Coltrane trifft Sabartrommeln


Seit Youssou N’Dour in den 1980ern ins internationale Rampenlicht trat, hat der Senegal einen exzellenten Ruf als Heimstatt großartiger Musiker. Sie beschränken sich dabei nicht auf ihre Wurzeln: Mittlerweile verknüpfen viele Künstler des westafrikanischen Landes die traditionellen Musikformen der Heimat mit jazzigen Vokabeln. Einen der gekonntesten Brückenschläge zwischen den Trommelrhythmen aus seinem Erbe und US-amerikanischen Harmonien hat der Gitarrist Hervé Samb gemeistert.

Auf hundert Alben, so lässt zumindest seine Plattenfirma verlauten, hat Hervé Samb schon seine Gitarrenakzente gesetzt, etwa für den Jazzbasisten Marcus Miller, für Meshell Ndegeocello oder die Malierin Oumou Sangaré. Seine beiden Werke unter eigenem Namen erreichten bislang nur einen kleinen Kennerkreis. Samb lebte lang in den Staaten, hat sich dort in zeitgenössischen Jazzkreisen getummelt und eine hochvirtuose Gitarrentechnik entwickelt. Dafür hat er sich von einem Pariser Instrumentenbauer eigens ein Exemplar fertigen lassen, das ähnliche Züge trägt wie Django Reinhardts berühmte Maccaferri-Gitarre.

Ausgerüstet mit den langjährigen US-Erfahrungen ist der Senegalese jetzt in seine Heimat zurüückgekehrt und kombiniert die beiden Klangwelten in Teranga (deutsch: Gastfreundschaft), der Name seiner neuen CD und seines Bühnenprogramms. „Normalerweise ist es bei gemischten Projekten ja so, dass europäische oder amerikanische Jazzer ihre Musik mit afrikanischen, indischen, exotischen Kulturen bereichern wollen”, so Samb. „Die umgekehrte Richtung ist viel ungewöhnlicher.” Genau das ist nun sein Ansatz. Er hat dafür in Dakar einige der führenden Perkussionisten aus der Tradition des Sabar-Trommelns um sich geschart, denen er Jazzstandards vorspielte – sie umfassen ein breites Spektrum von John Coltranes „Giant Steps” bis zu Henry Mancinis „Days Of Wine And Roses”.

„Ich habe positive, fröhliche Tunes ausgewählt, die gut in die senegalesische Metrik passen”, sagt Samb. Das US-Material wurde dann in den Studiosessions oft in ein und demselben Stück mit senegalesischen Songs zusammengespannt. Das Ergebnis nennt er „Jazz Sabar” – eine transatlantische Kreuzung, in der die vertrauten Melodien auf komplexe Rhythmen treffen. Für ihn selbst auch eine Neuentdeckung der Klänge, mit denen er als Bub aufgewachsen ist, die er aber zuvor nie studierte: „Ich wollte die traditionelle Musik genauso gut kennen lernen wie den Jazz.”

Die Verknüpfung ist auch abseits der Standards gelungen: Auf vokaler Seite bringt er traditionelle Stimmen mit Rap-Interludien und bezwingendem Pop-Charme zusammen, hier stehen etwa Faada Freddy oder der kürzlich verstorbene Ndiouga Dieng vom Orchestra Baobab auf dem Gastzettel. Alle Texte werden in der Landessprache Wolof gesungen – auch das ein unmissverständliches Signal an die Welt, das bei einer Begegnung der Kontinente nicht automatisch aufs Englische zurückgegriffen werden muss. Ein ganz grandioser Brückenschlag, nach der CD zu urteilen. Und live könnte Herve Samb die afrikanische Offenbarung dieses Winters werden.

