Mani Matter: „Ir Ysebahn“ aus: Ir Ysebahn (Zytglogge 1971)
Gerade wird ein Schweizer „Krokodil“ von Olten ins schwedische Gävle überführt, es ist dort beim großen Fest zu „100 Jahre elektrische Züge“ Stargast. Heute hat das grüne Ungetüm auch unsere Region passiert.
Von allen Schweizer Eisenbahnliedern ist dieses immer noch eines der schönsten – es behandelt das Problem des Sitzens in und gegen die Fahrtrichtung fast schon in der Manier eines helvetischen Haikus:
Kraftwerk: „Trans Europa Express“ / „Metall auf Metall“ aus: Trans Europa Express
(rem. Parlophone 2009, orig.: Klingklang 1977)
Seine Geschichte währte von 1957 bis 1991, und musikalisch verewigt wurde er auf dem Zenit seiner ruhmreichen Karriere. Der Trans Europ Express (kurz TEE) ist der legendärste Zug der europäischen Neuzeit. Bei der größten Netzausdehnung 1974 fuhren TEEs bis nach Reggio di Calabria und Kopenhagen, bis nach Wien und Barcelona, ausschließlich erste Klasse, versteht sich. Die verschiedenen Länder entwarfen charakteristische Designs für die Dieseltriebwagen, der schönste aber kam zweifellos aus Deutschland, der VT 11.5 mit seiner riesigen roten Schnauze und der erhöhten Lokführerkanzel. Weiterlesen →
Banda Black Rio: „Maria Fumaça“ aus: Maria Fumaça (Atlantic, 1977)
Brasilien hat heutzutage kaum noch ein nennenswertes Schienennetz für Personenverkehr. Dem gegenüber stehen aber eine auffallend hohe Anzahl an Liedern und Stücken, die die Eisenbahn ehren. In loser Folge gibt es bei den Sidetracks jetzt ein paar der schönsten musikalischen Eisenbahntribute made in Brazil. Den Anfang macht die wichtigste Band der Funk- und Soulbewegung, die zwischen Rio und São Paulo ab Mitte der 1970er etwas verspätet einschlug. Die Banda Black Rio wurde oft mit Kool & The Gang und Earth, Wind & Fire verglichen – wäre da nicht der starke Sambaeinschlag, mit dem sie auch hier – entnommen von ihrem Debütalbum – ihre musikalische Widmung an die Stahlrösser vergangener Zeiten präsentieren. Und die heißen in Brasilien „Maria Fumaça“, rauchende Maria.
Aretha Franklin: „Won’t Be Long“ aus: Aretha (Columbia, 1961)
Damit hat für die Queen of Soul Vieles angefangen: Der Song befindet sich auf ihrem ersten Studioalbum, das sie 1960 mit der Combo des Jazzpianisten Ray Bryant einspielte. Dank intensiver Gospel-Schulung war ihre Stimme mit 18 schon unfassbar weit entwickelt, was Phrasierung und Ausdruck angeht. Alle späteren Columbia-Aufnahmen bis zu ihrem Wechsel zu Atlantic Records Ende 1966 und dem Beginn ihrer Soulkarriere können nur schwerlich mithalten mit diesen frühen Aufnahmen. Bryants Rhythm Section und die Bläser imitieren grandios einen fahrenden Zug, während Aretha selbst am gospelgeladenen Klavier sitzt und von der Ungeduld singt, mit zitternden Knien am Bahnsteig auf ihren Liebling zu warten, der mit der 503 kommen wird.
Ob die Songschreiber J. Leslie McFarland und Aaron Schroeder (die kurz zuvor „Stuck On You“ für Elvis geschrieben hatten) bei der „503“ an einen bestimmten Zug dachten oder die Nummer nur wegen des Reims verwendeten? Hier ist jedenfalls die schönste 503, die ich gefunden habe, eine Lok der Great Northern Railway Company, die in den 1960ern westlich von Chicago verkehrte.
