Mango-Metamorphose

Eine Widmung an eine tropische Frucht stellt sie ins Zentrum ihres ersten Werks seit fünf Jahren. Mayra Andrade lässt aus ihren kapverdischen Wurzeln ein elegantes Urban Africa-Gewächs erblühen. Vor einem Konzert im Zürcher „Moods“ konnte ich Mayra zum Interview treffen.

Mayra, dein Album hast du Manga genannt, nach dem portugiesischen Wort für Mango. Warum?

Mayra Andrade: Aus mehreren Gründen, Es ist meine Lieblingsfrucht, die Königin der tropischen Früchte. Sie ist gut fürs Herz. Es ist eine Frucht, die sehr sinnlich ist und für mich sehr gut die Weiblichkeit repräsentiert. Während ihres Reifungsprozess macht sie eine Wandlung durch, ihre Farbe wechselt, ihr Geschmack, ihr Duft. Und es ist eine tropische Frucht, sie ist sehr sonnenliebend. Ich finde, sie ist eine hübsche Metapher für mein Album.

Was Manga von deinen früheren Werken unterscheidet ist der diskrete elektronische Sound. Die beiden Beatmaker heißen 2B und Akatché. Wie bist du auf sie gestoßen und warum hast du dich entschieden, einen anderen Sound auszuprobieren?

Andrade: Das Album wurde von 2B und Romain Billharz koproduziert. Billharz ist kein Beatmaker, er ist künstlerischer Leiter und hat zum ersten Mal ein Album produziert. Akatché ist ein Teil des Kerns dieser Musiker, zu denen auch JC, der Gitarre gespielt hat, gehören. Wir haben sehr lange nach Leuten gesucht, mit denen wir dieses Album produzieren könnten, haben viele Versuche mit anderen gemacht, die nicht funktioniert haben, die sich nicht dem Sound genähert haben, den ich im Kopf hatte. Erstmals habe ich Demos verschickt, und diese Musiker haben mir ein, zwei Titel zurückgeschickt, die nach dem klangen, was ich wollte. Sie hatten begriffen, was ich vorhatte, und deshalb haben wir dann das ganze Album mit ihnen gemacht. Du hast Recht, wenn du sagst, dass die Beats diskret sind, ich würde es so formulieren: Sie sind organisch. Sie sind sehr präsent, aber sie fügen sich organisch ein. Das war mir sehr wichtig, denn ich komme aus einem akustischen Universum, und ich wollte, dass die Akustik anwesend ist durch eine traditionelle kapverdische Gitarre, das Cavaquinho, durch meine Stimme, die sehr warm ist. Ich wollte also Beats und Soundprogramme, aber ich suchte nicht nach einer kalten und digitalen Ästhetik. Die Beats sollten effektvoll sein, aber in warmen und organischen Farben.

Es gibt gerade eine große afro-portugiesische Szene in Lissabon, junge Musiker, die von den Kapverden, aus Angola und Mosambik kommen, deren Musik sehr clubtauglich, tanzbar ist, sich auf Rhythmen wie den Kuduro und die Kizomba beruft. Versuchst du dich mit dem Stilwechsel den Fans dieser Musik anzunähern?

Andrade: Ich glaube mit diesem Album habe ich mich sehr auf die aktuelle Zeit ausgerichtet, habe mich meiner eigenen Generation angenähert. Da ist es ganz natürlich, dass man ein jüngeres Publikum anzieht. Ich habe zum Beispiel mit Branco gearbeitet, einem der Leader von Buraka Som Systema, und die sind die führenden Köpfe dieser afro-lusophonen Szene in Lissabon. Dieses Teamwork, das ich vor drei Jahren einging, hat mir gezeigt, dass ich mich auch in anderen Klangfarben ausdrücken kann. Das Stück heißt „Reserva Pra Dois“ und die Leute lieben es. Dass ich in dieser Tonsprache angekommen bin, ist also ganz natürlich geschehen. Nach und nach habe ich mehr Lust bekommen, légerer zu werden, Spaß auf der Bühne zu haben, mich mit meiner Musik zu amüsieren, zu tanzen. Vor drei Jahren bin ich nach Lissabon umgezogen und habe dort viele Verbindungen zur afro-lusophonen Szene geknüpft. Ich habe auch eine Reise nach Ghana unternommen, wo ich in die Afrobeatz-Szene eingetaucht bin, eine Bewegung, die aus Nigeria und Ghana kommt und die ganze Welt beeinflusst hat. Da bin ich keine Ausnahme: Ich bin Westafrikanerin, und lasse mich von meinem Kontinent inspirieren, um eine Musik für die heutige Zeit vorzustellen.

