Die Kapsel von Apollo 11 befindet sich mittlerweile auf dem Rückweg zur Erde. Während sie sich vom Mond entfernt, spielt das katalanisch-spanische Frauenquartett Las Migas („Die Krümel“) eine wunderbare Mondballade. In Barcelona haben sie Anfang des Jahrzehnts ihre Mischung aus Flamenco, iberischen Folkeinflüssen und Pop geprägt. Las Migas gibt es auch heute noch in veränderter Besetzung, die damalige Sängerin Sílvia Pérez Cruz, die auf diesem Blog schon mehrfach zu Gast war, hat einen fulminanten Solopfad eingeschlagen.
Die arabische Liedkunst ist voll von Mondliedern. Allein die Libanesin Fairouz, eine der großen Diven der Levante, dürfte es in ihrem Repertoire auf eine ganze Handvoll von romantischen Chansons auf das Gestirn bringen. 1957 haben die Brüder Assi und Mansour Rahbani ihrer Muse eines der schönsten auf den Leib geschrieben – und das im Rhythmus eines kubanischen Cha Cha Cha. „Wir und der Mond sind Nachbarn“, heißt es da, „sein Haus ist hinter den Hügeln, und er kommt heraus, um den Melodien zu lauschen.“
„Als wir von der Mondoberfläche nach oben blickten, sahen wir über uns den Planeten Erde. Er war sehr klein, aber er war sehr schön. Er sah aus wie eine Oase im Weltall. Wir hielten es in diesem Moment für sehr wichtig, dass wir und die Menschen überall auf der Welt diesen Planeten erhalten. Als eine Oase, an der wir uns alle gemeinsam für alle Zeiten erfreuen können.“ (Neil Armstrong)
Der guineische Saxophonist Momo Wandel Soumah, einer der großen Musiker seines Landes, spielt zum heutigen Mondspaziergang von Neil Armstrong und Buzz Aldrin eine Serenade, mit der er 1992 die Mondschein-Stimmung im Hügelland von Foula Djallon, Zentralguinea aufgefangen hat.
In dieser Nacht vor 50 Jahren setzte die Landefähre Eagle im Mare Tranquilitatis auf. Ziemlich genau 450 Jahre, nachdem Fernando Magellan die Passage durch die Spitze Südamerikas gefunden hatte und mit seinen Schiffen in den Pazifik, später als „Meer der Stille“ benannt, hineinsteuerte, geriet der steinerne Spiegel dieses Ozeans ins Blickfeld der Menschheit. Die britische Progrock-Band Barclay James Harvest hat 1977 der „Sea of Tranquility“ eine nachdenkliche Hymne über die Eroberung fremder Welten gewidmet, die sich sowohl auf die Navigatoren der Weltmeere als auch auf die Astro- und Kosmonauten beziehen lässt:
„Wir steuerten unser Schiff ins Meer der allumfassenden Stille nur der Klang unserer Stimme begleitete uns, fasziniert von den Sternen flogen wir dahin, voll der Hoffnung, dass die Lieder, die wir singen und die Worte, die wir bringen, nie sterben würden.
Wir richteten unseren Blick auf das Meer der allumfassenden Ruhe Unser zweckloser Flug täuschte uns darüber hinweg wie armselig wir doch sind, verglichen mit einem Stern. Und das Ziel, dieser karge, steinerne Strand,
war viel zu weit entfernt.
