Maritza (Québec)
aktuelles Album: Libérons-Nous (Ste-4 musique)
Maritza Bossé-Pelchats Geschichte spiegelt Kanadas multikulturelle Struktur wider: Sie stammt aus der Donimikanischen Republik und wurde von einer Familie bei Québec Ville adoptiert. Dort ist sie auch aufgewachsen und hat ihre ersten musikalischen Schritte gemacht. Maritza konnte ich vor dem Release-Konzert ihres neuen Albums Libérons-Nous im prächtig-plüschigen Cabaret Lion D’Or beim Montréal en lumière-Festival zu einem kurzen Gespräch treffen.
Maritza, kannst du deine frühen musikalischen Einflüsse skizzieren?
Maritza: Ich wuchs in L’Ancienne-Lorette auf, das ist bei Québec Ville. Meine erste große Liebe war das Tanzen, aber ich war in einem Schulchor, einfach zum Spaß. Am meisten Spaß machte es mir aber, Choreographien zu erfinden und Shows in meiner Schule zu organisieren. Zu der Zeit hatte ich noch überhaupt keine Ambitionen, Musikerin zu werden, ich hatte auch keine musikalische Ausbildung. Aber die Musik hatte schon eine große Wirkung auf mich, denn ich war sehr introvertiert. Musik half mir, weinen zu können. Ich hörte viel Janis Joplin, ihr „Cry Baby“, Tracy Chapman, hatte auch eine Countryphase, in der ich Johnny Cash hörte…
…aber der war kein Gesangsvorbild für dich….
Maritza:…nein! Außerdem Whitney Houston und Maria Carey, und ich ahmte sie ein bisschen nach, diese 80er-Stimmen, ohne dabei daran zu denken, selbst Musikerin zu werden.
Interessant ist, dass in deiner Musik sowohl Rock-als auch Electronica-Einflüsse sind. Wie würdest du selbst deine Musik charakterisieren?
Maritza: Das ist für mich schwierig zu beantworten, denn meine Musik ist ein Mix aus so vielen Sachen. Rock, Electronic, ein bisschen Soul. Ich habe viel Cat Power, Feist und Chet Faker gehört, Patrick Watson, auch Folk. Ich entschied mich aber, auf dem Album nicht in diese Richtung zu gehen, ich wollte groovy sein und viele Facetten meiner Persönlichkeit ausdrücken.
Es steckt auch ein bisschen Blues drin, „Le Diable A Mes Trousses“ hat mich an Betty Bonifassi denken lassen – ist sie ein Einfluss?
Maritza: Ja, sie ist so großartig. Das Riff kam von meiner Zeit in Lissabon, dort habe ich mit vielen afrikanischen Musikern gejammt, hörte viel Roots-Musik. Ich hatte eine Guitarlele dabei und erfand dieses Riff. Ein Jahr lang habe ich dann nichts damit gemacht, aber als ich zurück in Montréal war, hat ein Freund von mir, der Gitarre spielt, gesagt: „Spiel dieses Riff einfach mal nonstop.“ Und dann habe ich dazu zu singen angefangen, das war wie ein Sklavengesang, ein ganz alter Blues oder Gospel. Betty hat mich wirklich sehr beeinflusst, denn ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt.
Maritza: „Le Diable A Mes Trousses“
Quelle: youtube
Auf deinem Album sind Songs in drei Sprachen. Bist du sehr vom zweisprachigen Alltag Montréals beeinflusst?
Maritza: Tatsächlich gar nicht! Ich spreche kaum Englisch, da ich aus Québec Ville komme, und das ist auch bei all meinen Freunden der Fall. Wenn ich die Songs schreibe, dann komme ich immer in die Sphäre von englischen Phonetics, warum, weiß ich nicht. Aber ich bin nicht zweisprachig. Es ist für mich auch eine Herausforderung, die Texte auf Französisch zu schreiben, und zum ersten Mal ist auf diesem Album auch ein Song auf Spanisch dabei. Darüber bin ich sehr froh, denn Spanisch ist meine erste Sprache, ich stamme ja aus der Dominikanischen Republik.
Die Synthesizer, die du einsetzt, erinnern mich sehr an die Klangsprache von französischen Acts wie Air oder Daft Punk – fühlst du dich zu dieser Szene hingezogen?
Maritza: Um ehrlich zu sein, eigentlich nicht. Viele Arrangements sind von Marc Thériault. Er könnte von europäischen Sachen beeinflusst sein.
Du hast eben den spanischen Song angesprochen, „Nuestro Mundo“. Warum hast du entschieden, in dieser Sprache zu singen?
Maritza: Ich wollte ihn nicht auf Englisch und auch nicht auf Französisch schreiben. In meinem Kopf hörte ich einige Worte auf Spanisch, die sich toll anhörten. Ich dachte mir: Warum nicht? Es wäre eine Ehre für meine Familie und meine Wurzeln. Ich habe jemanden gefunden, der mit mit den Lyrics geholfen hat. Ich wollte, dass es ein fröhlicher, romantischer Song wird, mit positiven Gefühlen:“Lass uns wachsen und füreinander offen sein und die Welt zusammen aufbauen.“
Das ist einer meiner Favoriten, ein anderer ist „Mille Feux“, da kommt ein bisschen Reggae mit hinein…
Maritza: Ja, da haben wir Massive Attack gehört, um uns inspirieren zu lassen. „Mille Feux“ ist eine Einladung, zusammen voranzuschreiten, hinein ins Licht, und die schlechten Dinge hinter sich zu lassen. Zusammen schreiten, aber jeder zu seinem Rhythmus.
Wir sehen in Europa Kanada im Moment als eine Art Antithese zu den USA. Hast du Angst, dass das, was in den USA passiert, auch nach Kanada überschwappen könnte, dass beispielsweise Leute aus anderen Herkunftsländern belästigt werden könnten?
Maritza: Ich hoffe, dass das nicht passiert. Es gab einen solchen Fall in Québec, aber alle Menschen sind zusammengerückt und haben sofort gesagt: „Nein, diesen Fremdenhass wollen wir hier nicht!“ Diese Botschaft war klar zu spüren. meine leiblichen Eltern sind in den USA und vor kurzem haben sie mich angerufen und gesagt: „Wir wollen nach Kanada rüber, es ist so schwierig für uns hier! Kannst du uns helfen, das bei der Emigrationsbehörde einzufädeln?“ Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Dinge dort so schnell zum Schlechten verändern. Ich bin wirklich froh, dass ich in Kanada bin. Ich hoffe, dass es immer ein Ort sein wird, an dem Menschen verschiedenster Herkunft willkommen sein werden, und man sich über verschiedene Kulturen freut.
Was wird in deiner Show passieren?
Maritza: Ich habe mich entschieden, ein paar neue Sachen zu probieren und Vanessa Borris, eine Kostümdesignerin, für meinen Videoclip „Avant“ getroffen. Bisher bin ich immer nur mit Shirt auf die Bühne gegangen, aber als ich Künstlerinnen wie Feist oder Anna Calvi angeschaut habe, merkte ich, dass die alle etwas sehr Persönliches ausstrahlen, das wollte ich auch. Ich habe Vanessa mein Universum und meine Musik erklärt, und daraufhin haben wir zusammen das Kostüm geschneidert. Es ist das erste Mal heute Abend, dass ich es anziehen werde. Wir haben auch eine Lightshow und Choreographie, auch das ist neu. Ich liebe neue Herausforderungen.
© Stefan Franzen