Stimmen-Festival: Neustart


In seinem 28. Jahr geht das Festival Stimmen im Dreiländereck an der Grenze zur Schweiz und Frankreich seit 2019 zum ersten Mal wieder in eine vollwertige Ausgabe. Unter seinem Initiator Helmut Bürgel als Festival mit einem starken Akzent auf Weltmusik etabliert, hat sich die Stimmen-Philosophie in den letzten Jahren unter der Direktive von Markus Muffler verändert. Das Programm beherbergt zwar noch Klangfacetten aus aller Welt – sowie die seit Beginn verankerten Pop- und Rock-Stars auf dem Martkplatz – setzt aber zunehmend mehr auf junge bis sehr junge Songwriter-Acts.

Das wird auch in der Ausgabe 2022 vom 30. Juni bis 31. Juli so sein, in der der neue künstlerische Leiter Timo Sadovnik aus Graz noch kaum eigene Akzente setzen konnte, da er erst seit dem 1. März amtiert. Die Töne aus aller Welt konzentrieren sich traditionsgemäß vor allem auf die Konzerte im Lörracher Rosenfelspark: Hier sind die argentinische Cumbia-Queen La Yegros (Foto) und der kubanische Funkmusiker Cimafunk zu hören, orientalisches Flair wird die Algerierin Djazia Satour verbreiten. Mit Elida Almeida aus Cabo Verde und der Kongolesin Gasandji wird der Afro-Abend gestaltet. Auf den Domplatz im schweizerischen Arlesheim ist die türkische Sängerin Gaye Su Akyol geladen. Auch Soul-Kost wird es geben, etwa zur Eröffnung und zum Finale: Sie werden jeweils von Max Mutzke und Curtis Harding bestritten.
Das komplette Programm hier.

Cimafunk: „Fiebre“
Quelle: youtube

Türkischer Untergrund-Honig

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Gaye Su Aykol
Hologram Imparatorlugu
(Glitterbeat/Indigo)

Ende 2004 stand ich in Istanbul auf dem Galata-Turm und ließ mir den frischen Wind des neuen künstlerischen Aufbruchs und der jugendlichen Freiheit um die Nase wehen. Dass zwölf Jahre später diese Freiheit in Scherben liegt, hätte sich damals niemand ausgerechnet. Und wie steht es um die Musik? Zumindest diese CD lässt einen im Glauben, dass der Underground am Goldenen Horn quicklebendig ist. Am Werk ist eine der Veteranninen der Szene, die in unseren Breiten bislang von prominenten Namen wie Sezen Aksu überschattet wurde. Schon die ersten Takte des Openers “Hologram” überwältigen mit einem Streichorchester aus einem wildgewordenen Bienenschwarm, dazu knattert eine heftige Surfgitarre. Und der dramatische Auftakt setzt die Vorzeichen für alles Weitere: Wehmütige Trompeten in “Akil Olmayınca” oder Tremolo-Ästhetik à la Dick Dale in “Fantastiktir Bahtı Yarimin” versetzen den Bosporus unmittelbar vor die Tore Tucsons. Paukenintro, flirrende Geigen, ein trauriger Analog-Synthesizer und flatternde Oud zimmern das grandiose “”Kendimden Kamaktan”, schaurige Männerchöre und ein hyperventilierender Bass machen “Eski Tüfek” zum Soundtrack für einen orientalischen Film Noir. Und selbstredend ist es immer wieder Akyol mit ihrer Stimme, die wie ein schweres Duftwasser in ihren Bann zieht, mit erdschwerer Laszivität und federleichter Ornamentik zugleich. Ein Album wie eine urbane Fata Morgana.

Gaye Su Akyol: Kemdinden Kaçmaktan (live)
Quelle: youtube