Foto: Stefan Franzen

In mehreren Stücken gibt es diese in höchsten Lagen gespielten E-Gitarrenriffs. Das erinnert mich an die Rumba Congolaise, den Soukouss der 1960er bis 1980er…

Andrade: Das ist eine Kreuzung verschiedener Epochen, da steckt das Afrika der 1960er und 70er drin,  zugleich aber mischt sich das mit dem zeitgenössischen Afrika, fast urban. Das war eine Musik, die den ganzen Kontinent zum Tanzen gebracht, andere Kulturen beeinflusst hat, und die auch heute immer noch funktioniert.

Im Gegensatz zum Vorgängeralbum Lovely Difficult singst du etliche Stücke auf Kriolu. Welche Bedeutung hat die Sprache für dich? Hilft sie dir, deine Identität zu wahren?

Andrade: Auf Kriolu zu schreiben, heißt für mich, den Esprit eines Volkes zu transportieren. Die Kapverden sind ein sehr kleines Land mit 500.000 Einwohnern und einer Million Emigranten. Die Diaspora ist viel größer als die Menschen, die daheim leben. Und die Brücke zwischen den Kapverden und ihren Kindern, die über die ganze Welt verstreut leben, ist Kriolu, nicht Portugiesisch, auch wenn es auf den Inseln als offizielle Sprache gesprochen wird. Die Kapverdier, die in den USA leben, das ist eine halbe Million, sprechen Englisch und Kriolu, die in Holland Niederländisch und Kriolu, die in Frankreich Französisch und Kriolu, nicht Portugiesisch. Das Kreolische ist unsere „Flagge“. Und ich denke, auch wenn es für mich eher leicht ist, in verschiedenen anderen Sprachen zu singen, in Englisch, Französisch und Portugiesisch, bleibt Kriolu die Sprache, in der ich eine größere Ausdruckskraft habe, mehr Esprit. Wenn ich auf Kriolu singe, dann fühle ich, dass da etwas in mir wohnt. Das ist ein sehr lusophones Moment, also wollte ich auch auf Portugiesisch singen, und bemerkenswerterweise habe ich das noch nie zuvor getan. Vier portugiesische Songs sind auf dem Album. Auf Französisch und Englisch hatte ich dieses Mal keine Lust. Ich mag es, Alben zu machen, die der Aufrichtigkeit des Moments entsprechen, ohne Kalkül.

Wenn du auf Kriolu Texte schreibst, greifst du dann auf Vorbilder zurück, oder ist die Art, wie du Worte verwendest eine neue kreolische Poesie?

Andrade: Ich weiß nicht, ob ich einen neuen Stil geschaffen habe, auf jeden Fall ist mein Stil sehr persönlich, das ja. Ich antworte nicht auf eine bestimmte Linie oder eine Schule, meine Sprache ist sehr vielfältig ist, bilderreich, und bietet viele Möglichkeiten der Deutung, wenn man sich ein bisschen hineingräbt.

“Vapor Di Imigrason” klingt sehr traditionell, ist das deine Art und Weise eine Coladeira zu modernisieren?

Andrade: Ja. Dieses Stück ist tatsächlich traditioneller, ich habe es schon 2002 geschrieben. Aber ich habe es nie aufgenommen, denn ich fühlte, dass es noch nicht bereit war. Meine Freunde haben so oft gesagt: «Warum nimmst du dieses Stück nicht auf ? » Es hatte etwas sehr Besonderes, aber auch irgendetwas, das nicht passte. Jetzt habe ich es umgearbeitet, es bereichert. Mich berührt das Lied sehr, denn ich widme es allen Emigranten, und die Kapverdier sind ja immer ein Volk von Emigranten gewesen. Heute hat dieses Thema einen aktuellen Bezug, es spricht von den Opfern, die man bringen muss, wenn man auswandert, und von der Hoffnung, dass man eines Tages nicht mehr von zuhause weggehen muss. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sehr wenige Menschen aus freien Stücken ihr Land, ihre Familie, ihre Kultur verlassen. Die Umstände sind manchmal sehr schwierig, sehr dramatisch. Es ist oft eine Frage des Überlebens. Dass sich das Lied traditioneller anhört, liegt also daran, dass es schon 17 Jahre alt ist. Damals habe ich gerade das Haus meiner Mutter verlassen, um in Paris zu leben, ich war 17. Und ja, es hat diesen Esprit der Coladeira, der die Leute anzieht, besonders im Refrain.

Mayra Andrade: „Vapor Di Imigrason“ (live aux Bouffes du Nord)
Quelle: youtube

In “Segredu” sprichst du von einer Sirene, von den Wellen, vom Sand– maritime Bilder sind herausragend in deiner Poesie.

