Rhiannon Giddens, Sie sind in North Carolina geboren, in der Piedmont Region, eine Hochburg von Blues, Bluegrass und Old Time Music. Welchen Einflüssen waren Sie als Kind ausgesetzt?
Giddens: Ich habe Popmusik gehört, alte Blues-, Bluegrass- und Jazzplatten von meinen Großeltern, auch Folkrevival-Platten von Peter, Paul & Mary. Mit 12, 13 habe ich angefangen, meine eigenen CDs zu kaufen, das war aber noch gar nicht rootsbetont, sondern eher kommerzieller Pop, für die Rootssachen entwickelte ich erst auf dem College ein Interesse. Aber ich war immer ein Hörer der klassischen Rockwerke, das habe ich von meiner Mutter, also Queens „Bohemian Rhapsody“, Rebecca McEntire, Sting, diese Dinge.
Wie lief Ihre stimmliche Ausbildung ab?
Giddens: Mit 16, 17 hatte ich Gesangsuntericht, der mich aufs Konservatorium vorbereiten sollte. Zuvor war ich im College-Chor und sang mit meiner Schwester die ganze Zeit, was ja in sich selbst auch schon ein gutes Training war.
Bei den Carolina Chocolate Drops haben Sie sich mit der Tradition der schwarzen Stringbands der Ära vor dem Bluegrass befasst. Auf Ihrem Soloalbum widmen Sie sich dagegen sowohl schwarzen wie auch weißen Sängerinnen der amerikanischen Popularmusik. Geht es Ihnen darum, diese Barrieren niederzureißen?
Giddens: Ja, das ist ein Teil davon. Aber die Mission der Chocolate Carolina Drops war eine sehr wichtige, denn die Geschichte der White String Bands und des europäischen Einflusses auf amerikansiche Musik ist gut dokumentiert. Wir aber konzentrierten uns auf die schwarze Tradition, da das nicht viele andere Menschen machten. Ich bin gemischtrassig, und das ist auch das Thema von den Chocolate Drops, denn amerikanische Musik ist Musik mit gemischtrassigen Einflüssen, kreolisch, hat ihren Ursprung in multiplen Kulturen.
Carolina Chocolate Drops: „Hit Em Up Style“
Quelle: youtube
Auf meinem Solodebüt wollte ich jetzt zeigen, dass ich von Musikern aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten beeinflusst bin. Wernn du einen der verschiedenen Fäden der amerikanischen Musik rausnimmst, dann bricht sie in sich zusammen, sie kollabiert. Das war der Gedanke hinter dem Album: Diese Songs kommen aus einer gemeinsamen Welt und sie sollten Seite an Seite stehen. Jimmy Rodgers hat den Blues gesungen, und Bluesmen haben Country gesungen, daran wollte ich erinnern. Die Trennlinien, die Kategorisierungen haben nur die Plattenfirmen vorgenommen.
Welche Kriterien waren für Sie bei der Auswahl der Coversongs wichtig – oder mit anderen Worten: Was haben Sister Rosetta Tharpe und Dolly Parton gemeinsam?
Giddens: Sie sind gleich wichtig für mein Leben, und auch gleich wichtig für die Americana, oder wie immer du das nennen willst. Sie vertreten nur verschiedene Ausschnitte davon. Diese Sängerinnen waren durch alle Epochen hindurch einflussreich, nicht nur für mich. Mit ihrer Hilfe kann ich herausfinden, in welcher Linie ich stehe, wie ich daran anknüpfen kann, denn sie haben Barrieren niedergerissen. Sie waren künstlerisch sehr inspirerend, und das, wo sie eine Menge Sachen durchmachen mussten. Für mich ist das eine Chance, meine Position zu bestimmen und sie zu ehren.
Ist es auch Ihr Anliegen, diese Sängerinnen in den USA einer neuen Generation vorzustellen, die sonst vielleicht nie von Ihnen hören würde?
