70 Jahre feinste Musizier- und Produzenten-Genialität, eine Karriere für mindestens sieben Leben: Quincy Jones hat das Raumschiff Erde verlassen. Unter seinen vielen Großtaten ist für mich eine herausragend gewesen.
1972 unterbrach er in der Karriere von Aretha Franklin die lange Serie von Alben mit Produzent Jerry Wexler und ermöglichte der Queen of Soul für ihr 19. Album eine ganz andere, jazzorchestral getönte Klangsprache. Neben der ergreifenden, gospelgetönten Sichtweise auf „Somewhere“ von Lenny Bernstein ist es auf Hey Now Hey vor allem ein Song, der diese Gemeinschaftsarbeit von Aretha und Quincy zum Überflieger machte: In der waidwunden Ballade „Angel“ aus der Feder von Schwester Carolyn Franklin gehen Symphonieorchester und Stimme eine Symbiose ein, die mich jedes Mal zu Tränen rührt. Und nicht zuletzt kann dieser Jahrhundertsong nach der Halbton-Rückung mit einem der brausendsten Aretha-Momente ever aufwarten, um das Elend der Einsamkeit in einen markerschütternden Seelenschrei zu fassen.
Danke dafür Quincy, und für viele andere unvergessliche Momente, die mein Hörerleben reich gemacht haben.
„Ich bin Soul ‘69“ – eine Aretha Franklin-Platte erzählt SRF 2 Kultur – Passage
21.12.2018, 20h00 (Wdh. 23.12.2018, 15h03)
Eine Hommage von Stefan Franzen
Am 16. August dieses Jahres starb Aretha Franklin. Oft ist ihr Leben nachgezeichnet worden, von Biographen, Musikkritikern, Wegbegleitern. Eine Schallplatte allerdings hat wohl noch nie Franklins Vita erzählt. Im Januar wird „Soul ‘69“, das sechste Album der Sängerin für Atlantic Records 50 Jahre alt – und kurz vor ihrem runden Geburtstag lässt sie das Leben der Queen of Soul durch ihre Rille ziehen.
„Mein Körper ist voller Schrunden und Schrammen, aber meine Seele habe ich von Aretha“, sagt „Soul ’69“. Wenn die alte Schallplatte erzählt (Sprecherin: Sabine Trieloff), wird Aretha Franklins Geschichte lebendig: Von ihrer Geburt in Memphis zu den frühen Prägungen in der Gospelschule des Vaters, von ihrer Verehrung für Dinah Washington und ihrer Freundschaft zum späteren Motown-Star Smokey Robinson bis zu den Jazz- und Easy Listening-Jahren bei Columbia Records. Und schließlich ihre Metamorphose zur größten Soulstimme aller Zeiten bei Atlantic, mit Hits wie „Respect“ und „Natural Woman“. Hier wurde sie auch zur Ikone der schwarzen Bürgerrechtler und der für Gleichberechtigung kämpfenden Frauen.
Die Hörer tauchen in die Entstehung und die Musik von „Soul ’69“ ein. Franklins sechstes Werk für Atlantic Records hat eine Sonderstellung unter ihren Alben für das New Yorker Label: Produzent Jerry Wexler paarte Arethas vorwiegend weiße Begleitband mit der ersten Riege der New Yorker Jazzszene. Größen wie Ron Carter, Junior Mance, Joe Zawinul, King Curtis und David Newman waren bei den Sessions mit von der Partie.
Die zwölf Stücke, unter ihnen bekannte Songs wie „Crazy He Calls Me“, „Gentle On My Mind“ oder „Tracks Of My Tears“ überwinden stilistische Grenzen und Epochen: Franklin selbst wählte sie aus, vereint in ihrer machtvollen Soulstimme Blues, Gospel, Pop, Country und Folk, all dies gebündelt in den Bigband-Arrangements von Arif Mardin. Im Studio erwies sich jedoch Franklin selbst als die Dirigentin des Geschehens, die mit ihrer unvergleichlichen Vokalkraft das gesamte Orchester unter Kontrolle hatte.