Andrade: Die maritimen Bilder sind eine kapverdische Konstante. Wir sind Insulaner, und das Meer kann verschiedenste Sachen verköprern. Es kann für den Abschied stehen und die Rückkehr. Es kann eine Brücke aber auch eine Trennung sein, es ist wie eine Straße, auf der uns viele Sachen passieren können. Ich kann dir nicht erzählen, um was es in diesem Lied geht. Der Titel heißt „Geheimnis“, und tatsächlich geht es dabei um ein Geheimnis, das mir jemand anvertraut hat. Wenn man die Geschichte liest, dann ist das eine Ebene, aber diese Person und ich kennen die zweite Bedeutung.

Den Löwenanteil der Stücke hast du selbst komponiert, aber es gibt auch Übernahmen von anderen Songwritern. “Tan Kalakatan” zum Beispiel ist von Princezito, der eine sehr wichtige Persönlichkeit ist in der Musik von Cabo Verde. Welche Bedeutung hat er für dich?

Andrade: Princezito ist ein Sänger, den ich mit 15 Jahren getroffen habe. Auf meinem ersten Album habe ich ein Lied von ihm aufgenommen, das „Lua“ heißt. Vor der Aufnahme habe ich die Kapverden 2001 beim internationalen Wettbewerb „Jeux de la Francofolie“ in Kanada vertreten. Dort habe ich „Lua“ und drei andere Lieder gesungen und habe für die Kapverden die Goldmedaille geholt. Das war ein wichtiges Debüt für mich. Fünf Jahre später habe ich mein erstes Album aufgenommen und dieses Lied draufgepackt. Bis heute singe ich es in Konzerten, denn das Publikum verlangt danach. Wir haben alle ein paar „Pflicht-Lieder“ und mit „Lua“ vebrinden die Menschen meine Musik, ich habe zehn oder fünfzehn Arrangements davon. Aber seitdem hatte ich nie mehr ein Lied von Princezito aufgenommen. Jetzt komme ich mit einem aus seiner Feder zurück, das ich sehr stark finde. Es gibt so einige Komponisten, von denen ich nicht viel aufnehme, aber wenn ich es dann tue, dann schaffe ich es, die spezielle Perle zu finden.

“Terra da Saudade” stammt von Luisa Sobral, der Schwetser des ESC-Siegers Salvador Sobral. Es scheint mir, dass sie den Terminus Saudade in einer auf den Kopf gestellten Weise einsetzt, es geht um einen ort, an dem niemand träumt, niemand liebt, niemand küsst…

Andrade: In diesem Text geht es nicht um Portugal und es geht auch nicht um die Kapverden. Vielmehr geht es um einen imaginären Ort. Inspiriert ist der Text von der wichtigen mosambikanischen Autorin Mia Couto. Ich habe zu Luisa gesagt: “Glaubst du nicht, dass die Leute denken, dass sei eine bizarres Bild von den Kapverden?“ Und sie meinte: „Aber nein, das hat mit den Kapverden gar nichts zu tun, ich beschreibe genau das Gegenteil!“

Der einzige Chanson, der ganz akustisch bleibt, ist “Guardar Mais” von Sara Tavares. Seid ihr beiden als kapverdische „Schwestern“ eng miteinander?

Andrade: Ja, wir sind seit langem enge Freundinnen. Wir haben schon zusammen auf der Bühne gesungen. Sara ist jemand, vor der ich enormen Respekt und Bewunderung habe. Wir wohnen in Lissabon nicht weit auseinander. Sie hat meine Version von “Guardar Mais” sehr gemocht. Ich weiß nicht, warum sie das Lied nie selbst aufgenommen hat, aber es freut mich, dass sie es mir angeboten hat.

Schon auf Lovely Difficult hast du über die Insel Santiago gesungen, hier taucht sie mit „Festa Santo Santiago“ wieder auf. Welche Verbindung hast du zu dieser Insel?

