Eine Orchesterplatte zu Corona-Zeiten aufnehmen? Dass das geklappt hat, war ein kleines Wunder, sagt Fabia Mantwill. Die 27-jährige Berlinerin ist Komponistin, Arrangeurin, Orchesterchefin, Saxophonistin und Sängerin in Personalunion, und sie setzt mit ihrem Debütalbum Em.perience ein kräftiges Ausrufezeichen im jungen deutschen Jazz, der bei ihr auch genauso in die Klassik und ins Songwriting hineinreicht.
SRF 2 Kultur sendet meinen Beitrag über die vielseitige Musikerin am Dienstag, den 11.5. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h (Wiederholung am 14.5. ab 21h), zu hören hier im Stream oder in der Schweiz auch nach Ausstrahlung im Podcast.
Fabia Mantwill Orchestra: „Sasa Ndio Sasa“ (live)
Quelle: youtube
Egal, welche Platte aus dem Katalog von Stax Records bis 1971 man aus dem Schrank zieht: Die Wahrscheinlichkeit, dass Steve Cropper als Gitarrist, Produzent und Songschreiber daran beteiligt war, ist sehr hoch. Ob bei den Instrumental-Combos Mar-Keys oder Booker T. & the MGs, ob bei Otis Redding, Wilson Pickett, Eddie Floyd oder Mavis Staples – Croppers markante Licks und sein Pult-Knowhow zieren Unmengen von Hits des Soul-Labels aus Memphis. Mit 79 hat der Veteran mit Fire It Up (Provogue/Mascot Label Group) wieder ein R&B-Soloalbum produziert. Der Vorgänger – zumindest der, den Cropper selbst gelten lässt – datiert von 1969.
„Vergnügt“ ist das Wort, das einem sofort in den Sinn kommt, als Steve Croppers Gesicht im Zoom-Fenster erscheint. Mit seiner akkurat getrimmten Variante eines Bardo-Barts sitzt er in bester Laune vor dem Bildschirm, eingerahmt durch eine goldene Schallplatte und die Wintersonne von Nashville, die durch die Jalousien dringt. Dass der R&B-Gitarrenheld aus der Soulville Memphis seinen Alterssitz ausgerechnet im Country-Mekka genommen hat, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Für seine neue Scheibe aber ein Glücksfall, schließlich ist dort auch sein langjähriger Kumpel Jon Tiven zuhause, alter Producer-Hase im Soulgeschäft und treibender Netzwerker hinter Fire It Up!
„Schon bei unserem ersten Treffen in den Neunzigern stimmte die Chemie einfach“, sagt Cropper, der sich eisern jeden Dienstag mit Tiven zum Songschreiben trifft. „Jon brachte mich 2011 für ein Album mit Felix Cavaliere (Anm.: u.a. Sänger der Ringo Starr & His All Starrs Band) zusammen. Davon sind eine Menge Songs übriggeblieben. Aber wäre nicht der Lockdown gewesen, hätten wir die vielleicht nie fertigproduziert.“ Tiven ließ seine Verbindungen bis an die Ostküste spielen, wo er den ehemaligen Punk-Popper Roger C. Reale für die Vocals einbestellte. „Der Typ war mir komplett unbekannt“, gibt Cropper zu. „Aber als er mir ein paar Aufnahmen schickte, musste ich zugeben: Mannomann, wenn der singt, meint er es ernst! Da sind Jahrzehnte von Schmerz in seiner Stimme.“ Die Lyrics der Songs sind voll von den Dramen des Herzens, von Verlassen und Verlassenwerden, von aufregenden Achterbahnfahrten mit der Liebsten, aber auch, wie in der Single „Far Away“, vom Reflektieren über die absurde Welt von 2021.
Ein kompakter Saxophon-Satz und Keyboards, alles von Tiven eingespielt, sorgen für die Textur – und dann kommen wir zum Kern der Sache, der Rhythm Section: Steve Croppers auch nach 60 Jahren R&B-Business taufrisch klingende Gitarrenlicks und acht (!) verschiedene Drummer, darunter auch ein Omar Hakim. Insgesamt ein kompaktes Tanzalbum mit Songs in der Spieldauer von klassischen Stax-Singles. Nur in „One Good Turn“ wird auf Balladentempo gedrosselt – eine Nummer, die ein wenig an „The Dock Of The Bay“ erinnert. Cropper schrieb sie 1967 mit Otis Redding, die wunderbaren Licks in den hohen Lagen kennt jeder. „Mir war der Rhythmus und das Tanzen immer das Wichtigste in der Musik“, stellt Cropper klar. „Und gerade jetzt ist es an der Zeit, dass die Leute wieder tanzen und lachen. Wie damals: Als wir mit Booker T. und den MGs am Wochenende unterwegs waren, hat unser Drummer Al Jackson von der Bühne runter die Tänzer beobachtet – und ab Montagmorgen haben wir dann zurück in den Stax-Studios ihre neuen Schritte in neue Grooves übersetzt. Denn Plattenmachen ist wie Angeln: Du musst auch mal den Köder wechseln, damit die Fische anbeißen.“
Dass die Fische dank Croppers Talenten anbissen, merkt Stax-Chef Jim Stewart in den frühen Sechzigern schnell. Der auf einer Farm in Missouri geborene Autodidakt auf der Gitarre kommt über die Royal Spades (später Mar-Keys) zum 1958 gegründeten Label, wird mit dem Organist Booker T. Jones, Bassist Donald Dunn und Drummer Al Jackson zur Hausband für unzählige schwarze Sänger, übernimmt immer mehr Pult-Arbeiten und Songwriting-Aufgaben. Sogar Atlantic bucht für seine Stars Sessions bei Cropper in Memphis. Zwei Markenzeichen etabliert er in den Sechzigern: Zum einen die prägnanten „hammer tones‘, kurze Fills in den Vokalpausen der Songs, die sich nur auf einer Telecaster-Gitarre wegen des knochentrockenen, Feedback-freien Sounds spielen lassen. Den Cropper-Sound können Soul-Liebhaber deshalb gut von dem seiner Kollegen Cornell Dupree und Jimmy Johnson unterscheiden. Das Mojo Magazine listet ihn dieser Kunst wegen als zweitbesten Gitarristen der Welt hinter Jimi Hendrix.