„Soul ‘69“ entstand darüber hinaus in einer turbulenten Zeit für die Protagonistin: Kurz vor dem Start der Sessions wurde ihr enger Freund Martin Luther King erschossen, die Aufnahmen musste sie für ihre erste, triumphale Europatournee unterbrechen, und die dramatische Trennung von Ehemann Ted White hinterließ ebenso ihre Spuren in den Aufnahmen.
Aretha Franklins Gesang war zeitlebens geprägt von dem Dilemma zwischen der bitteren Erde und der himmlischen Glut, zwischen dem Käfig des Körpers und der spirituellen Sphäre. „Den Körper braucht es den für den Soul“, sagt die Schallplatte „Soul ‘69“. Denn in ihrem eigenen schwarzen Leib aus Vinyl erklingt die Stimme der Königin, lebt weiter, auch nach Franklins Tod.
Am 25.12. um 20h gibt es dann die Sendung „Aretha Franklin – eine spirituelle Sängerin auf der Bühne“, in der es um „Live At Filmore West“ und insbesondere um das Gospel-Album „Amazing Grace“ geht – hierfür ist auch ein Pfarrer ins Studio eingeladen. Dieser Tage wurde bekannt, dass Sydney Pollacks Film zu diesen Gospelsessions nach 46 Jahren tatsächlich Anfang 2019 in die Kinos kommen soll. https://www.srf.ch/sendungen/srf-2-kultur-musik/aretha-franklin-eine-spirituelle-saengerin-auf-der-buehne
Ihrer Version des Songs „This Bitter Earth“ entringt sich ihrer Kehle eines dieser berühmten „Uuuhs“, die durch Mark und Bein gehen. „Wenn mein Leben wie der Staub ist, der den Glanz der Rose verdeckt, wozu bin ich dann gut? Das weiß nur der Himmel“, heißt es zuvor im Text. Von dieser Spannung zwischen irdischer Unzulänglichkeit und göttlicher Sphäre, zwischen dem Käfig des Körpers und der Schwerelosigkeit der Seele nährte sich zeitlebens die Musik von Aretha Franklin. Die „Queen des Soul“ ist am Donnerstag im Alter von 76 Jahren in ihrer Heimatstadt Detroit gestorben.
In Memphis am 25. März 1942 geboren, wächst Franklin in Detroit auf. Natürlicher musikalischer Nährboden ist der Gospel ihres Vaters, des Baptistenpredigers C. L. Franklin. In seiner New Bethel Baptist Church erlebt sie, wie die Sängerin Clara Ward vor lauter Ekstase ihren Hut auf den Boden schmettert. Ein Schlüsselerlebnis: Von nun an will auch sie singen. Erbarmungsloser Lehrer ist der Vater selbst, mit zwölf steht sie vor der Gemeinde, macht zwei Jahre später dort auch erste Aufnahmen. In ihrer Stimme sind da schon, wie es einer ihrer Kollegen nannte, alle „Schnörkel, Blüten und Rüschen“, die sich in Noten nicht fixieren lassen und die für ihre weitere Karriere so wesentlich werden.
Diese Stimme, sie drängt über den Gospel hinaus, wie sich 1960 zeigt: Franklin, mit 18 schon zweifache Mutter, wird in New York von Columbia Records unter Vertrag genommen, spielt mit dem Jazzpianisten Ray Bryant ihr erstes Album ein, bluesgetränkt, auf den Spuren ihres großen Idols Dinah Washington. Ihre Zeit bei Columbia wird auch heute noch unterschätzt: Bis 1966 veröffentlicht sie dort fast ein Dutzend Alben zwischen Blues, Jazz, Folksong und Easy Listening, man stellt ihr ein kitschiges Streichorchester zur Seite, versucht vergeblich, sie als Popsängerin in die Charts zu hieven – und doch formt ihre vokale Strahlkraft Standards wie „What A Difference A Day Makes“ zu Versionen für die Ewigkeit.
Franklins Columbia-Ära endet mit einem schmissigen Stück namens „Soulville“ – und in dieser Stadt, in der Ray Charles, Sam Cooke und James Brown schon residieren, baut Aretha Franklin nun ihren Palast. Verantwortlich dafür ist der Produzent Jerry Wexler, der sie zu Atlantic Records holt. Er erkennt das Potenzial, dieses Timbre mit dem rauen Sound des Südens zu paaren und nimmt sie 1967 mit in ein Studio in Muscle Shoals, Alabama, wo sie mit den mehrheitlich weißen Begleitmusikern von Wilson Pickett ihr erstes wirkliches Soulstück aufnimmt: „I Never Loved A Man The Way That I Loved You“.