Andrade: Das ist meine Insel! Es war die erste kapverdische Insel, die bevölkert wurde und zugleich ist sie die afrikanischste. Man findet dort Rhythmen wie die Funaná, den Batuque, die Tabanka, die findet man auf anderen Inseln nicht. Die Hälfte der kapverdischen Bevölkerung lebt auf Santiago. Die Einwohner heißen Badiu, ich bin eine Badia. Man sagt von ihnen, dass sie etwas zäher sind, wie Bauern, Menschen, die die Erde bearbeiten. Wir lächeln nicht ohne Grund, sind aber trotzdem sehr warmherzig, es sind Menschen, die authentisch sind.
Das Lied „Île de Santiago“ auf dem letzten Album war eine Widmung an alle Songschreiber aus Santiago, an alle Folkloremusiker. Dieses Lied, „Festa de Santo Santiago“ bezieht sich auf den Heiligen der Insel, den San Tiago, für ihn gibt es viele Feste in den Bergen, auf dem Land, viele Konzerte werden veranstaltet, es ist sehr volkstümlich. Das Lied beschreibt all die Festlichkeiten, die Messen, das Essen. Es wird vom Badiu mit seinem Messer gesprochen, das er als Zeichen des Respekts trägt und von seinem Akkordeon, auf dem er die Funaná spielt.

Und gibt es dort auch Mangobäume?

Andrade: Ja, wir haben sehr, sehr gute Mangos!

© Stefan Franzen
Mayra Andrade tritt am 26.7. im Rahmen des Stimmenfestivals im Rosenfelspark Lörrach auf.

Mayra Andrade: „Manga“
Quelle: youtube

Afro-Jam aus London Town II

Kokoroko
Kokoroko EP
(Brownswood Recordings/Rough Trade)

Es sind nur vier Stücke, aber die haben es ziemlich in sich: Kokoroko zählen zu den interessantesten Newcomern in Londons quirligem Afrobeat-Zirkel. Aus dem Genre, das vor rund 50 Jahren Tony Allen und Fela Kuti in Nigeria geprägt haben, holt dieses Oktett mit einem ausschließlich weiblichen Bläsersatz um Trompeterin Sheila Maurice-Grey einen unorthodoxen Ansatz heraus. Die Hornsection agiert dreckig und fast nachlässig in „Adwa“, macht Platz für ein sehr jazziges, freies Gitarrensolo. Maurice-Greys Trompete geht in „Tide“, einem träumerischen Zwischenspiel mit trillernder Gitarre auf eine abenteuerliche Reise, bevor sich fast gospelige Chorharmonien durchsetzen. „Uman“ wird von funkigen Gitarrenriffs vorangetrieben, Achterbahn fahrende Bläser prägen diese Hommage an die schwarze Frau. Das gemächlich schaukelnde „Abusey Junction“ verweist mit beschwipstem Saitenspiel sogar an die süffige Palmwine Music. Übersetzt aus dem Orobo-Idiom heißt der Bandname „Sei stark!“ Das hat diese famose Combo, die das Jazzfestival in Basel eröffnen wird, schon bewiesen.

© Stefan Franzen

Kokoroko live: 26.4. Basel, Kaserne (support für Somi) – 8.5.  Zürich, Exil – 9.5. Berlin, XJazz Festival – 16.+18.5. Strasbourg, Pelpass Festival – 1.6. Hamburg, Elbjazz Festival

Kokoroko: „Uman“
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Bissig-samtener Soulprinz

Gute Stimmen, die den Retro-Soul pflegen, gibt es seit mindestens zehn Jahren wie Sand am Meer. Da muss man kein Zyniker sein: Es ist schon von Vorteil, wenn der Künstler noch eine besondere Biographie aufweisen kann, damit er sich unter Seinesgleichen heraushebt. Und die hat J.P.Bimeni:  Er ist mütterlicherseits Spross der Königsfamilie von Burundi, das wie der Nachbar Ruanda in den 1990ern vom Konflikt zwischen Tutsi-Minderheit und Hutu-Mehrheit heimgesucht wurde. Auch Bimeni kam bei der Flucht vor dem Genozid zwischen die Fronten: Seine Brust wurde von einer Kugel durchbohrt, im Krankenhaus verabreichten ihm die Ärzte eine Giftspritze, sie hielten ihn für einen Militärangehörigen. Er überlebte nur knapp, kam nach Nairobi, fand heraus, dass er steckbrieflich gesucht wird. Großbritannien gewährte dem 16-jährigen Geflüchteten Asyl, und auf dem College in Wales, noch gezeichnet von Gift und Schmerzmitteln, entdeckte er die Musik.

Es sind die Großen des klassischen Soul, die ihn fesseln: Marvin Gaye, Otis Redding, Ray Charles. Ihnen will er nacheifern und tut das zunächst parallel zum Politikstudium in kleinen Pubs. Singen wird seine Medizin, hilft ihm, die Traumata der Jugend zu vergessen. 2001 wird London seine Wahlheimat. Langsam, aber stetig geht er seinen Weg im Namen des Soul, Sessions mit Roots Manuva und den Noisettes flankieren ihn. Der Durchbruch ist 2013 eine Einladung, in einer Otis Redding-Revue mitzusingen, sowie die Begegnung mit der spanischen Band The Black Belts, die fortan seine Begleitcombo wird. Seit Herbst letzten Jahres liegt das Debüt „Free Me“ vor, das er jetzt auf deutsche Bühnen bringt.