© Stefan Franzen

Hervé Samb live: 5.2. Mühldorf, Haberkasten – 6.2. A-Innsbruck, Treibhaus – 8.2. Berlin, A-Trane – 10.2. Tübingen, Sudhaus+Prinz K – 11.2. Freiburg, Jazzhaus – 13.2. F-Paris, Studio de L’Ermitage – 15.4. CH-Cully, Cully Festival

Hervé Samb: „Thiossane“
Quelle: youtube



Von Kairo zum Kap: Crossroads


Clubmusik der Metropolen Afrikas ist in unseren Breiten nicht allzu häufig zu hören. Die Kaserne Basel wagt es nun mit „Masr!“ und „Mzantsi“: zwei Nächte, die sich dem aktuellen Nachtleben Ägyptens und Südafrikas widmen und in ein Festival namens „Crossroads“ eingebettet sind. Getragen wird das dreitägige Ereignis (8.-10.2.) durch eine Kollaboration der Kulturstiftung Pro Helvetia, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sowie weiteren Partnern aus Genf und Basel. Mit „Masr!“ werden Spotlights auf die aktuellen Trends in den Clubs von Kairo gerichtet: Zu Gast ist der unumstrittene König des Electro Sha‘abi, Islam Chipsy. Die Soundkünstlerin Nour Emam hat eigens für Crossroads eine Show mit den Schweizer Musikern Janiv Oron (Goldfinger Brothers) und Michael Anklin (UFO) konzipiert.

Während des südafrikanischen Abends namens „Mzantsi!“, der die Entwicklungen in Johannesburg und Durban berücksichtigt, wird unter anderem minimalistischer Electro-Soul von Manthe Ribane (Die Antwoord) zu hören sein., die sich mit dem Genfer Frauenduo Kami Awori (siehe Foto oben) zusammentut. Rap und Kwaito gibt es von Okmalumkoolkat und Dokta SpiZee, die neue südafrikanische House-Spielart Gqom wollen die DJs Lag und Prie Nkosazana zelebrieren. Crossroads ist interdisziplinär angelegt: Neben den Konzerten gibt es es etwa eine Tanzperformance über Homosexualität in Indien, eine Videoinstallation über experimentelle Filmkunst in Afrika oder ein Theaterstück über die Entwicklungen in der arabischen Welt seit 9/11.

Manthe Ribane: „Teleported“
Quelle: vevo

Motowns raueste Versuchung

Seine raugeschmirgelte Stimme wird immer mit dem Hit „Papa Was A Rolling Stone“ in Verbindung bleiben: Dennis Edwards war der charismatische und charaktervolle Leadsänger in der vielleicht spannendesten Phase der Detroiter Supergroup The Temptations. 1968 stieg er als Nachfolger von David Ruffin ein und prägte die psychedelisch gefärbten Hits voller orchestraler Dramatik, neben dem erwähnten Papa etwa „Cloud Nine“, „Psychedelic Shack“ oder „Masterpiece“. Gestern ist Edwards einen Tag vor seinem 75. Geburtstag gestorben.

The Temptations feat. Dennis Edwards: „Psychedelic Shack“
Quelle: youtube

Joyce Moreno 70

                                                        Foto: Markus Kurz

Es war am 23.9.2005, als wir zu einem ganz besonderen Hausbesuch eingeladen waren. Die brasilianische Sängerin Joyce Moreno, seit Ende der 1960er eine Ikone der zweiten Bossa Nova-Generation, empfing Markus Kurz und mich im Rahmen einer Homestory fürs Magazin Jazz thing zuhause in Rio, um über ihre Plattensammlung zu sprechen. Unterhaltsam und hochspannend habe ich diesen Nachmittag in Erinnerung, ein grandioser Streifzug durch mehrere Jahrzehnte brasilianischer Musikgeschichte. Heute wird Joyce 70 Jahre jung, und ich möchte sie mit einem ebensolchen Streifzug durch sieben herausragende Stationen ihrer eigenen Karriere ehren. Bom aniversário, Joyce!

1. Nelson Angelo & Joyce Moreno: „Comunhão“ (1972)
Quelle: youtube

Anfang der 1970er suchte Joyce noch nach ihrem eigenen Ton. Nach der Veröffentlichung ihres etwas schwülstig-orchestralen Debüts von 1968 tat sie sich vier Jahre später mit dem Liedermacher Nelson Angelo aus Belo Horizonte zusammen, der der lyrischen Bewegung der Clube da Esquina verbunden war, unter anderem an der Seite von Milton Nascimento. Herausgekommen ist ein folkiges Kleinod mit leicht psychedelischen Anwandlungen, ein typisches Dokument seiner Zeit. Weiterlesen

Schottlands unentdeckter Folk-Stolz

Blue Rose Code
The Water Of Leith
(Navigator/H’Art)

Die Schotten begehen heute das „Burns Supper“, den Geburtstag ihres „Nationaldichters“ Robert Burns. Zu diesem Anlass möchte ich eine Platte vorstellen, die Ende letzten Jahres zu mir kam und es aus dem Stand noch in meine 2017er-Favoritenliste geschafft hat.

