Rapping Zen

criolo

Foto: Caroline Bittencourt

Criolo
Convoque Seu Buda
(Sterns/Alive!)

Auf seinem dritten Werk würzt der 39-jährige Kleber Gomes mit eklektizistischer Wollust Rap mit Funk, akustischem Samba und machtvollem Reggae. Statt auf Gossen-Attitüde setzt der Mann aus São Paulo auf sanfte Gesangslinien und raffinierte Texturen: Indianische Flöten begegnen da freien Saxlinien, flirrende Geigensamples konterkarieren die Bass Drum. Der Sound ist selten aggressiv, mitunter sogar fröhlich. Dabei geht es textlich zur Sache, Profitgier von Stadtplanern, zeitgenössisches Sklaventum und Generalstreiks stehen auf der poetischen Tagesordnung. Dabei, so verrät der Titel der Scheibe, geht es Criolo immer darum, die Hoffnung auf soziale Gleichstellung, Bildung und Kultur für jeden nicht zu verlieren, den inneren Buddha zu erwecken. In Brasilien kann HipHop sogar auf Zen treffen. Mehr zu ihm hier.

Criolo: „Pegue Pra Ela“
Quelle: youtube

Vulnicura

vulnicura

 

Diese Handschrift ist unverkennbar, und auch die schöne Wortschöpfung kann nur von EINER kommen. Verletzlich (vulnerable),  die römische Göttin Cura und die Sorge stecken drin – und auch um den Vul-kan kommt man bei der isländischen Connection nicht rum. Bis uns Björk im März musikalischen Aufschluss gibt, dürfen wir noch ein bisschen weiterraten.

Schatzkiste #15: Liedschmied

jimmy webb - land's endJimmy Webb
Land’s End

(Asylum Records, 1974)

entdeckt bei Discogs

Könnte ich Songs und Arrangements schreiben wie er, würde ich den Journalismus sofort an den Nagel hängen und mich jeden Tag allein eine Stunde über dieses Talent freuen wie ein Schneekönig. Jimmy Webb hat nicht nur grandiose Hymnen wie „MacArthur Park“ oder „Wichita Lineman“ aus einer anderen Dimension geholt, sondern auch die treffendste und witzigste Abhandlung übers Songwriting verfasst, die ich kenne (Tunesmith, Hyperion 1998). Auch mein so geliebter Soul lebt von seinen wunderbaren Klangtexturen (zum Beispiel Thelma Houstons Sunflower). Viele Kollegen sind der Meinung, dass er nicht der beste Interpret seiner eigenen Songs war. Diese LP straft sie Lügen. Der feine, leicht country-eske Wintersound läuft mir seit etlichen Tagen nach – und Webbs Stimme war Mitte der Siebziger auch auf dem Zenit. Die Platte gipfelt in einem orchestralen Finale, zu dessen leichtem Schmalz man sich schamlos bekennen kann.

Jimmy Webb: „Land’s End / Asleep On The Wind“
Quelle: youtube

Tania Saleh: Nur das Meer kümmert sich

tania salehDie Ereignisse in Paris während der letzten Tage dürfen uns Journalisten nicht verstummen lassen – gerade dann nicht, wenn wir über eine arabische Kultur berichten, die sich immer gegen jegliche fundamentalistischen Umtriebe gewehrt hat und weiter wehren wird. Bei einem „Je Suis Charlie“ darf es nicht bleiben, auch nicht bei Schweigemärschen, an deren Spitze Staatschefs marschieren, die sich bald schon wieder von Wahlkampfinteressen leiten lassen, sich „christlich“ nennen und weiterhin Waffen exportieren. Wir müssen den Denkern und Dichtern der arabischen Welt zuhören, die eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gewaltpotenzial im Islam fordern und eine exegetische Aufarbeitung des Korans fürs 21. Jahrhundert anregen. Und wir müssen den Frauen zuhören, die sich von den traditionellen Rollenbildern verabschieden. Ohne die Emanzipation der Frauen wird es in der arabischen Welt nicht weitergehen. Als Musikjournalisten haben wir die Pflicht, diesen Frauen vermehrt eine Stimme zu geben.  Deshalb wird es eine kleine Serie mit Interviews geben, die ich mit einigen von ihnen geführt habe und führen werde. Den Anfang macht die Libanesin Tania Saleh.