Giddens: Absolut. Sister Rosetta Tharpe zum Beispiel ist sträflich vernachlässigt in den Staaten. Das erste Mal, dass ich eine CD-Box von ihr gesehen habe, war in Schottland. Alle großen Reissue-Firmen, wie Bear Family, sitzen in Europa. Das ärgert mich, wir Amerikaner sollten unsere Geschichte besser kennen. Denn gerade Rosetta Tharpe ist so eine einflussreiche Persönlichkeit auf die ganze Rock’n’Roll-Geschichte. Deshalb habe ich ganz klar angegeben, woher meine Coverversionen kommen, denn ich will, dass die jungen Hörer nachforschen, sich die Originale auf Youtube anhören. Es gibt heutzutage keine Entschuldigung mehr, sie nicht zu kennen.
Vor der Aufnahme einer Coverversion, versuchen Sie da die akustische Erinnerung an das Original aus Ihrem Gedächtnis zu löschen, um einen eigenen Zugang zu finden?
Giddens: Normalerweise covere ich einen Song, weil ich ihn sehr liebe, und dann habe ich ihn natürlich vorher sehr oft gehört. Wenn ich dann entscheide, dass ich ihn aufnehmen will, höre ich das Original nicht mehr an, um meine eigene Reise durch ihn zu finden, wie ich phrasiere und so weiter. Aber ich versuche nicht, die ursprüngliche Version vollkommenaus meiner akustischen Erinnerung zu streichen. Am Ende gehe ich dann zum Orignal zurück und bin manchmal erstaunt, wasa ich alles geändert habe.
Was mir aufgefallen ist: Ihre Stimme scheint bei jedem Song ein anderes Timbre zu haben, als ob Sie in die Haut der jeweiligen Sängerin schlüpfen.
Giddens: Ich möchte, dass meine Stimme immer als die meine erkennbar bleibt. Aber ich suche mir in jedem Song einen Aspekt, den ich mit meiner Stimme herausheben kann, eine Aussage, die ich unterstreichen will. Das erreiche ich sowohl mit technischen Mitteln als auch emotionalen Räumen. Die können zum Beispiel irgendetwas mit meiner Großmutter zu tun haben, oder mit dem Wissen über irgendwelche Lebensumstände in der Zeit damals. Ich möchte nicht Geeshie Wiley oder Patsy Cline oder wer auch immer sein, ich möchte ich selbst sein. Ich denke anders über einen Song, singe ihn an einem anderen Ort in meinem Mund, schwierig zu erklären. Ich will immer, dass die Songs mich widerspiegeln.
War ein Aspekt für die Auswahl so verschiedener Songs aus Blues, Country, Folk und Pop auch, dass Sie die Vielfalt Ihrer stimmlichen Fähigkeiten zeigen wollen?
Giddens: Eigentlich nicht, an sowas bin ich nicht interessiert. Ich interrpetiere einen Song nicht weil ich es kann, sondern weil ich ihn liebe. Ich habe 17 Songs aufgenommen, aber nur 11 haben wir aufs Album genommen, denn wir wollten, dass es eine homogene Sache wird. Einige der technisch anspruchsvollsten Sachen haben wir rausgelassen, da sie nicht zu dem gepasst haben, was ich sagen möchte. Ich möchte nicht angeben, ob als Sängerin oder Instrumentalistin, dafür habe ich keine Geduld. Virtuosität interessiert mich nicht, wenn sie nicht der Sache dient, die der Song in diesem Moment ausdrücken soll.
Das Arrangement von Patsy Clines „She’s Got You“ scheint mir wesentlich mehr Soul zu haben als das Original…
Giddens: Ich weiß nicht, ob jemand mehr Soul in einen Song stecken könnte als Patsy Cline, aber ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir uns überlegt, was wir aus dem Song machen, etwas, das auch zu meinen Vocals passte. Die Bläser wurden hinzugefügt, das hat Gabe Witcher, der Geiger auf dem Album gemacht, er ist für all diese wunderbaren Arrangements verantwortlich.