J.P.Bimenis Repertoire neigt der raueren Seite des Soul zu, wie er in den 1960ern und 70ern auf dem Label Stax gepflegt wurde. Mit Vergleichen sollte man immer vorsichtig sein, doch in seinem Timbre wohnt tatsächlich etwas von Otis Reddings Bissigkeit, gepaart mit dem samtenen Falsett des frühen Al Green. Am besten gelingen ihm die Midtempo-Stücke, da kann Bimeni Dramatik mit großem Besteck ausspielen. Die Black Belts liefern ihm einen wunderbaren Groove aus flink federndem Schlagzeug, Gluckerorgel, trockenem Bass, knackigen Gitarenriffs und einem feinen Bläsersatz, der sich diszipliniert im Hintergrund hält. Und nach mehrmaligem Hören lässt sich befinden: Dieser Mann wird unter der harten Soul-Konkurrenz unserer Tage bestehen – da muss man gar nicht auf seine bittere Lebensgeschichte verweisen.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 15.03.2019

J.P. Bimeni live: 19.03. Freiburg, Restaurant Schiff – 20.03. Bonn, Harmonie

J.P. Bimeni: „Honesty Is A Luxury“
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Afro-Jam aus London Town I

Nubiyan Twist
Jungle Run
(Strut/Indigo)

Londons Szene scheint mit umso aufregenderen neuen Bands zu pulsieren, je absurder das Brexit-Theater wird. Auf seinem zweiten Album swingt das zwölfköpfige Kollektiv Nubiyan Twist zwischen den Koordinaten Jazz, Funk, HipHop, Brasil und Afrobeat. Benannt nach Nubiyan Brandon, der soulig schmachtenden bis cool rappenden Stimme im Epizentrum von vier Stücken, geizt die Band nicht mit weiteren Protagonisten. Denn nicht weniger seelenvoll ist Nick Richards, der für das funkige „Tell It To Me Slowly“ vom Sax auf die Vocals umsattelt und fast Marvin Gaye-Qualitäten entfaltet.  „Basa Basa“ und vor allem das atemlose „They Talk“ bündeln mit dem Ghanaer K.O.G. am Mikro eine ganze Palette westafrikanischer Anklänge. In „Addis To London“ drängen sich im dichten Bläsersatz die mysteriösen Skalen des Ethiojazz nach vorne, Stargast Mulatu Astatke am glimmenden Vibraphon inklusive. „Borders“ wartet mit schwülen brasilianischen Jazzharmonien in geschichteten Flöten und Stimmen auf. Und im Intro zum Finale „Sugar Cane“ blitzt plötzlich eine Art HipHop-Billie Holiday auf.

© Stefan Franzen

Nubiyan Twist: „Tell It To Me Slowly“
Quelle: youtube

New Orleans als Spiegel der Welt


In der neuen Roots-Szene der Staaten ist sie einer der auffälligsten Köpfe: Leyla McCallas Vorfahren stammen aus Haiti, in New York absolvierte sie ein klassisches Cellostudium, neben Rhiannon Giddens war sie Sängerin bei den Carolina Chocolate Drops. Auf ihrem dritten Soloalbum befasst sie sich mit dem aktuellen Zustand der USA, der Armut und Ungleichheit. Ich habe mit Leyla im elsässischen Wissembourg vor einem Konzert gesprochen.

Leyla, dein neues Album nennt sich The Capitalist Blues und es klingt sehr nach New Orleans…

Leyla McCalla: Absolut. Ich lebe jetzt seit zehn Jahren dort. New Orleans ist der Ort, der mich mit meinen haitianischen Wurzeln verbunden hat und mich die Entstehung der amerikanischen Musik generell hat verstehen lassen, ebenso die Musik der Karibik und Westafrikas. Es fühlt sich  musikalisch wie der nächste logische Schritt für meine Laufbahn an, dass viele Färbungen der Stadt darauf zu hören sind.

Es geht auf dem Album oft um die armen Leute, die unter den neoliberalen, kapitalistischen Strukturen unseres Jahrhunderts leiden. Hast du New Orleans auch in diesem Zusammenhang gewählt, als Stadt, in der die Armut besonders sichtbar ist?