Wie immer gibt es hier eine Umschrift des kompletten Interviews, ungekürzt und ungeschönt. Für Leser, die sich für eine dramaturgischere Fassung interessieren, kombiniert mit Musik, empfehle ich meine Sendung über Tania Saleh, die WDR 3 open SoundWorld am 3.2. um 23h05 ausstrahlen wird.

„Arabische Männer mögen im Krieg sein, arabische Frauen jedoch sind im Frieden“, sagt Tania Saleh. Die libanesische Sängerin hat 15 Jahre Bürgerkrieg erlebt und überquerte in ihrer Jugend mit Rockbands die feindlichen Linien. In Paris ließ sich sie sich von den Künsten inspirieren, stieg später in die Werbebranche ein und zeichnete auf ihren ersten Alben mit bissigen Kommentaren ein schonungsloses Bild der libanesischen Gesellschaft. Weibliches Selbstbewusstsein und feine Liebespoesie prägen „Shwayit Souwar“,  das neue Werk der 46-jährigen, auf dem sie mit Bossa Nova-Rhythmen ruhigere Töne anschlägt. Dabei ist ihre scharfe Zunge ungebremst, angesichts eines Beiruter Alltags, den immer noch Korruption, Sektierertum und tägliche Gewalt beherrschen. Tania Saleh – eine Vorkämpferin für die moderne arabische Frau, deren Heimatstadt Beirut sich tief in ihre Musik eingebrannt hat.
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Utsprungen

sunset geiloFoto: Stefan Franzen
Geilo (Norwegen), Januar 2009

Klänge wie ein Lichtstrahl durch die absolute Finsternis, Zeit und Raum scheinen aufgehoben. Ich kenne keine schönere Bearbeitung eines Weihnachtsliedes als diese des Schweden Jan Sandström.

Gott Nytt År.

Jan Sandström / Michael Prätorius: „Es ist ein Ros‘ entsprungen“
Quelle: youtube

Schatzkiste #14: Partyfutter aus Chicago

leroy hutson - feel the spiritLeroy Hutson feat. the Free Spirit Symphony
Feel The Spirit
(Curtom Records, 1976)

entdeckt bei: Second Hand Records Stuttgart

Das prominente Ex-Mitglied der Impressions ließ sich gerne auch mal als Sugar Daddy mit Pelz und noblem Gehstock ablichten – visuelles Pendant zu seiner smarten Womanizer-Stimme. Hier allerdings kommt er funky zur Sache mit einer opulenten Bigband und Streichorchester, die auch mal unverhohlen in den Glitzerkugelbereich einschwenken. Ein bisschen hört es sich an, als hätte er die Essenzen von Earth, Wind & Fire und Kool & The Gang aus dieser Zeit mit ins Klangbad geträufelt. Als Silvesterparty-Platte und glückskeksiges Starter-Kit fürs neue Jahr unbedingt brauchbar.

Leroy Hutson feat. the Free Spirit Symphony: „It’s The Music“
Quelle: youtube

Listenreich: 2014

Die Jahresabrechnung.

Viel Spaß beim affirmativen Nicken und verständnislosen Kopfschütteln.
Und einen guten Rutsch!