Rhiannon Giddens: „Shes’s Got You“
Quelle: youtube
Das Titelstück sticht heraus, es ist ja eigentlich im Original von Charles Aznavour und heißt „L’Amour C’est Comme Un Jour„, Nina Simone hat es dann viel schneller adaptier. bei Ihnen klingt es wieder chansonesk.
Giddens: So wie ich es singe, ist es inspiriert von Nina Simones Interpretation von 1968 in London. Diese Version hat sie nie aufgenommen, aber der Live-Auftritt ist von Kameras eingefangen und steht auf Youtube. Diese Version nimmt einen wirklich mit, sie ist viel langamer als ihre Studioversion von dem Song, die Peformance ist so intensiv. Die Streicher sind erst nachträglich dazugekommen. Schade, das sie den Song in dieser chansonesken Weise nie eingespielt hat und das war auch ein Grund, warum ich dieses Licht auf meine Adaption des Songs werfen wollte. Aber wohlgemerkt mit englischen Lyrics, die nach meinem Dafürhalten besser passen.
Warum haben Sie gerade diesen Song als titelgebenden fürs Album ausgewählt?
Giddens: Er ist für mich das emotionale Zentrum. Nina Simones Interpretation zu sehen, hat mich sehr berührt, denn ich hatte dabei auch im Hinterkopf, welche Kämpfe sie durchstehen musste. Ihre Enttäuschung darüber, dass sie keine Karriere als klassische Musikerin haben durfte, der Zustand, in dem sich das Amerika befand, in dem sie lebte, das Problem der Hautfarbe und so weiter. Ich habe sie nie getroffen und ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorging, als sie das sang, aber ich kann den emotionalen Raum fühlen, in dem sie sich aufhielt. Nach dem Motto: Heute ist es mir verwehrt, vielleicht schaffe ich es morgen. Und dann gesehen im Vergleich zu dem, was ich heute imstande bin zu tun, wie es in Amerika heute aussieht. Ich bin in der Lage, einen Schritt weiter zu gehen, und habe Unterstützung, die Leute wie sie damals nicht hatten.
Es gibt heute eine Menge afro-amerikanischer Themen im US-Kino, haben Sie das Gefühl, dass es in der Musik eine ähnliche Bewegung gibt?
Giddens: Ich schätze es, dass Sie das sagen, aber ist das wirklich so? „12 Years A Slave“ und „Selma“, das sind gerade mal zwei Filme. Und die drehen sich um Sklaven und Rassismus. Bis die African Americans in den US-Medien wirklich repräsentiert werden, bis dahin ist es noch ein langer Weg. Auch der Anteil der Leute, die im Regiestuhl sitzen, die an einem Film Geld verdienen, all diese Sachen. Es gibt Dinge, die passiert sind, obwohl Obama Präsident ist und Dinge, die passiert sind, weil er Präsident ist. In mancherlei Hinsicht gab es, was die Rassenfrage anging, Rückschritte, denn es gibt eine Menge Leute, die gegen einen schwarzen Präsidenten Vorbehalte haben und das nicht zugeben wollen. Es herrscht ein bisschen ein Durcheinander. Wir als Künstler müssen eben weiter über diese Dinge sprechen und die Leute anstecken, toleranter und offener zu werden.
Mein Lieblingssong auf dem Album ist tatsächlich die einzige Eigenkomposition, Ihr „Angel City“. Wovon ist der inspiriert?
