Schatzkiste #20: Dubpapst in Marrakesch

gnawa night spirit mastersNight Spirit Masters
Gnawa Music Of Marrakesh
(Axiom, 1990)

Marokko weht noch heftig nach seit dem Trip im Mai. Vor wenigen Tagen durfte ich diese phänomenale Aufnahme entdecken, die Bill Laswell vor einem Vierteljahrhundert mit Gnawa-Musikern in der Medina von Marrakesch für sein eigenes Label Axiom gemacht hat. Der Dubpapst hat es dabei irgendwie geschafft, diese Musik extrem räumlich darzustellen, der Puls der Basslaute Gimbri scheint fast unter die Haut zu kriechen. Ganz das Gegenteil von den vielen dumpfen, dürftigen Feldaufnahmen, die vom schwarzen Erbe Marokkos existieren.  Danke an Markus, der mich zu dieser LP hingestupft hat.

Mustapha Baqbou: „Baba L’Rouami“
Quelle: youtube

Schatzkiste #19: Chicagos Gospelbrunnen

martha bass - I'm so gratefulMartha Bass 
I’m So Grateful
(Checker, 1966)

Ihre Tochter Fontella ist in der Soulwelt erheblich bekannter. Doch der eher unbekannten Mama muss unter den Gospelsängerinnen ein ebenbürtiger Platz neben Clara Ward (aus deren Chor Martha kam) und Mahalia Jackson eingeräumt werden. Und auch wenn meines Wissens Aretha sie nie als Vorbild genannt hat, höre ich doch etliche Phrasierungen raus, die ganz ähnlich sind. Beseeltes Dynamit, ein feuriger Antwortchor und grandiose Verschlingung von Orgel und Piano.

Martha Bass: „I’m Getting Nearer To My Home“
Quelle: youtube

Schatzkiste #18: Himmlische Archaik

pitcvh gusman story - in the storm so longVarious Artists (1967-78)
In The Storm So Long
(Mississippi Records, 2008)

Hinter dieser Scheibe versteckt sich die abenteuerliche und ergreifende Geschichte des Waymon „Gusman“ Jones, einem Gospel-verrückten aus Savannah, Georgia. In den 1960ern eröffnete er einen Plattenladen, der zum Treffpunkt lokaler Gospelgruppen wurde. Jones nahm etliche unter seine Fittiche und machte Aufnahmen, die er auf seinen eigenen Labels Pitch und Gusman veröffentlichte. Mississippi Records, die Schatzgräber obskuren Vinyls aus Portland haben 12 Aufnahmen aus Jones‘ Bestand vor dem Vergessen bewahrt. Es rumpelt, knattert, krächzt und eiert – aber diese Einblicke in die glühende Spiritualität der Südstaaten aus einer vergangenen Ära ergreifen einen vieltausendfach mehr als der kommerzialisierte Plastikgospel von heute.  Danach muss die Gänsehaut sehr lange ins Abklingbecken. Danke an Gina für diese Perle!

The Lightly Singers Of Estill, South Carolina: „In The Morning When The Trumpet Sounds“
Quelle: youtube

Schatzkiste #17: Soulkarussell aus Atlanta

john edwards - sameJohn Edwards
John Edwards
(Aware, 1973)

entdeckt auf der Plattenbörse Freiburg

Schöne Entdeckung heute auf dem feinen lokalen Vinylbasar. Edwards, den ich unter seinem Namen bisher nicht wahrgenommen hatte, wurde später Sänger bei den Spinners. Auf seinem Debütalbum steuert er mit kraftvollem Tenororgan durch raueren Southern Soul-Stoff, aber auch durch großartige Herzbrecherballaden mit Falsettorgien. Geschmackvolle, eruptive und frühlingshafte Mischung, fürs Repertoire hat er sich auch bei Sam Dees und den Womacks bedient.  „Hotlanta Sound“ steht auf dem Label. Passt!

John Edwards: „Exercise My Love“
Quelle: youtube

Schatzkiste #16: Kentucky Fried Funk


manzel - midnight themeManzel

„Midnight Theme“
(Dopebrother, 2004/ orig. 1973-78)

entdeckt bei Michael Chabon

Eine der großartigsten Szenen in Michael Chabons Telegraph Avenue ist der Flug des Zeppelin über die Bay Area, während dem der Medienmogul Gibson Goode unseren Held und Plattenladenbesitzer Archy Stallings für seinen Megastore abwerben möchte. (In der unausweichlich kommenden Verfilmung wird das mal kolossal aussehen.) Dazu läuft – Vinyl an Bord eines Luftschiffs, geht’s noch nerdiger? Und was hat das für Auswirkungen auf die Gleichlaufschwankungen? –  Manzels „Midnight Theme“. Die obskure Instrumentalband aus Kentucky um den Keyboarder Manzel Bush existierte von 1973 und 1978. Dopebrother Records haben vor 11 Jahren dankenswerterweise eine Kompi aus Manzels Schaffen veröffentlicht. Mein Favorit aus ihrem sehr begrenzten, aber umso funkigeren Repertoire kommt hier. Der Einsatz der Streicher bei 0:46 lässt einen – so würde es Tex Rubinowitz sagen – schreien vor Glück.