Aretha Franklin: „I Never Loved A Man The Way I Love You“
Quelle: youtube
Es wird zur Blaupause für die weiteren Songs des gleichnamigen Atlantic-Debüts. Die Adaption von Otis Reddings „Respect“ macht sie über Nacht zur Ikone der Bürgerrechts- und Frauenbewegung. Der Respekt, er zielt auf die Anliegen der Schwarzen und ihres Führers Martin Luther King, der zu einem engen Freund wird. Er zielt aber ebenso stark auf Emanzipation. Die fordernde Weiblichkeit drückt sie in ekstatischen Soul-Hymnen wie „Dr. Feelgood“ mit donnerndem Gospelpiano und unverblümter Körperlichkeit aus. Auch Sex ist bei ihr immer göttliches Brausen.
Bis in die späten Siebziger veröffentlicht sie mit Wexler, einmal auch mit Quincy Jones und Curtis Mayfield am Pult, LPs am Fließband für Atlantic. In Hits wie „Chain Of Fools“, „Think“ oder „Spirit In The Dark“ lädt sie den Soul mit rauem, eruptivem Feuer auf, ein Gegenentwurf zum zuckersüßen Motown-Pop ihrer einstigen Detroiter Nachbarskinder Smokey Robinson und Diana Ross. Wie dieser Soul auch Europa außer Rand und Band bringt, ist dokumentiert in einem Konzertmitschnitt von 1968 aus Amsterdam, wie er sogar die weiße Hippie-Szene erobert, lässt sich auf der „Live At Fillmore West“-LP nachhören. Doch Franklin liefert auch „Sweet Soul Music“, wandelt Balladenmelancholie zu triumphalem Glanz wie in „You Make Me Feel“ oder „Angel“ aus der Feder ihrer Schwester Carolyn.
Immer, wenn es ihr selbst schlecht geht, wendet sich Franklin dem Gospel zu, etwa auf ihrer Doppel-LP „Amazing Grace“ von 1972. Der Mitschnitt aus zwei Gottesdiensten ist eine ungeheure Manifestation spiritueller Glut. Ob gläubig oder nicht: Man kann die letzten Minuten des Titelstücks nicht ohne seelische Erschütterung hören.
Nach einem Imagewechsel 1980 gelingen der Soul Queen auf Arista Records weitere Erfolge, sie gastiert im „Blues Brothers“-Film (1998 auch in Teil 2), und Pophörer entdecken sie bis in die Neunziger hinein neu, durch Duette mit George Michael, Elton John und Annie Lennox. Klatsch um ihre Gewichtszunahme und das Geheimnis um den Vater ihres ersten Sohnes begleiten die späteren Jahre. Noch einmal blitzt Franklins Rolle als Ikone der Bürgerrechtler auf, als sie 2009 bei der Amtseinführung Obamas vor zwei Millionen Menschen singt. Umso mehr tut es weh, dass sie in einer Ära geht, in der all die Errungenschaften Amerikas verlöschen. 2010 wird sie vom Rolling Stone zur besten Sängerin aller Zeiten gekürt. Dann erkrankt sie an Krebs, steht wieder auf, scheint sogar mit alter Kraft zu singen, tourt bis 2017 mit ihren alten Hits.
„Während eine Stimme in mir schreit, bin ich mir sicher, dass jemand meinen Ruf erhört, und diese bittere Erde, sie wird schließlich nicht mehr so bitter sein“, singt sie, während sie sich zu einem grandiosen Crescendo steigert, mit diesem von keiner Kollegin je erreichten Ziehen und Zerren in der Stimme. Wer ihr zuhört, kann alles über das Irdische lernen – und vieles über Gott. Größeres lässt sich mit Musik nicht sagen. Die Queen ist gegangen, ihr Thron bleibt leer, vermutlich für immer. Heute gibt es keinen Trost.