ALBEN

jahresalben 2014
1. Simin Tander (Deutschland/Afghanistan): Where Water Travels Home (Jazzhaus Records/in-akustik)
2. The Gloaming (Irland/USA): The Gloaming (RealWorld/Indigo)
3. Susheela Raman (Großbritannien/Indien): Queen Between (World Village/Harmonia Mundi)
4. Tania Saleh (Libanon): A Few Images (Kirkelig Kulturverksted/Indigo)
5. Blitz The Ambassador (Ghana): Afropolitan Dreams (Jakarta/Groove Attack)
6. Iiro Rantala Trio (Finnland/Slowenien/Polen): Anyone With A Heart (ACT/edel)
7. Somi (Ruanda/ Uganda/USA): The Lagos Music Salon (Okeh/Sony)
8. Woima Collective (Deutschland): Frou Frou Roko (Kindred Spirits/Groove Attack)
9. Márcio Faraco (Brasilien): Cajueiro (World Village/Harmonia Mundi)
10. Kasai All Stars (DR Kongo): Beware The Fetish (Crammed/Indigo)
11. Masaa (Deutschland/Libanon): Afkar (Traumton/Indigo)
12. The Heliocentrics feat. Melvin van Peebles (GB/USA): The Last Transmission (Now Again/Groove Attack)
13. Eddi Reader (Schottland): Vagabond (Reveal/Rough Trade)
14. Noura Mint Seymali (Mauretanien): Tzenni (Glitterbeat/Indigo)
15. Prince (USA): Art Official Age (Warner)
16. Toco (BRA): Memoria (Schema/Groove Attack)
17. Springintgut & F.S.Blumm (Deutschland): The Bird And White Noise (Pingipung/Kompakt)
18. 9Bach (Wales): Tincian (RealWorld/Indigo)
19. Jeri Jeri (Senegal): 800% Ndagga (Ndagga/Indigo)
20. Medeski, Scofield, Martin & Wood (USA): Juice (Okeh/Sony)
21. Conor Oberst (USA): Upside Down Mountain (Nonesuch/Warner)
22. Otis Trio (Brasilien): 74 Club (FarOut/H’ART)
23. Meklit (Äthiopien/USA): We Are Alive (Six Degrees/Exil)
24. William Fitzsimmons (USA): Lions (Grönland/Rough Trade)
25. Pheno S. (Mali): Kani (SahelSounds)

TRACKS DES JAHRES

jahresernte tracks 2014
1. „Shababeek Beirut“ (Tania Saleh)
2. „Clouds“ (Prince & Lianne La Havas)
3. „Freedom“ (Iiro Rantala String Trio)

KONZERTE

jahresernte konzerte
1. Kate Bush, Hammersmith Apollo London, 17.9.
2. Jeff Lynne’s ELO, Hyde Park London, 14.9.
3. Turangalîla-Sinfonie, Konzerthaus Freiburg, 14.10.
4. Black Warriors, TFF Rudolstadt, 6.7.
5. Ed Motta, jazznojazz Zürich, 1.11.
6. Billy Bragg, Rosenfelspark Lörrach, 19.7.
7. Hossein Alizadeh, Kath. Akademie Freiburg, 2.11.
8. Simin Tander, Jazzhaus Freiburg, 6.4.
9. Fat Freddy’s Drop, ZMF Freiburg, 18.7.
10. Carminho, Augusta Raurica, 2.8.

FILME

jahresernte 2014 filme
1. Michael Kohlhaas (Arnaud Des Pallières, Frankreich)
2. Timbuktu (Abderrahmane Sissako, Mauretanien)
3. My Sweet Pepper Land (Hiner Saleem, Kurdistan)
4. Die Andere Heimat (Edgar Reitz, Deutschland)
5. Inside Lllewyn Davis (Ethan & Joel Coen, USA)
6. Grand Budapest Hotel (Wes Anderson, USA)
7. Melaza (Carlos Lechuga, Kuba)
8. Get On Up (Tate Taylor, USA)
9. Mittsommernachtstango (Viviane Blumenschein, Deutschland)
10. Snowpiercer (Bong Joon-ho, Südkorea)

BÜCHER

(im Gegensatz zu Tonträgern genieße ich bei Geschriebenem den Komfort, dass ich mich nicht um Aktuelles kümmern muss. Deshalb rutschen Klassiker und Wiedergelesenes hier ebenbürtig rein. Das gilt m.E. auch für die Filme.)