Zweites Markenzeichen: die markanten Intros. „Mir fiel auf, dass die DJs im Radio immer quatschten, bis der Gesang einsetzte. Also schrieb ich Intros, die so laut und fett waren, dass sie das nicht mehr machen konnten. Das fing an mit Wilson Picketts ‚In The Midnight Hour‘, ab da war ich der ‚Intro Guy‘. Und als Isaac Hayes für Sam & Dave ‚Soul Man‘ schrieb, riss er mich mitten aus einer Session und sagte: ‚Hey Steve, ich komme nicht weiter, schreibst du mir ein Intro?‘ Heute scheint es mir, dass Musik nur noch zu Poetry gesetzter Sound ist. Bei uns war immer erst die Musik da, und das ist auch auf dem neuen Album noch so.“
An dieser Stelle des Gesprächs beginnt Cropper, in Anekdoten zu schwelgen. Nein, beim besten Willen könne er keinen Lieblingshit aus dem Stax-Katalog benennen, er sei auf alle stolz. „Aber wenn du mich fragst, bei welchem ich es bedauere, dass er kein Hit geworden ist, ist die Antwort klar: Otis Reddings ‚Nobody‘s Fault But Mine‘. Dabei hatte der einen so grandiosen Groove!“ Besonders gern erinnert er sich an die Sessions für Mavis Staples‘ erstes Solo-Album. „Ihr Vater Pops war sehr zurückhaltend mit Songmaterial außerhalb des Gospelbezirks. Ich musste Mavis feinfühlig Material auf den Leib schneidern. Wir starteten mit Jimmy Webbs ‚A House Is Not A Home‘, damit war er einverstanden. Und von da an gab er seinen Segen.“
Zu dieser Zeit, 1969, hatte Stax mit dem neuen schwarzen Vize-Chef Al Bell schon eine turbulente Phase überstanden. „Lass mich eines ganz klar sagen.“ Cropper zieht die Brauen hoch. „Es gab bei Stax keine Hautfarbe. Wir waren Menschen, die zusammenkamen, um Musik zu machen. Als Dr. King erschossen wurde, gab es vorübergehend auch Spannungen bei uns. Doch die Stax-Studios waren das einzige Gebäude im Viertel, das während der Unruhen nicht abgefackelt wurde. Denn es war bekannt: Hier ist ein gesegneter Ort, und zwar für alle.“ Trotzdem war die Blütezeit von Soulville vorbei, Cropper verließ das Label 1971 und eine neue Welt tat sich für ihn auf: Er spielte auf Alben von John Lennon und Ringo Starr, wurde schließlich einer der Blues Brothers. An die Deutschlandtourneen mit der Filmcombo erinnert er sich immer noch gerne: „Wir haben die Ballrooms bei euch gerockt!“ Später luden ihn Bob Dylan, Eric Clapton und Neil Young auf die Bühne, mit einer wiedererstandenen Version der MGs. Booker T. Jones sieht er immer noch regelmäßig, in der letzten Dekade musizierte er mit ihm im Weißen Haus und in der Royal Albert Hall bei einer Tom Jones-Gala.
Was er sich für die Zukunft wünscht? Er schließt mit einem gewaltigen Understatement. „Jemand hat mal gesagt: Alles was du auf deinem Instrument produzieren musst, ist eine Note! Und dann versuchst du dein Leben lang, diese eine Note auf verschiedene Positionen zu übertragen. Damit bin ich immer noch zugange. Aber ich werde wohl sterben, ohne zu wissen wie man richtig spielt.“ Und das als zweitbester Gitarrist der Welt.
Das Beste aus zwei Welten: die Energie des Soul und die Harmonien des Jazz, so definiert Myles Sanko sein Schaffen. Mit seinem neuen Werk Memories Of Love (Légère Recordings) vereint der Mann aus Cambridge sie in einer ungewöhnlichen Dramaturgie von Liebesliedern.
Im Video zu seiner neuen Single „Freedom Is You“ geht Myles Sanko ins Wasser. Mit den besten Absichten, denn dort erwartet ihn ein weißgewandeter Mann für die Taufe. „Ich bin kein religiöser Mensch“, stellt Sanko klar, „aber durchaus spirituell. Und in dieser Hymne an die Musik habe ich in Bilder gefasst, wie gut es tut, von Tönen ganz umflossen zu werden wie vom Wasser. Musik ist mein Leben, mein Alles, meine Zukunft.“ Man mag von seinem strahlenden, manchmal etwas plakativen Sound angetan sein oder nicht: Diese Aussage ist absolut glaubhaft, haben seine Songs doch immer die Aura der Hingabe.
Myles Sanko, der 1980 als Sohn eines bretonischen Seemanns und einer Ghanaerin geboren wird, hat eine unstete Kindheit, die er rückblickend aber doch als „fantastisch“ ansieht. „Als Fischer gehst du dahin, wo der Fang gut ist, und das hieß für mich, ein Leben zwischen der ghanaischen Hafenstadt Tema, dem togolesischen Lomé, Abidjan in der Elfenbeinküste und dem Senegal.“ Liebgewonnene Erinnerungen hat er vor allem an Ghana, wo die Lieder, mit denen die Fischer ihre Netze einholten oder mit denen der Zimmermann das Haus baute, ihm so etwas wie einen Urkick für sein rhythmisches Empfinden gaben. Doch schließlich schlug Sanko in Cambridge Wurzeln, wo er sich in der lokalen Szene die Hörner abstieß. Von seiner ursprünglichen Liebe, dem Rap ausgehend, entdeckte er durch die dort verwendeten Samples immer mehr die Vorläufergenres.
„Wir hatten hier eine kleine Soul- und Funk-Szene, die aber gerade groß genug war, um mir das Rüstzeug zu geben“, erinnert er sich. „Ich habe hier gelernt, wie man auf der Bühne agiert.“ Und genau das wurde auch zu seinem Leitgedanken: Ein guter Sänger muss ein geborener Performer sein. Daher offenbart Sanko auch eine ausgeprägte Liebe für die Rampensäue James Brown und Otis Redding, bewundert gerade bei letzterem, wie er von delikater Sensibilität auf Explosionskraft umschalten kann. Weitere frühe Heroen: Donny Hathaway und Bill Withers, dem er attestiert, er sei eigentlich ein Jazzer, man müsse sich nur eingehend mit seinen Kompositionen beschäftigen. Auch in Sankos Timbre hat sich Mr. Withers unverkennbar als seelenverwandter Vokalist niedergeschlagen.
Mittlerweile hat sich Myles Sanko von den Vorbildern und dem unverkennbar auf Retro gepegelten Sound der Frühwerke emanzipiert. „Ich denke, dass ich jetzt allmählich weiß, wo ich hinwill und dass ich akzeptiert habe, wer ich selbst bin. Ich bin gespannt, wie mein weiterer Weg verlaufen wird, denn ich habe mir vorgenommen, vor der Rente 15 Alben aufzunehmen! Memories Of Love hat einen sehr kraftvollen Sound, den ich zusammen mit meinem langjährigen Pianisten Tom O’Grady ausgeklügelt habe. Früher habe ich nicht viel mit Background Vocals gearbeitet. Aber jetzt habe ich mich gezielt entschieden, Chöre zu verwenden, viel Gospelanklänge zu verwenden. Das verleiht dem Album eine Spannung, eine Präsenz, und genau den richtigen Schwung.“ Was aber nicht heißt, dass alle elf Songs immer straightforward an die Bühnenkante gehen. Es gibt viel Platz für Improvisationen für Sax, Trompete und vor allem für O‘Gradys quirliges Klavier, auch mal unerwartete Progressionen.