Blue Rose Code um den Sänger und Songschreiber Ross Wilson aus Edinburgh gehören zu den Folkbands, die sich stilistisch weit öffnen, und aus dieser Begegnung neuartige Farben gewinnen. Im Falle dieser Band ist es die Nähe zum Jazz, die sich in Saxophon- und Trompeten-Improvisationen äußert, genauso unvermittelt wie organisch in die Songs eingesetzt. Es ist aber auch das Spiel mit der Klassik, präsent in den leuchtenden Texturen eines Streichquartetts. Und dann ist da in Wilsons Dichterseele das Streifen durch weite inner wie äußere Landschaften, die über die Topoi der keltischen Folkmusik hinausreichen, ein Soul, der vom Heimkommen, von der ewigen Liebe, aber genauso auch vom Wetter spricht.

The Water Of Leith eröffnet mit der großartigen, sich aufschwingenden Ballade „Over The Fields“, die dem verstorbenen Asia-Sänger John Wetton gewidmet ist. Ein melancholischer Folkrock-Ohrwurm voll Liebesschmerz ist „Bluebell“, das schwungvolle „Ebb & Flow“ trägt hellere Farben mit einem Van Morrison-Anklang auf, und „Sandaig“ offenbart einen Einblick ins gälische Erbe der schottischen Westküste. Eine grandiose Verzahnung zwischen Folk und Jazz geschieht in „Nashville Blue“ mit seinem tiefnächtlichen Trompeten-Intermezzi. Selbst vor Country haben Wilson und seine Truppe keine Scheuklappen, wie sich im federnd leichten „Love Is…“ zeigt.

Und kurz vor Ende hat dieses Kammerfolkorchester noch ein heißes Eisen im Feuer: Die freie Improvisation über „The Water“ mündet in das fantastisch schillernde, orchestrale „To The Shore“, vollgesogen mit nordischen Naturbildern – eine kleine Klangodyssee mit cineastischen Streichern, mäaandernder Trompete, Klaviertropfen, Slidegitarre. Vielleicht wird man von Ross Wilson rückblickend eines Tages als Robert Burns des 21. Jahrhunderts sprechen. The Water Of Leith jedenfalls könnte für den schottischen Folk eine neuartige Identität stiften.

© Stefan Franzen

Blue Rose Code: „Bluebell“
Quelle: youtube

Südafrikas Klang als Weltsprache

Sein Ton auf dem Flügelhorn ließ sich leicht wiedererkennen: Wenn Hugh Masekela spielte, dann ergriff er bei aller Virtuosität seine Hörer vor allem mit einem ungeheuer warmen Vibrato und der Sanglichkeit seiner Melodien. In seiner langen Vita spiegelt sich die wechselvolle Geschichte Südafrikas zwischen Apartheid und Freiheit wider, seine Musik umfasst schier alle Farben aus dem südlichen Teil des Kontinents. Mit 78 Jahren ist Masekela, nach Miriam Makeba der bekannteste Künstler Südafrikas, heute nach schwerer Krankheit in Johannesburg gestorben.

Durch die Aufnahmen des Starkornettisten Bix Beiderbecke fand der Sohn eines Bergmanns aus Witbank zur Trompete. Und er spielte bald auf einer ganz besonderen: Der Leiter seines Jugendorchesters brachte sie dem Lieblingsschützling direkt aus den Händen Louis Armstrongs mit. Ende der 1950er ermöglichte ihm die Revue „King Kong“ den Kontakt zu ersten Liga der südafrikanischen Musiker, unter ihnen eine junge Miriam Makeba. Später heiratete er die sieben Jahre alte Sängerin, lange hielt die Ehe allerdings nicht. Bei den Hardboppern der Jazz Epistles, bei denen er 1959 einstieg, agierte er Seite an Seite mit dem Pianisten Abdullah Ibrahim (damals noch unter dem Namen Dollar Brand).