Gestern leuchteten unsere Lieder über den Ruhm, jedes war ein Traum über Zeitalter hinweg. Wir verkauften unsere Seelen für sinnlosen Gewinn und brachten unsere Ernte vergeblich nach Hause.“
Barclay James Harvest (UK): „Sea Of Tranquility“
Quelle: youtube
Sudan Archives Festival Stimmen, Reithalle Riehen/CH, 18.07.2019
„Reingefiedelt“ habe sich Sudan Archives in die alternative Musikszene, spöttelte die Musikzeitschrift Spex, als es sie noch gab. An der 24-Jährigen aus Ohio mit Wohnsitz L.A. scheiden sich zuweilen die Geister. Die Geige als Hauptinstrument in der elektronischen Musik, zudem eine ruppig und kratzig behandelte – das sorgt nicht nur für Begeisterung, erinnert manche an ihre verzweifelten Versuche auf der Musikschule, andere wittern wurzelige Folk-Tümelei. Doch Sudan Archives bricht mit Violinen-Klischees: Im Alleingang baut sie um ihr Instrument fantastische Soundscapes, die sich zwischen futuristischem R&B, Neo-Soul und Electro-Performance einpendeln. Afrikas urtümliche Streichfiedeln haben ihr anfänglich den Kick gegeben.
Man konnte sich fragen, warum die Stimmen-Verantwortlichen den progressivsten Act ihres diesjährigen Programms ausgerechnet in den „konservativsten“ Spielort setzten. Deutlich sichtbarer Effekt schon vor dem Gebäude: Etliche junge Leute hat es in den barocken Park gezogen. Und der Clash zu Beginn der Show macht Spaß: hier der großbürgerliche Wohnzimmer-Charme des Bühnenhintergrundes, dort die Avantgarde-Künstlerin, die im kirschroten Umhang an eine Wüstenprinzessin erinnert und spröde Pizzicato-Phrasen schichtet. Ganz so, als wolle sie erst mal vorsichtig unter ihrer Kapuze die Stimmung in diesem wunderlichen Saal antesten. Das Pferdehaar ihres Geigenbogens – zunächst die einzige Verbindung zur Gestüt-Atmosphäre. Die abwartende, gespannte Haltung auf beiden Seiten – sie sorgt für fast hörbares Knistern.
Dann ist die Kennenlernphase vorbei, und Sudan Archives, einst mit stolzer Afromähne als Markenzeichen, gibt sich mit seitlich rasiertem Pony und Pferdeschwanz zu erkennen. Von ihrem Roland SP-404-Sampler lässt sie monströse House-Rhythmen in die Halle knallen, zu den gezupften Linien treten langgezogene, heulende Glissandi, die sich in ihrem Fluss aneinander reiben. Mit Fingern und Knöcheln bearbeitet wird der Geigenkorpus außerdem zur Perkussionsfläche, verzahnt sich mit den programmierten schmatzenden, schabenden und klackernden Rhythmusfragmenten, die auch mal tönen, als klatsche man mit der hohlen Hand auf Wasser. Diese Patchwork-Konstrukte aus Programmiertem und live Gespieltem, gelegentlich mit abrupten Taktwechseln versehen, besitzen schon so viel Räumlichkeit in sich selbst, dass die hallige Akustik des Saals stellenweise störend wirken kann.
Auch ihre Stimme, weder soulig noch virtuos, muss sich vorarbeiten, und als sie das schafft, erkennt man in ihrem lakonischen, fast sprechenden Ton tatsächlich Anleihen an Neo-Soulqueen Erykah Badu, mit der sie oft verglichen wird. Die dicht gepackten schweifenden Chöre erinnern phasenweise an den seligen Prince. Nicht so ganz passt die ebenfalls öfters gezogene Parallele zu Laurie Anderson: Viel weniger akademisch ist Sudan Archives Musik, viel mehr um einfache melodische Floskeln kreisend und auf afrikanische Archaik verweisend. Bilder von einem Kamelritt der Nomaden entstehen in einem gemächlicheren Moment, auch fernöstliche Tupfer blitzen auf – nie geographisch konkret, diese Frau entwirft ihre eigene Landkarte. Und wie um sich über Virtuosität zu mokieren, schiebt sie mit fliegendem Bogen plötzlich ein rasantes „Orange Blossom Special“ ein, halsbrecherischer Klassiker der Country-Fiddle.