Alle seine Bandmitglieder stammen aus Londons junger Jazzszene, zu der sich Sanko selbst nie zugehörig fühlte. „Ich als Außenseiter in dieser Londoner Jazzwelt, die Mischung macht’s!“, so sein Urteil. „Was mich im Soul manchmal stört, ist seine Schlichtheit, nach der aber manche der klassischen Songs des Genres gerade verlangen. Im Jazz dagegen fehlt mir zuweilen das tiefe Gefühl und die Leidenschaft. Mein Ziel ist es, das Beste aus beiden Welten zu vereinen, und die Würze sind die Streicher, der Gospel, ein Hauch Funk und HipHop.“ Sanko geht sogar so weit, dass er seinen Hörern auf dem Album zwei Songs in verschiedenen Versionen anbietet, einmal eher die jazzige Stripped Down-Version, einmal die seelenvolle Opulenz. „Wenn ein Song in reduzierter Form funktioniert, dann kannst du mit ihm nachher anstellen was du willst. Ich hoffe, ich kann meinem Publikum mit diesen Alternativfassungen auch verschiedene Reiserouten durch diese Songs ermöglichen.“
Eine mögliche Reiseroute ist auch die Landkarte der Liebe. Für Myles Sanko hat das überhaupt nichts Kitschiges oder Sentimentales. Sein Liederzyklus feiert nicht nur die Kraft der glücklichen Liebesbeziehung, er reicht auch oft ins Melancholische und Bittere, beinhaltet eben all das, was seine Erinnerungen an die Liebe triggert. Ganz offenkundig ist das im luxuriös gewandeten „Where Do We Stand“, mit dem er die problematische Beziehung zu seinem Vater aufarbeitet. „Er war ja nie da, immer auf See, ich hatte nie eine kontinuierliche Vaterfigur. Durch diesen Song können wir uns beide aneinander annähern, Heilung ermöglichen. Ich hoffe, dass das bei vielen Menschen eine Resonanz hervorruft, denn jeder schleppt ja solche biographischen Themen mit sich rum.“
Auch in „Never My Friend“ wird die eher zähe Seite der Liebe beleuchtet, die eines sich ständig ungeliebt fühlenden Pubertierenden, der neidisch die Liebespärchen um sich herum beobachtet. Hier leuchten deutliche Reverenzen an Hathaways balladeske Schwermut auf, und der Schlagzeuger hat Kaffeepause. „Viele kämpfen ja lange Jahre darum, eine Liebe zu finden, sie scheint immer ganz nah zu sein, entzieht sich dann wieder. Bei mir war das auch so, bis ich endlich meine Liebe fand.“ Ihr hat er „In The Morning“ gewidmet, eine Hymne auf die Schönheit, die mit neckischen Trompeten-Riffs und Philly-Strings gespickt ist.
Eine andere große Soulballade entfaltet er mit „Streams Of Time“, in der die Gitarre jubilierende Interludien liefert, bevor sich ein mächtiger Gospeldonner aufbaut. Und mit einem ganz unerwarteten Liebeslied klingt Memories Of Love aus. Der „Blackbird Song“ outet Myles Sanko als Naturliebhaber: „Ich habe mir neulich in Südfrankreich eine Villa gekauft. Eines Morgens war ich oben auf dem Dach, um was zu reparieren. Da fing eine Amsel zu singen an. Ich ließ den Hammer fallen und hörte einfach nur zu. In diesem Gesang, der ja so unverwechselbar ist, kamen so viele Erinnerungen hoch, an den Frühling und Sommer meiner früheren Jahre. Das war wie ein Schleusentor.“
Das zeigt auch die Debütplatte des Trios First Strings On Mars, in dem er gleichberechtigt an der Seite des österreichischen Bassisten Georg Breinschmid und seines Violinenkollegen Igmar Jenner agiert. „Wir wollen mit den Streichern in unbekannte Gefilde vorstoßen“, sagt Willeitner im Interview. „Zwar kommen wir alle drei von der Klassik, sind aber im Jazz und volksmusikalischen Stilen zuhause, wollen alle Einflüsse, die es auf dem Planeten gibt, sammeln und dann spätestens in zehn Jahren auf den Mars auswandern.“ Womit augenzwinkernd auch gleich der Name des Trios erklärt wäre.
Willeitner empfindet es als „Riesenglück“, dass er in beiden musikalischen Welten sehr offene Lehrer hatte, die ihm keinerlei Hürden in den Weg stellten. Grenzenlosigkeit wird nicht nur stilistisch, auch geographisch zu seinem Lebensmotto. Er schaut sich sehr viel in Irland um und versteht, es braucht vor allem eines, um die Leute zu berühren: den seelenvollen Groove. „Die irischen Fiddler haben eine Art zu phrasieren und zu verzieren, die mich fasziniert. Als Solist können sie ein ganzes Pub zum Tanzen bringen, lediglich mit einer einstimmigen Melodie.“ Eine weitere Lehrstation ist für ihn Brasilien, wo er sich das mehrstimmige Spiel bei den Virtuosen der alten Rabeca-Fiedel abguckt.
Und schließlich Südindien: „Die Flexibilität und Weichheit der linken Hand, die präzisen Rutscher auf der Saite, davon können Geiger bei uns nur träumen.“ Willeitner hat hart daran gearbeitet, seine Klangvorstellungen auf seine Instrumente zu übertragen, wobei ihm auch das Glück über den Weg lief. Seine Violine stammt vom legendären Wiener Geigenbauer Gabriel Lemböck, bei dem Paganini in den 1850ern seine berühmte Guarneri-„Cannone“ zur Reparatur hatte. Lemböck nahm Maß von ihr und fertigte einige Nachbauten an. Einen davon besitzt nun Willeitner, der schwärmt: „Sie hat einen so dunklen, vollen, warmen, kräftigen Sound.“ Mit einer speziell angefertigten „Soulfiddle“, die fünf Resonanzsaiten hat und eine zusätzliche tiefe Saite, kann er dieses Timbre noch intensivieren.
In Georg Breinschmid hat Willeitner einen Long Time Companion gefunden, der seit langem schon ähnlich global tickt, sein Territorium von der Klassik ausgehend weiträumig und mit Witz Richtung Blues, Jazz und Wienerlied abgesteckt hat. Und als Igmar Jenner dazustieß, war die Binnenchemie perfekt: „Es ist bei uns immer sehr entspannt und es gibt auch immer einen Hauch dadaistischer Einflüsse“, charakterisiert Willeitner das zwischenmenschliche Gefüge. Die Scheibe vereint kosmopolitischen Ansatz mit delikater, seelenvoller Virtuosität und hellen Humorfünkchen. Und so mag man im „Novemberlicht“ die Strahlkraft keltischer Fiddletradition heraushören.
Die Aura des Teufelsgeigers bis hin zur geräuschhaften Ekstase verbreitet sich in „Brazil Imported“ auf der Basis von Baden Powells „Canto De Ossanha“, während bei der „Dark Romance“ barocke Arpeggien in eine Schauermär überleiten. Auch eine Nähe zum Pop wird nicht gescheut, wenn das Trio etwa aus Stings Ballade „Fragile“ eine beredte Erzählung mit Pizzicato-Umspielungen macht, „The Green Wind“ dagegen ist Folksong-Seligkeit pur. In der Urheberschaft der Stücke kommt auch Breinschmid zum Zug: Sein Stück „Reminiscence“ trägt bluesige Färbungen und komplexe Jazzharmonik hinein, der „Swindler“ dreht die austriakische Länder-Tradition durch die Mangel. Ein grandioses Fest zeitgenössischer Streicher-Arbeit, warm und wild.
Und hier noch ein Radiotipp:
SRF 2 Kultur strahlt meinen Beitrag über First Strings On Mars am Dienstag, den 9.3. in der Sendung Jazz & World aktuell zwischen 20h und 21h aus, zu hören im Live-Stream.
