktur von „Virou Areia“ eingebacken, live packt einen das noch erheblich stringenter. Afro-brasilianische Färbungen kann er auch a cappella ausloten, wenn er in „Ogan Erê“ die rituellen Rhythmen nur aus geatmeten Beats erzeugt. „Lá Vem A Cidade“ wird live zum spacigen Indierock-Biest, entrollt die Historie einer Stadt mit mythischem Unterton. Und schließlich kommen auch balladeske Töne zum Tragen: Das melancholische „Lua Candeia“, nur mit Piano instrumentiert, erinnert fast an die Lyrik eines Milton Nascimento.
Besonders in einem solchen soften Moment zeigt sich: Lenine, äußerlich deutlich gealtert, hat sein vokales Charisma völlig unverändert in seine reifere Schaffensphase hinübergetragen. Schön, dass das Booklet zudem auch noch englische Übersetzungen der Texte parat hält. Zweifellos einer der besten brasilianischen Konzertmitschnitte der letzten Jahre.
© Stefan Franzen