Als 1960 das Massaker von Sharpeville nach einer friedlichen Demonstration gegen die Passgesetze zu tiefer Verunsicherung führte, verließen viele Künstler das Land: Masekela ging zuerst nach London, bald darauf in die USA, wo ihn etwa der Instrumentenkollege Dizzy Gillespie bereicherte. Auf den dort entstandenen frühen Alben koppelte er Jazz pionierhaft mit den Tönen seiner Heimat, etwa mit Sowetos neuer Zulu-Popmusik Mbaqanga. Schließlich veröffentlichte er 1968 den Meilenstein „The Promise Of The Future“, das sich nicht zuletzt wegen des Nr.1-Hits „Grazin‘ In The Grass“ vier Millionen mal verkaufte. Berührungsängste mit dem Pop hatte er fortan keine mehr: Mit großem Erfolg coverte er den Ohrwurm „Mas Que Nada“ des brasilianischen Kollegen Jorge Ben oder „You Keep Me Hangin‘ On“ aus Amerikas Hitschmiede Motown. Soul und Funk traten in seinem Spiel immer mehr in den Vordergrund, der Jazz und die Traditionen seiner Heimat blieben aber die stets hörbare Grundierung.

Nach seiner Ausbürgerung aus Südafrika pendelte Masekela zwischen den USA, Ghana, Nigeria und Zaire, arbeitete transatlantisch mit den besten Musikern, von den Jazz Crusaders bis Fela Kuti. In Ghana entstand der „Soweto Blues“, den er unter dem Eindruck der Aufstände in der Heimat schrieb. Weitere Klassiker sind das Lied „Stimela“ über einen Kohlezug, oder das elegant swingende „Market Place“, das ihn vor allem als Sänger zeigt: Denn Hugh Masekela verfügte auch über einen warmherzigen, kraftvollen Bariton. Der Anti-Apartheid-Bewegung lieferte er mit „Bring Him Back Home“ eine Hymne. Gemeint ist natürlich niemand anders als Nelson Mandela, für dessen Freilassung auch Masekela kämpfte.

Nach seiner Rückkehr ins demokratische Südafrika förderte er Musiker der neuen Generation, dehnte seine Kollaborationen auf Rap und Kwaito, die südafrikanische House-Variante aus. Bis ins neue Millennium blieb der mit mehreren Ehrendoktorwürden dekorierte, von Obama ins Weiße Haus geladene Masekela unermüdlich aktiv, und in Texten gegen Korruption, Hungersnöte und Klimawandel streitbar.

„Als ich ein Kind war, dachte ich, dass da kleine Menschen im Grammophon leben und die Musik machen“, erzählte er einmal. „Alles was ich wollte, war, mit Louis Armstrong, Duke Ellington, Muddy Waters und den ganzen anderen da unten drin zu sitzen. Und ich habe es geschafft: Seitdem habe ich da drin gelebt.“ Mit Hugh Masekela geht ein großer Mensch und Musiker, der Südafrikas Klänge wie kein Anderer zur Weltsprache geformt hat.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung vom 24.1.2018

Hugh Masekela: „Market Place“ (live at AVO Session Basel 2008)
Quelle: youtube

Ewige Liebe im Moor – Wuthering Heights 40

„Out on the wiley, windy moors we’d roll and fall in green“ – als diese irre hoch gesungene Anfangssequenz zum ersten Mal in Frank Laufenbergs Top Ten auf SWF 3 im Januar oder Februar 1978 aus meinem Cassettenradio tönte, konnte ich mir nur eine kleine Rotzgöre vorstellen, die das singt. Auch als Neunjährigem kam mir absurd vor, warum irgendjemand seine Stimme so hoch schrauben wollte. Doch was mir damals auch schon dämmerte: Das Lied unterschied sich von allem, was ich bis dato in dieser Hitliste am Sonntagabend gehört hatte, der ich seit dem Sommer 1977 regelmäßig lauschte.