Sudan Archives, die sich auch als Visual Artist sieht und grandiose Videoclips zu ihren Stücken dreht, geht mit Effekthascherei fürs Auge auf der Bühne eher sparsam um: Nur kurz wird der Geigenbogen mal zum Laserschwert, mal tanzt sie für einen Moment als Ballerina im Kreis, pflückt dann aus der Girlande am Mikroständer eine Blume fürs Publikum heraus. Man muss keine feinen Antennen haben, um recht bald zu spüren: Das Experiment glückt. Diese manchmal noch unausgegorene und leicht überfrachtete, aber oft verblüffende Electro-Spielwiese läuft im eher braven Setting, der überwiegende Teil des Publikums lässt sich mitreißen, den Ausgang suchen nur Einige, verschreckt von Lautstärke und technoidem Gestus. Ja, Vieles ist programmiert. Ja, Vieles wird geloopt: Doch die Interaktion zwischen Maschinen und alleiniger Akteurin lehnt sich nie bequem ins Vorfabrizierte zurück, Sudan Archives hält sie immer lebendig. In die langweiligen Drei-Akkorde-Gitarrenmädchen und die Gutelaune-Combos, die den Festivalsommer bevölkern, hat diese junge Frau eine frische, aufregende, wagemutige Schneise gepflügt.
Himmelskörpern hat er im Laufe seiner Karriere mehrere Canções gewidmet, die bekannteste ist sicherlich seine Hymne auf den blauen Planeten, „Terra“. An Zärtlichkeit steht dieses Mondlied aus der Feder des wohl größten MPB-Sängers seinem Erdengesang nicht nach, obwohl es mit der unruhigen Percussion und der glimmenden Orgel gleichzeitig einen typisch experimentellen Flickenteppich-Charakter hat, wie ihn die Tropikalisten liebten. „Lua Lua Lua Lua“ stammt aus Caetano Velosos Album Jóia von 1975, eine intensive, höchst kreative Schaffensphase für ihn auf dem Höhepunkt der brasilianischen Militärdiktatur.
Alena Murang ist eine Musikerin und kulturelle Aktivistin aus dem malayischen Sarawak im Nordwesten der Insel Borneo. Murang hat Vorfahren im Volk der Kelabit und hat sich zum Ziel gesetzt, deren Erbe lebendig zu halten. Eines ihrer Instrumente ist die Sape-Laute, auf der sie hier ein Nachtlied singt. Der Mond bescheint diese Szenerie, bei der Freunde zusammenkommen, und in der zweiten Hälfte wird auf die Verletzlichkeit der Natur aufmerksam gemacht, die allen gehört. Alena Murang gehört außerdem dem Kollektiv Small Island Big Song an, über das es hier demnächst einen ausführlichen Eintrag geben wird.
Wenn heute von der „Regenbogennation“ Südafrika die Rede ist, spricht die Realität auch 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid eine andere Sprache. Immerhin einen gesellschaftlichen Bereich gibt es, in dem das friedliche Miteinander annäherungsweise umgesetzt werden konnte – in der Musik. Einem Mann ist der mutige Anstoß für diese Entwicklung zu verdanken: Johnny Clegg, Vorkämpfer für die Aufhebung rassistischer Schranken in der Musikszene, ist am 16.7. im Alter von 66 Jahren in Johannesburg an einem Krebsleiden gestorben. Was er seit den 1970ern an integrativer Arbeit geleistet hat, lässt sich heute kaum noch ermessen.