Giddens: Nachdem ich den Großteil der „Tomorrow Is My Turn“-Sessions abgeschlossen hatte, war ich an einem Projekt namens The New Basement Tapes, wiederum unter der Leitung von T Bone Burnett beteiligt, das war sehr anstrengend aber auch lohnend. Als Songwriterin und Solistin habe ich mich ich im letzten Jahr sehr weiterentwickelt. In der letzten Nacht der Sessions habe ich diesen Song geschrieben, ich blieb die ganze Nacht auf deswegen, und dann habe ich allen meinen Song vorgspielt und ihnen gesagt: „Das sind meine Gefühle über unsere Arbeit.“ T Bone wollte ihn auf der Platte haben. Mir wurde bewusst, dass der Text auch für alle Menschen stehen kann, die mich inspiriert haben. Nicht nur die Frauen, die vor mir kamen und deren Songs ich aufgreife, auch alle Musiker, die am Album beteiligt waren und alle, die mich in meiner Arbeit unterstützen. Denn niemand von uns ist allein. Auch wenn das eine Soloplatte ist, ist es trotzdem ein Teamwork. Es schien also Sinn zu ergeben, die Platte mit einem Dankeschön zu beenden, allen Menschen zu danken, die mir aktiv und passiv geholfen haben.
Sie haben mit T Bone Burnett nicht nur im Rahmen der erwähnten New Basement Tapes, einer Vertonung neu entdeckter Bob Dylan-Lyrics, und für Ihr Soloalbum gearbeitet. Sie waren auch bei seinem „Another Day, Another Time“-Konzert dabei, das die Musik aus dem Film „Inside Llewyn Davis“ von den Coen Brothers auf die Bühne brachte. Was ist das Besondere an der Arbeit mit T Bone?
Giddens: T Bone weiß, wie man eine Aufnahmesituation schafft, die angenehm ist. Deshalb verfügt er auch über die besten Aufnahmnetechniker usw. Dafür erwartet er auch, dass du dein Bestes gibst. Er stellt dir die besten Werkzeuge zur Verfügung, die besten Musiker, aber du musst den größten Anteil beisteuern. Und dann baut er all die wunderbaren Dinge drumherum, er inspiriert dich, alles zu geben. Ich schätze das, denn wenn die Kunst von dir kommt anstatt von jemandem, der dir sagt, was zu tun ist, dann ist das wahrhaftiger.
Im Studio ist er im Hintergrund, aber du weißt, er ist immer da und hört zu. Und wenn es notwendig wird, dann schreitet er ein. Dann sagt er: „Warum probierst du es nicht mal anders?“ Er behält die Übersicht und spürt, wohin ein Song geht und korrigiert vielleicht mal eine Zeile.
Gibt es eigentlich irgendwelche Reaktionen von Dylan zu den New Basement Tapes?
Giddens: Nicht, das wir wüßten! Offensichtlich fand er sie nicht schrecklich, denn er hätte den Release verhindern, das Projekt zu jedem Zeitpunkt stoppen können. Schweigen ist in diesem Falle die bessere Variante, als es in die Tonne zu treten.
Fühlen Sie sich als Teil einer neuen akustischen Bewegung in der US-Musik, die wir zumindest von Europa aus gerade wahrnehmen?
Giddens: Ich denke ja. Das Pendel ist ja immer in Bewegung, und zur Zeit schwingt es definitiv in unsere Richtung. Was wir brauchen, ist eine prominentere Abdeckung der tiefsinnigeren Songs im Radio. Es gibt eine Menge davon, aber sie bekommen kein Airplay. Das ist jetzt die Herausforderung, diese Songs zu nehmen und sie zu einer Bewegung zu formen. Die Folkbewegung muss wiedererstarken, denn sie ist ein Ventil für die Menschen, über das zu sprechen, was gerade abgeht. Es swingt gerade, und für uns ist es definitiv eine gute Zeit, das zu tun, was wir tun.
Rhiannon Giddens: „Black Is The Color“
Quelle: youtube
Rhiannon Giddens spielt im Juli drei Konzerte in Deutschland:
2.-5.7. TFF Rudolstadt
8.7. Mojo Club, Hamburg
11.7. Jazz Open, Stuttgart