Eine zweifelnde Nonne, ein Schlafloser, der sich vor dem Mond fürchtet, eine Frau, die zu ihrem gealterten Spiegelbild steht, eine tröstende Ärztin – das sind die Charaktere, die Cristina Brancos neues Album Eva (O-Tone Music/edel kultur) bevölkern, ihr persönlichstes überhaupt. Fado war vorgestern.
Von spröden Electronica-Tributen bis zu seichtem Orchesterteppich reichten 2020 die Beiträge, die große Fado-Ikone Amália Rodrigues zu ihrem 100. Geburtstag zu ehren. Es ist sehr signifikant, dass Cristina Branco gerade jetzt ihr erstes Album herausbringt, das jegliche Fado-Spuren getilgt hat. Ihr Ton war schon lange ein anderer, einer, der sich in Richtung sehr persönliches Songwriting abkoppelte und nun seinen Höhepunkt erreicht hat: mit der Beendigung einer Albumtrilogie, in der es ihr um die weibliche Perspektive geht.
Der Weg dahin war ein dorniger, mit einer Talsohle im Jahre 2006: „Ich wusste damals überhaupt nicht, in welche Richtung meine Karriere weitergehen sollte“, sagt Branco. „Da war eine junge Frau mit einem erdrückend vollen Terminkalender, die keine Zeit mehr für ihre Familie, ihr erstes kleines Kind hatte. Das überrollte mich ganz dramatisch, ich wurde krank, hatte Halsschmerzen, sobald ich einen Ton sang. Damals schrieb ich mir ein paar Versprechen an mich selbst auf, die mein Verständnis von Freiheit festlegten.“ Während sie sich bei einer Auszeit in Dänemark „reparierte“, begann sie ein Tagebuch, und kreierte dafür ihr Alter Ego namens „Eva“. Lange blieben die Einträge im „Eva“-Diary unter Verschluss, auch wenn die beiden kürzlich erschienenen Alben „Menina“ und „Branco“ schon ausgeprägt weibliche Themen hatten.
„Von Beginn meiner Karriere an habe ich große Sorgfalt darauf verwendet, was ich den Menschen erzähle. Ich bin nicht an Märchen interessiert, sondern an der Realität, an Dingen, die ich selbst erfahren habe. Meine Alben bekamen deshalb immer mehr biographische Züge. Aber so viel von mir selbst zu zeigen, davor fürchtete mich ein bisschen.“ Sie traute sich schließlich mit einem Kniff: Jungen lusophonen Songwritern und Poeten, vom gefeierten angolanischen Literaten Kalaf Epalanga über die Kapverdin Sara Tavares bis zum blutjungen Liederschreiber Churky, schickte sie ihre Niederschriften. Und die destillierten aus den dreizehn Jahren von Evas Einträgen Geschichten, die nun zu einem intimen Zyklus gebündelt sind. „Als die Demos eintrafen, fühlte ich mich sehr nackt, denn ich hörte ja meine persönlichsten Dinge aus dem Munde anderer“, so Branco. Diese Nacktheit spiegelt sich auch in den Bildern des Booklets. Die Porträts der Sängerin wurden teils verfremdet, erwecken so die Illusion, man sähe sie in verschiedenen Rollen und Altersstufen – und immer blickt sie einem nackt, ungeschönt, ja schonungslos entgegen.
Umgesetzt hat Cristina Branco das vertonte Tagebuch mit ihrem bewährten Quartett, das Jazzvokabular mit der portugiesischen Gitarre von Bernardo Couto kombiniert und so eine ganz eigene, zeitgenössische, genauso pop- wie kammermusikalische Klangsprache schafft. Mal kommt ein kreolischer Groove ins Spiel, wie etwa beim sonnigen „Quando Eu Quiser“, mal ein süffig-ironischer Walzer, wenn in „Inferno Do Céu“ von einer Nonne erzählt wird, die in einem Monolog zwischen der unzeitgemäßen Bigotterie der Kirche und ihren eigenen Sünden herumlaviert. In „Mau Feitío“ schraubt sich das Arrangement zu einer atemberaubenden melodischen Klimax, wenn das Charakterbild einer getriebenen, schlaflosen Person gezeichnet wird. Und im komplexen „Contas De Multiplicar“, dem sie selbst den Text verpasst hat, spricht sie von den Versuchen, der Umwelt seine wahre Persönlichkeit zu offenbaren, mittels unsichtbarer Landkarten, die unter der Oberfläche des Körpers verborgen sind.
Cristina Brancos Zusammenarbeit mit einer Riege unorthodoxer Songwriter jenseits der Fado-Welt zeigt mittlerweile zweifach Früchte: „Ich spüre, wie zu den Konzerten immer mehr junge Leute kommen. Die haben Fado immer abgelehnt, sind aber jetzt bereit, sich mit portugiesischer Kultur auseinanderzusetzen, sie in meiner neuen Klangwelt zu erleben. Es ist wunderbar mitzuerleben, wie sie die portugiesische Tradition in diesen neuen Kleidern Schritt für Schritt verstehen und respektieren. Und auf der anderen Seite ist es interessant, dass durch meine Musik diese jungen Autoren entdeckt werden. Das ist aufregend und verleiht meiner Arbeit eine ganz neue Bedeutung – über den Gesang hinaus.“
Ihre Kombination von Techno und Jazz mit den Themen aus der Klassik schlägt hohe Wellen: Nicht nur in den Clubs der bayrischen Hauptstadt räumt die Jazzrausch Bigband aus München ab. Das erfolgreiche Kollektiv verlässt sich mit Schlagzeuger Marco Dufner und Trompeter Julius Braun auch auf Offenburger Profis.
Viele kennen Chuck Berrys Klassiker „Roll Over Beethoven“, mit dem der Rock’n’Roll-Pionier 1956 seine Kindheit verarbeitete: Immer, wenn er ans Klavier wollte, saß dort seine Schwester und spielte Beethoven-Werke. Von da an war der Bonner Komponist des Öfteren Pop-Sujet: Seine Klaviersonate Nr.8, die „Pathétique“, tauchte in Billy Joels „This Night“ auf, die Eurythmics widmeten ihm einen ganzen Song, HipHopper Nas erkor „Für Elise“ zum Hauptthema seines Raps „I Can“. Mit seinem Programm „Mein Beethoven“ schließlich tauchte der Offenburger Bassist Dieter Ilg aus dem Hörwinkel des Jazz tiefsinnig in die Klangsprache des Klassikers ein. Im Jubiläumsjahr gibt es jetzt wieder eine Adaption Beethovens mit Offenburger Beteiligung: Zum 250. Geburtstag des Meisters setzt die Jazzrausch Bigband aus München einen kräftigen Akzent namens Beethoven‘s Breakdown – wobei der Breakdown nicht nur flapsig als „Nervenzusammenbruch“ übersetzt werden sollte, sondern auch etwas freier als kreative „Zerlegung“, wie im Gespräch mit Marco Dufner immer deutlicher wird.