McCalla: New Orleans ist ein gutes Beispiel für die ständig sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, aber genauso wären es Haiti oder New York, das ist ein globaler Trend. Es gibt richtige Armut in New Orleans, und die sehe und erfahre ich jeden Tag. Nicht darüber zu sprechen, wäre unaufrichtig. Einige Songs auf der Platte sind durch meine persönliche Erfahrung gefiltert, aber ich sehe gleichzeitig, wie Leute um mich herum einen täglichen Überlebenskampf führen, und auch über sie singe ich.

Inwieweit hat die Wahl von Donald Trump dich beim Schreiben beeinflusst? Ist die CD auch ein stückweit ein Anti-Trump-Album?

McCalla: Viele der Songs hatte ich schon geschrieben, bevor Trump gewählt wurde. Dann nahm ich sie in den Nachwehen seiner Wahl auf. Das Album ist größer als einfach „anti-Trump“, er ist ja nur Teil einer größeren populistischen, fremdenfeindlichen Bewegung. Diese ganze Rhetorik von „America First“ ist Bullshit, es ist einfach die Agenda der weißen Wirtschaftsbosse. „Capitalist Blues“ ist ein typisch amerikanischer Titel, denn in Europa gibt es nun mal eine andere soziale Struktur. Wir sehen immer mehr, wie große Unternehmen mit ihrem Geld ganze Viertel kaufen und arme Leute, aber auch Vertreter der Mittelklasse rausschmeißen, und die bleiben dann nicht mehr Mittelklasse. Die Stimmung hat sich lange hochgeschaukelt, und die Leute, die sich über die Wahl von Obama geärgert haben, zahlen es uns jetzt heim.

Hat die Trump-Politik konkrete Auswirkungen auf das Leben in New Orleans, sowohl gesellschaftlich aus auch kulturell?

McCalla: Auch hier kann ich wieder nur sagen: Die Sache ist größer als Trump. Nach Hurricane Katrina hat die Stadt das öffentliche Schulsystem abgeschafft und ein privates eingeführt, das sich aber aus einem öffentlichen Fond bedient. Wir haben eine fremdenfeindliche und rassistisch kodierte Rhetorik, die dieser Profit-Politik in New Orleans den Rücken stärkt. Natürlich ist das Gefühl der Unsicherheit unter den people of colour, der LGBT-Gemeinschaft und den Einwanderern gewachsen. Schlimm ist, dass aufgrund unseres rigiden Zweiparteiensystems wenig Aussicht auf Veränderung besteht. Wir haben in Louisiana immerhin kleine Erfolge wie das Gesetz zur Einführung der einstimmigen Jury. Stell dir vor, wie viele falsche Richtersprüche da zuvor gefällt worden sind! Solche Themen sind zentral für New Orleans, nicht Präsident Trump selbst. Es geht um die große politische und kulturelle Teilung, die es vielen Menschen nicht ermöglicht, ein gesundes und erfüllendes Leben zu führen.

Lass uns darüber sprechen, wie du den New Orleans-Sound musikalisch umgesetzt hast.

McCalla: Bei diesem Album haben wir uns darauf konzentriert, jeden einzelnen Song zu größtmöglicher Ausdruckskraft zu führen. Den Titelsong habe ich auf dem Banjo geschrieben, stellte ihn mir aber gleich mit einer großen Brass Band vor, die mein Produzent King James (alias Jimmy Horn) dann in typisch spontaner New Orleans-Manier zusammengetrommelt hat. Für viele andere Songs haben wir die Band meines Produzenten eingesetzt, die „Special Men“, lokale R&B-Größen. Dazu haben wir dann noch andere Gäste eingeladen. Es war fast magisch, wie sich das zusammenfügte.

Um das Thema Ungleichheit zu behandeln, gehst du aber auch nach Brasilien oder in den Calypso mit einem Growling Tiger-Song. Und dann findet man einen fast erschreckenden intensiven Song namens „Aleppo“, mit einem E-Gitarren-Solo im Stil von Hendrix’ “Voodoo Chile”. Welche Bedeutung hat Syrien für dich als Brücke zu deiner Thematik?

McCalla: Der Krieg in Syrien hat mich inspiriert, diesen Song zu schreiben und die dortigen Ereignisse aufs Globale zu übertragen. Auf Facebook habe ich mir erschreckende Livevideos von Menschen angeschaut, die im Bombenhagel von Aleppo ihre letzten Worte sprachen. Die Textzeile „Bomben fallen im Namen des Friedens“ fiel mir ein, und ich erinnerte mich an die Diskussion über die Amokläufe in den USA. Wir fragen uns, wie wir es schaffen können, dass die beendet werden sollen. Und was ist unsere Antwort? Wir brauchen mehr Gewehre! Und wir müssen den Lehrern beibringen, wie sie schießen, um die Klassenzimmer zu schützen. Es gibt vier- oder fünfjährige Kids, die Schützen trainieren!

