SWR 2 Musikstunde: Der Atem des Himmels

Foto: Stefan Franzen

Liebe Freund*innen,

Mundschutz und Mindestabstand bestimmen seit März unseren Alltag. Die Sehnsucht nach freiem Durchschnaufen, nach sinnlicher Erkundung der Umwelt steigt. Auch deshalb darf ich euch zu dieser ganz besonderen Musikwoche im Südwestrundfunk einladen.

„Der Atem des Himmels – eine musikalische Geschichte der Düfte“
SWR 2 Kultur, 25. – 29.05.2020, jeweils 09h05 – 10h

„Parfums sind Symphonien und Parfumeure Komponisten. In der Kunst ist die Parfümerie die duftende Nachbarin der wohlklingenden Musik“, bemerkte einst Jean Cocteau. Zu welchen Liedern, Chansons, Songs, Symphonien oder Opernarien regten die Harze und Kräuter der Antike, die Blüten und Früchte des Mittelmeers, die Hölzer und Gewürze des Orients die musikalische Fantasie an? Welche Werke entstanden als Widmung an duftende Persönlichkeiten wie die Königin von Saba, Kleopatra, Louis XIV oder Coco Chanel? Und umgekehrt gefragt: Wie duften Puccinis Cio Cio San oder Tschaikowskys „Pique Dame“, welche Aromen verströmt ein Flamenco oder ein Tango in der Vorstellung der Parfumeure? Um all diese nie ganz greifbaren, doch gerade deshalb immer schillernden, synästhetischen Abenteuer zwischen Nase und Ohren geht es in dieser Musikwoche, über 5000 Jahre hinweg, über fast alle Erdteile, von Babylon bis nach Buenos Aires, von den Pharaonen bis zu Kate Bush.

1. Von Myrrhe, Weihrauch und Balsam – die Wohlgerüche des Altertums (25.05.)

2. Tausendundein Aroma – die Düfte des Orients und Asiens (26.05.)
3. Vanille, Zimt, Orange und Jasmin – von den Tropen ins Mittelmeer (27.05.)
4. Könige, Romantiker und Synästheten – Streifzüge durch Europas Dufthistorie (28.05.)
5. Von Coco Chanel bis Kate Bush – Parfums der Neuzeit (29.05.)

Danke: der Osmothèque in Versailles für das Duftseminar, meiner Mutter Marlies Franzen für ihre biblischen Recherchen und meinem Vater Herbert Franzen für seine Gedichtübertragungen von Charles Baudelaire.

https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/der-atem-des-himmels-eine-musikalische-geschichte-der-duefte-1-swr2-musikstunde-2020-05-25-100.html

Die Sendungen sind nach der Ausstrahlung eine Woche lang in der SWR-Mediathek abrufbar.

Yma Sumac: „La Flor De Canela“
Quelle: youtube

Im Reich der vergessenen Düfte

osmothèque 01

Symphonien für die Nase –  Ein Selbstversuch im einzigen Duftarchiv der Welt, der Osmothèque von Versailles.

Zimtig und harzig, wie ein sehr süßer, sehr edler Pfefferkuchen. Die Probe auf dem Duftstreifen lässt die Nase erst einmal zurückweichen. Das ist schon fast zuviel des Guten. Doch mit der Zeit gewöhne ich mich an die weihnachtlich anmutende Mixtur. Ein heiteres, fast erhabenes Gefühl macht sich breit. Ich versuche mir auszumalen, was das wohl für Menschen waren, die sich diese Komposition auf die Haut gestrichen haben. Das sprengt fast die Vorstellungskraft – denn dieser Duft ist fast 2000 Jahre alt.

„Parfums sind Symphonien und Parfumeure Komponisten“, befand Jean Cocteau, „in der Kunst ist die Parfumerie die duftende Nachbarin der wohlklingenden Musik.“ Warum, so wird man dann fragen dürfen, gibt es so wenig „Konzertsäle“ für die Nase? Sicher, man kann durch die einschlägigen Abteilungen der Kaufhäuser wandeln, sich Werbepröbchen von spezialisierten Versandhäusern schicken lassen. Dabei fehlt allerdings die historische Dimension, unerlässlicher Bestandteil in der Dramaturgie eines gelungenen Konzertabends. Sprich: Wenn wir nur an den aktuell zum Verkauf stehenden Düften schnuppern, dann ist das, als hörten wir nur zeitgenössische Werke. Und wer will das schon? Doch tatsächlich gibt es nur einen Ort auf der Welt, an dem der Nase aromatische Zeitreisen gewährt werden. Wo gewissermaßen der Mantel der Geschichte duftet.

Um diesen Ort zu besuchen, fährt man von der Parfumhauptstadt Paris aus ein Stück nach Westen. In Versailles, wo einst Könige residierten und Verträge unterzeichnet wurden, liegt mein Ziel an diesem trüben, herbstlichen Juninachmittag. Von Louis XV ist überliefert, dass er sich und seinen Hofstaat reichlich beduftete. Sein Schloss allerdings umgehe ich heute weiträumig. Im Zentrum der dem Château vorgelagerten Stadt riecht es gerade gar nicht fein: Ein unverkennbarer Fäkalienhauch mischt sich mit dem, was vom samstäglichen Markt so übrig geblieben ist. Ich steuere ein Restaurant an und bestelle das filet de julienne auf purée de pommes de terre. Schnell entpuppt sich das Tagesmenü als nahezu geschmacksfrei. Auch gut. Schließlich sollen sich für das, was mir vorbesteht, möglichst keine ablenkenden Altlasten im Riechkolben halten. Von der neutralen Cuisine gesättigt schlendere ich weiter durch die Straßen. Versteckt in einer Allee mit Spitzgiebelhäusern, hinter Rosenhecken kommt ein funktionaler Bau zum Vorschein, an dem die Plakette „Osmothèque“ prangt. Mit mir strömen etwa 40 Riechwillige zum Gebäude: eine Gruppe älterer, distinguierter Franzosen samt Dame im Pelzmantel, junge amerikanische Touristen, ein paar Gäste aus Fernost mit Kleinkind. Zwischen Vitrinen mintgrüner und fliederfarbener Flakons begrüßt Patricia de Nicolaï die Besucher. Sie stammt aus der berühmten Parfumeursfamilie Guerlain, und ich ertappe mich dabei, auf ihre Nase zu schauen. Keinerlei Auffälligkeiten. Aber sie verströmt einen dezenten Rosenduft. „Wir sind ein Conservatoire der Emotionen“, sagt die Präsidentin der Einrichtung mit leidenschaftlichem Überschwang. „Jedes Parfum der Vergangenheit ist ja mit einer Persönlichkeit, einer Epoche, einer Geschichte verbunden – und das ist der Zauber dabei.“ Weiterlesen