Der Weg des gebürtigen Zell-Weierbachers zu Jazzrausch ist abwechslungsreich und spannend, und er beginnt an der Offenburger Musikschule. „Prägend für meine ganze Jugend war der Schlagzeuglehrer Daniel Schay“, bekräftigt Dufner. „Daniel ist ja ein so vielseitiger Musiker, hat Klassik und Jazz studiert, sich musikalisch mit Brasilien auseinandergesetzt. Und so konnte ich im Unterricht ganz verschiedene Stadien durchleben.“ Als Teenager kommt der Drummer auch schon zur Jazzcombo Froots unter Leitung von Gernot Ziegler, die in Offenburg immer noch einen guten Klang hat. Während der Arbeit bei diesem kreativen Kollektiv von engen Freunden fällt die Entscheidung, die Musik zum Beruf zu machen: „Musizieren und improvisieren mit anderen – das hat mich damals getriggert.“ Dufner gräbt sich durch die Jazzhistorie, arbeitet sich in das Spiel von Miles Davis‘ Drummern Philly Joe Jones und Tony Williams ein, auch Elvin Jones, der Rhythmusgeber von John Coltrane, fesselt ihn. Parallel hat er immer ein offenes Ohr für alle möglichen anderen musikalischen Genres.
Sein Jazzstudium absolviert er in Würzburg, geht anschließend nach München, um seine Berufschancen zu vergrößern. Eine gute Wahl, wie sich herausstellt. Dufner erinnert sich: „Genau zu dieser Zeit ist Jazzrausch gegründet worden. Der Posaunist Roman Sladek veranstaltete damals in einem kleinen Club am Marienplatz eine Konzertreihe und hatte die Idee, eine Haus-Bigband zu gründen. Die startete erst mit Swing, die Experimente mit Techno kamen ja erst später. Und ich wurde als Drummer angefragt.“ Grandioser Zufall: Ebenfalls mit an Bord von Sladeks gerade entstehender Jazzrausch Bigband ist ein Kollege aus Dufners Nachbardorf Fessenbach, der Trompeter Julius Braun, den es ebenfalls an die Isar gezogen hat. Dufner und Braun kennen sich noch aus den Jahren der Offenburger Musikschule. Auch Braun war in der Nachfolge-Formation der Froots aktiv, die ebenfalls von Gernot Ziegler geleitet wurde. „Das war für mich ein witziger Zufall, den Julius in München wieder zu treffen!“
Das Jazzrausch-Kollektiv, heute bestehend aus sechzehn Musikern, beginnt seine experimentelle Reise 2015 mit der Platte „Prague Calling“, die sich noch eher im Genre Fusionjazz mit einigen Disco-Einschlägen aufhält. „Bruckner’s Breakdown“ ist dann der erste Flirt mit der Klassik: Der österreichische Spätromantiker wird mit Dubstep-Ästhetik verbandelt, vor allem wegen der majestätischen Bläserthemen ein grandioses Spielfeld für eine Bigband. Man wechselt zu diesem Zeitpunkt bereits zum renommierten Label ACT. Und nach einem Seitenpfad ins Philosophische – auf „Dancing Wittgenstein“ koppeln sie Clubsounds mit Rezitationen aus Ludwig Wittgensteins Werken – nun also Beethovens Pakt mit dem Techno. Unternommen aus der Perspektive des Jazzrausch-Komponisten Leonhard Kuhn, der etwa Fragmente aus der „Mondscheinsonate“ oder dem 14. Streichquartett verarbeitet, und sich in einer eigenen viersätzigen Sonate den Vokabeln Beethovens nähert. Eine von der Klassik initiierte Sprache, umgesetzt von Musikern, die vorrangig im Jazz geschult sind.
Nicht zuletzt wegen dieser pionierhaften Spagate zwischen den Genres haben sich Jazzrausch binnen weniger Jahre vom Geheimtipp zum angesagten Bühnen-Act Münchens und darüber hinaus gemausert, der nicht nur in einem, sondern gleich in zwei Clubs die Position des Resident Artist bekleidet, gegensätzliche Hörergruppen vereint. „Wenn wir im ‚Harry Klein‘ spielen, dann sind tendenziell jüngere Leute da, das ist deren natürliches Umfeld“, sagt Dufner. „Trotzdem sieht man da dann auch Leute, die sonst nicht in einen Technoclub gehen würden. Und in der ‚Unterfahrt“ ist es genau umgekehrt. Es ist schön, dass wir eine so große Bandbreite erreichen: Auf größeren Festivals und in den Sälen von Philharmonien kommen Leute, die 20 sind, aber auch 60-Jährige, und von denen hatten viele vorher gar keine Berührungspunkte mit Techno.“
Ähnliches gilt übrigens auch für Dufner selbst, der sich vor seinem Eintritt bei Jazzrausch kaum mit Techno beschäftigt hatte. „Für mich war das ein Experiment. Aber Daniel Schay hat mir vermittelt, dass es bei guter Musik immer um den Groove geht. Der Groove ist dafür verantwortlich, dass beim Hörer etwas ausgelöst wird, dass man mitgehen, mitwippen, tanzen kann. Und deshalb habe ich auch den Zugang zum Techno gefunden, dessen Wesenskern ja der Rhythmus ist. Ich merkte immer mehr, dass er eine Kunstform ist, die sich in viele Richtungen und Sub-Genres aufspaltet, und dass das Sounddesign enorm wichtig ist.“ Dufners eigenes „Sounddesign“ für „Beethoven’s Breakdown“ ist bemerkenswert. Nach eigener Aussage versuchte er ganz intuitiv, den Arrangements und Kompositionen von Leonhard Kuhn ein Fundament zu geben, das der Techno-Stilistik treu ist und trotzdem die Beethoven-Melodien erkennbar werden lässt, mit denen sich die Hörer dann identifizieren können.
„Die Grundfrage ist ohnehin: Wie kann ich dem Techno mit einem Akustikschlagzeug gerecht werden? Techno verzeiht ja nichts, die Rhythmen müssen sehr korrekt gespielt werden, sonst klingt es albern. Ich habe viel herumgetüftelt, um auf meinen Drums einen ‚digitaleren‘ Sound hinzubekommen.“ Einige der Kniffe verrät er auch: Über der eisenhart durchlaufenden Bass-Drum, die Kuhn programmiert hat, legt er kleine, sogenannte Splash-Becken mit minimalem Durchmesser auf die Toms, damit es metallischer, „industrieller“ klingt. Generell schichtet er gerne Becken übereinander, um trashiger zu tönen. Die extrem tief gestimmten Stand-Toms klebt er mit Gaffer-Tape ab, damit sie einen extrem trockenen Sound produzieren. „So komme ich viel näher an eine elektronische Produktion ran, aber trotzdem ist alles akustisch erzeugt – der Techno wird auf diese Weise mit Improvisation gepaart, und er bekommt quasi einen organischen Thrill“, resümiert Dufner. „Das hat wohl vorher noch keine Band gemacht, und das macht es auch für die Zuhörer so spannend.