Mit dem Song „Settle Down“ kehrst du in deine Heimat Haiti zurück. Wie war es, mit der haitianischen Band Lakou Mizik aufzunehmen?

McCalla: Ich hatte eine Vorstellung, wie der Song klingen sollte und hörte ihn in meinem Kopf als Protestlied. In der haitianischen Rara-Tradition, der Straßenmusik mit Blasinstrumenten, geht es oft um Protest, um den Wunsch nach Veränderung. Dann waren Lakou Mizik 2017 beim Jazzfest in New Orleans und ich rief ihren Manager an, ob sie ins Studio kommen könnten, ich bräuchte nur ein paar Stunden mit ihnen. Wir haben den Song dann gemeinsam geschrieben, sie haben ein paar Worte auf Kreol einfließen lassen. Es war so aufregend, denn ich hatte nie zuvor mit den Rara-Hörnern gearbeitet!

Es gibt mit “Lavi Vje Neg” und “Mize Pa Dous” auch zwei vollständig auf Kreolisch gesungene Songs. Wie bist du auf sie gestoßen?

McCalla: „Mize Pa Dous“ habe ich selbst geschrieben. Ich dachte dabei an Einwanderer in den USA, die den ganzen Tag malochen und so wenig Geld verdienen. Im Text heißt es: „Jeden Tag arbeite ich hart, und jeden Tag fühle ich mich wie ein Esel. Nie häuft sich Geld an, und meine Schulden werde ich nicht los.“ Das ist auch eine klassische amerikanische Erfahrung: Wir alle leben auf Pump, werden uns nie etwas leisten können. “Lavi Vje Neg“ dagegen ist ein traditioneller Song, und da geht es um einen alten Mann, dessen Schuhsohlen so dünn sind wie Crêpes, er lebt von der Hand in den Mund. Ich dachte, dieser Song passt total auf das Album, zumal Kreol oft als Sprache des Widerstandes beschrieben wird. Sie ist ja während der Sklaverei entstanden, damit sich verschiedene ethnische Gruppen untereinander verständigen konnten. Für mich ist es sehr wichtig, weiter auf Kreol zu singen, denn diese Sprache hat mein Denken geprägt und bringt mich dazu, die Musik als Mittel zu gesellschaftlichem Wandel zu sehen.

dieses Interview ist in der Zeitschrift Folker 02/2019 erschienen
© Stefan Franzen

aktuelle CD: The Capitalist Blues (Jazz Village)
www.leylamccalla.com

Leyla McCalla: „Money Is King“
Quelle: youtube

(he)artstrings #27: Ein Vorspiel ohne Folgen

 

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„The Death Of Queen Jane“ (trad.)
(aus: OST Inside Llewyn Davis, Oscar Isaac, 2013)

Hat jemals irgendein Schauspieler so erbarmungslos einen erfolglosen Songwriter verkörpert? Oscar Isaac, dem ich heute zum 40. Geburtstag gratuliere, geht im Film der Coen Brothers Inside Llewyn Davis über die Schmerzgrenzen hinaus. Ich habe unsäglich mitgelitten, als er nach einem beschwerlichen Weg von NY nach Chicago (grauenhafte Kälte + ein alter Jazzer in Gestalt von John Goodman als Beifahrer!) dieses herzzereißende Lied spielt, um schließlich vom Clubbetreiber nur einen Satz zu hören: „I don’t see a lot of money here.“

Von der englischen Ballade, die durch die Sammlung von Francis James Child zu uns kam, existieren um die 20 Varianten, und sie wurde unter anderem auch von Joan Baez, den 10.000 Maniacs oder dem deutschen Countertenor Andreas Scholl interpretiert. Doch ich bleibe dabei: Isaacs schlichtes Folkclub-Vorspiel, das ohne jegliche Folgen für ein Engagement bleibt, geht am meisten unter die Haut.

Oscar Isaac: „The Death Of Queen Jane“ (aus Inside Llewyn Davis)
Quelle: youtube

Soulblüte aus Toronto


Nach dem „Honigkind“ von Bobby „Blue“ Bland und dem von Martha Reeves & The Vandellas musste ein halbes Jahrhundert vergehen, bis der Soul ein neues hervorbringt. Es kommt von der Singer/Songwriterin Lydia Persaud aus Toronto. Kanadischer Soul ist ja immer eine sehr besondere Sache, und so flicht auch diese junge Dame, die von Kirchenchor geprägt ist und ihre Idole zwischen Donny Hathaway und Carole King angibt, viel Jazz, Folk und Retro-Pop in ihre Kreation ein. Ich bin gespannt auf das komplette Album Let Me Show You, das am 10.5. erscheinen wird.