Heute vor 40 Jahren ist Kate Bushs Single „Wuthering Heights“ veröffentlicht worden, das Debutalbum The Kick Inside folgte am 17.2.1978. Die popgeschichtliche Einordnung ist spannend genug: Als „Wuthering Heights“ im UK auf die Nummer 1 kletterte (in Deutschland lediglich Notierung 11), regierte auf der einen Seite der vorkonfektionierte Schwedenpop von ABBA, auf der anderen Seite der Disco der Bee Gees aus „Saturday Night Fever“. Dass da eine 19-Jährige mit einer Orchesterhymne, inspiriert von der Schlüsselszene aus Emily Brontes Sturmhöhe, nämlich die Rückkehr des Geistes von Heathcliff zu seiner Geliebten Cathy, eine Schneise reinschlagen konnte: kaum vorstellbar.

Wäre es nach den Plattenmoguln der EMI gegangen, hätte die erste Single von Kate Bush „James And The Cold Gun“ geheißen – eine charmante, aber konventionelle Rocknummer. Die Künstlerin selbst setzte sich mit ihrem Gespür durch – und das öffnete ihr Tür und Tor zu einer großen Karriere. Aus meinem persönlichen Hörwinkel gebe ich zu, dass „Wuthering Heights“ bei weitem nicht mein Lieblingssong von Kate Bush ist. Selbst die zweite Auskopplung aus The Kick Inside, die orchestrale Ballade „The Man With The Child In His Eyes“, stelle ich von der Stringenz der Komposition her weit über die schon ziemlich hyperventilierende  Sturmhöhen-Hymne.

Trotzdem: „Wuthering Heights“ nimmt einen ganz besonderen Platz in der Popgeschichte ein. Mit diesen viereinhalb Minuten begann das Kapitel weiblicher Selbstbestimmtheit – eine Künstlerin, die in so konsequenter Art als Autorin, Sängerin, Tänzerin und ab ihrem dritten Album auch Produzentin in Personalunion auf den Plan trat, hatte es vorher nicht gegeben. Wer das Thema vertiefen will: Der Daily Telegraph hat zum 40. einen brillanten Artikel veröffentlicht.

Von allen Kate Bush-Songs ist „Wuthering Heights“ derjenige, der beim Covern am meisten zum Scheitern verurteilt ist. Gerne hätte ich zum 40-Jährigen eine kleine Liste erstellt, doch entweder sind die Adaptionen schwach oder albern. Deshalb gibt es hier nur drei Versionen von Kate Bush selbst. Die erste, ein Playback zur Originalfassung von 1978, stammt aus Alfred Bioleks Show „Bios Bahnhof“, es ist Bushs erster Fernsehauftritt überhaupt. Vorangegangen war eine Live-Version von „Kite“, umklammert wurde ihre Performance von einer amüsanten, heute sehr altväterlichen anmutenden Moderation der deutschen Fernsehlegende.

Kate Bush: „Wuthering Heights“, live in Bios Bahnhof, 9.2.1978
Quelle: youtube

Der zweite Clip ist eine Rarität aus dem französischen Fernsehen, in dem der Ausdruckstanz mit den wagenradgroßen Pupillen der beiden Originalvideos (Version 1, Version 2) etwas abgemildert ist – ein Ausdruckstanz, der neuerdings Menschen auf dem ganzen Globus dazu veranlasst, sich zu Hunderten auf einer grünen Wiese zu treffen und das Originalvideo nachzustellen.

Kate Bush: „Wuthering Heights“ (French TV)
Quelle: youtube

Und zu guter Letzt noch eine Live-Fassung aus einer Show in Manchester, entstanden während der „Tour of Life“ von 1979. Und hier lohnt es sich auf die Schluss-Sequenz zu hören: Denn was den Song für mich immer so speziell gemacht hat, war das sagenhafte, glückselig davonfliegende E-Gitarren-Solo des Finale (auf Platte spielte es Ian Bairnson vom Alan Parsons Project, live allerdings Alan Murphy.)

Happy Birthday, Wuthering Heights!

