Zum Tod von Jan Reichow

Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb bereits am 2. Mai der langjährige WDR-Redakteur Jan Reichow. Als musikalischer Universalgelehrter hat er das Nachdenken und Forschen über Musik in Deutschland wie kaum ein anderer Radiomensch geprägt. Der studierte Geiger und promovierte Musikwissenschaftler fand von frühen Jahren an einen Zugang zur Musik, der sich vor allem über neugierige Offenheit und wissenschaftliche Gründlichkeit definierte. Durch sein enormes Hintergrundwissen konnte er musikalische Phänomene in einen gesellschaftlichen, politischen und ethnologischen Kontext stellen.

Reichows Fokus lag dabei vor allem auf der Musik der Welt: Bereits 1969 unternahm er eine Studienreise nach Beirut, 1971 promovierte er über arabische Musik. Aufnahmereisen etwa nach Afghanistan, Korea, in den Irak, nach Marokko und in den Niger prägten die 1970er und 1980er. Diese Forschungen waren damals bahnbrechend in der Vermittlung außereuropäischer Klänge nach Deutschland, und etliche seiner Aufnahmen erschienen später beim Frankfurter Verlag Network Medien. Diese Aufnahmen wurden auch für mein Verständnis und für meine Begeisterung von Musik jenseits der europäischen Grenzen in den 1990ern bestimmend.

In den 30 Jahren seines Wirkens als Redakteur beim WDR wurde der Sender führend auf dem Gebiet der Folk- und Weltmusik, Sendungen wie die „Matinee der Liedersänger“ erlangten Legendenstatus. 1996 erhielt Jan Reichow das Bundesverdienstkreuz am Bande „für außergewöhnlichen Beitrag zu Völkerverständigung und Kulturaustausch“, 2005 wurde ihm auf dem Rudolstadt Festival die Ehren-RUTH für sein Lebenswerk verliehen. Jan Reichow stand für ein Musikverständnis, das dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk im Zeitalter der digitalen Häppchenkultur und der „Reichweiten“-Jagd weitestgehend abhandengekommen ist. Auch nach der Pensionierung arbeitete Reichow unermüdlich weiter, sein Blog gibt Zeugnis davon ab: ein tiefgründiger Schatz an Artikeln und Skripten, nicht nur über Musik, sondern mit vielen Seitenpfaden in die Musikwissenschaft, die Philosophie und Ornithologie.

© Stefan Franzen