Mexikanischer Zunder in Duisburg

Transatlantische Klangwellen
Alondra de la Parra, Thomas Enhco, Duisburger Philharmoniker
Mercatorhalle Duisburg
19.02.2025

„Sind die Ohren noch dran?“ Der Herr am Merchandising-Stand zwinkert einem Konzertbesucher zu, der etwas benommen Richtung Ausgang wankt. Das überwiegend ältere Publikum in der Duisburger Mercatorhalle zwitschert aufgeregt bis aufgescheucht durcheinander, während man eher amorph als geordnet mit abklingender Gänsehaut auf die Garderobe zusteuert. Was war hier passiert?

Die Ehre gab sich die in Berlin lebende mexikanische Gastdirigentin Alondra de la Parra. Sie ist eine der heftig aufstrebenden immer noch wenigen Frauen ihrer Zunft. Und sie bricht seit Jahren eine Lanze für modernere lateinamerikanische Kompositionen, insbesondere die symphonischen Werke ihres Mutterlandes. Unter dem Titel Transatlantische Klangwellen schlägt sie an diesem Abend den Bogen von Frankreich über Spanien bis nach Mexiko.

De la Parra, die unter anderem bei Kurt Masur Dirigieren gelernt hat, erweist sich als grandiose Rhythmikerin, die in der „Rapsodie Espagnole“ von Maurice Ravel das Flirren der iberischen Nacht als spannungsgeladenes Vorspiel für die zündende „Malagueña“ und die glühende „Feria“ inszeniert. Die exzellente Akustik des Saals lässt die Instrumentationskunst Ravels differenziert aufblitzen.

Auftritt Thomas Enhco: Der Pariser Pianist steht mit einem Bein in der Klassik , mit dem anderen im Jazz, seiner prioritären Liebe. In Manuel de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“, das er erstmals auf ener Bühne spielt, füllt er die eigenartige Position zwischen Solistenfunktion und Orchesterkolorierung virtuos. Mehr noch geht er in seiner Rolle auf, als er seine Eigenkomposition Sept Visions in der Uraufführung präsentiert. Variationen, die von einem pastoralen Oboen-Thema ausgehend, zwischen atmosphärischer Filmmusik und Jazz-Improvisation pendeln, kurzweilig, schwelgerisch und mitreißend. Als Encore nimmt er sich ein Mozart-Thema vor, re-harmonisiert und rhythmisiert es so clever, dass es zu einem rührenden Stück mit Pop-Appeal wird.

Das Finale gehört dem mexikanischen Komponisten Silvestre Revueltas (1899-1940) und seiner zu einer viersätzigen Symphonie gruppierten Filmmusik La Noche De Los Mayas. Alondra de la Parra führt mit Esprit in dieses Werk der Superlative ein, an dem allein 13 Perkussionisten beteiligt sind. Die Stimmung eines Maya-Rituals wird zu Anfang in fiebrige Streichertöne gegossen, gekrönt von dräuenden Bläserfanfaren und bombastischer Trommel, kontrastiert von einem wehmütigen Flöten-Interludium. Von Schrappholz, Xylophon und Pauken wird das Orchester im quertaktigen Scherzo angeheizt. Überraschend träumerisch, fast an Richard Straussens Rosenkavalier-Seligkeit erinnernd, taucht man in die „Noche de Yucatán“ ein.

Der 4 .Satz, die „Noche de Encatamiento“, wird dann zur ausufernden, ekstatischen Orgie, vorangetrieben von Muschelhorn-Signalen. Die Perkussionisten-Riege tobt sich in kontrollierter Schichtung aus, de la Parra tanzt hüftwiegend auf dem Pult. Mit immer neuer Intensivierung in Lautstärke und Tempo schreitet das Ritual mit etlichen neuen Anläufen voran, die schiere Dezibel-Wucht presst einen in den Stuhl. Diesen polyrhythmischen Laden zusammenzuhalten, ein Orchester, das hier fast zur reißenden Bestie wird, erfordert höchste Disziplin von einer Maestra, die mit wehendem Beinkleid Einsätze wie Dolchstöße gibt. Und sich beim enthusiastischen Schlussapplaus fast ungerührt zum Saal umwendet. Was für ein Energiesturm – und was für eine ungeahnte Traumpartnerschaft zwischen einer resoluten Kosmopolitin und den fantastisch präzis agierenden rheinischen Spitzenphilharmonikern.

© Stefan Franzen

alle Fotos: Stefan Franzen