Als der Sohn eines Engländers und einer simbabwischen Jazzsängerin mit den Klängen der Zulu-Wanderarbeiter in Kontakt kommt, stellen sich für ihn die Weichen der Zukunft. Er lässt sich bei ihnen unterrichten, im Gesang, Gitarrenspiel und Tanz, an der Wits University vertieft er seine Studien in der Zulu-Kultur. Schicksalshaft wird die Begegnung mit dem Straßenmusiker Sipho Mchunu – als die beiden durch Kirchen, Hostels und Universitäten touren, fordern sie das Apartheid-Regime heraus: Ein schwarzer und ein weißer Musiker zusammen auf der Bühne? Streng verboten, Schikanierung und Haft sind die Folge. Schließlich heben die beiden die Band Juluka (Zulu für „Schweiß“) aus der Taufe, die mit „Universal Men“ 1979 ein erstes Album veröffentlicht. Zensiert von den südafrikanischen Medien ist der Erfolg vor allem in Frankreich riesig. Es ist der Hit „Scatterlings Of Africa“ („die Verstreuten Afrikas“), der ihrem Mix aus Zulu-Tradition und Pop den weltweiten Durchbruch beschert. In den Versen erinnert Clegg daran, dass wir alle ein afrikanisches Erbe in uns tragen, uns vom schwarzen Kontinent aus auf den Weg gemacht haben. Wir alle sind Verstreute, Flüchtlinge – eine Aussage, die brennende Aktualität besitzt.
Nach dem Ausstieg von Mchunu bündelt Clegg seine Kreativität in einer zweiten Band namens Savuka (deutsch: „Wir sind erwacht“). Auch diese Formation hat einen Welthit: „Asimbonanga“ ehrt 1987 den immer noch inhaftierten Nelson Mandela mit der wiederkehrenden Zeile: „Wir haben ihn nie gesehen.“ Auch nach der Wende in Südafrika und der Auflösung Savukas bleibt Cleggs Engagement für Gleichheit nötig, in und jenseits der Musik. Der „weiße Zulu“ ist gegangen. Als Botschaft hinterlässt er, dass Integration eine immerwährende Verpflichtung ist – nicht nur in Südafrika.
Teil 2 der Mond-Serie führt uns nach Finnland. Dort wird ein Tango getanzt, der so gänzlich verschieden ist von dem in Argentinien – doch der Mond, der dort den klingenden Namen „kuu“ trägt, ist immer wieder gerne Thema, sogar überproportional oft. Was ein wenig wundert, denn die Mondscheinnächte sind ja zumindest während einiger Wochen durch die Mitternachtssonne eliminiert. Der König des finnischen Tangogesangs ist Olavi Virta, der hier – mehr im Schlager- als im Tango-Setting – davon singt, dass der silberne Mond in einer Sehnsuchtsnacht eine Brücke zum Meer baut.
Olavi Virta (Finnland): „Hopeinen Kuu“
Quelle: youtube
Heute vor 50 Jahren hob die Trägerrrakete Saturn V ab, um erstmals Menschen auf den Mond zu bringen.
Der von Neil Armstrong vorhergesagte „big leap for mankind“ ist leider ausgeblieben, mit jedem Schritt vorwärts sind wir als Menschheit wieder viele kleine Schritte zurückgegangen.
Ich nehme die neuntägige Apollo 11-Mission zum Anlass, die Perspektive von den „global players“ abzuwenden, hin zu Denjenigen, die den Erdtrabanten mit ihrer poetischen Kraft geehrt haben. Jeden Tag bis zum 24. Juli gibt es ein neues Mondlied.
Den Anfang macht heute, am Tag einer partiellen Mondfinsternis über Deutschland, die spanische Sängerin äquatorialguineischer Herkunft: Concha Buika. 2009 hat sie mit dem kubanischen Pianisten Chucho Valdés ein Album mit melancholischen mexikanischen Liedern zu Ehren der Diva Chavela Vargas aufgenommen. „Luz De Luna“ stammt aus der Feder des Komponisten Alvaro Carrillo: „Ich möchte Mondlicht haben“, heißt es in den Versen, “ für meine traurigen Nächte, damit ich in göttlicher Weise die Illusion spüren kann, die du mir genommen hast.“
Concha Buika & Chucho Valdes (Spanien/Kuba): „Luz De Luna“
Quelle: youtube