FICTION
jahresernte buecher 2014

1. John Steinbeck (USA): To A God Unknown
2. Taiye Selasi (Ghana): Ghana Must Go
3. Italo Calvino (Italien): Wenn Ein Reisender In Einer Winternacht (SZ Bibliothek)
4. José Saramago (Portugal): Das Zentrum
5. Michael Chabon (USA): Telegraph Avenue

NON-FICTION

1. Thomas Metzinger (Deutschland): Der Ego-Tunnel (Bloomsbury)
2. Burt Bacharach (USA): Anyone Who Had A Heart (Harper)
3. Bernie Krause (USA): Das Große Orchester der Tiere (Kunstmann)
4. Pim van Lommel (Niederlande): Endloses Bewusstsein (Knaur)
5. Graeme Thomson (Großbritannien): Under The Ivy – The Life & Music Of Kate Bush (Omnibus Press)
6. Iris Radisch (Deutschland): Camus (Rowohlt)
7. Byung Chul-Han (Südkorea): Duft der Zeit (transcript)
8. Douglas Rushkoff (USA): Present Shock (Current)
9. Hajo Düchting (Deutschland): Paul Klee – Painting Music (Prestel)
10. Giulia Enders (Deutschland): Darm Mit Charme (Ullstein)

Side Tracks #5: Inder-Gleistanz

dil se

flagge-indien-flagge-button-50x76 Sukwinder Singh & Sapna Awasthi:
 „Chaiyya Chaiyya“
 (aus OST Dil Se, 1998)

Choreographie am Gleiskörper pt. 2. Die Romanze um eine Terroristin aus Kaschmir (Manisha Koirala) und einen Radiomann (zuverlässig kuhäugig verkörpert von Sharrukh Khan) beinhaltet auch die schönste „Zugnummer“ der Bollywood-Industrie, natürlich aus der Feder des „Mozart von Madras“, dem immer noch unumstrittenen Filmmusikkomponisten Nummer 1, A.R.Rahman. Es ist eine Abwandlung eines Sufi-Songs aus dem Punjab, getextet vom Poeten Bulleh Shah. Gedreht wurde tatsächlich während der Fahrt eines Zuges auf der Nilgiri Mountain Railway im Bundesstaat Tamil Nadu. Auf der 46km langen Strecke zwischen Mettupalayam und Udhagamandalam überwindet der Zug 1800 Höhenmeter. Bergwärts braucht man dafür fast 5 Stunden. Bei dem Tempo lässt sich ein Tänzchen auf dem Waggondach wagen.

Sukwinder Singh & Sapna Awasthi: „Chaiyya Chaiyya“
Quelle: youtube

Side Tracks #4: Blinder Gleistanz

bjoerk - selmasongs

flagge islandflagge-grossbritannien-flagge-button-50x75flagge daenemarkflagge schweden  Björk feat. Thom Yorke:
  „I’ve Seen It All“
  (auf Selmasongs, 2001)

Es gibt wenige Songs, die  einen ratternden Zug so genial als  rhythmische Basis verwenden – und das dann auch noch mit Bildern am Gleiskörper choreographieren.  Für mich die grandioseste Szene in Lars von Triers beklemmender Passionsgeschichte Dancer In The Dark um die erblindende Selma Jezkova (Björk). Ich habe mich immer gefragt, ob Thom Yorke, der hier dem Schauspieler Peter Stormare  seine Stimme leiht, den Part nicht selbst hätte spielen können. Für Eisenbahnfreaks: Der Film spielt im Jahre 1964 im US-Bundesstaat Washington, wurde aber bei der schwedischen Stadt Trollhättan gedreht. Zum Einsatz kommt eine dänische Lokomotive des Typs MY, die für die Dreharbeiten zu einer Lok der Great Northern Line umlackiert wurde.

Björk feat. Thom Yorke: „I’ve Seen It All“
Quelle: youtube