Aretha Franklin: „Won’t be Long“ (1961)
Quelle: youtube
Und es gibt zwei sehr unterschiedliche Live-Aufnahmen von diesem frühen Meisterstück des Eisenbahn-Souls:
Aretha Franklin at Shindig: „Won’t Be Long“
Quelle: youtube
Aretha Franklin live at the Steve Allen Show (1964): „Won’t Be Long“
Quelle: youtube
Muddy Waters „You Can’t Lose What You Ain’t Never Had“ (aus der Blues & Gospel Train-Tour, 1964)
Zu seinem heutigen 100. Geburtstag: Muddy Waters, am 7.5.1964 in der Wilbraham Road Station in Chorlton-cum-Hardy im Süden von Manchester, gefilmt von Granada TV im Rahmen der Blues & Gospel Train-Tour. Die Zuschauer wurden mit dem Zug zum Konzert gefahren, wo sie Muddy schon erwartete, zusammen mit Sister Rosetta Tharpe, Sonny Terry, Brownie McGhee, Reverend Gary Davis und Otis Spann.
Muddy Waters: You Can’t Lose What You Ain’t Never Had“
Quelle: youtube
Pedro Canale alias Chancha Via Circuito ist einer der originellsten Kreativköpfe der argentinischen Digital Cumbia-Szene, die dort Cumbia Villera heißt und auf die sich das Label ZZK Records spezialisiert hat. Eine der frühen Inspirationsquellen von Canale waren die lärmenden, schepprigen, holpernden Zugfahrten vom Zentrum Buenos Aires‘ in den Vorort Bernal, wo er elektroakustische Musik studierte – Chancha Via Circuito ist zusammengesetzt aus dem Kosenamen für die Lokomotive (Chancha = Schwein) und der Bezeichnung der suburbanen Bimmelbahn. Die futuristisch-folkigen Tracks auf seinen bisher drei Alben aus Keyboard- und Percussion-Textur sowie Vokalspuren von Gastsängerinnen beherbergen heute zwar auch noch Cumbia-Rhythmik. Man kann aber ebenso andinische Melodien und Instrumente darin finden, Afro-Elemente oder das uruguayische Karnevalsgenre Murga. Der Mann ist außerdem als Remixer begehrt, etwa für das Gotan Project oder das niederländisch-südafrikanische Electro-Duo Skip & Die. Hätten Kraftwerks Latin-Zwillinge den Soundtrack zu HerzogsFitzcarraldo geliefert – und hätte der nicht ein Schiff, sondern einen Zug gesteuert!) – dann hätte sich das vielleicht so angehört.
Chancha Via Circuito: „Cumbion De Las Aves“
Quelle: youtube
Astronomisch gesehen sind diese Tage ja äußerst spannend. Nach der SoFi vom Freitag folgt hier die Sophie, die in wenigen Wochen ihr neues Album Supermoon veröffentlichen wird, passend zu den sechs Supermonden, die es in diesem Jahr gibt (einer davon war parallel zur Sonnenfinsternis).
Der Song, den ich für die Side Tracks ausgesucht habe, stammt allerdings noch vom Album 1983. Zum starken Bild eines Zuges, in dem wir alle zusammen sitzen, und den wir nicht mehr anhalten können, obwohl wir wissen, dass wir das dringend müssten, wurde sie während der Finanzkrise inspiriert. Man kann das Bild auch auf die Klimakatastrophe übertragen. Oder auf den religiösen Fundamentalismus. Zum Aussteigen ist es wohl zu spät. Ihr Landsmann Friedrich Dürrenmatt wusste dazu in seinem Tunnel: „Gott ließ uns fallen, und so stürzen wir denn auf ihn zu.“
Die beiden Live-Versionen sind so faszinierend, weil sie so unterschiedlich sind. Die Pause am Ende des La Cigale-Konzerts hat schon Popgeschichte geschrieben. Dass ein Publikum eine ganze Minute den Atem anhält, das schafft niemand außer ihr.
