Alejandra Ribera
La Boca
(Jazz Village/Harmonia Mundi)
Heimatland Kanada, binationale Herkunft, eine Stimme von empfindsamer, ein bisschen verlebter, rauchiger Tiefe – klar, dass mancher bei diesen Referenzpunkten an eine neue Lhasa de Sela denkt. Doch die argentinisch-schottische Sängerin hat viele geistige Ziehmütter. Und sie kann auch mit ihrer Stimme mehr anstellen, auf ihren gewagten melodischen Gratwanderungen schraubt sie sich schon mal in unverschämte Sopranhöhen. Sie hat einen Hang zur fast aufreizenden Entschleunigung, wie im Wehmuts-Choral “St. Augustine” oder ihrem Cover von “500 Miles”. Produzent Jean Massicotte hat diesem dreisprachigen Songzyklus kräftige Reliefs verliehen, die nie dem Arrangementkonsens gewöhnlicher Popsongs entsprechen wollen. So ist “No Me Sigas” eine verschrobene Fluchtballade mit knöcherner Percussion, und die Gitarre scheint aus einem mexikanischen Schwarz-Weiß-Film hineinzustolpern. “Cien Lunas” schwelgt in nächtlicher Pedal-Steel-Romantik. Ganz grandios das verlebte “Bad Again”, Riberas Lesart eines New Orleans-Soul à la Irma Thomas mit Triolenpiano. “Un Cygne, La Nuit”, ein Duett mit Arthur H, spielt mit Satie-hafter Verlorenheit. Und die glasigen Anfangsakkorde der hymnischen Singleauskopplung “I Want” bekommt man einfach nicht mehr aus dem Kopf. Mehr kann man sich von einem Newcomeralbum nicht wünschen. (VÖ: 27.11.!)
Alejandra Ribera: „La Boca“
Quelle: youtube