Wer ein Video von Jazzrausch anschaut, oder besser: ein Konzert besucht, der bemerkt, dass Marco Dufner nicht etwa vom hinteren Rand der Bühne aus agiert, wie bei der klassischen Bandaufstellung üblich. Der Zell-Weierbacher ist gut sichtbar, fast ganz vorne platziert. Und das hat einleuchtende Gründe: „Natürlich spielt der Aspekt rein, dass der Rhythmus ein sehr wichtiges Element ist, und dass er deshalb auch auf prominenter Ebene stattfinden soll“, erklärt Dufner. „Wir spielen zwar Bigband-Arrangements, aber es gibt auch improvisatorische Teile, in denen viel über visuelle Kommunikation geht. Wann geht es weiter? Wann ist ein Solo zu Ende? Es hat sich rausgestellt, dass diese Aufstellung optimal ist, denn ich sehe so alle Bläser. Übrigens war es in den Bigbands der 1920er schon so, dass der Drummer auch die Macht hatte, gewisse Keys zu geben, Schlüsselstellen zu gestalten, einzugreifen. In diesem Sinne bin auch ich gewissermaßen ein roter Faden. Und da ist es gut, wenn ich für alle sichtbar bin.“
Corona hat den Reithallen-Auftritt von Jazzrausch in diesem Mai erstmal verhindert. Doch im März 2021 soll es einen neuen Versuch geben. Und dann wird das Publikum sich ein Bild machen können von dieser einzigartigen Bigband: eine Münchner Erfolgsgeschichte, die ohne Offenburger Expertise so nicht vorstellbar wäre.
Für viele ist sie die Königin der persischen Instrumente: Die Kamancheh, eine Stachelgeige aus Maulbeer- oder Walnussbaumholz mit winzigem Resonanzkörper, wird aufgrund ihres obertonreichen, melancholischen Klanges nahe der menschlichen Stimme gerühmt. „Der Wechsel zwischen der hohen und tiefen Lage ist wie ein Dialog zwischen einem reifen, weisen Menschen und einem jüngeren, energetischen”, sagt Misagh Joolaee (sprich: misaag dschulai). „Mein erster Meister pflegte immer zu sagen: ‚Ich weine oft mit der Kamancheh, mit der europäischen Geige komme ich nur selten an diesen Punkt.‘“
Auch Joolaee, einer der spannendsten Vertreter der jungen Generation von Kamanchehspielern, hat diesen unmittelbaren Vergleich der Streichinstrumente erfahren: Mit sieben Jahren beginnt er, den reichen Schatz der persischen Kunstmusik, den Radif, auf der Violine zu erlernen. Doch als er über seinen jüngeren Bruder die Kamancheh entdeckt, wird ihm klar: Diese Musik kann viel besser auf der persischen „Schwester“ umgesetzt werden. Als Teenager entwickelt er parallel aber ein Interesse für die abendländische Klassik, Beethovens Violinkonzert habe ihn total umgehauen, verrät er. Die Beschäftigung mit zwei Musikwelten und die Beherrschung beider Instrumente bringt ihn auf einen außergewöhnlichen Weg: „Ich fing an, meine Hörerlebnisse in der europäischen Musik auf die Kamancheh zu übertragen. Doppelgriffe und Bogentechniken der Violine wie Staccato und Spiccato, die bisher nicht üblich waren. Außerdem inspirierten mich Zupftechniken von der Langhalslaute Setar, später auch das Anreißen der Saiten (Rasgueado) aus dem Flamenco.“ Diese Erschließung neuer Klangräume ist eine Pionierarbeit.
Wie unzählige andere freigeistige Künstler stößt Misagh Joolaee 2006 an seine Grenzen im Alltag unter dem iranischen Regime. Um sich entfalten zu können, entschließt er sich zur Ausreise nach Deutschland. Heute lebt er in Berlin. Doch das Erbe des Iran, insbesondere seiner Heimatprovinz Mazandaran im Norden, trägt er weiter im Herzen: „Die Region hat eine eigene abgeschlossene Musiktradition entwickelt, mit einer Gesangstechnik, die ganz außergewöhnlich ist. Diese „Mazari“-Tradition hat stark auf die persische Kunstmusik eingewirkt“, sagt Joolaee. Die Sehnsucht des Exilanten nach seiner ersten Heimat ist in sein Solo-Debüt, die CD „Ferne“ eingeflossen. Anfang des Jahres wurde sie mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik prämiert. Joolaee hat sie mit dem aus Freiburg stammenden Perkussionisten Sebastian Flaig eingespielt, einem profunden Kenner der orientalischen Musik, der auch schon mit den berühmten bulgarischen Frauenstimmen musiziert hat.
Von melancholischer Meditation über Trennung bis hin zu schwerelosem Tanz auf den Saiten und ekstatischem Kreisen reicht das Ausdrucksspektrum der Kompositionen, die die beiden in greifbar intensiver Zwiesprache live im Studio eingespielt haben. „Man strebt als Künstler immer an, so ein kleines Fenster von Transzendenz zu erreichen, das schafft man vielleicht ein paar wenige Male im Leben““, sagt Joolaee. Mit Flaig sei er diesem Zustand nahe gekommen, besonders in einem Stück namens „Berauscht“, das den verzückten Zustand der Sufis in ihrer Suche nach dem Höchsten abbildet.
Misagh Joolaee hat diese stille Zeit des zweiten Lockdowns genutzt, seine zweite CD aufzunehmen, in der er die Auslotung neuer Techniken in freieren Improvisationen noch konsequenter vorantreibt. Zur Kehrseite der Pandemie zählen natürlich auch abgesagte Konzerte: Das Haus der Kultur, ein rühriger Verein unter Leitung des iranischen Konzertpianisten Shafagh Nosrati, hatte einen Abend mit ihm und Flaig im Freiburger Humboldtsaal gebucht, der entfallen muss. Doch nach etlichen Bemühungen, so der aktuelle Stand, konnte das Konzert durch Verlegungen in die nahe Schweiz gerettet werden.
CD: „Ferne“ (erhältlich über https://pilgrims-of-sound.com/)
Live: Misagh Joolaee & Sebastian Flaig, Kleines Museum Klingental Basel, 28.11., 20h (Beschränkung auf 15 Personen) und Kulturscheune Liestal, 29.11. 14h30 und 17h, (Beschränkung auf 30 Personen), Infos: www.hausderkultur.com
Misagh Joolaee: „Fern der Geliebten“
Quelle: youtube
Groupe RTD The Dancing Devils Of Djibouti (Ostinato Records/Groove Attack)
Das kleine ostafrikanische Djibouti hat sich bislang der musikalischen Entdeckung durch den Westen entzogen. Nun kommt die aktuelle Staatsband des Landes, Groupe RTD, zu internationalen Ehren – mit der Musik, die sie nach Dienstschluss spielt. Der senegaldeutsche Produzent Janto Djassi hat mir die Geschichte ihrer Entdeckung erzählt.
Es ist jedem Besitzer eines Plattenspielers schon mal passiert: Man spielt eine Scheibe mit der falschen Geschwindigkeit ab und merkt das in der Regel nach einigen Sekunden. Als der Autor dieser Zeilen allerdings die Doppel-LP The Dancing Devils Of Djibouti auflegt, schweifen geisterhafte Vokalmelismen zu sirrenden Synths durch den Raum, die von einem tonnenschwer schaukelnden Offbeat mit garstigen E-Gitarren und swingendem Sax abgelöst werden: Musik wie aus einer anderen Welt, die man eigentlich gar nicht auf 45 Umdrehungen korrigieren will. Aber selbst nach dem Umlegen des Riemens verlieren die Klänge wenig von ihrem Faszinosum.
