Fotos: Stefan Franzen
Arooj Aftab
Karlstorbahnhof Heidelberg
21.10.2024
Sie ist eine selbsterklärte Nachteule. Die Sängerin und Songwriterin Arooj Aftab (sprich: aruudsch), erste Grammy-Preisträgerin mit pakistanischen Wurzeln, verbeugt sich auf ihrem neuen Album Night Reign (Verve) vor der inspirierenden Kraft der Nacht. Ihr vorangegangenes Album Vulture Prince habe ich auf diesem Blog bereits in höchsten Tönen gepriesen. Und so war es Pflicht, sie endlich einmal auf der Bühne zu erleben, auch wenn der Weg zu dieser Bühne 200 km betrug.
Aftab schreitet vorsichtig, mit dunkler Brille ans Mikro des bestens besuchten Karlstorbahnhofs (ihre Augen, so entschuldigt sie sich, seien noch völlig verquollen von der nächtlichen Feier nach der Show in Berlin). Sie und ihre Band sind eingehüllt in majestätisches Dunkelblau. Sofort schafft diese Stimme eine fantastische Atmosphäre: Die Fülle ihres Timbres, gepaart mit den ornamentalen Schleifen, die zarte Diktion im Idiom Urdu, all das minimalistisch vorgetragen mit kaum einer körperlichen Regung und nur scheinbar halb geöffnetem Mund, greifen tief in meine Seele.
Arooj Aftab hat ihre Musik früher einmal als „Neo Sufi“ bezeichnet, davon ist sie abgerückt, das Etikett passt auch lange nicht mehr. Zwar beziehen sich einige ihrer Verse tatsächlich auf die mystische Poesie eines Rumi, wie in ihrem rhythmisch freien Remake von „Last Night“ (auf Vulture Prince noch ein Reggae), in dem der Mystiker die Schönheit des/der irdischen oder himmlischen Geliebten mit dem Mond vergleicht. Andere Verse aber sind deutlich jüngeren Datums, etwa aus der Feder der Urdu-Poetin Mah Laqa Bai Chanda, oder sie drehen sich um zeitgenössische Themen, wie etwa die unterbrochene Liebesanbahnung bei einer Party.
Singt sie auf Englisch, wie etwa in „Whiskey“, stößt sie auch mal angenehm an die Grenzlinie zum folkigen Pop. Doch in ihrem Gesang werden all diese Themen, banal oder nicht, zu etwas Erhabenem geläutert. Es mag verwirren, dass der Humor und das Selbstbewusstsein dieser Frau in den Ansagen dann so durch und durch down to earth sind – etwa, wenn sie kritisiert, dass auf ihren Postern nur ihre „exotischen, nahöstlichen“ Augen zu sehen sind. Das sei ja schließlich rassistisch.
Aftabs Mitmusiker schaffen zugleich ein spannungsreiches Miteinander und ein homogenes Bett für die Sängerin: Petros Klampanis (auch er ein Blog-Liebling) fundiert satt mit lebendiger, sehr kantabler Tiefregister-Melodik und markiert nur mit einer Fuß-Schelle sanft, aber fast überflüssig die Beats. An der Akustikgitarre steuert Gyan Riley (Sohn des Minimal Music-Pioniers Terry) leichtfüßig fliegende Improvisationen bei, die ab und an auch mal an der Flamenco-Pforte anklopfen. Und der Geiger Darian Donovan Thomas, mit der Optik eines Herrschers über ein vergessenes Afro-Fantasiereich, schweift mit seelenvollen Linien um die Stimme, verblüfft aber vor allem mit erfindungsreicher Pizzicato-Ausgestaltung, die sich mal mit Riley, mal mit Klampanis verbündet.
Am Ende, ohne Gesichtsverdunklung, intoniert diese sagenhafte Frau dann noch „Mohabbat“, ihre Vertonung eines berühmten Gedichts des Poeten Hafeez Hoshiarpuri (1912-1973). So etwas wie ihr Hit, der von den nicht wenigen Landsleuten im Auditorium mehrfach seufzend eingefordert wurde. Schon jetzt eines der überragenden Konzerte des Jahres 2024.
© Stefan Franzen