Sophie Hunger: „Train People“ (live at La Cigale, Paris)
Quelle: youtube
Sophie Hunger: „Train People“ (live für ZEIT online)
Quelle: ZEIT online
Orchestre Rail-Band de Bamako: Rail-Band Orchestra Of Bamako (Reissue Mississippi Records, orig. 1970)
Es ist eine der legendärsten Aufnahmen der frühen afrikanischen Popmusik. Als Mali noch ein sozialistischer Staat war, unterhielt die Regierung verschiedene Unterhaltungsorchester. Dieses hier stellte der Direktor der malischen Eisenbahngesellschaft zusammen, naturgemäß hatte es im Bahnhofsgebäude der Hauptstadt Bamako seine Residenz. In seinen Reihen: ein sehr junger Salif Keita, der ab 1972 dann durch den Griot Mory Kanté aus Guinea ersetzt wurde. Tatsächlich wurzeln in dieser Band, die die ganzen Siebziger hindurch das Bahnhofsbuffet für die Fahrgäste an der Linie Dakar – Niger in einen groovenden Hexenkessel verwandelte, viele Komponenten des späteren weltmusikalischen Booms Westafrikas. Melismatische Gesangslinien, raues Sax und klackernde Gitarrensoli – der Sound der Rail-Band hat bis heute an Faszination nicht verloren.
In verschiedenen Metamorphosen hat die Rail-Band (als Super Rail Band) bis ins neue Jahrtausend überlebt. Der Bahnstrecke dagegen geht es nicht so gut: Die 1300km lange Trasse zwischen dem Atlantik und der Wüste bröckelt schon lange vor sich hin, die wenigen Züge, die noch zwischen der malischen Grenzstadt Kayes und Bamako verkehren, entgleisen des öfteren, die Waggons sind in einem erbärmlichen Zustand. Man hört in regelmäßigen Abständen von Renovierungsplänen und Investoren aus dem Ausland. Die Strecke zu bereisen, war mal ein Traum von mir – im Moment ist es eher fraglich, ob der noch wahr wird. Halten wir uns also an die Musik.
Orchestre Rail-Band de Bamako: „Mali Cèbalenw“
Quelle: youtube
Sukwinder Singh & Sapna Awasthi: „Chaiyya Chaiyya“ (aus OST Dil Se, 1998)
Choreographie am Gleiskörper pt. 2. Die Romanze um eine Terroristin aus Kaschmir (Manisha Koirala) und einen Radiomann (zuverlässig kuhäugig verkörpert von Sharrukh Khan) beinhaltet auch die schönste „Zugnummer“ der Bollywood-Industrie, natürlich aus der Feder des „Mozart von Madras“, dem immer noch unumstrittenen Filmmusikkomponisten Nummer 1, A.R.Rahman. Es ist eine Abwandlung eines Sufi-Songs aus dem Punjab, getextet vom Poeten Bulleh Shah. Gedreht wurde tatsächlich während der Fahrt eines Zuges auf der Nilgiri Mountain Railway im Bundesstaat Tamil Nadu. Auf der 46km langen Strecke zwischen Mettupalayam und Udhagamandalam überwindet der Zug 1800 Höhenmeter. Bergwärts braucht man dafür fast 5 Stunden. Bei dem Tempo lässt sich ein Tänzchen auf dem Waggondach wagen.
Björk feat. Thom Yorke: „I’ve Seen It All“ (auf Selmasongs, 2001)
Es gibt wenige Songs, die einen ratternden Zug so genial als rhythmische Basis verwenden – und das dann auch noch mit Bildern am Gleiskörper choreographieren. Für mich die grandioseste Szene in Lars von Triers beklemmender Passionsgeschichte Dancer In The Dark um die erblindende Selma Jezkova (Björk). Ich habe mich immer gefragt, ob Thom Yorke, der hier dem Schauspieler Peter Stormare seine Stimme leiht, den Part nicht selbst hätte spielen können. Für Eisenbahnfreaks: Der Film spielt im Jahre 1964 im US-Bundesstaat Washington, wurde aber bei der schwedischen Stadt Trollhättan gedreht. Zum Einsatz kommt eine dänische Lokomotive des Typs MY, die für die Dreharbeiten zu einer Lok der Great Northern Line umlackiert wurde.
Björk feat. Thom Yorke: „I’ve Seen It All“
Quelle: youtube