Dahinter steckt eine Band mit dem furztrockenen Namen Groupe Radiodiffusion-Télévision Djibouti, kurz Groupe RTD. „Das ist die nationale Radioband, die in ihrem Alltag auf Staatsempfängen und im präsidialen Palast spielt. Da ist dann oft auch Propagandamusik, Nationalistisches dabei“, sagt Janto Djassi, Koproduzent der Aufnahmen. „Was wir aufgenommen haben, ist aber die Musik, die sie nach Feierabend spielen, die sie aus ihrer Kindheit kennen und re-interpretieren. Das zweite Gesicht der Band.“ Der Hamburger Musiker, Foto- und Videograf Djassi stieß über seinen Freund Nicolas Sheikholeslami, der sich mit somalischer Musik beschäftigt hatte, zum Label Ostinato des Inders Vik Sohonie. Zunächst realisierten sie die vielfach beachteten Reissue-Kompilationen „Sweet As Broken Dates“ und „Two Niles To Sing A Melody“ in Somalilands Hauptstadt Hargeysa und dem Sudan. In Djibouti wurden ihre ursprünglichen Pläne dann über den Haufen geworfen.
„Während wir das Archiv des Radios digitalisierten, hatte der Direktor für uns ein kleines Konzert im Studio vorbereitet. Wir waren sofort hin und weg von der Energie, die von dieser Band auf uns zukam!“ Schnell reifte das Vorhaben, statt Archivarisches zu veröffentlichen, neue Aufnahmen mit der seit 2013 bestehenden neunköpfigen Groupe RTD zu machen, ermöglicht durch eigens eingeflogene Technik. Die Band um die junge, einer Talentshow entstammende Sängerin Asma Omar und den Sax-Grandseigneur Mohamed Abdi Alto spielt einen knackig groovenden Tanzband-Sound, der sich aus vielen Quellen speist, denn die zehn Tracks spiegeln die geographische Position Djiboutis, das erst seit 1977 von Somalia unabhängig ist, als Knotenpunkt am Roten Meer wider.
„Es gab schon immer Handels- und Kulturverbindungen zwischen Indien, dem arabischen Raum und Ostafrika“, sagt Djassi. „Somalier leben in der Ogaden-Region Äthiopiens, Äthiopier in Somalia.“ Und so hört man in den Stücken neben den heimischen Rhythmen vom Tadjoura-Golf auch immer alten Somali-Pop, die schaukelnden Takte des Sudan, äthiopische Skalen, arabische Ornamentik und einen Hauch Bollywood mitschwingen. Vermeintliche Reggae-Einflüsse sind nicht jamaikanisch zu verorten, sagt Djassi, der charakteristische Offbeat sei aus Äthiopien herübergeweht. Und: „Da die amerikanische Musikindustrie über Radio und Platten auch dort alles penetriert hat, steckt natürlich auch James Brown-Funk und Jazz drin. Der RTD-Saxophonist Mohamed Abdi Alto war immer ein großer Fan von Charlie Parker und Harlem Jazz.“
Djiboutis Führung war bis dato eher darauf bedacht, den Zugang zum kulturellen Erbe nicht gerade Jedem zu ermöglichen. Seine Regierung, die bei uns unter „Diktatur“ firmieren würde, wird nach Djassis Einschätzung von weiten Teilen der Bevölkerung getragen. Dass er überhaupt ins sich abschottende Djibouti reisen durfte, hat er einem Bonus zu verdanken: „Ich bin Senegaldeutscher, und Vik ist in Thailand lebender Inder, wir entsprechen also nicht dem Bild des weißen Mannes, der irgendwo hinkommt und sich dann wieder vom Acker macht, nachdem er Ressourcen extrahiert hat.“
Zentrale Philosophie von Ostinato Records ist es tatsächlich, bei der Arbeit vor Ort auch etwas dazulassen, in diesem Fall eine Bandmaschine und Digitalisierungs-Tools. Und dazu gehört auch, anstatt altes Vinyl auszuschlachten, ungeklärte Fragen der Urheberrechte inklusive, künftig mehr kontemporäre Musik aufzunehmen, die den lebenden Musikern vor Ort als Sprungbrett dienen soll. RTD wollen, so Covid-19 beherrschbar wird, bald in Europa auf Tour kommen. „Wir möchten das Narrativ vom armen Afrika, Krieg, Mord- und Totschlag und somalischen Piraten korrigieren. Die Machtillusionen des Westens zurechtrücken.“
am Donnerstag, den 3.9. strahlt Deutschlandfunk Kultur von 21h05-22h mein Porträt des österreichischen Bassisten Lukas Kranzelbinder aus.
Er ist das Enfant terrible der österreichischen Jazzszene: Lukas Kranzelbinder trägt seinen Bass in Gefilde von Surfmusik über Gnawa-Grooves bis in den Free Jazz, geht mit dem Tieftöner auf Opernbühne und Alpengipfel, lässt sich von einem kongolesischen Poeten genauso inspirieren wie von Grillengezirpe. Sein Motto: „Alles ist erlaubt“.
Gerade mal 32, aber schon ein gestandener „Hans Dampf in allen Gassen“: Für Kranzelbinder ist keine stilistische Grenze existent. Mit Trompeter Mario Roms „Interzone“ öffnete er den – gerne auch freien – Jazz in Richtung Balkan, Bossa, Disco und Schlager. Surf- und Latin-Sound erkundet er mit Expressway Sketches auf originelles „Knackbass“-Potenzial und beim SWR New Jazz Meeting stellte er für das Projekt „On Boit Lumumba“, eine Band um den kongolesischen Poeten Fiston Mwanza Mujila zusammen.
Im Fokus seines aktuellen Werks steht jedoch das österreichisch-deutsche Septett Shake Stew, in dem sich mit hochsolistischem Bläsersatz sowie doppelt besetztem Schlagzeug und Bass eine neue Jazzdimension öffnet. Diese bezieht arabische Farben und afrikanisches Flair mit ein, verknüpft Filigranes mit Funk und Free. Regelmäßig rastet das Publikum bei Shake Stew-Shows aus, bekundet seine Sympathie mit „Schreien von ganz innen“, oder mit Komplimenten wie „eure Musik kann die Toten wecken“.
Shake Stew: Grilling Cricket In a Straw Hut, pt.1″
Quelle: youtube
Die Sendung ist auf der Deutschlandfunk-Seite im Live-Stream zu verfolgen und kann nach der Ausstrahlung 7 Tage online nachgehört werden.
Live-Tipp für Hörer aus der Region Freiburg:
Shake Stew werden am 25.9. beim Jazzfestival Freiburg zwei Sets (19h und 21h) spielen:
Als sie vor drei Jahren ihr Album Mogoya veröffentlichte, war das ihr konsequentester Schritt in Richtung Popkultur und Elektronik. Nun ist Oumou Sangaré, Afrikas größte lebende Sängerin neben Angélique Kidjo, zurück auf den Akustikpfad geschwenkt. Aus dem New Yorker Lockdown heraus sprach sie mit mir über Wurzeln, ihre Funktion als Kulturhüterin und ihren Beitrag zum versöhnten Mali.