Kate Bush: „Wuthering Heights“ (live in Manchester, 1979)
Quelle: youtube

Advokat der Liebeskranken

Glen Hansard
Between Two Shores
(Anti/Indigo)

Kinogänger werden sich erinnern: Da gab es vor einem Jahrzehnt einen Film namens „Once“, dessen Laufzeit in Freiburg wohl alle dagewesenen Rekorde schlug. In der anrührenden – manche urteilten auch kitschigen – Geschichte um ein Straßenmusiker-Pärchen in Dublin verkörperte der Singer/Songwriter Glen Hansard den Protagonisten so glaubhaft, dass Rolle und Darsteller miteinander zu verschmelzen schienen. Was dann auch wirklich passierte: Hansard und Filmpartnerin Markéta Irglová wurden ein Liebespaar, nahmen zusammen als The Swell Season zwei Alben auf. Rotschopf Hansard war da schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr: In den frühen Neunzigern spielte er in Alan Parkers Geschichte über die irische Soulband The Commitments den Gitarristen, und er feierte mit der Rockband The Frames Triumphe.

Nach der Trennung von Irglová schwang sich Hansard endgültig zu einem der feinsinnigsten Songwriter der grünen Insel auf. In seinen meist ruhigen, kammerfolkigen Lieder und in seinen rauen, empfindsamen Vocals konnte man das keltische Erbe oft durchhören. Was sich auf Livekonzerten schon seit einiger Zeit angedeutet hatte, schlägt sich jetzt auch auf Platte nieder: Merklich voluminöser ist sein Sound geworden, eine Soul-Bigband samt fabelhaftem Bläsersatz umgibt den 47-jährigen auf dem neuen, dritten Opus. Between Two Shores ist ein Liederzyklus übers Unterwegssein. Da ist das offensichtliche Pendeln zwischen den Kontinenten, denn Hansard hat das Werk zwischen Frankreich, New York und Chicago eingespielt. Auch eine Widmung an sein großes Hobby, das Segeln steckt sicherlich drin. Es ist aber auch ein Unterwegssein, das von der nicht endenden Unrast in unserer Zeit erzählt, die weit über die Geographie hinaus geht. Von der Erkenntnis, dass das Herz zu Lebzeiten niemals eine endgültige Heimat finden wird. Seiner Stimme gelingt dabei der Spagat zwischen Verletzlichkeit und Bissfestigkeit mit zunehmendem Alter immer glaubhafter.

Glen Hansard ist ein Advokat der Liebeskranken, von denen es im Songwriting ja mehr als ein paar gibt. Wenige jedoch finden so treffende Worte für das, was ein Mann fühlt, wenn er auf dem Abstellgleis der Gefühle darbt. Vier Textzeilen reichen ihm aus, um in „Wreckless Heart“ das ganze Drama des Verlassenseins zu skizzieren, und die Horns sind dabei seine Trauerkapelle. In der großartigen Hymne „Heart‘s Not In It“, die sich mit leuchtenden Streichern immer räumlicher entfaltet, fordert er verzweifelt mehr Engagement von ihr und das Ende halber Sachen. Selbstironisch gibt er in „Lucky Man“ zu swingendem Bläsersatz zu, dass die Verflossene immer noch eine erotische Faszination auf ihn ausübt, und er wünscht seinem Nachfolger viel Glück, denn auch er wird sie nicht auf Dauer binden können.

Und dann ist da plötzlich eine wütende Nummer inklusive bratender Orgel namens „Wheels On Fire“, die einen unerträglichen Schaumschläger und Dummschwätzer porträtiert: „You think that nothing is going to stop you now, but I hear you preaching from the lowest rung.“ Es ist die Stärke des Poeten Hansard, dass man darin Privates lesen kann, aber durchaus auch einen Angriff auf einen Typen namens Trump.

Musikalisch setzt Hansard mal auf einen peitschenden Rock-Drive à la Bruce Springsteens E-Street-Band („Roll On Slow“), baut dann aber wieder, nur mit der Dobrogitarre als Begleiterin, einen Grünen Insel-Blues auf, der eines Van Morrison würdig wäre. Das tieftraurige „One Of Us Will Lose“ lässt mit seiner verträumten, resignierten Stimme gar Anklänge an Balladen in der Machart von Jeff Lynne zu. Schließlich das großartige Finale „Time Will Be The Healer Once Again“: Hier nimmt er zur Abwechslung die Perspektive der Frau ein, gibt ihr ganz praktische Tipps für die schlimmste Phase des Liebeskummers. Und wie er das singt, mit diesen offenen Wunden auf den Stimmbändern, das ist keltischer Soul in Reinform.