Manzel: „Space Funk“
Quelle: youtube

Schatzkiste #15: Liedschmied

jimmy webb - land's endJimmy Webb
Land’s End

(Asylum Records, 1974)

entdeckt bei Discogs

Könnte ich Songs und Arrangements schreiben wie er, würde ich den Journalismus sofort an den Nagel hängen und mich jeden Tag allein eine Stunde über dieses Talent freuen wie ein Schneekönig. Jimmy Webb hat nicht nur grandiose Hymnen wie „MacArthur Park“ oder „Wichita Lineman“ aus einer anderen Dimension geholt, sondern auch die treffendste und witzigste Abhandlung übers Songwriting verfasst, die ich kenne (Tunesmith, Hyperion 1998). Auch mein so geliebter Soul lebt von seinen wunderbaren Klangtexturen (zum Beispiel Thelma Houstons Sunflower). Viele Kollegen sind der Meinung, dass er nicht der beste Interpret seiner eigenen Songs war. Diese LP straft sie Lügen. Der feine, leicht country-eske Wintersound läuft mir seit etlichen Tagen nach – und Webbs Stimme war Mitte der Siebziger auch auf dem Zenit. Die Platte gipfelt in einem orchestralen Finale, zu dessen leichtem Schmalz man sich schamlos bekennen kann.

Jimmy Webb: „Land’s End / Asleep On The Wind“
Quelle: youtube

Schatzkiste #14: Partyfutter aus Chicago

leroy hutson - feel the spiritLeroy Hutson feat. the Free Spirit Symphony
Feel The Spirit
(Curtom Records, 1976)

entdeckt bei: Second Hand Records Stuttgart

Das prominente Ex-Mitglied der Impressions ließ sich gerne auch mal als Sugar Daddy mit Pelz und noblem Gehstock ablichten – visuelles Pendant zu seiner smarten Womanizer-Stimme. Hier allerdings kommt er funky zur Sache mit einer opulenten Bigband und Streichorchester, die auch mal unverhohlen in den Glitzerkugelbereich einschwenken. Ein bisschen hört es sich an, als hätte er die Essenzen von Earth, Wind & Fire und Kool & The Gang aus dieser Zeit mit ins Klangbad geträufelt. Als Silvesterparty-Platte und glückskeksiges Starter-Kit fürs neue Jahr unbedingt brauchbar.

Leroy Hutson feat. the Free Spirit Symphony: „It’s The Music“
Quelle: youtube

Schatzkiste #13: Serotonin aus Washington

terry huff - the lonely oneTerry Huff & Special Delivery:
The Lonely One
(Mainstream Records, 1976)

entdeckt bei: Second Hands Records, Stuttgart

Ein bisschen paradox ist es schon: Ich kenne kaum eine Soulplatte, die soviel Glücksgefühle erzeugt, und doch geht es in allen Texten um Schiffbruch in der Liebe. Mr. Huff ist ein Falsettmonster aus Washington D.C., der es locker mit Smokey Robinson aufnehmen kann.  Hyperventilierende Streicher, Frühlingswiesen-Oboen, Harfengirlanden – und dazu der  hymnische Countertenor: Was will man mehr? Die akustische Gitarre vom Cover ist übrigens reines Zierwerk, ich hab‘ sie bisher nicht rausgehört.

Terry Huff & Special Delivery: „That’s When Love Hurts“
Quelle: youtube

Schatzkiste #12: Pfau von der Leine

jorge ben - solta o pavaoJorge Ben: Solta O Pavão 
(Philips, 1975)

entdeckt bei: L.O. Motta Discos, Copacabana, Rio (heute offensichtlich nicht mehr existent)

Im September 2005 geriet ich zufällig in eine Gafieira im Norden von Rio de Janeiro. So heißen die Tanzveranstaltungen, bei denen sich Leute zwischen 20 und 50 zu funkigen Sambasounds auf der Tanzfläche drehen. Da legte der DJ einen Track von Jorge Ben auf, der mir sofort in die Glieder fuhr. Ich belagerte das Pult und wollte wissen, von welcher Scheibe er kam. „Se Segura Malandro“ stammt vom 13. Album des Sambasoul-Mestres – und für die restliche Zeit meines Brasilienaufenthalts war ich auf der Jagd nach der Scheibe.  An einem verregneten Nachmittag habe ich die Platte dann an der Copacabana im muffigen Geruch von Tropenpilzen aus dem Antiquariats-Paradies L.O. Motta Discos gefummelt. Der Titel „Lass den Pfau von der Leine“ spielt in der typisch mystischen Art von Ben darauf an, dass man die innere Schönheit in die sichtbare Sphäre entlassen soll.  Ein geradezu folkiges, unglaublich leichtfüßiges Glanzlicht aus der Sambasoul-Ära.

Jorge Ben: „Se Segura Malandro“ (Drumagick Remix)
Quelle: youtube

Schatzkiste #11: Cooler Retro SciFi-Flow

greg foat group - girl and robot with flowersGreg Foat Group: Girl And Robot With Flowers
(Jazzman Records, 2012)

entdeckt bei: Stadtmusik-Festival Basel

In unserem Sonnensystem kann das Coverbild nicht entstanden sein, man erkennt das schon mit astronomischem Halbwissen. Denn die Welt, die der britische Tastenmeister hier erschafft, ist wirklich out there. Das Ding fängt an wie Miles Davis in seiner besten Cool-Phase und hangelt sich langsam an hauchigem Flügelhorn, melancholischem Flügel, brüllendem Saxophon und flubbernden Analog-Synthesizern zu einem unverschämt lässigen Space-Soundtrack zwischen Disco und Blues mit viel Siebzigerflair empor. Ultimativer Anspieltipp „Have Spacesuit Will Travel“! Schade, dass es das Stadtmusik-Festival im Innenhof des Kunstmuseums Basel nicht mehr gibt. Dort habe ich den Mann am Keyboard 2012 entdeckt.

The Greg Foat Group: „Have Spacesuit Will Travel (part II)“
Quelle: youtube