„Mir geht es gut, ich bin hier bei meiner Community“, beschwichtigt sie auf die obligatorische Corona-Frage nach der Gesundheit. Ein Zuckerschlecken ist es sicher nicht, auf der anderen Seite des Atlantiks festzusitzen, ausgerechnet im Corona-Hotspot NY, während in der Heimat kaum Pandemie-Tote zu beklagen sind. Dortige Ortszeit: Mittag. Oumou Sangaré nimmt gerade in einem Restaurant ihren Lunch ein, muss während unseres Gesprächs immer wieder lachend die Kellner abwimmeln, die ihr mehr auftischen wollen. „Hier in Amerika nimmt man unglaublich schnell zu“, gesteht sie, „ich aber pflege eigentlich wenig zu essen.“ Die „Diät“ gilt für die 52-jährige dieser Tage nicht nur auf kulinarischem, sondern auch auf musikalischem Gebiet. Sie veröffentlicht gerade das Album Acoustic (No Format/Indigo), auf dem sie die Songs von Mogoya in einer stripped down-Fassung neu eingespielt hat. Will heißen: mit der Stegharfe Kamalengoni, Perkussion, Akustikgitarre und Gesang, ab und an garniert durch minimalistische Keyboards. Die Tracks gleichen sehr ihrer Frühphase, als sie vor mehr als 30 Jahren international zum ersten Mal in Erscheinung trat.
„Das stimmt, mit ‚Acoustic‘ erinnere ich auch ein bisschen an mein erstes Album Moussoulou. Diese kleine Besetzung hat mir gefehlt. Auf der anderen Seite kamen auch etliche Leute zu mir und sagten: ‚Oumou, man hört ja deine Stimme gar nicht bei diesen großen Bands!‘ Es war also eine Mischung aus Nachfrage und eigenem Bedürfnis, zu diesen traditionellen Instrumenten zurückzukehren.“ Aber die Keyboards? „Na, die sind ja auch traditionell, aber eben aus der europäischen Tradition“, kontert sie überraschend – und hat eine grandiose Metapher parat: „Sie verschönern alles, es ist, als ob ich hinter mir den Wind im Wald höre, wenn ich singe.“
Zwischen Mogoya und dem kammermusikalischen Acoustic lag ein Remixed-Album, auf dem sich Electronica- und HipHop-Granden von Sampha bis St. Germain an den Ursprungstracks ausgetobt haben. Zudem spannte kürzlich Beyoncé ein Sample aus Sangarés altem Stück „Diabari Nene“ für ihr „Mood 4 Eva“ ein. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Oumou Sangaré habe ein wenig kalte Füße bekommen, so ausgiebig in die Popwelt hineingezogen zu werden. Sie reagiert diplomatisch. „Ich bin die Botschafterin einer Kultur und muss aufpassen. Ich kann mich der Welt nicht verschließen, denn ich bin ja viel auf Reisen, aber dabei muss ich immer meine Identität bewahren. Und die liegt eben im typischen Wassoulou-Sound mit der Kamalengoni und den charakteristischen Rhythmen. Wir können natürlich einige Elemente rausnehmen, um diese Musik für den Westen ‚lesbar‘ zu machen. Wenn ich nach Deutschland komme, dann esse ich ja auch mal gerne eine Wurstplatte, um den Einheimischen zu zeigen, dass ich ihre Kultur schätze und verstehe! Dass Beyoncé meine alte Liebeshymne verwendet hat, zeigt doch, dass sie nicht gealtert ist und auch über Mali hinaus funktioniert. Sagen wir es so: Ich bin die Hüterin eines Erbes, das von der ganzen Welt begehrt wird.“
Hat sich die Wassoulou-Kultur während der 30 Jahre ihrer Karriere verändert? Oumou Sangaré zögert keine Sekunde und versichert, dass musikalisch die Eckpfeiler aus dieser südlichsten, tropischen Region Malis nach wie vor unverrückt dastehen. Veränderungen seien eher gesellschaftlicher Art, und dazu hat sie ganz entscheidend mit ihrem unerschütterlichen Kampf gegen Polygamie, Zwangsheirat und Beschneidung beigetragen. „Von einer durchgreifenden Änderung können wir aber noch nicht sprechen“, wägt sie ab. „Um die Position der Frau in der Wassoulou-Region, in Mali und in ganz Afrika zu stärken, da muss sich noch viel bei der Mentalität tun.“ Sie selbst ist ein großes Rollenmodell für junge Malierinnen, denn ihr Erfolg beschränkt sich ja nicht auf die Musik. Oumou Sangaré, die sich einst als Kind und Jugendliche in den Straßen von Bamako singend durchschlagen musste, um sich und ihre alleinerziehende Mutter zu finanzieren, ist heute Geschäftsfrau, betreibt in Bamako ihr eigenes Hotel, im Wassoulou-Ort Yanfolila ein Touristen-Ressort mit Nachtclub – und mit einer Automarke namens „Oum Sang“ will sie die Abhängigkeit von den französischen Gebrauchtwagen brechen. Man sollte aber nicht verschweigen, dass sie dabei mit den Chinesen kooperiert.
Um den Beweis ihrer Popularität zu checken, genügen ein paar Youtube-Videos: Fährt sie nach Bamako, um ihr Hotel zu besuchen, gleicht das dem Einzug einer Königin mit viel Bohei, Autokolonnen, Fetischpriester, Musik und Tanz. Und auch bei der malischen Ex-Pat-Gemeinde von Paris steht sie hoch im Kurs: Ohne Oumou Sangarés Vorbildfunktion hätte es keine Inna Modja oder Aya Nakamura gegeben – letztere mit ihrem Afro-R&B die erfolgreichste malische Sängerin aller Zeiten weltweit. Ihrer Mutterfigur Oumou hat sie ein ganzes Lied zugeeignet, und im dazugehörigen Video übergibt die ihrer Nachfolgerin symbolisch ihre Krone. „Auf diese jungen Frauen bin ich stolz“, sagt die „Queenmom“. Aber ich sehe mich nicht als ihre Patronne, das sind alles meine Kolleginnen, meine Schwestern, meine Kinder. Ich habe für sie gelitten, und jetzt wird all das rekompensiert, wenn ich ein Vorbild für die nächste Generation sein darf.“
Inzwischen ist die Stimmung im Restaurant gestiegen, wie man den Geräuschen aus der Telefonleitung entnehmen kann, und die Statements von Oumou Sangaré zwischen den Essenshappen werden bruchstückhafter. Doch die politische Situation in ihrer Heimat muss doch noch angesprochen werden. Hat sie Möglichkeiten, sich da zu engagieren? „Das Festival au Désert im Norden kann ja nicht mehr stattfinden, da bin ich in die Bresche gesprungen“, sagt sie selbstbewusst. „In meinem Heimatort Yanfolila habe ich vor einigen Jahren mein eigenes Festival organisiert und alle Künstler aus dem Norden eingeladen. Das ist ja mehr als 1000 Kilometer entfernt von uns, und so war es für die Leute im Wassoulou eine große musikalische Entdeckung. Ich tue das auf eigene Kappe, die Regierung behauptet, sie habe kein Geld, um mich zu unterstützen. Die Kulturministerin ist gekommen, um sich zu zeigen, hat aber nicht einmal die Versorgung mit Trinkwasser unterstützt!“ Das Festival soll als Zeichen der Einigkeit und des Friedens für Mali weitergehen, sagt Oumou Sangaré. Für sie schließt sich im Dorf ihrer Wurzeln ebenso der Kreis wie mit dem neuen Werk Acoustic: „Das ist die Frucht meiner dreißigjährigen Karriere. Ich war überall auf der Welt, bis hin nach Amerika und Brasilien. Aber hier kann ich meine Reise beenden.“