Lydia Persaud: „Honey Child“
Quelle: youtube

Viereinhalb Minuten für die Würde

Foto: Chris Hakkens

Ihre Musik verfolge ich seit ihrem Debüt im Jahre 2001. Seitdem zählt India.Arie zu den R&B-Sängerinnen, die in ihren Texten sehr engagiert für schwarzes Selbstbewusstsein eintreten. Dieser Tage hat sie ihr neues Album Worthy veröffentlicht, begleitet wird es durch die Single „What If“. In diesem Song würdigt India.Arie alle Vordenker der African American Community und die, die für sie eintreten –  angefangen bei Martin Luther King und Rosa Parks bis zur möglichen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Musikalisch kann ich mit der neuen Platte nicht mehr so viel anfangen, doch in Zeiten des lügenden Rassisten und Sexisten in Amt und nicht in Würden ist dieser Song ein kraftvolles Zeichen. Das Video gibt es derzeit noch auf India.Aries FB-Seite, in anderen Quellen wurde es aus „urheberrechtlichen“ Gründen gelöscht.

India.Arie: „What If“
Quelle: youtube

Mama Jazz ist gegangen

Fast 70 Jahre lang zählte sie zu den großen Stimmen des südlichen Afrikas: Am vergangenen Samstag ist die Sängerin Dorothy Masuka im Alter von 83 Jahren gestorben. Ihre Karriere begann die im heutigen Simbabwe geborene Künstlerin, die auch die „Mama des afrikanischen Jazz“ genannt wurde, 1951 in Johannesburg. In den frühen Jahren sang sie zusammen mit Miriam Makeba und Hugh Masekela. Ihre Spezialität war der „Marabi“, ein Mix aus simbabwischer Tradition und südafrikanischen Einflüssen, die durch die Zulu-Einwanderer nach Simbabwe gekommen waren, mit Swing. In ihren oft auf Ndebele gesungenen Liedern setzte sich Masuka mehr und mehr für die Befreiung von kolonialer Herrschaft und Apartheid ein, auch dem kongolesischen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba widmete sie einen Song. Die Autoritäten verbannten sie daraufhin nach Sambia. Nach Jahrzehnte langem Exil konnte Dorothy Masuka in die Heimat zurückkehren. Bis zuletzt war sie in Südafrika, Simbabwe und im Ausland auf der Bühne, 2017 sang sie noch in der New Yorker Town Hall in einer Show von Abdullah Ibrahim. Zu ihren großen Hits zählen “Hamba Nontsokolo”, “Khawuleza” und „Five Bells“.

Dorothy Masuka: „Ngihamba Ngedwa“
Quelle: youtube

Schatzkiste #38: Süßer Sound vom Highlife-Doktor

Dr. K. Gyasi & His Noble Kings
Epono Hini Me
(Sambo Records)

gefunden bei: Superfly Records, Paris

Ghanaisches Wochenende in Paris: Nach einer grandiosen Show des Altstars Gyedu-Bley Ambolley im Club New Morning mit hitzigen Zugaben bis Mitternacht geht es am nächsten Tag zum Durchforsten der Plattenläden. Im Superfly stoße ich unter der Vielzahl der westafrikanischen Scheiben aus den 1970ern auch auf meinen Highlife-Favoriten: Dr. K. Gyasi (sprich “ key dschassi“) pflegte schon vor der Afro-Funk-Blüte, aber auch später unbeeindruckt von ihr mit seinen Noble Kings den süßen Schmelz des Guitar Band Highlifes wie kein Anderer – mit trunkenen, erdschweren Vocals, sanften Gitarrenlinien, glucksendem E-Bass und beschwipsten Bläsern, noch ziemlich nahe am seligen Ton der Palmwine Music.

Kwame Gyasi, erst 2013 hochbetagt verstorben, war eine Referenzgröße des Highlife ab den 1950ern. Er begleitete Präsident Nkrumah auf Reisen in den Ostblock, war der erste, der eine E-Orgel in seine Band integrierte und traute sich, den Sound seiner Guitar Band durch eine Blechblassektion aufzupeppen. Natürlich knistert diese in New York eingespielte Platte ordentlich und auch das Cover wurde kurz vor dem endgültigen Zerfall getapet. Aber da muss man bei einer Legende von diesem Format einfach drüber weg hören und sehen. Perfekt für einen Sonntagmorgen. 

Dr. K. Gyasi & His Noble Kings: „Odo Yewu Da Baabi“
Quelle: youtube