Glen Hansard mag hoffnungslos anachronistisch sein: Im Zeitalter der Selbstoptimierer und Alltagsdurchstyler nimmt er die Hörer mit auf die Verliererseite, auf Fahrten durch zerfurchte Herzen und enttäuschte Hoffnungen. Doch allein durch seine Stimme liefert er eine satte Portion Trost gleich mit.

dieser Artikel ist am 13.01.2018 in der Badischen Zeitung erschienen
© Stefan Franzen

Glen Hansard: „Time Will be The Healer Once Again“ (live bei TV Noir)
Quelle: youtube

Vagamondes 2018


Bis zum 27. Januar ist das elsässische Mulhouse Schauplatz des Festivals Vagamondes, das sich insbesondere Facetten der arabischen Kultur, aber weitergefasst auch anderen „Kulturen des Südens“ mit Musik, Tanz, Poesie, Ausstellungen,Theater und Film widmet. Dreh- und Angelpunkt ist das Konzerthaus „La Filature“: Dort werden der Sänger Lounis Aït Menguellet und sein Ensemble die Musik der Berber aus der algerischen Kabylei vorstellen. Tunesiens Emel Mathlouthi, einst zentrale Figur der Jasminrevolution, ist mit ihrem neuen Programm „Ensen“ bei unseren linksrheinischen Nachbarn. Eine Truppe um den Tänzer Serge Aimé Coulibaly ehrt mit einem Ballett namens „Kalakuta Repulbik“ Fela Kuti. Für ein besonderes Spektakel geht das Festival in das alte Dominikanerkloster nach Guebwiller: Dort wird die persische Sängerin Azam Ali (Foto) die Multimedia-Show „The Fourth Light Project“ auf eine stimmungsvolle Bühne bringen. Bei den diesjährigen Vagamondes sind Künstler aus Syrien, Ägypten, der Türkei, Italien und Griechenland, Algerien, dem Iran und Korsika vertreten.

Niyaz feat. Azam Ali: „Shir Ali Mardan“
Quelle: youtube

Terzett auf Afro-Karibisch

Foto: Manuel Lagos

Jeder von ihnen verfügt schon über eine der schönsten Männerstimmen der schwarzen Musik – zusammen sind sie unschlagbar: 2004 trafen sich Gérald Toto, Richard Bona und Lokua Kanza zu einem atemberaubenden Gipfel der Vokalmusik – eine Blaupause für alles, was in den Fußstapfen von Bobby McFerrin und Zap Mama möglich war. Sage und schreibe vierzehn Jahre später entschied sich das Terzett für eine feingeschliffene Fortsetzung auf dem Album Bondeko. Gérald Toto beschreibt den Grund dafür so: „Wir hatten alle drei das Bedürfnis, über das Wohlbefinden zu sprechen, über die Liebe in all ihren Facetten. Über das, was Menschen verbindet. Drei Männer in ihren Fünfzigern stellen die Frage nach der Verwurzelung, nach dem, was Halt gibt.“

Während Bassist und Sänger Richard Bona durch seine Teamworks bis weit in den Jazz hinein und Lokua Kanza als einer der Afro-Superstars schlechthin bekannt sind, muss Gérald Toto hierzulande noch vorgestellt werden. Der Franzose martinikanischer Herkunft Toto hat seit den 1990ern als Studiopartner von Leuten wie dem algerischen Rai-Sänger Faudel oder der Band Nouvelle Vague gearbeitet. Auf seinen Soloalben verknüpft er leichterhand Reggae, Folk, französischen Chanson und kreolische Klänge, das, was man landläufig „Métissage“ benennt.

„Ich sehe mich da als Schüler von Édouard Glissant, dem großen Schriftsteller und Denker Martiniques“, bekennt der Mann von der Antilleninsel. „Er sah die Insel als exemplarisches Laboratorium für die Welt, weil dort ein Schlüssel liegt zum Verständnis der Mischung von Afrika und Okzident. Die Kultur entsteht erst aus dem ebenbürtigen Aufeinandertreffen der afrikanischen Trommel und der europäischen Violine. Diese Kreolität ist auch ganz selbstverständlich in mir drin, denn mein Urgroßvater war weiß.“ In Toto Bona Lokua sieht er eine Fortsetzung der Métissage: Dass ein Kongolese, ein Kameruner und ein Franko-Martinikaner sich zusammentun können, ohne dass sich der Einzelne verliert, darin sieht Toto gerade heute eine Signalwirkung.

„Bondeko“ sei dafür ein überaus passender Name, denn er steht in der Lingala-Sprache für Freundschaft und Brüderlichkeit – die haben die drei Musiker von Beginn an verspürt. Was beim Hören des Zweitlings als erstes überzeugt, ist die organische Dichte im Vokalsatz, das völlig natürliche Miteinander, das während fünf schier pausenloser Studiotage erarbeitet wurde. „Alle drei haben wir ein ziemlich ausgedehntes Stimmenregister, das macht es uns leicht, die Farben zu variieren“, erklärt Toto. „Richard verfügt in allen Lagen über ein kraftvolles Organ, Lokua liegt eher in der unteren Mittellage, aber wenn er hochgeht mit der Stimme, dann kann er sowohl eine starke Präsenz haben als auch sehr zart sein. Ich bin eine Art Mantel um die beiden, habe meine Stärke in den weichen Höhen. Wenn wir also zusammen singen, dann ist das perfekt, denn wir können die Timbres zwischen grobkörnig und ätherisch variieren.“

Stilistisch wird man keine deutlichen Anklänge an die heimatlichen Klänge der drei finden, denn alle drei sind von jeher nicht traditionalistisch geeicht, sind eher „Suchende, Abenteurer“ wie es Toto nennt. Nicht einmal in der Sprache bleibt das Resultat immer geographisch konkret. Einige der elf Songs stehen in Swahili, Lingala, Wolof oder Kréol, doch Toto nutzt auch ein Idiom, das er „Sprache der Gefühle“ nennt. „Das ist wie bei einem Kind, das spontan eine Sprache benutzt, während es in ein Spiel versunken ist oder wenn es seine Freude ausdrückt. Da gibt es keine Worte im eigentlichen Sinn, aber emotional aufgeladene Silben. Im Song ‚Youwilé‘ zum Beispiel: Das ging aus von einem Traumbild von Frauen, die eine Wüste durchqueren, mit Wasserkrügen auf dem Kopf. Dieses Bild hat die Sprache inspiriert, die ich dort verwende.“

Noch lautmalerischer geht es im „Love Train“ zu: Eisenbahn-Fan Toto hat hier den gesang und den Rhythmus eines Dampfzuges vertont. „M‘aa Kiana“ hingegen ist ein espritvoller Song aus Bonas Feder, das von seiner Jahrzehnte überdauernden Liebe zur eigenen Mutter erzählt. Und „Thi Tae“ hat Lokua Kanza einem verstorbenen Freund gewidmet, in vokalen Höhenflügen, die zum Niederknien sind. Bondeko ist dabei kein konsequentes A cappella-Album, wir hören auch Bonas Basskünste, Gitarren, Piano, Perkussion. Doch alles bleibt konsequent akustisch. „Elektronik tönt schnell nach gestern, nach Rost“, so Totos Überzeugung. „Wir drei wollen uns frei machen von allem Künstlichen, das unsere Identität bestimmt hat und zum Menschen an sich zurückzukehren. Das ist auch der Grund dafür, dass ein Projekt wie TotoBonaLokua nicht nur Afrikanern gefällt, sondern überall auf der Welt geschätzt wird. Wir berufen uns auf die Kommunikation von Mensch zu Mensch.“

dieser Artikel ist am 11.1.2018 in der Badischen Zeitung erschienen, am Dienstag, den 16.1.2018 sendet SRF 2 Kultur ab 20h05 meinen Beitrag zu TotoBonaLokua.

© Stefan Franzen

TotoBonaLokua: „Ma Mama“
Quelle: youtube